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Moderne Sklavenmärkte
                                    von Christa Grawert-Wagner
Es ist kaum zu glauben. Mitten in dem aufgeklärten Europa sind gut funktionierende Sklavenmärkte etabliert. Polen schuften im italienischen Apulien unter KZ ähnlichen Bedingungen. Es gibt ungeklärte Todesfälle und viele Vermisste.

Hungerlöhne
„Wir sind da in eine komplexe Geschichte reingestolpert",  berichtete Filmemacher Thomas Giefer bei der Vorstellung der Dokumentation „Sklaverei auf Italienisch"  im Filmforum des Kölner Museum Ludwig. Anfangs seien sie "nur"  der Meldung über  in Süditalien verschwundene polnische Arbeiter nachgegangen. Von dubiosen Arbeitsvermittlern angeheuert,  müssen sie zu Hungerlöhnen im Akkord Tomaten ernten. Während ihrer Recherchen stellten Thomas und Rena Giefer sowie Karl Hoffmann fest,  dass  ihre Geschichte mit China und Afrika unmittelbar zu tun hat. Die Geschichte sei abgründiger, kollektiver geworden. Die Globalisierung habe die Schicksale vernetzt.

Todesursache unbekannt
Mit einer makaberen Friedhofsszene der süditalienischen Kleinstadt Cerignola beginnt der Film. Der Sarg mit der Leiche von Dariusz Olszewski wird aus einer dunklen Grabkammer gezogen, die man auf einer Landstraße der Umgebung gefunden hatte. Zu sehen ist auch die von Tränen geschüttelte Mutter des Polen, die mit großer Anstrengung die Obduzierung der Leiche zur Feststellung der Todesursache auf den Weg gebracht hat. Das Gesicht des Toten wird gezeigt: voller Blut unterlaufener Schwellungen.
Die Mutter von Dariusz hat bei allem Leid wenigstens die Gewissheit über den Tod ihres Sohnes. So haben einige polnische Ehefrauen dagegen keinerlei Nachricht von ihren Männern. Seit vielen Monaten quält sie die Ungewissheit über deren Schicksal. Eine Nachricht  erwarten sie vergebens.

Capos und Schäferhunde
Unter schwierigen Umständen gelang es dem Filmteam, das „Alltagsleben" der Fremdarbeiter zu recherchieren. Der Akkord für die Plackerei der Tomatenernte ist nicht zu schaffen. Die versprochenen Stundenlöhne von maximal drei bis fünf Euro waren reine Illusion. Für menschenunwürdige Unterkünfte, für den Transport zu den Plantagen, für schlechtes Essen und unsauberes Wasser kassieren die bewaffneten Capos Geld von den Arbeitern. Durch Schäferhunde bewacht haben die ausländischen Arbeiter kaum Chancen, sich gegen Misshandlung und Ausbeutung zu wehren.
Besserung brachte eine polnisch-italienische Spezialeinheit. Polizeirazzien gehörten heute zur täglichen Routine, berichteten die Filmemacher.
Übrigens: „Capo" und „Lager"  sind in Süditalien gängige Wörter.

Elendsspirale
Die Saisonarbeiter aus Polen, Bulgarien oder Rumänien haben ungewollt andere Menschen noch tiefer in die Isolation und Ausweglosigkeit gedrängt. Für illegale Flüchtlinge aus Afrika war, auch wenn sie ausgebeutet wurden, die Tomatenernte doch ein kleiner finanzieller Lichtblick. Nun müssen sie sich quasi als Freiwild mit noch weniger zurecht kommen, sind noch mehr der Willkür der so genannten Arbeitgeber ausgesetzt.
Die Elendsspirale hat auch eine globale Dimension, wie die Filmleute feststellen mussten. Die apulischen Bauern könnten nicht mehr der internationalen Konkurrenz standhalten, hießen die Gründe zur Sklavenarbeit. Hinzu komme, dass seit einigen Jahren billiges chinesisches Tomatenmark den italienischen Markt überschwemme. Aber dann: Wohin mit den italienischen Tomaten?

Teufelskreis
Wohin? Natürlich nach Afrika durch aggressive Exporte. Wie Giefer berichtete, war diese Erkenntnis verblüffend. Gezeigt wird in der Dokumentation Ghana, das wichtigste Exportland des schwarzen Kontinents. Giefer: „Es ist ein Skandal. Die EU-Subventionen für die italienischen Tomatenbauern  belaufen sich auf etwa 380 Millionen Euro."  Und so können die Europäer mit Dumpingpreisen in Ghana agieren.  Dadurch seien zahlreiche afrikanische Tomatenbauern in den Ruin getrieben worden. Die Afrikaner seien wieder einmal die Schwächsten in der Kette. Die Folge seien, so Giefer, weitere Armutsflüchtlinge: Nachschub für die modernen Sklavenmärkte Europas.
Giefer appelliert:  „Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was da passiert." Und es passiert auch in unserer Nachbarschaft. Beispielsweise in Köln wurden allein 2008 zwei Fälle von osteuropäischen Bauarbeitern bekannt, die überhaupt kein Geld für ihre Arbeiten bekamen. Erst als sie keine Lebensmittel mehr hatten, wandten sie sich an die Presse. Ein Skandal, berichtet auf Seite zwei der Lokalseite.

WDR Fernsehen, Reihe „die Story - Blutige Ernte - Warum Dariusz sterben musste",
15. September 2008, 22 Uhr
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