Museumsgeschichten
                                         von Ursula Fritzle
Für Romanfiguren sind Museen oft sehr spannend. Den Beweis dafür tritt der Kunsthistoriker Walter Grasskamp mit seinem Buch „Sonderbare Museumsbesuche“ an.


Sammlung von Blüten

Ich mag keine Buchvorstellungen, die bei Adam und Eva beginnen. Deshalb gleich zum Inhalt. Den kann man wie Pralinen zu sich nehmen, immer einmal einen Ausschnitt oder ein Kapitelchen lesen und die Bemerkungen des Herausgebers genießen. Letztere sind ebenso schön wie die Geschichten der berühmten und weniger bekannten Autoren und Schriftsteller, die sich in dieser Anthologie tummeln, ergänzt durch Artikel aus Spiegel, FAZ, Zeit und SZ.
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Das Buch ist fein säuberlich in Abschnitte eingeteilt, zum Beispiel Vater, Mutter, Kind oder Fälscher, Räuber und Mörder. Langweilig sind sie nicht, die Auszüge aus der Literatur von Gernhardt bis Goethe.

Kunstfreundschein
Wie bei Robert Gernhardt nicht anders zu erwarten, ist seine Schilderung von Superausstellungen, bei denen man nur zu einer bestimmten Uhrzeit zugelassen wird, voller Ironie. Er beneidet Königin Beatrix um die Eröffnung der Vermeer-Ausstellung, weil sie sich – im Gegensatz zu den späteren Besucherschlangen - vor den Bildern sogar bewegen konnte. Seiner Meinung nach ist in Anlehnung an den Autoführerschein der „Internationale Kunstfreundschein“ die Lösung zur Vermeidung von Massenandrang. Zum Beispiel darf ein Frankfurter, der zu Hause den Vermeer im Städel noch nie sah, in anderen Museen Bilder dieses Malers nicht betrachten, um dem wahren Liebhaber den Blick nicht zu verstellen.

Wärter im Prado
Javier Marías beschreibt die Gefährdung von Kunstwerken in seinem Buch „Mein Herz so weiß“. Dort geht die Gefahr von einem an Dienstjahren reichen Wärter namens Mateu aus, der den Rahmen vom einzig sicheren Rembrandt von der Hand Rembrandts im Prado mit seinem Feuerzeug ansengt. Ihm ist die dargestellte Artemisia zu dick. Er will lieber, dass die kleine Dienerin sich umdreht und ihr Gesicht zeigt. Herrlich die Argumentation der Museumsfeste für das Personal, vor allem für die Wärter. Sie dürfen sich dort austoben, wo sie sonst Haltung bewahren müssen.

Roth, Gustafsson und Coles
Joseph Roth bringt uns mit den stummen Gestalten aus Wachs im Panoptikum in eine makabre Stimmung. Im Familientreffen schildert Lars Gustafsson einen Besuch im Naturhistorischen Museum mit Erinnerungen an ausgestopfte Vögel und aufgespießte Schmetterlinge. Fast spürt man die staubige Atmosphäre und riecht das Formalin. „Wie kommt’s, dass die uns hier reinlassen?“ So heißt das Buch von Robert Coles. Ein Arzt für Kinderpsychiatrie in Boston behandelt einen schwarzen Jungen. Er geht mit ihm spazieren und findet durch die gemeinsamen Museumsbesuche einen Zugang zu seinem kleinen Patienten.

Stichworte und Autoren
Natürlich gibt es auf den 300 Seiten noch viele reizvolle Beispiele aus der Literatur. Ich nenne nur Stichworte aus Überschriften: Liebespaare im Museum, Bordelle und Museen, Kristallpalast-Bedenken, Museum des Hasses, Gefräßiger Museumskäfer, Schule des Befremdens. Versammelt sind über 60 Beiträge, dazu Grasskamps eigene Artikel. Autoren sind zum Beispiel: Ingeborg Bachmann - Julian Barnes - Georges Bataille - William Boyd – Theodor Fontane - Arthur Koestler – Fanny Lewald - Fanny Mendelssohn - Cees Noteboom - Peter Rühmkorf - Botho Strauß - Peter Weiss - H.G. Wells - Tom Wolfe – Marguerite Yourcenar.

Grasskamps Beiträge
Bei Anthologien kommt man leicht auf den Gedanken, dass der Herausgeber nur einen schmückenden Rahmen liefert. Aber hier geht es nicht nur um Autoren von Goethe bis Gernhardt. Grasskamp hat vieles selbst beigesteuert. Seine Analysen und Interpretationen sind ebenso interessant wie die Ausschnitte aus der literarischen Welt. Von ihm stammen neben Vor- und Nachwort auch Texte innerhalb der vorgestellten Kapitel. Sie sind rot gedruckt, für das Inhaltsverzeichnis eine gute Lösung, aber beim Lesen ist die Farbe eher hinderlich.

Zum Buch
Abweichen will der Autor vom üblichen Museumsbild. Da kann es passieren, dass die Besucher an ganz andere Dinge denken als an die von den Ausstellungsmachern angestrebten Ziele. Das Museum ist ein guter Treffpunkt für Geheimagenten, es ist sogar von Mord und Diebstahl die Rede. Manche Stifter würden sich wundern, was heute in den heiligen Hallen dieser Bildungsinstitution alles passieren kann, vom Dinner bis zum Ausdruckstanz, ganz zu schweigen von den Knöpfen in den Besucherohren. Es ist ein reizvoller Effekt, Ausschnitte aus Romanen zu lesen. Schließlich kennt man die Personen und Geschehnisse davor und danach nicht. Die ausgewählten Texte wurden durch Essays und Reportagen ergänzt. Quellen- und Literaturhinweise und Empfehlungen von Filmen, in denen Museen eine Rolle spielen, runden das Angebot ab.

Zur Vorgeschichte
Eine kleine Auswahl von Texten gab es schon vor 20 Jahren, 1993 folgte „Die Welt der Museen. Literarische Besuche in den Museen der Welt“. Vier Jahre später erschien „menschen im museum. Eine Sammlung von Geschichten und Bildern“, zusammengestellt von Christoph Stölzl zum zehnjährigen Jubiläum des Deutschen Historischen Museums. Für die beiden letztgenannten Titel spielt der literarische Aspekt eine große Rolle. Die Museumsbesucher sind hier die Dichter und Schriftsteller selbst, nicht ihre Figuren. Laut Grasskamp gibt es kaum Überschneidungen mit seiner jetzigen Anthologie. Wenn es ihm nicht gelang, den Museumsbezug aus einem Roman herauszufiltern, hat er auf den Autor verzichtet.

Titelinformation
Sonderbare Museumsbesuche. Von Goethe bis Gernhardt. Gesammelt und kommentiert von Walter Grasskamp
Verlag C. H. Beck, München 2006. 302 Seiten, 19,90 EUR
ISBN-10: 3406550339

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