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Werte im Struwwelpeter
                                    von Rowitha Ludwig
Jede Elterngeneration ist gefordert, ihre Kinder in die Selbstständigkeit zu führen. Ein Lebensstil wird vorgelebt und prägt. Erzieherisch wirken verschiedene Medien auch Bilderbücher. Kontroverse Meinungen gibt es zu dem Klassiker: „Der Struwwelpeter".

Der Griff zum Bilderbuch
Zwischen zwei Buchdeckeln verbirgt sich vieles, was entdeckt werden kann. Deshalb gehören Bilderbücher zu den ganz frühen Begleitern. Inhalte erschließen sich anfangs im Zusammensein mit Erwachsenen. Gemeinsam den Kopf in ein Buch zu stecken, schätzen viele Kinder und auch Erwachsene sehr. So beginnt man mit zeigen, vorlesen und suchen lassen. Beigeisterte Vorleser gibt es in der Großelterngeneration, die mehr Zeit hat.
Viele Erwachsene behalten ein Lieblingsbilderbuch im Gedächtnis oder erinnern sich wieder daran, wenn sie Vorlesende geworden sind und Bilderbücher als Geschenke auswählen.

Der Struwwelpeter, ein Erfolgswerk
Der Arzt Heinrich Hoffmann wollte seinem dreijährigen Sohn Carl zu Weihnachten ein Bilderbuch schenken. Weil ihm keines gefiel, entstand sein Struwwelpeter. 1844 wurde er veröffentlicht, zunächst unter Pseudonym, dann mit dem Namen des Frankfurter Arztes. Die heutige Ausgabe liegt seit 1860 vor.
Schon über 150 Jahren wird der Struwwelpeter von Generation zu Generation weitergereicht, ein Klassiker also. Doch er gehört auch zu den umstrittensten Werken: grotesk, grausam, komisch. In über 40 Sprachen ist er übersetzt. Der Autor schrieb in seinen Lebenserinnerungen:
„Der Schlingel hat sich die Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Welt herumgekommen als ich." 1)
Zahlreiche Sekundärliteratur und Nachdichtungen belegen die Diskussion um das Werk: Struwwelliese, Anti-Struwwelpeter, Struwwelpeter für Eltern und auch für Manager. Der Struwwelpeter lebt und fordert zum Diskurs heraus.

„Das Kind lernt, was es sieht".
Dieser Satz stammt von Heinrich Hoffmann. Mit einprägsamen Reimen, verbunden mit einfachen und wirkungsvollen Illustrationen führte er Verhalten vor Augen mit teils überzogenen Folgen. So sollten die Kinder die Einsicht gewinnen und entscheiden, wie sie sich richtig verhalten. Dieser Ansatz war damals modern und kein Thema in Bilderbüchern.
Um 1850 galten erzieherisch die Strukturen: Befehl, Gehorsam, Strafe. Die körperliche Züchtigung war gängiges Erziehungsmittel. Den Kleinen wurde mit Autoritätspersonen wie dem Vater oder dem Arzt gedroht.
Freiheit und nicht Untertanengeist war Heinrich Hoffmann wichtig, deshalb gehörte er dem Vorparlament an, das die Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung 1848 vorbereitete. Nach dem Scheitern der Revolution verspottete man die Revolutionäre.

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Friedrich Hecker Karikatur, gemeinfrei

Wie der Struwwelpeter wurde Friedrich Hecker in einem Spottgedicht vorgestellt: „Seht, da steht der große Hecker..."

Einige der „bösen Buben"
Der Struwwelpeter erweckt Neugierde. Gestern wie heute. Ihm „pfui" zuzurufen, tut gut.
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Struwwelpeter, gemeinfrei

Der Daumenlutscher mit den abgeschnittenen Daumen gilt vielen als schärfster Ablehnungsgrund dieses Buches. Übergroß stürmt der Schneider herein, wirkt aber nicht echt.
Den fliegenden Robert sieht man im letzten der drei gerahmten Bilder verschwinden. Das stürmische Wetter hat ihn hinausgelockt - und weggeweht.
Wer gaukelt und schaukelt, trappelt und zappelt, ist der Zappel-Phillipp.
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Zappel-Philipp, gemeinfrei.

Hanns Guck-in-die-Luft kommt glimpflich davon. Ihn ziehn die Fischer aus dem Wasser.
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Hanns-guck-in-die-Luft, gemeinfrei

Der Niklas taucht die drei Buben ins Tintenfass. Er vermittelt ihnen sehr drastisch ihr Fehlverhalten.
Kein Kind wird den argen Wüterich bemitleiden, gegen den sich der Hund erfolgreich wehrt.
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Der böse Friederich, gemeinfrei


Mit tödlichem Ausgang

Auf der Grabstätte des Suppenkaspers hat die Terrine mit der verschmähten Suppe ihren Platz gefunden. Sein Trotz und das Beharrliche: „Nein, meine Suppe ess` ich nicht", hat ihn am fünften Verweigerungstag dahin gebracht. Die wenigen Zeichnungen zeigen die Veränderungen. Nur der eine Satz wird gesprochen. Ermahnungen Erwachsener gibt es nicht.
Von Paulinchen ist nur ein rauchendes Aschenhäuflein geblieben. Seine Schuhe werden vom Tränenbächlein der Katzen eingerahmt. Sie sitzen rechts und links mit Schleifen im Schwanz und gelben Taschentüchern in der Vorderpfote. Minz und Maunz gehören zu jedem Bild.
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Paulinchen, gemeinfrei

Sie weisen auf das Verbot der Eltern hin, sie rufen um Hilfe, als es brennt. Jetzt fragen sie: „Wo sind die armen Eltern? Wo?" Tiere vertreten hier die Erwachsenenwelt.

..... vom wilden Jäger
Nur in dieser Geschichte kommt kein Kind vor. Ein Häschen und sein Junges sind der Gegenpart zum Jäger. Wirklich wild ist er nicht, er geht auf die Jagd und ruht sich aus. Das Häschen, eigentlich die Jagdbeute, lacht ihn aus, entwendet ihm Flinte und Brille. Es schießt, obwohl der Jäger schon abgetaucht und in den Brunnen gesprungen ist. Die Kaffeetasse wird getroffen und das kleine Häschen bekommt den heißen Kaffee zu spüren.
Der Jäger fürchtet sich. Hier wird eine verkehrte Welt gezeigt, in der die Kleinen und Schwachen die Mächtigen zur Flucht bringen. Das musste Kindern gefallen, wenn die Machtverhältnisse umgedreht wurden. War es nur die Waffe und die Brille, die den Jäger mächtig machten? Eine solche Darstellung lässt sich am Vorabend einer Revolution auch politisch deuten. Was könnte sich doch ändern, wenn die Kleinen den Durchblick hätten und über die Machtmittel verfügen würden.

Ist der Struwwelpeter noch „in"?
Die kontroverse Diskussion soll hier nicht aufgenommen werden. Doch Heinrich Hoffmanns Beispiele passen auch heute.
Wie gefährlich ist es als Hanns-Guck-in-die-Luft und dazu mit Kopfhörern auf verkehrsreichen Straßen unterwegs zu sein!
Tobende Kinder, die die Kontrolle über sich verlieren, können Verantwortliche ratlos machen.
Essstörungen bei Jugendlichen gibt es wahrscheinlich häufiger als zur Zeit Heinrich Hoffmanns.
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom ADHS wird oft mit dem Zappel-Philipp veranschaulicht.
Begegnet man Mobbing, Vorurteilen, Intoleranz, so wünscht man sich durchaus einen großen Nikolas, der die Verursacher richtig anpackt.
Alleingelassene Kinder wie Paulinchen können zu Hause manchen bedrohlichen Versuchungen ausgesetzt sein.
Und der arme Daumenlutscher? Die Mutter spricht das einzige Verbot aus, das von einem Elternteil in diesem Bilderbuch direkt geäußert wird. Manche Verbote müssen sein und eingehalten werden.

Fazit

Der Struwwelpeter wird wohl kaum zum Lieblingsbilderbuch gewählt, weil er vielfältige Probleme aufgreift. Meisterlich gestaltet ist er auf seine ganz eigene Weise mit Bildern und Text. In über 150 Jahren ist er zum Klassiker geworden und hat auch die große Autoritätskritik der 68er überstanden.
So einprägsam, wie er ist, können sogar Demente angefangene Verse noch fortsetzen. Das habe ich in einer solchen Gruppe erprobt. Und meinem Enkelkind werde ich ihn in einiger Zeit die Geschichten vorlesen, die Eltern haben nichts dagegen einzuwenden. Einsicht, Verantwortung, Freiheitsdrang, ja auch Gehorsam können mit diesen kurzen Geschichten durchaus thematisiert und mit älteren Kindern diskutiert werden.

Links:
Das Bilderbuch
http://www.francultures.at/site/content/archiv/LESUNGAusEr/didaktische/Hoffmann__Struwwelpeter.pdf

Spottlied auf den Revolutionär Friedrich Hecker
http://de.wikisource.org/wiki/Das_Guckkasten-Lied_vom_gro%C3%9Fen_Hecker

Kontroverse Standpunkte zum Struwwelpeter
http://www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/literatur/struwwelpeter-200-geburtstag-heinrich-hoffmann-zr-351346.html

Überblick Rezeptionsgeschichte
http://ftp01.wdr.de/kultur_medien/literatur/kinderliteratur/struwwelpeter.jsp

Lebensbild Heinrich Hoffmanns

http://mp3.bildung.hessen.de/hr2/2006/0077da64_06_1211_Beitrag2.mp3




http://de.wikisource.org/wiki/Das_Guckkasten-Lied_vom_gro%C3%9Fen_Hecker

 
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