von Marlis Föhr
Was
für den Vogel die Kraft der Schwingen, das ist für den Menschen die
Freundschaft: Sie erhebt ihn über den Staub der Erde.
Kinderfreundschaften
Viele Freundschaften werden schon im Kinderhort geknüpft, wenn das Kind, im
mütterlichen wohlbehüteten Umfeld aufgewachsen, eines Tages an der Türe eines
ihm bis dahin unbekannten Hauses abgegeben wird. Protest, Anklammern an Mutters
Mantel nützen nichts. Eine ihm fremde Person nimmt das Kind an die Hand und
führt es in einen Raum, in dem viele Kinder mit Spannung den Neuzugang
erwarten. Eines löst sich aus der Gruppe, reicht ihm die Hand und sagt: „Komm,
spiel mit mir."
Die Tränen versiegen und wie selbstverständlich suchen sich beide einen Platz
in der Gemeinschaft. So begann eine Freundschaft fürs Leben: Anna und Ellen.
Grundschule
Ellen, alleine aufgewachsen, freute sich auf den Schulbeginn. Anna blieb auch
dann noch ihre beste Freundin. Am ersten Schultag erhielten sie ihre Plätze in
der gleichen Bank, bevor sie ihre Tafeln und Griffeldosen auspacken mussten.
Sie lernten auf die Anordnungen der Lehrerin zu achten, die schon bald mit den
ersten Schreibübungen begann. Die Schule stand am Ende der Stadt, und so blieb
es nicht aus, dass viele Kinder auch den Brand der jüdischen Synagoge und die
Zerstörung der jüdischen Geschäfte und Wohnhäuser mit ansehen mussten.
Im dritten Schuljahr begann die Vorbereitung auf die 1. Hl.
Kommunion. Das Fest durfte aus Anlass von Führers Geburtstag nicht am Weißen
Sonntag stattfinden und wurde auf den zweiten Ostertag verlegt. Die Kinder
gingen paarweise zum Altar, Anna und Ellen war eines der Paare. Traurig war
nur, dass die meisten Väter keinen Fronturlaub für dieses wichtige Ereignis
erhalten hatten.
Lyzeum/ Oberschule
Vier Jahre Grundschule gingen schnell vorüber. Die beiden Unzertrennlichen mit
gleich gutem Notendurchschnitt wechselten die Schule. Da es in ihrer Stadt
keine Oberschule gab, fuhren sie jeden Tag in die nächste größere Stadt. Der
erste Tag war für Ellen schmerzhaft: Ihr Vater war kurz zuvor an einem
Kriegsleiden gestorben, und ihre Mutter führte seine Arbeit im Familienbetrieb
weiter. So betreute Annas Mutter zwei Kinder und nahm ihnen die Furcht vor der
Aufnahmeprüfung, die beide mit einem guten Abschluss bestanden.
Die Bahnfahrten mit den vielen Schülern waren immer unterhaltsam: Man konnte
sich Frust und Freude von der Seele reden und hin und wieder vergessene
Aufgaben nachholen. Bedrückend war nur, dass immer mehr Lehrer zur Wehrmacht
eingezogen wurden, die man nicht wieder sah.
Im Oktober 1944 wurde die Schule aufgrund ständiger Luftangriffe geschlossen.
Veränderungen
Am 1. Oktober 1945 begann das Schulleben wieder, aber damit auch die Trennung
der beiden Freundinnen. Anna, die mit ihren Eltern zu den Großeltern ziehen
musste, weil ihr Haus zerstört war, ging zu einer Klosterschule in der Nähe
ihrer Wohnung. Ellen besuchte ebenfalls eine Klosterschule an einem anderen
Ort. Sie sahen sich jetzt nicht mehr so häufig. Busverbindungen gab es noch
nicht, so blieb nur der Leinpfad zu Fuß am Rhein vorbei. Aber die beiden
schafften es immer wieder zu einem Treffen. Wichtig war nur, um 18.00 Uhr
wieder zu Hause zu sein, denn ab da galt das begrenzte Ausgangsverbot der
Militärregierung auf öffentlichen Straßen für die Bürger der Stadt.
Neue Wege
Anna bestand ihr Abitur und trat in das Geschäft ihrer Großeltern ein. Ellen
wechselte die Schulform und setzte ihre Ausbildung an einem Pädagogium fort,
einem neuen Bildungsangebot in der französisch besetzten Zone.
In dieser Zeit lernte sie einen strebsamen jungen Mann kennen, dessen
Zukunftsvorstellungen auf Selbstständigkeit in seinem erlernten Beruf
hinausgingen. Ellen verließ nach dem Abschluss das Pädagogium und erhielt nach
einer speziellen Ausbildung bei der Bundesbahn eine Stelle als
Datenverarbeiterin und betrat damit eine neue zukunftsträchtige Arbeitswelt.
Sie konnte diese Ausbildung später auch im gemeinsamen Geschäft ihres Mannes
bestens nutzen.
Anna und Ellen heirateten ihre Jugendfreunde. Ihre Kinder sind auch heute noch
miteinander befreundet und setzen das Erfolgsmodell fort.
Fazit
Nach vielen Jahrzehnten ist die Freundschaft zwischen Anna und Ellen immer noch
wichtig. Sie treffen sich auf Familienfesten und immer dann, wenn Ellen in
Deutschland ist. Bei Klassentreffen sitzen sie wie einst nebeneinander. Sie
sprechen über Freud und Leid, über ihre Kinder und Enkel und hoffen auf ein
gesundes Altern. Anna singt immer noch im Kirchenchor und engagiert sich für
soziale Belange. Ellen lebt seit fünfzehn Jahren im Ausland und ist glücklich
mit ihrem Ehepartner auf ihrer Finka. Sie kommen jedes Jahr ein- bis zweimal
nach Deutschland, wo dann immer wieder ein großes Treffen der Freundinnen
stattfindet.
Links
Wahre Freundschaften pflegen
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