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LernCafe 12 vom 15. November 2001: "Freiwilligenarbeit II"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Frauen und Ehrenamt
(Druckversion)

Christa Böger
E-Mail: christa.boeger@gmx.de

Frauen um 1900
Ein Blick zurück auf das Verhältnis von Frauen und Ehrenamt um die letzte Jahrhundertwende bringt erstaunliches zutage: "Im Jahre 1900 stellten sieben Leipziger Frauenvereine den Antrag, offiziell als Armenpflegerinnen anerkannt und tätig zu werden. Bis dahin waren aufgrund des Bürgerlichen Gesetzbuches nur Männer zu diesem Ehrenamt zugelassen. ..." 

Männer um 1900
"...Die Stadtväter lehnten den Antrag ab, u. a. mit der Begründung, dass
1. Frauen in der Beurteilung der einschlägigen Verhältnisse der Armen zu befangen sein
2. die Teilnahme an Sitzungen nicht erwünscht sei, da bei Beratungen Frauen Dinge zu Ohren kommen würden, die nicht für sie bestimmt wären
3. die Zusammenarbeit von Männern und Frauen sittlich nicht möglich sei." 
(R. Sahle, Wörterbuch zur Geschichte der sozialen Arbeit in Leipzig, Leipzig, 1999)
Es bedurfte großer Anstrengungen und die ganze Unterstützung des Allgemeinen Deutschen 
Frauenvereins bis schließlich 1919/20 Frauen als freiwillige Armenpflegerinnen zugelassen wurden.

Heute
Heute sieht bietet die ehrenamtliche Arbeit von Frauen ein ganz anderes Bild: sie engagieren sich z.B. in Fraueninitiativen, Frauenhäusern, Frauenberatungsangeboten, Frauentreffs etc. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung bzw. Behebung individueller Notlagen , so wichtig diese auch sind, sondern um die strukturelle Veränderung der gesellschaftlichen Situation von Frauen. Besonders wichtig sind hier die Hilfe zur Selbsthilfe ("Empowerment"), die Schaffung autonomer Lebensräume ("Frauenhäuser") und die Enttabuisierung des Themas "Gewalt gegen Frauen und Kinder". 
Hier arbeiten Frauen selbstorganisiert mit allen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit, nutzen Medien, bilden eigene politische Organisationen, machen Lobbyarbeit für die Gleichstellung der Frauen bei nationalen und internationalen Organisationen und vieles andere mehr.

Unverzichtbar
Frauen arbeiten zwar ehrenamtlich in allen Bereichen der Gesellschaft, auf ihre unbezahlteTätigkeit kann nicht mehr verzichten werden. Aber es ist nicht zu übersehen, dass Frauen in sozialen, helfenden und dienenden Ehrenämtern überrepräsentiert sind. Nach dem Freiwilligensurvey 1999 sind Frauen überdurchschnittlich in den Bereichen Schule/ Kindergarten, im sozialen, kirchlichen/religiösen und Gesundheitsbereich (mit ca. 80%) tätig. 
Unterrepräsentiert sind Frauen in den Bereichen Sport, Kultur/Musik , Erwachsenenbildung, Unfall-und Rettungsdienste. Besonders im Bereich Politik ist ihr Anteil mit 20% sehr niedrig, selbst im Bundestag sind Frauen immerhin noch mit 30% vertreten.
Die "geschlechtsspezifische Arbeitsteilung" auch auf dem Gebiet des Ehrensamtes zeigt, wie stark traditionelle Rollenbilder fortwirken. Das freiwillige Engagement von Frauen erfolgt auf den Gebieten, wo sie ihre "Familienarbeit" direkt fortsetzen können und wo Einfühlungsvermögen, soziale Kompetenz, Hilfsbereitschaft sowie unentgeltliche Arbeit besonders gefragt sind. Frauen helfen oft selbstverständlich und selbstlos Menschen, denen es schlechter geht als ihnen selbst. Deshalb bleibt ihre Arbeit häufig unsichtbar, wird aber von der Öffentlichkeit zuwenig wahrgenommen. 

Anerkennung
Anders dagegen Männer, die ca. 80% der ehrenamtlichen Vorstands- und Leitungsfunktionen innehaben. Das männliche Ehrenamt steht in engem Bezug zu der beruflichen Tätigkeit, es bietet mehr Prestige und Einfluss und ist häufig mit einer Aufwandsentschädigung verbunden. Seit sich Frauen zunehmend des Wertes ihrer sozialen Arbeit bewusst werden, diskutieren nicht nur Frauenorganisationen, sondern auch die Verbände der Wohlfahrtspflege diese "geschlechtsspezifische Arbeitsteilung". Besonders jüngere qualifizierte Frauen fordern eine andere Aufteilung der ehrenamtlichen Arbeit und einen gerechten Anteil der Frauen an Führungspositionen. So ist es für Frauen mit ihren diskontinuierlichen Erwerbsbiographien von großer Bedeutung, dass ehrenamtliche Arbeit und die dort erworbenen Qualifikationen anerkannt ("zertifiziert") werden. Spezielle Fortbildungen sind notwendig, damit Anerkennung des Ehrenamts und Qualität der dort geleisteten Arbeit erhöht werden. 

Fazit
Die Zusammenarbeit von Männern und Frauen im Ehrenamt scheint - anders als um 1900 von den Männern postuliert - heute sittlich möglich. Von einem partnerschaftlichen Zusammenwirken von Männern und Frauen, das hierarchische Rollenzuschreibungen aufbricht sowie die von einer faktischen Gleichberechtigung von Männern und Frauen scheinen wir aber noch weit entfernt. 
Ein lohnendes Ziel für uns alle wäre, dass Männer und Frauen frei von Rollenzwängen verschiedenste Bereiche ehrenamtlicher Arbeit entdecken und ausfüllen und damit die Lebensqualität aller verbessern können.