LernCafe 12 vom 15. November 2001: "Freiwilligenarbeit II"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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ViF
(Druckversion)
Alessandra Alberti
Zusammenleben
Der Verein für internationale Freundschaften e.V. (Vif) entstand im Jahre 1987 als Nachfolger des Vereins "Mach meinen Kumpel nicht an" in der Dortmunder Innenstadt-Nord und gehört zum Paritätischen Wohlfahrtsverband. Ziele des Vereins sind die im Stadtteil auftretenden sozialen Prozesse wahrzunehmen und zu begleiten und das solidarische Zusammenleben und die wechselseitige Integration aller Wohnbürger zu fördern.
"Gastarbeiter"
Schon im Gründungsjahr (1987) fiel uns auf, dass die vielen Vereine, Cafés, Moscheen, Treffpunkte der Ausländer im Quartier eine immer größer werdende Zahl von Menschen der ersten Generation aufwiesen. Damals handelte es sich fast ausschließlich um Arbeitsmigranten, die im relativ jungen Alter nicht mehr im Arbeitsprozess standen. Die Gastarbeitergeneration ist angeworben worden, um den schweren und gesundheitsgefährdenden Arbeiten nachzugehen; konsequenterweise werden sie aus gesundheitlichen Gründen früher arbeitsunfähig.
Vorruhestand
Wegen der Krise der Kohle und Stahlindustrie verloren nach und nach ältere Arbeitnehmer, und erst recht die Ausländer, ihren Arbeitsplatz. Viele gingen im Rahmen der Sozialpläne vorzeitig in die Rente. Der Traum der Rückkehr ließ sich nicht mehr verwirklichen. Die Heimat der Eltern erwies sich nicht als das Wunschland der Kinder. Alleine möchte die erste Generation nicht zurückgehen, sie fühlt sich schon selbst in der Heimat zunehmend fremd.
Diese Erkenntnis beschäftigte uns zunehmend, schließlich betraf sie fast die Hälfte unserer Vereinsmitglieder. Wir merkten, dass mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess die Deutschkenntnisse unserer Freundinnen und Freunde immer schlechter wurden und die Scheu vor Behörden und Einrichtungen immer größer. Desinformation und Ängste machten sich breit.
Werte
Wir riskierten noch tiefer in die "Problemfalle" hinein zu geraten. Wir wollten aber nicht als "Hilfsbedürftige" und schon gar nicht als "Problem" angesehen werden, ganz im Gegenteil: ältere Ausländer verfügen über Erfahrungen, Kompetenzen, Werte, die für diese Gesellschaft vom Vorteil sein können, so kennen Ausländer keine Grenzen zwischen den Generationen und im Alter erreicht man in der Familie einen höheren Stellenwert (wie früher in Deutschland). Solidarität, gegenseitige Hilfeleistung in der Großfamilie und bei der Nachbarschaft, ist trotz der Einflüsse dieser Gesellschaft, z.B. dem Vereinzelungstrend, noch nicht ganz verloren.
Altenbegegnungsstätte
Wir entschieden uns, uns einzumischen, zu lernen was in der Altenhilfe angeboten wird und in der Praxis zu zeigen, wie wir uns ein "Altwerden" vorstellen. So entstand der Wunsch, eine Einrichtung zu übernehmen, die für Senioren verschiedener Herkunft attraktiv wirkt.
Diese Chance bekamen wir im Jahr 1993. Die Stadt Dortmund gab uns die Möglichkeit, eine städtische Altenbegegnungsstätte an zwei Tagen die Woche mitzubenutzen. So entstand in der Dortmunder Innenstadt Nord, einem Stadtteil, wo 46% der Einwohner und 20% der Senioren keinen deutschen Pass haben, das Projekt "Internationale Altenbegegnungsstätte". Unter dem Motto "praxisnah, international und die Selbsthilfekräfte stärkend" boten wir älteren Migrantinnen und Migranten im Stadtteil die erste, und bis heute, für viele von ihnen die einzige Chance Deutsch nicht zu verlernen, den Kontakt zur "deutschen" Außenwelt nicht zu verlieren, Informationen zu bekommen und auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und sich mit eigenen Ideen, anderen Kulturwerten bei Einrichtungen der Altenhilfe einzubringen.
Zwei Tage
Unsere Tagesstätte, die einzige in Dortmund dieser Art, steht uns zwei Tage die Woche, montags und freitags, zur Verfügung. Hier hat sich, gemäß den Wünschen der TeilnehmerInnen, ein Angebot folgender Art etabliert:
Montag Nachmittag trifft man sich in der Tagesstätte zum Tee/Kaffeetrinken. Man kann sich unterhalten, Zeitung lesen, Karten oder Tavla spielen, Musik hören, Informationen austauschen. Dort kann man schriftliches Informationsmaterial und wichtige Adressen erhalten, einen Kollegen/Kollegin finden, der/die bei Sprachschwierigkeiten hilft, zum Arzt- oder Ämterbesuch begleitet, der/die einkaufen geht oder kleine Reparaturen im Haushalt übernimmt.
Infoveranstaltungen
In der Tagesstätte werden Krankenbesuche, Besuche der Einrichtungen der Altenhilfe, der Sozialberatung und der Freizeitgestaltung organisiert, oder Grillnachmittage und Ausflüge geplant.
Am Freitagnachmittag finden gelegentlich Informationsveranstaltungen für Sozial- und Ausländerrecht oder Begegnungen mit anderen Gruppen, manchmal Familienfeste oder traditionelle Veranstaltungen der verschiedenen Ländern der Gruppenmitglieder (Hennafest, Nevroz, Weihnachten, jüdisches Lichterfest, Frühlingsfest usw.) statt. Ansonsten wird ein Spiel- und Familiennachmittag organisiert.
International
Unsere Gruppe besteht aus 20 bis 40 Senioren aus neun verschiedenen Ländern: Chile, Deutschland, Indonesien, Iran, Italien, Russland, Spanien, Türkei, Ukraine. Zu uns kommen Gläubige (Christen, Muslime, Juden) und Atheisten, Arbeitsmigranten, politische Flüchtlinge, Asylbewerber und Kontingentflüchtlinge (meist Juden aus den Ostblockländern). Ältere Ausländerinnen und Ausländer, die zu uns kommen, werden nicht als "Klienten" oder hilfsbedürftige Personen behandelt, sondern als Gäste. Jede/r, der/die sich der Gruppe anschließt, nimmt an den Entscheidungen teil, trägt mit eigenen Ideen an der Entstehung von Angeboten, Veranstaltungen bei und leistet bei Bedarf Hilfe.
Projektmerkmale
Folgende Merkmale unterscheiden uns von anderen Projekten im Ausländer- und Altenbereich: Das Projekt basiert alleine auf das Bürgerengagement von älteren Ausländern
Die internationale Besetzung der Gruppe, Senioren aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Religionen, hilft gegenseitige abgestandene Bilder zu überdenken, Vorurteile abzubauen. Die ausländischen Vereine und Moscheen im Stadtteil sind fest in "Männerhand", manchmal werden dort nach Geschlechter getrennte Aktivitäten angeboten. Bei uns gibt es keine Trennung, das macht uns bei älteren ausländischen Ehepaaren und alleinstehenden Frauen sehr beliebt.
Probleme
Durch die Doppelnutzung der Tagesstätte durch die Arbeiterwohlfahrt und, an zwei Tagen die Woche, der internationalen Altengruppe sind der Gestaltung der Tagesstätte Grenzen gesetzt. Die Räume entsprechen den Wünschen der hochbetagten AWO Besucherinnen, keine Spur von Internationalität. Wir wünschen uns Räume, die ein Gefühl von "Zuhause" vermitteln! Seit 1997 verfügen wir über kein hauptamtliches Personal und über geringe Finanzmittel. Wir brauchen dringend qualifiziertes Personal, sonst kann sich das Projekt nicht weiterentwickeln Überforderung der internationalen Altengruppe
Anerkennung
Acht Jahre Bürgerengagement von älteren Ausländern aus verschiedenen Ländern hat uns einen großen Bekanntheitsgrad verliehen und unser Selbstbewusstsein gestärkt: Wir haben den "Altenpflege preis 2000" vom Vincentz Verlag erhalten und beteiligen uns an dem Wettbewerb "startsocial" bei dem wir am 18.10.01 als eins der drei besten Projekten in Nordrhein Westfalen ausgezeichnet worden sind.
Grenzen
Unsere Einmaligkeit stellt uns aber auch vor Anforderungen, denen wir nicht gerecht werden können. Wir möchten andere Sprachgruppen erreichen, Multiplikatoren ausbilden, Praktikumplätze für Studierende der Altenpflegeschulen und der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik anbieten, wegweisend für andere Gruppierungen in anderen Städten sein, weitere Projekte planen. Stattdessen müssen wir oft Einladungen oder Kooperationsangebote ablehnen weil unsere Kräfte dafür nicht ausreichen, weil ein Zuviel an Organisation und Koordinierung ehrenamtlich nicht zu bewältigen ist weil wir die Kosten für Informationsmaterialien, Fahrten usw. nicht tragen könnenund vor allem weil wir fachlich und sprachlich überfordert sind.
Zukunftsvisionen
Nächstes Jahres wird der Verein für internationale Freundschaften mit anderen ausländischen Vereinen in ein "Haus der Kulturen" einziehen, das gegenüber der heutigen Tagesstätte gelegen ist. Sollten wir die nötigen Finanzmittel erhalten, werden wir selbstgestaltete Räume beziehen und vielleicht eine im Altenbereich qualifizierte Person einstellen. Damit könnten wir unsere Altenarbeit durch zusätzlichen Angebote weiterentwickeln, eine Übertragbarkeit des Projektes in anderen Städten fördern, Gesprächspartner für Einrichtungen der Altenhilfe, gerontologische Institute, Universitäten usw. werden.
Seit 1997 haben wir vier Veranstaltungen zum Thema "Wohnen für ältere Migranten" durchgeführt und, vergeblich, nach konkrete Beispiele in der Bundesrepublik gesucht. Durch Vermittlung von Kollegen aus einer Stadtteileinrichtung in Amsterdam (Wijkopbouwororgaan indische Buurt) und mit Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung konnten wir in Amsterdam ein Wohnmodell von älteren Surinamern (Anand Joti) besichtigen, von dem wir heute noch träumen. Die Verwirklichung dieses für die Bundesrepublik neuartigen Projektes ist unser höchstes Ziel!
Kontakt
Verein für internationale Freundschaften e.V.
Westhoffstraße 8-12
44145 DORTMUND
Tel.: 0231 (837287)
Fax: 0231 (5191901)
Projektadresse
"Internationale Altenbegegnungsstätte"
Flurstr. 70
44145 Dortmund