LernCafe 14 vom 15. Januar 2002: "Politik Online"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Globalisierung
(Druckversion)
Manfred Kubik
E-Mail: manfred.kubik@dgb-bildungswerk.de
www.hattingen.dgb-bildungswerk.de
Eine Welt
Grenzen verschwinden, alles wächst zusammen: die Botschaft von Freiheit, Vielfalt, Lebenslust? Oder eher das Lied von Schutzlosigkeit, Verlust und Niedergang? - Die Rede ist von "Globalisierung". Von den einen gepriesen, von den anderen gescholten, ist die Wirklichkeit, auf die das viel gebrauchte Schlagwort verweist, so alltäglich wie nebulös. Was bringt die Globalisierung hervor, was treibt sie an?
Heißt Globalisierung wirtschaftliche Globalisierung? Oder wird man eher deren Vieldimensionalität betonen müssen? Wird uns die Globalisierung den lang gehegten Wunsch nach der "Einen Welt" erfüllen - in welcher Gestalt? Und nicht zuletzt: Welche Chancen bestehen, im Sinne eigener Wertvorstellungen und politischer Ziele auf den in Gang gesetzten Entwicklungsprozess Einfluss zu nehmen.
Alltäglich
Alle Erfahrung ist lokal. Doch sind die Dinge, die wir wahrnehmen, nicht immer lokal gebunden und wir deuten die Welt nicht immer aus einer rein lokalen Perspektive. Schauen wir uns nur mit offenen Augen um: Globalisierung ist alltäglich. Wir hören Musik aus aller Welt, wir reisen in alle Welt, wir ziehen Hollywoodfilme den heimischen Produktionen vor, wir lesen ausländische Zeitschriften, wir essen italienisch, chinesisch, arabisch, usw. Leicht lässt sich diese Liste globaler Alltäglichkeiten verlängern, insbesondere mit Blick auf den tagtäglichen Einkauf. Viele der Waren, die uns begegnen, gelangen erst nach langer Reise auf unsere Ladentheken. Dinge, die wir essen, die uns kleiden und umgeben, haben ihre Geburtsstätte in weit entlegenen Gebieten. Sie verflechten uns, unseren alltäglichen Konsum mit den Bedingungen des weltweiten Wirtschaftens.
Essen
Greifen wir zum Beispiel zu einer Tafel Schokolade. Von den Kühen im Allgäu stammt sie jedenfalls nicht, mögen diese auch noch so glücklich sein. Die Schokolade ist vielmehr das industrielle Produkt zweier hierzulande nicht vorkommender Agrarprodukte: der Kakaobohne und der Zuckerrübe (bzw. dem Rohrzucker). Beide stammen aus den (sub-) tropischen Ländern Afrikas, Lateinamerikas sowie aus Asien. Hergestellt wird die Schokolade dagegen hauptsächlich in den industrialisierten Ländern des Nordens, dort, wo man sich dieses leckere Vergnügen auch fast ausschließlich gönnt - gönnen kann. Auch Kaffee wird ausschließlich in Entwicklungsländern oder in sogenannten Schwellenländern produziert. Kaffeelieferant Nummer eins ist Brasilien. Dann folgt Kolumbien, das den Deutschen den meisten Kaffee liefert.
Kleidung
Ziemlich nackt stünden wir da, hätten wir an der Garderobe alles abzulegen, was nicht hierzulande hergestellt wurde. Über 80% ihrer Produkte lassen deutsche Bekleidungshersteller im Ausland fertigen, vor allem in den Ländern Südostasiens, Osteuropas und Mittelamerikas. 10.000 bis 20.000 km kommen zusammen, bevor ein T-Shirt oder eine Jeans in unsere Läden gelangt. Nicht anders sieht es bei Schuhen aus. Von den jährlich weltweit produzierten 12 Milliarden Paar stammen fast zwei Drittel aus Asien, insbesondere aus China, immer mehr auch aus Thailand, Indonesien und Vietnam. Und auch die Produkte, die unsere Kinder in eine Phantasiewelt versetzen, sind weitgereist. Drei von vier Spielzeugen werden in Südostasien hergestellt, vor allem in China (fast 40%), in Thailand, Indonesien, Malaysia, Vietnam und auf den Philippinen.
Nebulös
Globalisierung muss für Vieles herhalten. Für die wachsende Zahl der Arbeitslosen auf dem heimischen Arbeitsmarkt, für die Gefährdung des Standorts Deutschland, der nur durch eine Senkung der Lohnnebenkosten gerettet werden könne, für die wachsende Armut in der Welt oder für das Gegenteil, für die vermehrte Inanspruchnahme von Kinderarbeit oder für die Chance, sie zu verringern, für die unentrinnbare Schwächung des Politischen oder für seine Stärkung im nationalen und globalen Kontext, für kulturelle Gleichmacherei oder Vielfalt. Als rhetorische "Fliegenklatsche" missbraucht, als vielfacher "Sündenbock" gescholten oder als unerschöpflicher Heilsbringer verehrt, wird Globalisierung häufiger gebraucht als nachvollziehbar beschrieben und in seinen Folgen bewertet.
Entwicklung
Unser Handeln und unser Denken - früher weitgehend lokal oder national beschränkt - bekommt eine immer größere, eine globale Reichweite. Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Zu ihren zentralen Voraussetzungen gehören die weltweiten Transport-, Informations- und Kommunikationssysteme. Sie ermöglichen es, dass Güter, Menschen und Ideen heute schneller als je zuvor Raum und Zeit durchqueren können. Dem Geld sind dadurch gleichsam Flügel verliehen worden; es spannt die Weltregionen in einer globalen Marktwirtschaft enger denn je zusammen. Auch die Unternehmen selbst sprengen die Grenzen. Als transnationale Konzerne sind sie die Eckpfeiler der neuen globalen Wirtschaft. Und es sind die Bilderströme der globalen Kulturindustrien, es sind Fragen der globalen Armut, und es sind die global wirksamen Umweltgefahren, die zur Erfahrung eines gemeinsamen, weltumspannenden Schicksals beitragen.
Ökonomie
Zentral für die Globalisierung ist der ökonomische Bereich. Alle ernstzunehmenden Hindernisse, die die Kapitalakkumulation von der Eroberung des gesamten Globus abhalten könnten, sind weg. Die letzten politischen Grenzen fielen 1989. Seither steht auch das Tor zu Osteuropa offen. Im Geiste des Marktes soll die Welt gerettet werden. Gleichwohl heißt Globalisierung nicht nur wirtschaftliche Globalisierung. Sie findet auch auf der Ebenen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur statt und bringt dort Entwicklungen hervor, die zum einen nicht einfach aufeinander reduzierbar sind, zum anderen wechselseitigen Einfluss nehmen. Dies gilt es im einzelnen zu entschlüsseln, auch und gerade deshalb, um einer Sachzwanglogik zu entkommen und Gestaltungsspielräume im Globalisierungsprozess ausloten zu können.
Entgrenzung
Globalisierung macht die Grenzen porös, führt bislang Getrenntes zueinander, errichtet Brücken für Menschen, Wertmuster, Lebensweisen und Lebensverhältnisse. - Ein harmonisches Bild, das da bisweilen gezeichnet wird. Ein Bild, das sich alltagssprachlich in Begriffen wie Weltgesellschaft, Weltfrieden oder Weltwirtschaft verankert hat. Ein Bild, das hin und wieder "Eine Welt" genannt wird. Was ist dran an diesem Bild? Welcher Art sind die neuen Verbindungen zwischen Ländern, Kulturen und Menschen, die im Zuge der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Globalisierung entstehen? Legen sie Pfade über bestehende Trennungslinien hinweg? Oder sind sie Teil neuer Trennungslinien? Die Frage, ob die Globalisierung die Chance auf bessere Lebensverhältnisse für alle bedeutet, hat viele Aspekte.
Viele Aspekte
Mit welchem Gewinn oder Verlust gehen die neuen und dichteren Verbindungen einher? Mit Anpassungsdruck, Vereinheitlichungs- und Angleichungsprozessen: gleiche Konsummuster - gleiche Leitbilder - gleiche Kultur? Werden durch den Eintritt in den Weltmarkt Wohlstandsgräben zugeschüttet oder gar neue aufgerissen? Füllen die im Norden ihre Geldsäcke, während die Menschen in den ärmeren Ländern dem Globalkapitalismus ihre Gesundheit opfern: wie z.B. in wirtschaftlichen Sonderzonen? Was ist Ursache, was ist Wirkung? Ist die Globalisierung für die Kinderausbeutung verantwortlich oder bietet sie gerade die Chance, aus dem Ursachenkreislauf für Kinderarbeit auszubrechen? Verbindet sich mit der Globalisierung die Chance, bestehende Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zu verringern oder wird sich der Abstand zur "anderen Hälfte" gar ausweiten?
Einfluss
Welche Spielräume, Globalisierung zu gestalten, haben die politischen Akteure - seien es nun Nationalstaaten, internationale Organisationen oder gesellschaftliche Organisationen und Bewegungen? Gehen von der Globalisierung nur Gefahren aus, nicht auch Chancen? Lässt sich die Globalisierung vielleicht in einen Zuwachs an politischer Gestaltungskraft ummünzen? In dieser Debatte sind eine Menge Argumente im Spiel. Im Vordergrund steht dabei das Ansinnen, die "sozial blinde" Aktionsweise global operierender Unternehmen unter Kontrolle zu bringen. Transnationale Regime, allen voran die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Welthandelsorganisation, geraten dabei in den Blick. Sind sie geeignete Bündnispartner bei der Reform der Weltwirtschaft? Wer sonst, möchte man fragen, bei aller notwendigen Kritik an der aktuellen politischen Ausrichtung dieser Organisationen.
Anmerkung: Alle Bilder stammen von der Multimedia-CD des DGB Bildungswerks zum Thema "Globalisierung". Eine Rezension finden Sie in dieser Ausgabe des Lerncafes unter der Rubrik CD-Roms & Bücher.