LernCafe 17 vom 15. April 2002: "Mit Behinderungen leben"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Neuer Besuch bei Werner Wachsmuth
(Druckversion)
Christian Carls
E-Mail: christian.carls@zawiw.uni-ulm.de
Einführung
"Fit fürs Netz" war der Titel der zweiten Ausgabe des "LernCafes" vom Januar 2001. Dort fand sich auch ein Bericht über Werner Wachsmuth, der im Alter von 70 Jahren erblindete - und als Blinder lernte, den Computer mithilfe eines Leseprogramms, einem sogenannten "Screenreader", zum Schreiben von Briefen und später auch von E-Mails zu nutzen (siehe Link unten). Die damalige Ausstattung hatte aber noch viele technische Unzulänglichkeiten, die immer wieder Probleme bereiteten und Werner Wachsmuth erzählte mir, daß er auf der Suche nach einer besseren technischen Ausstattung sei. Für diese Ausgabe habe ich ihn wieder besucht, um herauszufinden, was sich seitdem getan hat.
"Screenreader"
Als "Screenreader" werden Programme bezeichnet, die unter einer graphischen Oberfläche (wie beim Betriebssystem Windows) Texte, so wie sie auf dem Bildschirm dargestellt werden, vorlesen können. Solche Leseprogramme für den Computer werden auch als "Text-to-Speech-Systeme" bezeichnet.
Die Programme lesen nicht nur Texte wie E-Mails oder Word-Dokumente vorlesen, sondern geben auch akustische Rückmeldungen über aufgeklappte Befehlsmenüs von Programmen. Wenn Sie beispielsweise im E-Mailprogramm von T-Online "ALT+F" drücken, öffnet sich das "Funktionen"-Menü und der Computer liest "Funktionen". Tastaturkürzel sind schon für sehende Menschen ein besonders schneller Weg, den PC zu bedienen. Für Blinde sind sie unerläßlich.
Probleme
Das alte Leseprogramm von Werner Wachsmuth lief noch unter Windows 3.11. Eine wichtiges Problem war, daß sich das Programm "weigerte", den Inhalt bestimmter Dialogfelder (aufspringende neue Fenster, sogenannte "Pop-up-Fenster) vorzulesen. So passierte es immer wieder, daß Werner Wachsmuth
eine Mail über T-Online verschicken wollte und nicht mehr weiterkam. Der Grund: T-online bot nach dem Aufbau der Verbindung in einem kleinen grauen Fenster ein "Softwareupdate" an. Davon erfuhr Werner Wachsmuth nichts, sein Leseprogramm ignorierte das Fenster einfach. In solchen Fällen kam er dann nur mit Hilfe seiner sehenden Frau Helene weiter, die ihm hilft, wenn etwas nicht klappt.
Hal Dolphin
"Ich hätte mir schon lange ein neues System angeschafft", berichtet Werner Wachsmuth, "aber bei vielen Systemen, für die ich mich interessiert habe, war die Sprachqualität so schlecht, daß ich mich nicht dafür entscheiden konnte." Werner Wachsmuth ließ sich Demonstrations-Kassetten von verschiedenen Vorleseprogrammen zusenden. Schließlich empfahl ihm ein blinder Internet-Nutzer, den er per E-Mail kennengelernt hat, das System von "Hal Dolphin". Werner Wachsmuth ließ sich eine Sprechprobe von diesem System zukommen und war begeistert. Vielleicht auch deshalb, weil dieses Sprechsystem eine ähnliche Aussprache wie sein früheres hat. Das Verstehen synthetischer Sprache ist auch bei den besten Programmen immer noch sehr gewöhnungsbedürftig (siehe Sprechproben unter "Links").
Neue Funktionen
Das neue System, das ihm zum Teil von der Krankenkasse finanziert wurde, liest nun auch aufspringende Dialogfelder zuverlässig vor. Das System gibt Rückmeldungen darüber, wo sich der Cursor gerade befindet. Wenn Werner Wachsmuth eine neue Mail schreiben möchte und die E-Mail-Vorlage von T-Online aufgerufen hat, drückt er nach Eingabe einer Adresse viermal "TAB" - der Computer liest dann "Betreff"; nochmals "TAB", und aus den Lautsprechern kommt die Rückmeldung "leeres Eingabefeld". Die Orientierung in einer Programmoberfläche ist dadurch viel einfacher geworden.
Hörprobe
Eine Hörprobe finden Sie hier (380 Kb).
Der Text:
"Hallo Christian, da es nun schon den ganzen April nicht geregnet hat, trauen wir dem Frieden nicht mehr. Falls es am Samstag regnen sollte, würden wir Euch um 14 Uhr 45 am Bahnhof in Vöhringen abholen. Gib doch bitte telefonisch Bescheid.
Tschüss, Werner".
Hörproben des alten Lesesystems finden Sie - zum Vergleich -
hier
WWW?
Ermutigt von diesen Erfolgen, möchte Werner Wachsmuth die neue Ausstattung auch nutzen, um sich Webseiten aus dem Internet vorlesen zu lassen. Nun ist bei der Erstellung der meisten Webseiten leider bislang nicht auf die besonderen Bedürfnisse Blinder Menschen geachtet worden. Die Navigation auf vielen Seiten ist so komplex, daß eine "blinde" Orientierung faktisch unmöglich ist (siehe auch die Beiträge zu barriefreiem Internet in den Rubriken Webangebote, Hintergründe und Modellprojekte). Aber Werner Wachsmuth setzt darauf, daß Menschen wie er - die trotz aller Hürden von den neuen Techniken profitieren wollen - dazu beitragen, daß Webdesigner in Zukunft mehr auf blinde PC-Nutzer achten werden.
Webformator
Inzwischen haben die Wachsmuths herausgefunden, daß es spezielle Programme gibt, die das Lesen von Webseiten mit einem Screenreader unterstützen. Diese Programme setzen vorhandene Webseiten automatisch in ein Format, das von Leseprogrammen leichter zu verarbeiten ist. Problematisch für Screenreader sind zum Beispiel Webseiten mit "Frames". Solche Webseiten bestehen aus mehreren Fenstern, in denen der Inhalt verschiedener Dateien angezeigt wird. Auch sehende Menschen lernen die Nachteile dieser Technik kennen, wenn sie beispielsweise Inhalte ausdrucken wollen und statt des gewünschten Textes vielleicht nur die Navigationselemente aus dem linken "Frame" ausgedruckt werden. Um solche Hürden zu umgehen, müssen die Frames in ein einzelnes Gesamtdokument zusammengeführt werden. Diese Technik beherrscht beispielsweise das Programm "Webformator", das kostenlos aus dem Netz geladen werden kann und mit dem Werner und Helene Wachsmuth gerade erste Erfahrungen sammeln (mehr dazu unter "Links").
Know How
Das technische "Know-How", das für den Umgang mit dieser immer noch recht komplizierten Technik erforderlich ist, haben sich die Wachsmuths weitgehend selbst beigebracht. Nur für das Erlernen des 10-Finger-Systems zum Schreiben mit der Tastatur hatte Werner Wachsmuth Übungsstunden erhalten, die er selbst bezahlt hatte. Die Krankenkasse zahlte einen Tag zur Einweisung in das Lesegerät, aber bis der neue Computer - ein normaler PC mit Windows 98 - aufgestellt und die Software installiert war, blieb zur Einweisung nicht mehr viel Zeit. Zum Glück hat Werner Wachsmuth die Unterstützung seiner sehenden Frau, die hilft, wenn etwas nicht klappt.
Unterstützung?
Aber ohne fremde Unterstützung geht dennoch vieles langsam. "Da habe ich von Ihnen doch schon wieder etwas wichtiges gelernt", sagt mir Helene Wachsmuth, nachdem ich ihr die Möglichkeit gezeigt habe, über die Zwischenablage Text von einer Anwendung in eine andere zu kopieren - ein praktischer "Trick", um auch ohne Webformator Texte aus Internetseiten für den Screenreader passend in einem Word-Dokument zusammenzutragen (siehe Link unten). Solche kleinen Dinge sind es, für die sporadische Vor-Ort-Unterstützung von erfahrenen PC-AnwenderInnen hilfreich wäre. Leider fehlt es noch an Strukturen, die Bedarf und Anbebot in sinnvoller Weise zusammenführen könnten. Ältere Menschen mit guten Computerkenntnissen, die anderen bei PC-Problemen freiwillig helfen würden, gibt es in inzwischen großer Zahl.
Links und Kontakt
E-Mail - Adresse von Werner Wachsmuth:
W.Wachsmuth@t-online.de
Hier finden Sie den ersten Beitrag über Werner Wachsmuth:
www.uni-ulm.de/LiLL/lerncafe/lerncafe2/hintergruende/wachsmuth/
Mehr über das Lesesystem "Hal Dolphin"
www.dolphinde.de/produkter/hal2.htm
Einen Überblick über ausgewählte Alternativprodukte und weitere Softwareentwicklungen für Sehbehinderte finden Sie hier:
www.behinderten-ratgeber.org/AVersion/sehbehinderte/internet/software.htm
Der Webformator
www.webformator.com/deutsch/
Eine gute Anleitung zum Webformator:
www.audiodata.de/doku/webformator/003.htm
Hier finden Sie den Beitrag zum Kopieren & Einfügen über die Zwischenablage:
www.uni-ulm.de/LiLL/lerncafe/lerncafe3/infos_und_kurse/kopieren/