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LernCafe 17 vom 15. April 2002: "Mit Behinderungen leben"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Leben mit dem Schlaganfall - Betroffene berichten
(Druckversion)

Christa Böger
E-Mail: christa.boeger@gmx.de  
 
Einführung
Nach einem Schlaganfall ist das Leben nicht mehr so wie es vorher war. Oft bewältigen Schlaganfallopfer diese ungeheure persönliche Erschütterung, indem sie sich mit sich selbst auseinandersetzen und andere daran teilhaben lassen. Und wenn sie Schriftsteller oder Journalisten sind, schreiben sie Bücher. Ein besonders lesenswertes soll in diesem Beitrag vorgestellt werden:

Robert McCrum, Mein Jahr draussen, Wiederentdeckung des Lebens nach einem Schlaganfall, Goldmann , 2000, € 8,20

Plötzlich
"Manchmal liege ich im Bett und denke: Vielleicht habe ich das alles geträumt? Ist mir das wirklich passiert? Nein, ein Traum war das nicht: Ich bin für immer ein anderer geworden",
schreibt Robert McCrum in seinem Buch "Mein Jahr draußen - Wiederentdeckung des Lebens nach einem Schlaganfall". Der Lektor und Schriftsteller liegt an einem ganz normalen sonnigen Sonntagmorgen im Bett - und kann nicht aufstehen: seine linke Körperseite ist gelähmt. Ein Blutgerinnsel in der rechten Gehirnhälfte hat eine unkontrollierte Blutung -"einen hämorrhagischen Infarkt" - ausgelöst. 

Gewarnt
Der sich völlig gesund fühlende McCrum ist von diesem Ereignis völlig überrascht. Er hatte am Abend vorher starke Kopfschmerzen, fühlte sich schwerfällig und erschöpft, war aber sicher:"Was immer es auch war, es würde wieder weggehen". In der Rückschau muss er erkennen, dass er eindeutige Warnsymptome nicht einordnen konnte, weil er gar nichts über diese Krankheit wusste. Der jung verheiratete McCrum ist allein zu Haus und kann erst nach mehreren Stunden mühseligen Robbens das Telefon erreichen. Dann geht alles sehr schnell. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert und dort auf der Intensivstation versorgt.

Verzweifeln
Als er erfährt, was ihm passiert ist, erfasst ihn ein "schauriges Hochgefühl. Ja! Ich war noch am Leben." Diese Euphorie weicht bald schwarzer Verzweiflung. Er fragt sich: Werde ich je wieder richtig gehen und sprechen können? Wie wird mein Leben weitergehen? Und wie wird meine Frau reagieren? Es ist tröstlich zu lesen, dass sie zu seiner wichtigsten Stütze während der langsamen Genesung wird. Beide schreiben - ohne von einander zu wissen - ein Tagebuch. Es sind persönliche Berichte von Angst und Not, Verzweiflung, Hoffnung und Vertrauen, die anrühren.

Nachdenken
McCrum ist körperlich außer Gefecht gesetzt, hat aber nie Schmerzen, sein Verstand und sein Gedächtnis funktionieren. Und viele Fragen bedrängen ihn: Wer bin ich? Erinnerungen an Kindheit, Jugend, Familie, Arbeit tauchen auf, sein "altes" Leben liegt vor ihm und damit auch ein Stück interessanter Zeitgeschichte. Er ist dem Tod von der Schippe gesprungen: Was ist der Tod? Möchte ich leben oder sterben? - ein Anlass zum Nachdenken über Philosophie und Literatur. 

Rat geben
Was ist ein Schlaganfall? Hier erhalten die LeserInnen in lockerer verständlicher Form alle wesentlichen Informationen über Risikofaktoren, Prävention, Symptome, Auswirkungen, Therapien, Rehabilitation, Nachsorge. McCrum schließt sich einer Selbsthilfegruppe an und zeigt anschaulich, anregend und humorvoll, wie viel ein Patient selbst tun kann.. Die LeserInnen begleiten den Autor durch die verschiedenen Stadien der Genesung und erfahren ganz nebenbei Interessantes und Amüsantes über den Alltag in einem englischen Krankenhaus und in einer Nachsorgeklinik. Eine klare, einfühlsame Schilderung der "Achterbahn der Gefühle" während dieser Zeit. Angehörige und Freunde, die in den Strudel dieser schweren Krankheit mit hineingezogen werden, finden Verständnis und Trost. 

Hoffen
McCrum sagt: "Dieses Buch will allen Betroffenen im dunklen Universum der Krankheit ein Hoffnungsschimmer sein, will ihnen sagen, dass sie nicht allein sind. Manche werden sagen, das Buch sei eine Art memento mori (Gedenke des Sterbens!) und das will ich gar nicht leugnen, aber ich hoffe vor allem, dass es Mut macht, besonders denjenigen, die alle Hoffnung auf Genesung aufgegeben haben. Es ist nicht meine Absicht, falschen oder billigen Optimismus zu verbreiten, was ich vielmehr sagen will, auch um ein glaubhaftes Beispiel zu sein, ist, dass das Gehirn offenbar ein erstaunlich widerstandsfähiges Organ ist, das unter bestimmten Umständen auf bemerkenswerte Weise gesunden kann."

Zurück kehren
Das Buch will außerdem den Gesunden unter uns zeigen, wie es ist, wenn unser Körper inmitten eines Lebens, das wir als völlig selbstverständlich betrachten, plötzlich versagt.
Robert McCrum kann in seinen Beruf zurückkehren. Er ist nicht mehr der alte und verlässt deshalb den Verlag. Er wird Literaturkritiker bei der englischen Wochenzeitung Observer. Seine Liebe zur Literatur durchzieht auch "Mein Jahr draussen" - für Literaturliebhaber sicher besonders reizvoll. "Mein Jahr draussen" ist auch eine Liebesgeschichte. Zwei Jahre nach seinem Schlaganfall wird Alice, seine Tochter, geboren.