LernCafe 17 vom 15. April 2002: "Mit Behinderungen leben"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Interview mit Stefan Berninger
(Druckversion)
Christian Carls
E-Mail: christian.carls@zawiw.uni-ulm.de
Einführung
Stefan Berninger leitet das Projekt "WEB for ALL". Das Projekt setzt sich dafür ein, dass alle Menschen unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht, das Internet nutzen können. In dem Interview erklärt Stefan Berninger, warum barrierefreies Internet so wichtig ist, wer davon profitieren kann und warum immer noch so wenige Webseiten darauf angelegt sind, Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, aber auch Gehörlosen und Menschen mit anderen Behinderungen die Nutzung zu ermöglichen. Nähere Informationen zum Projekt "WEB for ALL" finden Sie in der Rubrik "Modellprojekte".
Vorgeschichte
Wie sind Sie persönlich dazu gekommen, sich mit barrierefreiem Webdesign zu befassen?
Als Rollstuhlfahrer muss ich mich im öffentlichen Raum damit auseinander setzen, dass überall bauliche Barrieren und andere Barrieren vorhanden sind. Das waren z. B. Treppen an der Universität in Mannheim, wo ich studierte oder nicht zugängliche Straßenbahnen und Züge. Mein erstes Projekt, bei dem ich arbeitete, hatte die Aufgabe einen "Stadtführer für Behinderte" für Heidelberg zu erstellen. Das ist eine Art von Nachschlagewerk in das alle öffentlich zugänglichen Gebäude, wie Schulen, Ämter, Kliniken und Arztpraxen und vieles mehr, eingetragen werden. Überall wird angegeben, ob das Gebäude Treppen am Eingang hat oder z. B. die Toiletten für Rollstuhlfahrer geeignet sind. Später haben wir den Stadtführer für Behinderte bzw. einen Teil von ihm auch in das Internet gestellt. So ergab sich aus den verschiedenen Kontakten und Arbeitsgebieten auch die Idee in diesem Bereich ein Projekt aufzubauen.
Bedeutsamkeit
Warum ist barrierefreies Webdesign so wichtig?
Barrierefreies Webbdesign ist sehr wichtig, weil immer mehr Informationen und Dienstleistungen über das Internet abgewickelt werden. Wenn Menschen von dieser Kommunikation und den Informationen ausgeschlossen werden - egal aus welchem Grund - werden sie in der Gesellschaft ausgegrenzt.
Einige Beispiele:
- der Bundestag hat vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, nachdem wir in der Zukunft bei einem Umzug unseren Ortswechsel im Internet bei der Behörde bekannt geben können.
- Universitäten, z. B. in Hamburg im Bereich Betriebswirtschaft, bieten bestimmte Vorlesungen nur noch über das Internet an.
- Die elektronische Post, E-Mail, ist zu einem sehr wichtigen Kommunikationsmittel geworden. Es ersetzt oder ergänzt immer öfter die bisherigen Formen der Kommunikation, wie Briefe zu schreiben oder auch zu telefonieren.
- Jeder zweite Arbeitsplatz ist mittlerweile damit verknüpft, einen Computer zu bedienen. Die Computer sind in der Regel an das Internet oder auch Intranet, also ein betriebsinternes Internet, angeschlossen.
Wer profitiert?
Wer profitiert von barrierefreien Webseiten?
Im Prinzip profitieren von barrierefreiem Webbdesign alle Menschen. Barrierefreies Webdesign bedeutet, dass alle Menschen unabhängig ihrer Eigenschaften, wie Behinderung oder Alter, das Internet ohne fremde Hilfe nutzen können. Sicherlich, am meisten profitieren blinde und stark sehbehinderte Menschen davon. Sie können bei barrierefreiem Webdesign mit ihren Hilfsmitteln, z. B. einer Sprachausgabe, auf alle Inhalte zugreifen. Es hilft auch mobilitätsbehinderten Menschen, die spezielle Eingabegeräte nutzen. Barrierefreies Webdesign bedeutet aber auch, dass auf einer Webseite ausreichend Kontraste zwischen der Schrift und der Hintergrundfarbe gewählt werden oder dass die Schriften für jeden Nutzer in der Größe frei einstellbar sind. Davon profitieren z. B. auch alle älteren Menschen, die ja in der Regel mehr oder weniger große Probleme mit dem Sehen haben.
Erkennbarkeit
Läßt sich auch für Nicht-Behinderte leicht erkennen, ob eine Webseite barrierefrei ist?
Sie können bestimmte Dinge selbst erkennen: z. B. die genannten Kontraste zwischen Schrift und Hintergrundfarbe. Andere Dinge können Sie testen: wenn Sie in Ihrem Browser, dem Programm mit dem wir Webseiten betrachten, die Schriftgröße anders einstellen, dann müsste sich diese eben auch an allen Stellen entsprechend ändern. Andere Dinge können Sie nur mit einem gewissen Fachwissen und mit spezieller Ausstattung testen.
Frustrierendes Internet?
Ist es bei der üblichen Gestaltung von Webseiten nicht furchtbar frustrierend, z. B. mit einem Screenreader im Internet zu surfen?
Meine blinde Kollegin Anna Courtpozanis hat einmal gesagt, dass das Internet ihr das Tor zur Welt geöffnet hat. Das Internet bietet gerade für blinde und stark sehbehinderte Menschen unheimlich große Chancen. Texte, wie Bücher oder auch Zeitungsartikel, sind plötzlich im Internet verfügbar und können mit einer Sprachausgabe vorgelesen werden.
Gleichzeitig gibt es aber eine Art von Gegenentwicklung: mit der Zunahme der Leistungsfähigkeit des Internets kommen immer mehr multimediale Elemente vor. Dies an sich ist nicht negativ. Doch immer mehr werden z. B. Techniken eingesetzt, die sich nur noch an einen Sinn wenden: Bilder für das Auge, Töne für die Ohren etc.; das ist die große Gefahr: Sobald ein Mensch einen seiner Sinne nicht oder nur mit Einschränkung nutzen kann, hat er Schwierigkeiten. Die Zunahme der Leistungsfähigkeit des Internets bringt auch die Möglichkeit mit sich, dass immer mehr Barrieren entstehen. Deshalb ist es wichtig, dass immer eine Grundinformation mitgeliefert wird: bei einem Bild bedeutet dies, dass ein Alternativtext, der den wichtigsten Inhalt des Bildes enthält, unterlegt werden muss.
Optimiert für den Vorstand?
Warum beachten bislang so wenige Anbieter die Empfehlungen für barrierefreies Webdesign?
Das ist ein Problem des Wissens. Wenn Webdesigner ausreichend Kenntnisse auf diesem Gebiet haben, können Sie ohne größeren Aufwand eine Webseite barrierefrei gestalten. Es liegt aber auch am fehlenden Wissen bei den Auftraggebern. Diese müssen von den Webdesignern Barrierefreiheit einfordern. Auf einem Seminar hat ein Teilnehmer einmal gesagt hat: Webseiten werden in der Regel für den Bildschirm des Vorstandes eines Unternehmens oder einer Organisation optimiert. Das bedeutet aber, dass genau dieselbe Webseite z. B. auf einem kleinen Bildschirm oder bei einem etwas älteren Computer katastrophal aussehen kann, bzw. bei einem blinden Menschen kann es eben bedeuten, dass er keinerlei oder nur einen Teil der angebotenen Informationen erhält. Aber genau dies weiß der Auftraggeber oft nicht und das ist sicher auch nicht sein Ziel.
Webtipps
Zum Abschluß: gibt es beispielhafte Webseiten im Netz, die Sie besonders gelungen finden?
Zunächst kann ich hier natürlich die Seite unseres Projektes www.webforall.info nennen, die strikt nach barrierefreien Gesichtspunkten gestaltet ist und auf der Sie auch weitere interessante Aspekte zum Thema finden. Eine Seite, die wir sorgfältig überprüft haben und die auch unser Prüfsiegel bekam, ist die des Sozialministeriums Rheinland-Pfalz
www.masfg.rlp.de.