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LernCafe 18 vom 15. Mai 2002: "Wohnen im Alter"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Beginenhof
(Druckversion)

Christa Boeger
E-Mail:christa.boeger@gmx.de 

Die weibliche Variante
Die Zahl der alten Menschen in Deutschland steigt ständig und mit ihnen die Zahl der Single-Haushalte. In deutschen Großstädten liegt diese bereits bei über 60%. Nicht alle Singles leben aus freier Entscheidung allein. Das gilt besonders für viele ältere Frauen.
Was liegt also näher als dass die Frauen der zweiten Frauenbewegung, die seit einiger Zeit ins Rentenalter kommen, Lösungen für die speziellen Wohnbedürfnisse älterer Frauen suchen. Immer geht es darum, die ungewollte Isolierung zu überwinden, die Potenziale und Ressourcen zu nutzen, den Alltag besser zu bewältigen und sich in schwierige Lebenssituationen gegenseitig zu unterstützen. Das soll möglichst Generationen übergreifend ökologisch und demokratisch geschehen. 

Beginenhof
In zahlreichen Projekten und Arbeitsgruppen wurden verschiedene Modelle entwickelt. Das wohl bekannteste ist das "Bremer Beginenhof Modell". Den Anstoß gab 1997 Erika Riemer-Noltenius, eine frauenbewegte Politologin mit folgender Anzeige: Der Verein "Bremer Beginenhof Modell" lädt am morgigen Donnerstag zu einer Informationsveranstaltung ein. Angesprochen sind alleinstehende Frauen aller Alterstufen, die zwar in einer eigenen Wohnung, aber trotzdem in einer Gemeinschaft leben wollen." 
Und es kamen sehr viele Frauen - alle auf der Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens. Zusammen mit ihrer Mitstreiterin Elke Schmidt-Prestin, der Architektin Alexandra Czerner, Fachfrauen und Interessentinnen schuf Erika Riemer-Noltenius ein umfassendes Konzept, dem die folgenden Zitate entnommen sind.

Erste Frauenbewegung
Die mittelalterlichen Beginen - "die erste autonome Frauenbewegung der Weltgeschichte" (Riemer-Noltenius) - wurden als Vorbild gewählt. Diese waren im 12. -16. Jahrhundert allein stehende Frauen, die "weder in den Stand der Ehe noch in ein Kloster eintreten wollten. Ohne männliche Bevormundung und ohne männliche Schutz arbeiteten sie auf vielfältige Weise für die Gemeinden und gewannen über vier Jahrhunderte hinweg einen großen Einfluss auf das Glaubens- und Wirtschaftsleben der Städte". Sie knüpften zwar an die Traditionen der Klöster an, legten aber kein Gelübde ab und konnten den Beginenhof jederzeit wieder verlassen .Sie lebten vor allem in Belgien und den Niederlanden, aber auch in Frankreich und Deutschland. Die Beginenhöfe waren nicht nur ein "Versorgungsinstitut" für allein lebende Frauen. Beginen setzten sich auch für die religiöse Erneuerung der Christenheit ein. Zusammen mit kirchkritischen Theologen wurden sie als Ketzerinnen - "Schwestern vom freien Geist" - von der Kirche verfolgt. 

Moderne Beginen
Die modernen Beginen knüpfen an die positiven Errungenschaften dieser Frauengemeinschaft an und verbinden persönliche Autonomie mit dem Wertekanon der Menschenrechte der UN-Charta. Das Bremer Beginenhof Modell "bündelt die Potenziale und Wünsche von Frauen in Richtung Zukunft". Das kann z.B. so aussehen, dass eine ältere Frau sich um die Kinder einer allein erziehenden Mutter kümmert, die dieser ihrerseits beim Einkaufen oder Renovieren der Wohnung hilft. Es schafft Angebote von bezahlbaren Wohnungen, Gemeinschaftsräumen 
und Gewerberäumen, die Arbeit und Leben wieder zusammenbringen. Die Beginen wollen eine "innovative Stadtkultur mit grünen Flächen, einem humanen Verkehrskonzept und hochwertigen kulturellen Anziehungspunkten". 
70 Frauen
Drei Jahre wird das 35-Millionen-Projekt nach allen Regeln der Kunst durchgeplant. Die Form der Genossenschaft "Wohnungsbaukooperative eG" gibt den Mitgliedern weitgehende Mitbestimmungsrechte. Mitten in der Neustadt, dem am dichtesten bebauten Viertel Bremens entstehen auf einer Fläche, die fast so groß ist wie ein Fußballfeld, zwei lange, dreigeschossige, leicht gebogene Gebäudeflügel, die einen Hof umschließen. Dort bietet eine Markthalle Platz für Geschäfte. Die 67 Wohnungen sind mit Loggien und Laubengängen sehr kommunikationsfördernd angelegt 
Es gibt einen Kindergarten , ein Gesundheitszentrum , einen Seminarbereich und 15 Ladenflächen.Wichtig ist auch die soziale Mischung: ein Drittel Eigentumswohnungen, ein Drittel Mietwohnungen, ein Drittel sozialer Wohnungsbau. Seit Juni 2001 leben dort 70 Frauen und 28 Kinder und Jugendliche. Die älteste Bewohnerin ist 79 Jahre alt, die Jüngste 3.

Projekt in Gefahr
Von Anbeginn wurde das Projekt von der Öffentlichkeit und den Medien äußerst positiv beurteilt. Es wurde "weltweites Projekt" der Expo 2000, es erhielt in Bremen den ersten Preis der Lokalen Agenda 21 und wurde in die Ehrenschriftrolle der Vereinten Nationen für ausgezeichnete Projekte im Bereich Lebensraum aufgenommen. 
Und doch ist die Zukunft dieses vorbildlichen Projekts keineswegs gesichert: Die Läden ließen sich nicht alle vermieten - auch nicht an Männer. Die öffentlichen Zuschüsse kamen nicht in der versprochenen Höhe (Bremer Senat und Europäische Union). Die Genossenschaft musste Mitte 2001 einen Insolvenzantrag stellen, das Anwesen wird zunächst von einer Wohnungsbaugesellschaft verwaltet. Doch solange die Bewohnerinnen dort leben können und garantiert wird, dass es ein reines Frauenprojekt bleibt, wird sich nichts Wesentliches ändern. 

Zunkunft
Erika Riemer-Noltenius plant ein weiteres Beginen-Projekt in Bremen, diesmal zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft. Sie kämpft weiter gegen die Einsamkeit vieler, die für sie das Hauptübel unserer Gesellschaft ist. Als moderne Begine stellt sie die Wahlverwandtschaft neben die Blutsverwandtschaft der Familie. "Wahlverwandtschaft basiert auf der Freiheit sich auszusuchen, mit wem und wie frau unter Wahrung ihrer Autonomie zusammenleben und soziale Verantwortung für die anderen mit übernehmen will."
Und in der Tat trifft sie damit auf ein weit verbreitetes Bedürfnis. In Berlin, Hamburg, München, Erfurt, und Konstanz - um nur einige Beispiele zu nennen - gibt es oder entstehen Frauenwohnprojekte. Ein bundesweites Beginennetzwerk aller Beginenvereine sorgt für die Verbreitung der modernen Beginenkultur.

Website
Mehr über das "Bremer Beginen Modell und dem Beginennetzwerk finden sie hier!
http://www.beginenhof.de/