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"Wohnen für Hilfe"
(Druckversion)
Prof. Dr. Anne-Lotte Kreickemeier
kreicke@fh-darmstadt.de
Wohnen für Hilfe
"Wohnen für Hilfe", "Wohnraum für Hilfe", - diese fast
gleichnamigen Projekte führen im deutschsprachigen Raum in drei
Universitätsstädten Hilfe-Suchende und Zimmer-Suchende zusammen: in Darmstadt
und München, Deutschland und in Graz, Österreich.
Projektidee
Die meisten Menschen im Rentenalter führen einen eigenen Haushalt, überwiegend
in Wohnungen oder Häusern mit drei und mehr Zimmern; hier wohnte man früher
mit der ganzen Familie und damals übernahmen andere Familienmitglieder gewisse
Pflichten, - doch sie leben heute nicht mehr im Haushalt. Die Haushalte werden
kleiner, die Haushaltungsvorstände älter, die Zahl der Ein-Personen-Haushalte
nimmt ständig zu: dennoch möchten die wenigsten Menschen umziehen.
Hilfe würde den Alltag und das Leben in gewohnter Umgebung erleichtern. Könnte
nicht ein Student, eine Studentin Tätigkeiten übernehmen, die früher andere
in der Familie leisteten und dafür freigewordenen Wohnraum beziehen?
Studierende suchen Zimmer; die meisten arbeiten neben dem Studium, um wenigstens
einen Teil der Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Miete ist der größte
Einzelposten im Studenten-Budget - warum sollten Studierende nicht direkt für
die Menschen arbeiten, die ihnen als Gegenleistung Wohnraum anbieten?
Ziele und Zielgruppen
Das Projekt "Wohnen für Hilfe" hat sich zum Ziel gesetzt, Vermittler
zu sein zwischen Menschen, deren Bedürfnisse prinzipiell zueinander passen: auf
der einen Seite Studenten, die als Gegenleistung für ein Zimmer im Haus des
Vermieters bereit sind, diesem bei alltäglichen Dingen behilflich zu sein; und
auf der anderen Seite ältere Menschen, die gelegentlich Hilfe benötigen und
eines ihrer Zimmer abgeben können.
Eine derartige Aktion fördert Begegnungen der verschiedenen Generationen und
ihr solidarisches Zusammenleben, unterstützt ältere Menschen in ihrer
Selbständigkeit und Selbstbestimmung, macht Menschen Mut zu neuen Erfahrungen
und wirkt Vereinzelung und Vereinsamung entgegen.
Ein Beispiel
Im Rahmen des Projektes bekam der Student Werner ein Zimmer bei der 94jährigen
Frau H. und ihrem Sohn Kaspar H., und dafür hilft er Mutter und Sohn. Frau H.
kann so in dem vertrauten Haus bleiben, in dem sie von Kindheit an gelebt hat.
Kaspar H., der Sohn, hat dadurch die Möglichkeit, seiner Arbeit nachzugehen,
ohne sich um seine Mutter Sorgen machen zu müssen.
Stimmen der Beteiligten
Kaspar H.: "Mit dem Projekt ‚Wohnraum für Hilfe' habe ich sehr, sehr gute
Erfahrungen gemacht. Ich bin sehr froh, dass es so was gibt. Wenn es das nicht
gäbe, müsste man es erfinden und machen. Werner ist schon der zweite, der hier
mithilft. Früher war eine Studentin aus Litauen da, und da war einfach die
Studienzeit vorbei, und jetzt ist der Werner da."
Werner: "Ich wohne hier bei H.'s sehr, sehr gerne und betreue Frau H. ganz gerne - und das Wohnen macht hier wirklich Spaß bei Kaspar und ich mache mit dem Projekt selber gute Erfahrungen."
Organisation
Sozialpädagogisch ausgebildete Teilzeitbeschäftigte, gegebenenfalls in
Zusammenarbeit mit sozial engagierten Freiwilligen, sind in Darmstadt und
München für die Programme tätig:
Ø Sie beraten Wohnraumanbieter und Wohnraumsuchende.
Ø Sie besuchen Vermieter zu Hause.
Ø Sie führen Wohnpartnerschaften zusammen.
Ø Sie vermitteln in Krisensituationen.
In Graz vermittelt ein Team von qualifizierten Ehrenamtlichen die
Wohnpartnerschaften.
Die Träger der Projekte sind unterschiedlich: in Darmstadt ist Wohnen für
Hilfe bei einem Wohlfahrtsverband / DRK angesiedelt und arbeitet in Kooperation
mit der Fachhochschule, Fachbereich Sozialpädagogik, in München bei einem
Seniorentreff, der Mitglied im DPWV ist und mit dem Studentenwerk
zusammenarbeitet und in Graz bei der Österreichischen Hochschülerschaft und
deren Referat für Generationenfragen. Die Projekte arbeiten in der jeweiligen
Hochschulregion.
Solidarität
"Solidarität zwischen den Generationen" charakterisiert die drei
Projekte: meist ältere Menschen, aber auch Familien und Alleinerziehende,
erhalten Hilfe als Gegenleistung für ein Zimmer, das sie einem Jüngeren, meist
einem Studierenden vermieten.
Um im beiderseitigen Interesse "klare Verhältnisse" zu haben, wird im
voraus festgelegt, wie der Umfang der Hilfe aussehen soll: je Quadratmeter
Wohnraum eine Stunde Hilfe im Monat.
Oft werden Hilfe in Haus und Garten, bei der Betreuung von Haustieren oder auch
bei der Versorgung der Wohnung während der Abwesenheit des Vermieters
vereinbart; Pflege ist im Regelfall ausgeschlossen.
In einem Mustervertrag wird den Beteiligten empfohlen, zusätzlich eine Miete
von 50,- DM zuzüglich Nebenkosten zu vereinbaren, um so ein
Untermietverhältnis zu begründen.
Typische Vermieter sind ältere Menschen mir großen Wohnungen, die ein
selbständiges Leben führen. Mieter sind meist Studierende, alleinstehend,
zwischen 20 und 30 Jahren, -in München zunehmend auch andere Personen.
Schwierigkeiten
Die Chancen des Projektes liegen darin, dass unterschiedliche Generationen neue
Erfahrungen miteinander machen und sich besser kennen lernen. Es gibt aber auch Schwierigkeiten:
Ø Senioren fürchten um ihre Privatsphäre
Ø die Mitbenutzung von Küche und Bad wird kritisch betrachtet
Ø laute Musik und viel Besuch werden befürchtet
Ø manche meinen, Studenten müssten( wie vor 50, 60 Jahren üblich ) das
Frühstück gerichtet und das Bett gemacht bekommen
Ø Studenten haben Angst, vereinnahmt zu werden
Ø nach Verlassen des Elternhauses möchten Studenten unabhängig und
unkontrolliert sein
Voraussetzungen
Trotz dieser Bedenken funktioniert "Wohnen für Hilfe" gut,
Ø wenn die Beteiligten Interesse an Wohnpartnern aus einer anderen Generation
haben
Ø wenn die Beratung durch Fachkräfte erfolgt
Ø wenn die Erwartungen aller Beteiligten im Vorfeld geklärt sind
Ø wenn die Wohnpartnerschaften sorgfältig ausgewählt und begleitet werden
Ø wenn Angehörige in die Entscheidung einbezogen wurden
Ø wenn die Bedingungen klar fixiert sind
Ausblick
Schwierig ist es, Projektinteressenten zu finden und dann kurzfristig den
passenden Wohnpartner "zur Hand zu haben". Oft haben Senioren zu hohe
Erwartungen. Deshalb ist die Zahl der Wohnpartnerschaften leider noch gering;
die weitere Entwicklung wird davon abhängen, ob eine geeignete Infrastruktur
angeboten und finanziert wird.
"Wohnen für Hilfe" ist ein zukunftsweisendes Projekt, das jung und
alt zusammenführt, das die Solidarität zwischen den Generationen stärkt, das
den Bedürfnissen von Jüngeren und Älteren gerecht wird, das Hilfe zur
Selbsthilfe leistet, aber das eine gesicherte Finanzierung, eine geeignete
Infrastruktur und qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl benötigt, um
erfolgreich umgesetzt zu werden.
Die Gesellschaft spart dabei sowohl den Bau von Wohnheimplätzen für Studenten
als auch bei der Unterstützung der Selbständigkeit von Älteren, sodaß eine
entsprechende Finanzierung sich längerfristig auszahlt.
Kontakt und Links
Die Homepage des Projekts in englischer, spanischer und deutscher Sprache findet
sich hier! www.homeshare.org Mehr Informationen gibt es auch auf den
Internetseiten der Projekte von Darmstadt ( www.drk-darmstadt.de
), München ( www.studentenwerk.mhn.de/wohnen/index-de.html
)
oder Graz ( www.seniorweb.at )
Deutsches Rotes Kreuz
Hermannstr. 41
D-64285 Darmstadt
Tel.: 06151/28120
Fax: 06151/261299
e-mail: drk@drk-darmstadt.de
Fachhochschule Darmstadt, Fachbereich Sozialpädagogik
Adelungstr. 51
D-64283 Darmstadt
Tel.: 06151/168691
Fax: 06151/168990
e-mail: fb_s@fh-darmstadt.de