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LernCafe 20 vom 15. November 2003: "Gesund ins Alter"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Alzheimer: Geistige und körperliche Aktivität zur Prävention
Interview mit Prof. Dr. Matthias Riepe
(Druckversion)


Carmen Stadelhofer
E-Mail: carmen.stadelhofer@zawiw.uni-ulm.de

Einführung
Herr Prof. Riepe ist Facharzt für Neurologie und klinische Geriatrie und leitender Oberarzt an der Klinik für Neurologie der Universität Ulm. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit liegt bei der Frühdiagnostik und Pathophysiologie dementieller Erkrankungen. Seit 1998 ist Herrn Riepe verantwortlich für den Aufbau und die Leitung der Gedächtnisambulanz der Universität Ulm.

Schlagwort "Alzheimer"
Herr Riepe, "Alzheimer" ist ein Schlagwort, das in den letzten Jahr immer öfter in den Medien zu finden ist. Was ist darunter zu verstehen?
Unter der Alzheimer Erkrankung versteht man eine Erkrankung, die mit einer zunehmenden Vergesslichkeit für Ereignisse, Termine oder Namen beginnt. Im weiteren, langsam voranschreitenden Verlauf sind schließlich auch andere Aspekte der geistigen Leistungsfähigkeit wie Aufmerksamkeit und Konzentration, Abstraktions- und Rechenfähigkeit betroffen. Auch Verhaltensänderungen mit depressiver Stimmung oder aggressivem und unruhigen Verhalten treten hinzu.

Verbreitung
Warum bekommt die Alzheimer-Erkrankung derzeit so viel öffentliche Aufmerksamkeit?
Alzheimer ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Da das durchschnittliche Alter der Bevölkerung zurzeit deutlich steigt, finden sich daher auch mehr Menschen, die von dieser Erkrankung betroffen sind als noch vor 50 Jahren.
Aufgrund des langsam schleichenden Verlaufs dieser Erkrankung beginnt man zu begreifen, dass dieses Problem unbedingt angegangen werden muss. Auch haben das Betroffensein prominenter Persönlichkeiten im In- und Ausland in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für diese Erkrankung geschärft. Betroffen sind z.B. der ehemalige amerikanische Präsident Ronald Reagan, die Schauspieler Rita Hayworth und Charlton Heston, und der ehemalige Fußball-Bundestrainer Helmut Schön.

Warnzeichen
Gibt es präzise Anzeichen, die darauf hinweisen, dass ich selbst von dieser Krankheit betroffen bin bzw. ein Familienangehöriger an Alzheimer erkrankt ist?
Man weiß, dass man bei erstmaligem Auftreten einer Gedächtnisstörung ein höheres Risiko hat, wirklich an der Alzheimer- Erkrankung zu erkranken. Diese Störung sollte auch von Angehörigen bestätigt oder in Untersuchungen nachgewiesen werden.
Im Zweifelsfall kann aber nur der Fachmann die Diagnose wirklich zuverlässig treffen, u.U. auch erst in speziellen Ambulanzen für Gedächtnisstörungen, wie etwa die Gedächtnissprechstunde der Universität Ulm.

Krankheitsverlauf
Gibt es einen "typischen" Krankheitsverlauf? Wenn ja, wie sieht er aus?
Wie schon angesprochen, beginnt die Alzheimer-Erkrankung mit einem Nachlassen der Merkfähigkeit. Man kann sich zwar noch gut an Geschehnisse von früher erinnern, über die man immer wieder gesprochen hat (besondere Familientage, besondere Reisen etc.), aber das Merken neuer Dinge fällt bereits zu Beginn der Erkrankung schwerer.
Mit weiterem Fortgang sinkt dann allgemein die geistige Leistungsfähigkeit und Verhaltensauffälligkeiten kommen hinzu. In fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung sind die Betroffenen in sämtlichen Gebieten des täglichen Lebens auf Hilfe angewiesen.

Risikofaktoren
Gibt es besondere Risikofaktoren?Es sind einige genetische Risikofaktoren bekannt, z.B. in Bezug auf das sogenannte Apolipoprotein E. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich aber nicht um eine Erbkrankheit, sondern lediglich um eine sehr häufige Erkrankung des höheren Lebensalters.
Viele andere Risikofaktoren werden im Augenblick eher diskutiert, als dass man sie schon konkret benennen könnte und sie allgemein akzeptiert sind.

Auswirkungen
Was bedeutet der Ausbruch der Alzheimer-Erkrankung für die jeweils Betroffenen und das soziale Umfeld?
Für den Betroffenen bedeutet eine solche Erkrankung, dass berufliche, ehrenamtliche oder hobbymäßige Betätigungen mit dem Verlauf der Erkrankung nicht mehr ausgeübt werden können. Im weiteren Verlauf kommt hinzu, dass man bei vielen Tätigkeiten des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Die Alzheimer-Erkrankung betrifft daher immer zwei Seiten: einen Menschen, der Fähigkeiten verliert und im Verlauf Tätigkeiten aufgeben muss und (mindestens) einen Menschen, der diese Tätigkeiten übernehmen muss. Gerade mit zunehmender Krankheitsdauer ist dies eine große Herausforderung für den Erkrankten und die Angehörigen.

Behandlung
Gibt es heute Möglichkeiten, dieser Krankheit entgegen zu wirken?
Die Möglichkeiten haben sich seit einigen Jahren durch die Einführung von Medikamenten zur Behandlung früher und später Stadien der Erkrankung deutlich verbessert. Die Wirkstoffe verändern die Signalübertragung im Zentralnervensystem durch die Botenstoffe Acetylcholin und Glutamat.
Man weiß aus inzwischen mehrjähriger Erfahrung, dass diese Medikamente über viele Jahre hinweg wirken und möglichst frühzeitig eingesetzt werden sollen. Hierdurch scheint es sogar zu einer gewissen Verlangsamung des Krankheitsprozesses zu kommen.

Einflussnahme
Sehen Sie außer der medikamentösen Behandlung im Frühstadium des Krankheitsverlaufs weitere Möglichkeiten, auf das Erkrankungsrisiko Einfluss zu nehmen?
Inzwischen weiß man, dass vor Beginn der eigentlichen Erkrankung durch eine regelmäßige sportliche Betätigung und abwechslungsreiche geistige Aktivität das Risiko für die Offenbarwerdung der Alzheimer- Erkrankung gesenkt werden kann. Zu den geistigen Aktivitäten können z.B. Theater- oder Museumsbesuche, regelmäßiges Zeitungslesen oder der Besuch von Volkshochschulkursen gehören. Empfehlenswert ist auch die Teilnahme an wissenschaftsfundierten Angeboten für ältere Menschen, wie sie z.B. von der Universität Ulm (ZAWiW) angeboten werden.
Da Begleiterkrankungen, z.B. die Zuckererkrankung oder der hohe Blutdruck, sich negativ auf den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung auswirken können, sollten diese konsequent behandelt werden.

Gedächtnissprechstunde
Sie sind Leiter der "Gedächtnissprechstunde" der Universität Ulm. An wen wendet sich dieses Angebot und welche Hilfen bieten Sie konkret an?
Die Gedächtnissprechstunde versteht sich als Anlaufstelle gerade für solche Situationen, in denen man nicht weiß, ob das, was man als Gedächtnisstörung erlebt, noch altersgemäß ist oder doch Ausdruck einer zu Grunde liegenden Erkrankung.
Gibt es vergleichbare Angebote an anderen Orten in Deutschland?
Inzwischen gibt es an vielen Stellen in Deutschland Einrichtungen, die sich mit der Früherkennung und Behandlung von Gedächtnisstörungen beschäftigen. Betrieben werden sie meist unter Namen wie Memory Clinic, Gedächtnissprechstunde oder Alzheimer-Ambulanz.

Enttabuisierung
Alzheimer - das kann nach den vorliegenden Wissenschaftsergebnissen in Zukunft jeden von uns selbst oder jemand aus dem familiären Umfeld (be-)treffen. Was kann bzw. muss man aus Ihrer Sicht tun, um diese Krankheit zu enttabuisieren?
Je nachdem, wie Untersuchungen durchgeführt werden, kommen die epidemiologischen Studien zu dem Ergebnis, dass etwa zehn Prozent der Über-60-jährigen von einer krankheitsbedingten Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit betroffen sind. Bei den Über-75-jährigen ist es sogar jeder vierte bis jeder dritte.
Da diese Erkrankungen so häufig sind und da man inzwischen durch geeignete Behandlungsmaßnahmen die Symptome oder sogar den Verlauf der Erkrankung beeinflussen kann, sollten wir uns nicht leisten, diese Erkrankung totzuschweigen. Jeder kann von ihr betroffen werden. Ein Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit bei einer Alzheimer-Erkrankung sollten wir nicht als peinlich auffassen, sondern als das, was es ist: eine chronische Erkrankung des Gehirns, die man behandeln kann, wenn man über sie spricht und sie erkennt.

Prävention
Themenschwerpunkt dieser Ausgabe des "Lerncafes" ist "Gesundheitsprävention". Was können Sie unseren LeserInnen unter diesem Gesichtspunkt raten?
Vielleicht dreierlei: Führen Sie ein geistig anregendes, abwechslungsreiches Leben mit regelmäßiger körperlicher Betätigung und nehmen Sie ernst, wenn die Leistungsfähigkeit nachlässt - zumindest muss man untersuchen, ob eine organische Erkrankung dem zu Grunde liegt.