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LernCafe 21 vom 15. Dezember 2003: "Europäische Kulturen begegnen sich"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Europa schreibt
Europäische Kulturen in 33 Essays
(Druckversion)


Ellen Salverius-Krökel
E-Mail: esalverius-kroekel@t-online.de

Einführung
Was ist das Europäische an den Kulturen Europas? Eine Frage, die sich in den letzten Wochen und Monaten vor der großen Osterweiterung immer eindringlicher viele Menschen stellen. Aber wie läßt sich diese Frage beantworten? Der Möglichkeiten gibt es sicherlich viele. Eine ist sicherlich immer noch das gute Buch. Jedoch, je häufiger diese und ähnliche Fragen zu diesem Thema gestellt werden, um so mehr Antworten in vielen Büchern werden gedruckt. Hier der Versuch, tatsächlich mit nur einem Buch auszukommen.

Desinteresse
Zu hinterfragen, das die Literatur ein Bereich der Kultur ist, erübrigt sich. Und das alle nationalen Literaturen Europas zur gesamteuropäischen Kultur beitragen sicherlich auch. Aber ist es auch den Autoren bewußt? Und wenn es ihnen bewußt ist, ist es ihnen dann auch wichtig? Schreiben sie über Europa, schreiben sie über Ihr Land im Hinblick auf Europa? Die Antwort auf diese Fragen und ähnliche weitere muß hier nein lauten. Jedenfalls wenn man die Organisatoren eines Symposions im Hamburger Literaturhaus befragt hätte Anfang diesen Jahres. Weder Europa noch europäische Themen treiben Autoren und Intellektuelle dieses Kontinents gerade um. In ihrer großen Mehrzahl schweigen sie dazu.

Das alte Europa
Der Ausspruch Donald Rumsfeld's vom auch so alten Europa war noch nicht ausgesprochen, da hatte man in Hamburg zusammen mit der in europäischen Fragen sehr aktiven Körber-Stiftung gehandelt. 33 Autoren aus Europa wurden für eine Woche eingeladen. Nicht teilnehmen wollten englische AutorInnen. Sie alle wurden also gebeten ein Essay zu schreiben: Über das, was ihnen Europa bedeutet und was sie als Schriftsteller mit Europa verbinden. Als dann just mit Beginn des Symposiums das "alte Europa" so geringgeschätzt, ja geschmäht wurde, hatten die Intellektuellen ihre Sprache wiedergefunden. Sie entdeckten die Kostbarkeit des alten Kontinents wieder. Die Tage in Hamburg haben ein altes Thema mit neuem Leben erfüllt und einem Buch auf den Markt verholfen. Sein Thema: 33 Variationen zur kulturellen Identität dieses Kontinents.

Europäische Schriftsteller
Gemessen am europäischen Buchmarkt, gibt es viele Bücher in Europa. Aber wieviele Autoren kennen wir? Man sollte gelesen haben ...! Nicht alles von der Bestsellerliste, aber das, was übrig bleibt ist schon genug. Und dann bleiben noch all die Autoren von denen wir immer noch nichts gehört und gelesen haben. Einige von ihnen können wir in diesem Essayband finden und uns ein neues Bild auf Europa und seine Regionen und Kulturen öffnen lassen. "Ich bin doch aus Petresburg, der europäischsten Stadt Russlands, dem ungewaschensten 'Fenster nach Europa'. Und begreife bis heute nicht: damit man aus dem Westen reingucken oder aus dem Osten rausgucken kann?", sagt Andrej Bitow aus Russland und erzählt von literarischen Helden. Und die haben irgendetwas mit Russland und Europa zu tun.

Am Rande Europas
Man kann die Essays oder Erzählungen der Reihe nach, von vorne nach hinten lesen. Man kann sie aber auch nach einem sich selbst vorgegebenen roten Faden lesen - vom Rande Europas ins Zentrum sich "vorlesen". Im Osten Europas ist die Frage nach dem europäischen in der eigenen Literatur vielleicht ein wenig idealisierter dargestellt. Die jüngste Vergangenheit hat Osteuropa weiter von Europa entfernt. Die Geschichte vor dem 20. Jahrhundert hat uns anderes gelehrt. Es ist spannend nachzulesen, was osteuropäische Autoren uns über Europa zu sagen haben. Und zum Glück gibt es dann als direkten Vergleich den Rand im Westen. Portugal und sein Wissen, seinen kulturellen Austausch mit den afrikanischen Kolonien. Hat es Europa nicht beeinflusst? Lidia Jorge weiß davon zu erzählen: der Expansion der Europäischen Kultur und ihrer Folgen für Europa.

Das Zentrum
Die Mitte, die sogenannte Mitte Europas gibt sich eher weltläufig. Ist sprachgewandt in vielen europäischen Sprachen und strahlt in seine Ränder aus. Hier erlebt man Europa auch als Drohung. Menschen von Europas Rändern drängen herein und bringen mit - einen viel festeren Glauben an Europa. Das Europa der Mitte lag auch oft genug im Windschatten der Geschichte, wie Ilma Rakusa (Schweiz) unumwunden zugibt. Aber auch dies sagt "die Mitte" von sich: "Europa ist seit Urzeiten ein in seiner Bestialität dösendes, dumpfköpfiges Ungeheuer. Ab und an stöhnt es auf seinem stinkenden, zwischen die großen Meere gezwängten Lager auf, faucht es, wälzt sich hin und her." Peter Nádas aus Ungarn, einem ganz alten Teil Europas. Der Rest Zentraleuropas denkt an die Fassaden der Brüsseler Bürokratie.

Europa im Kleinen
Bei allem Widerspruch: Europa existiert, wenn auch im Kleinen. Die Autoren sehen sich und ihre Staaten zwar alle als verschieden an, verstehen sich aber alle als Mosaik, als Netz, als Gewebe. Sie alle bilden die Kultur Europas, die so verschieden ist wie mindestens die Vorstellungen dieser 33 Autoren. Manches, so kann man hier lesen, ist noch im Werden. Und das ist wiederum die große Chance, die größere Zukunft, genährt aus der größeren Erfahrung, die kein anderer Kontinent vorzuweisen hat. Und je mehr auf dem Symposium darüber geredet wurde, und auch das ist in diesem Buch nachzulesen, desto deutlicher wurde den Schriftstellern die Möglichkeit einer europäischen Identität: So verschieden, so doch ineinander verwoben durch die Zeit. Was die Autoren im gemeinsamen Gespräch selber praktiziert haben, gibt das Buch an den Leser weiter- Neugierig machen auf Europa und seine so immense Vielfalt. Zum Glück altes und junges Europa zusammen.

AutorInnen
Gudbergur Bergsson (Island), Andrej Bitow (Russland), Hans Maarten van den Brink (Niederlande), Mircea Ca¡rta¡rescu (Rumänien), Stefan Chwin (Polen), Aleš Debeljak (Slowenien), Jörn Donner (Finnland), Mario Fortunato (Italien), Eugenio Fuentes (Spanien), Jens Christian Grondahl (Dänemark), Durs Grünbein (Deutschland), Daniela Hodrová (Tschechien), Panos Ioannides (Zypern), Mirela Ivanova (Bulgarien), Lídia Jorge (Portugal), Dz¡evad Karahasan (Bosnien), Fatos Lubonja (Albanien), Adolf Muschg (Schweiz), Péter Nádas (Ungarn), Emine Sevgi Özdamar (Türkei), Geir Pollen (Norwegen), Jean Rouaud (Frankreich), Robert Schindel (Österreich), Ivan Štrpka (Slowakei), Richard Swartz (Schweden), Nikos Themelis (Griechenland), Emil Tode (Estland), Colm Toíbín (Irland), Jean-Philippe Toussaint (Belgien), Dubravka Ugrešiæ (Kroatien), Dragan Velikiæ (Serbien), Tomas Venclova (Litauen), Mara Zalite (Lettland).

Titel-Nachweis
Ursula Keller / Ilma Rakusa (Hrsg.)
Europa schreibt
Was ist das Europäische an den Literaturen Europas?
Essays aus 33 europäischen Ländern
ca. 400 Seiten mit Fotografien von Peter Peitsch
Gebunden, SU, 14,5 x 22 cm
18.00 €
ISBN 3-89684-328-1