AusdruckenLernCafe 21 vom 15. Dezember 2003: "Europäische Kulturen begegnen sich"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deEuropäische Identität?
Eine persönliche Netzrecherche über ein landläufiges Thema
(Druckversion)
Ellen Salverius-Krökel
E-Mail: ellen.salverius-kroekel@zawiw.uni-ulm.de
Die Frage
Die nächste große Erweiterung der Europäischen Union steht vor der Tür und zwei Worte sind in aller Munde: die europäische Identität. So viele Nationen, noch mehr Kulturen und keine Ende abzusehen für die Diskussion, was die denn eigentlich sei, die europäische Identität. Nicht weniger Stimmen haben diese Identität schon herbei geredet und damit, wie die Absicht auch war, für alle anderen nationalen und regionalen Identitäten und Kulturen das Totenglöcklein geläutet. Je bedeutender der Name derer, die da "schwarz sehen", desto größer die Ängste derer, die da glauben verlieren zu müssen.
Informationsnot
"Wenn er noch einmal begänne, einen Plan für die Vereinigung Europas zu entwerfen, begänne er mit der Kultur." So wird immer wieder gerne der große Staatsmann Jean Monnet, geistiger Vater der europäischen Integration zitiert. Deutlich wird daran aber auch, wie lange das Thema "europäische Identität" schon aktuell ist. Die "Osterweiterung im Jahr 2004, wenn auch von großem Ausmaß, ist nicht der Auslöser dieser Debatte. Wo aber findet diese Diskussion statt zur Frage nach der europäischen Identität? In den Medien! Ja, und das zahlreich, zu zahlreich? Wer wollte alle Sendungen in Radio und Fernsehen verfolgen. Dazu kommen natürlich auch noch die Bücher und Zeitschriften. Und das Internet nicht zu vergessen!
Die Recherche
Das Internet könnte diese Not - den Wunsch nach einer möglichst breiten Information zu einem viel diskutierten Thema zu ermöglichen, beheben. Bei dem Versuch, sich also im Internet nach diesem Thema umzusehen, stolpert man notgedrungen, wie bei vielen Internetrecherchen, über die richtige Stichwortwahl. Europäische Identität, europäische Kultur und dergleichen mehr lässt sich da z.B. bei Google eingeben. Die Menge der Treffer ist immer groß, bei den Adressen gibt es große Übereinstimmungen. Also das alte Leiden an der Internetrecherche. Wer zu diesem Zeitpunkt immer noch an einem befriedigenden Ergebnis interessiert ist, steigt nun also in das Lesen ein. Es verlangt, und das braucht nicht weiter betont werden angesichts dieses Themas, viel Lesefleiß.
Papierflut
Bei der Menge an Texten, wird sicherlich auch so mancher eifrige Bildschirmleser wieder den Drucker nutzen. Aber wessen er oder sie da fündig wird, ist es wert. Über Definitionen, vertextete Radiosendungen, Auszügen aus Universitätsvorlesungen, Buchbesprechungen, Zeitungsberichten, Podiumsdiskussionsauszügen und Interviews verschiedener InsiderInnen bis hin zu Lehr-/Lernprojekten und Schulaufsätzen, lässt sich alles finden. Aber: nicht wieso häufig zu finden, wenn Masse die Qualität mindert, sondern höchst fundierte, seriöse Informationen und Materialien. Einige Texte, so ist zu vermuten, werden noch länger auf dem Tisch liegen bleiben.
Ergebnisse
Wenn es um die Suche nach Definitionen geht, um die Frage, was europäische Identität ausmacht oder was darunter überhaupt verstanden wird, so ist die Palette der Textsorten groß. Antworten findet man in allen oben genannten Texten. Sie kommen nicht selten von Universitäten: So findet sich der Fachbereich der Medienkommunikation der Universität Halle wieder mit einem Überblick und vergisst dabei auch nicht, die Stichworte Integration und Christentum einzufügen. Beide lassen unsere Liste der möglichen Internetquellen weiter anschwellen. Versucht man, sich selber einen eigenen roten Faden zu spinnen, kann es nicht falsch sein bei der Europäischen Union selbst anzufangen.
Europäer?
Also: "Gibt es so etwas wie eine europäische Identität? Wie hat sich das Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt?" Seit zehn Jahren befasst sich ein Netzwerk von über hundert Historikern in kleinen Gruppen mit diesen komplexen Fragen, die vielen politischen Debatten unserer Zeit zugrunde liegen. Dank ihrer Forschungsergebnisse kamen sie in die Endausscheidung für den Descartes-Preis. Man könnte glauben, am Ziel seiner Wünsche zu sein. Die Neugierde treibt uns voran, hier nun nicht stehen zu bleiben, trotz dieser grundlegenden Arbeit der Abteilung "Europäische Forschung" bei der EU. Wer dennoch bei den Institutionen nach mehr sucht, der sei verwiesen auf die Webseiten zur "Erweiterung" der Europäischen Kommission.
Zeitungen
Für fundierte Informationen zu den großen Themen sind die großen Tageszeitungen immer einen Besuch wert. Zunächst sucht man sicher immer nach den sachlichen Berichten, Nachrichten und weniger nach den etwas "leichtfüßiger", feuilletonistisch geschriebenen Artikeln. Lässt man sich, wie auch die Suchmaschine, leiten von den Stichwörtern, so erkennt man an der Überschrift "Europäische Identität? Oder: Was Irland mit der Türkei verbindet" zunächst nicht, dass es sich hier um eine sehr persönliche Einschätzung eines irischen Schriftstellers handelt. Lesen wird man ihn mit Gewinn. Es geht um Geschichte, irische und türkische, und nebenbei auch um die europäische. Aber eigentlich ging es dem Autor um die Frage, warum die Türkei nicht in die EU dürfen sollte. Seine Erkenntnis ist mehr als lesenswert.
Große Namen
Viele Spezialisten in Sachen Europa, Politiker, Juristen, Historiker, Philosophen und dergleichen mehr kümmern sich um dieses Thema. Manchmal kennt man die Namen vielleicht nicht, aber wenn dieses oder jenes Institut eingeladen hat, dann müssen es Menschen von Bedeutung sein. Der Philosoph Vilém Flusser hat ebenfalls das Thema EU-Beitritt der Türkei aufgegriffen und hat sich der kulturellen Differenzen zwischen Europa und der Türkei angenommen. Über eine besonders gute Grundlage zum Begriff Europa. Identität darf man sich am Ende der Zusammenfassung eines Vortrags freuen. Und über einen nunmehr anderen Blick auf die Frage, ob die Türkei die kulturelle Identität Europas zerstört.
Juristen und mehr
Natürlich hat auch die europäische Identität die Juristen beschäftigt. Kommen sie daher in Gestalt von Jutta Limbach, dann vereinigt sich hier hohe juristische Kompetenz mit dem kulturellen Blick. Da kann ihr Thema "Europäische Verfassung" eigentlich nur schlauer machen. Letztlich dürfen auch die Politiker nicht vergessen werden, auch sie sind hier im Internet vertreten. In zahlreichen Interviews, Tagungsbeiträgen und Zeitungsberichten kann man ihre Stellungnahmen nachlesen. Bei der Vielfalt an Stimmen, die im Alltag untergehen und mangels Gelegenheiten und Zeit sicher nicht nur an der Autorin vorbeigehen, dürfen sie aber auch einmal an die Seite gedrängt werden von diesen etwas weniger lauten Stimmen.
Antwort
Am Ende der langen Recherche hat die Autorin viel erfahren. Wirklich gelernt hat sie dabei auch, nämlich über das Ausmaß und die Missverständnisse bezüglich des nachgefragten Begriffs. Und genauso verschwommen wie der Begriff "Europa" für viele Menschen ist, genauso vielfältig sind die Kulturen Europas. Eine Begrenzung hat in der Vergangenheit immer nur zu Unheil und Chaos geführt. Im Dialog zwischen den Kulturen liegt der Erfolg Europas. In Bezug auf die Identität kann dann mit Vilém Flusser geantwortet werden: ja zu einer europäische Identität, gespeist aber aus dem Dialog der vielen Identitäten - und Kulturen.
Links
Zur Europäischen Union und der Europäischen Kommission:
http://europa.eu.int/comm/research/news-centre/de/soc/01-03-soc02.html
http://europa.eu.int/comm/enlargement/index_de.html
Europäische Identität? Oder was Irland mit der Türkei verbindet. Der Schriftsteller Colm Tóibin (Irland) in der Neuen Zürcher Zeitung:
www.nzz.ch/dossiers/2002/osterweiterung/2003.04.14-fe-article8NTZP.html
Der Philosoph Vilém Flusser
www.inst.at/kulturen/2003/01methoden/sektion_froehlich_giannakopoulos.htm
Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und heute Präsidentin des Goethe-Instituts - "Kulturelle Rechte und Freiheiten" :
www.kulturrat.de/aktion/limbach.htm
Ein interessantes Forum auf den Seiten der Zentrale für Unterrichtsmedien:
www.zum.de/Foren/ldl/archiv/a8.html
Auch das Auswärtige Amt informiert sehr umfangreich:
www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/jugend/szenario/perspektiven/werte/links_html
www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/jugend/szenario/perspektiven/werte/index_html
Noch ein Blick von jenseits der Grenzen auf das Thema: "Das europäische Bewusstsein: Mythos oder Wirklichkeit?" Ein Interview mit dem französischen Historiker Marc Ferro auf den Internetseiten des französischen Außenministeriums in deutscher Sprache
www.france.diplomatie.fr/label_france/DEUTSCH/DOSSIER/presidence/01.html