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LernCafe 23 vom 15. Februar 2004: "An der schönen blauen Donau. Die Welt der Flüsse."
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.de

ALLES IM FLUSS!
Interview mit Dr. Sylvia Lorenz zu Naturschutz an Flüssen
(Druckversion)


Ralph Schneider
E-Mail: ralschneider@web.de

Einführung
"ALLES IM FLUSS!" hieß eine Kampagne der Naturschutzjugend Deutschlands (NAJU), in der es darum ging, Fließgewässern eine neue Chance zu geben. Drei Jahre lang hat die Biologin Dr. Sylvia Lorenz innerhalb des NABU-Jugendverbands das Projekt als Koordinatorin begleitet. Dabei entwickelte sie in Zusammenarbeit mit den Jugendlichen zahlreiche praktische Ideen, wie Flüssen und Bächen etwas von ihrer Ursprünglichkeit zurückgegeben werden kann. Sie stand nun dem Lerncafé dankenswerterweise Rede und Antwort über ihre Erfahrungen und was ihrer Einschätzung nach gerade dringlich zu tun ist.

Warum ist es am Rhein so schön?
Frau Lorenz, Sie leben in der Nähe von Koblenz und haben damit diesen Strom täglich vor Augen. Ist es dort noch so schön, wie oft besungen? Wie steht es gerade um unsere Flüsse?

Auf den ersten Blick geht es unseren Flüssen gut, die Ausflugsdampfer sind voll besetzt, die Anziehungskraft ist ungebrochen. Auf den zweiten, geschulten Blick aber, steht es nicht so gut um sie. Die Belastung mit Schadstoffen ist zwar in den letzten 20 Jahren deutlich zurückgegangen. Das liegt an Kläranlagen und an den Auflagen an die Industrie. Aber es gibt sehr viele Probleme hinsichtlich der Struktur der Gewässer. Stichworte dazu sind Uferbefestigung, Durchgängigkeit und Hochwasserschutz.

Gewässerstruktur-probleme
Was hat es also mit der Gewässerstruktur auf sich?

Ufer sind zum Schutz vor Erosion und Wellenschlag oft verbaut und mit Steinen zugeschüttet. Dadurch gibt es die natürlichen schlammigen, kiesigen oder sandigen Flachwasserzonen nicht mehr, die einen wichtigen Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten bieten. Ein weiterer Punkt: Fische und kleinere Tierarten können durch Schiffsschleusen und Stauwerke zur Elektrizitätsgewinnung zwischen Mündung und Quelle nicht mehr durchgängig wandern. Fischtreppen gibt es lange nicht genug, zudem sind sie oft noch in der Erprobungsphase. Schließlich werden Uferrandzonen und Auwaldreste trockengelegt und verbaut. Auen als natürliche Überflutungsflächen entlang von Flüssen gehen dabei verloren. Dabei könnten gerade sie, die wie ein Schwamm wirken, Hochwasserspitzen senken. Mit den Auen verschwindet auch der artenreichste Lebensraum in Mitteleuropa.

Kampagnenziele
Welche Ideen wurden mit der von Ihnen koordinierten Kampagne verfolgt und wie sah der Alltag aus?

Das Wichtigste war, Faszination für unsere Bäche und Flüsse bei den Jugendlichen zu entwickeln. Denn nur dann kann auch ein Problembewusstsein entstehen. "ALLES IM FLUSS!" wurde durch konkrete Ziele lebendig. Mit Hilfe der NAJU-Ortsgruppen sollten innerhalb von drei Jahren 100 km Flüsse und Bäche entmüllt, 50 km bepflanzt und zehn Abschnitte renaturiert werden. Zur Unterstützung gab es ein Kampagnenteam mit Jugendlichen aus ganz Deutschland. Außerdem erarbeiteten wir Broschüren. Fachlich fundiertes Wissen wurde auch auf einer Flusskonferenz weitergegeben. Landesverbände und Gruppen habe ich aber auch direkt beraten.

Highlights
Wie war die Resonanz und welches ist für Sie das bemerkenswerteste Ergebnis?

Was mich sehr bewegt hat, war die Leidenschaft mit der Kinder und Jugendliche Flüsse von Müll befreit haben. Es wird ja immer behauptet, dass sich diese Altersgruppe nicht engagiert. Es ist aber das Gegenteil der Fall, wenn sie begeistert sind und eine sinnvolle Aufgabe haben. Ein Erfolg war auch ein Wassermühlenkonzert. Die Idee dahinter war, Naturschutz und Kultur miteinander zu verbinden. Musikalische Gruppen einer Westerwaldgemeinde traten im Ambiente einer Wassermühle auf. Es kamen unerwartet viele Leute, dadurch war nicht nur der Kuchen früher als gedacht weggegessen, sondern auch die Aktionen am Fluss und unsere Ausstellung wurden sehr gut besucht.

Aktuelles
Die Kampagne der NAJU ist seit etwas mehr als einem Jahr vorbei. Wer kümmert sich aktuell um die Flüsse?

Auf europäischer Ebene gibt es die EG-Wasserrahmenrichtlinie. Nach dieser müssen bis 2015 alle Gewässer in einem guten Zustand sein. Alle EU-Mitgliedsländer sind verpflichtet, den Maßnahmenplan in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinien sind sehr interpretationsbedürftig, sodass Behörden und Naturschutzverbände oft unterschiedliche Ansichten darüber haben, was nun ein guter ökologischer Zustand ist. In Deutschland gibt es unterschiedliche Schwerpunkte in den Aktivitäten: der BUND engagiert sich an der Elbe, der WWF betreibt ein Auen-Institut und arbeitet zudem für den Schutz der Donau. Der NABU ist am Rhein aktiv.

Eigenes Engagement
Welche Tipps können Sie unseren Leserinnen und Lesern geben: Was kann man ganz persönlich für den Schutz der Flüsse tun?

Als Erstes empfehle ich raus zu gehen, sich in einer natürlichen Flusslandschaft umzuschauen, sich von der Vielfalt der Pflanzen und Tiere faszinieren zu lassen. Mit diesem Blick für die Natur kann man an kleineren Flüssen und Bächen bei örtlichen Naturschutzvereinen nachfragen, ob es zum Beispiel Pflegemaßnahmen gibt. Wenn Flussläufe verändert werden sollen, kann man sich über Planungsprozesse informieren und sich zu Wort melden. Sinnvoll wäre auch die Gründung von Kinder- und Jugendgruppen, denn oft mangelt es gar nicht an Kindern, sondern an Betreuern. Und wer etwas für die großen Flüsse, die Bundeswasserstraßen, tun will, unterstützt am besten die großen Naturschutzverbände durch eine Mitgliedschaft.

Verweise und ein Literaturtipp
Die Webseiten der "ALLES IM FLUSS!"-Kampagne der NAJU sind noch verfügbar:
www.alles-im-fluss.de

Der NABU bietet darüber hinaus folgende Übersicht zum Themengebiet "Lebendige Flüsse":
www.nabu.de/m06/m06_03/#

Informationen zur EG-Wasserrahmenrichtlinie, allerdings auf Englisch, gibt es hier:
www.europa.eu.int/comm/environment/water

Position des BUND zur Elbe:
www.bund.net/lab/reddot2/naturschutz_2981.htm

Und der Verweis zum Elbeprojekt:
www.elbeinsel.de

Das Auen-Institut des WWF in Rastatt:
www.wwf.de/netzwerk/wwf-deutschland/fachbereiche/fluesse+auen

Und WWF-Hinweise zu Flüssen und Auen:
www.wwf.de/naturschutz/lebensraeume/fluesse-auen

Literaturtipp zum Thema:
Hutter, Claus-Peter [Hrsg.]. Quellen, Bäche, Flüsse und andere Fließgewässer: Biotope erkennen, bestimmen, schützen. Stuttgart [u.a.]: Weitbrecht, 1996


[Bildnachweis: Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Sylvia Lorenz, der Screenshot mit Genehmigung der NAJU.]