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LernCafe 25 vom 15. Juni 2004: "Der ältere Mensch als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Virtuelles Interview mit Prof. Pitschas
Teil 1
(Druckversion)


Prof. Pitschas
Im Jahr 2001 führte die Landesseniorenvertretung NRW in Lünen eine Fachtagung zum Thema "Politische Beteiligungsmöglichkeiten für ältere Menschen" durch. Dabei hielt Prof. Dr. Rainer Pitschas von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer einen Fachvortrag. Dort stellte er den bislang geringen Stellenwert des Alters in der Gesellschaft dar. Daran anknüpfend führte die Projektgruppe für dieses Lerncafé im Dezember 2003 ein virtuelles Interview mit dem Wissenschaftler. In Speyer hat der 1944 Geborene den Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft, Internationale Beziehungen und Öffentliches Recht inne. Einer seiner Schwerpunkte ist Sozialpolitik und die Partizipation von älteren Menschen im gesellschaftlichen Kontext.

Bis zum Jahr 2050
Herr Professor Pitschas, nie zuvor hat es in Deutschland einen so großen Anteil älterer Menschen gegeben wie heute und nur höchst ungenügend wird darüber nachgedacht, dass sich die Struktur der deutschen Bevölkerung in Zukunft noch schneller wandeln wird. Wie wird sich die Entwicklung in 2050 darstellen?

In 50 Jahren dürfte jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. Waren 1950 in Deutschland noch doppelt so viele Menschen unter 20 Jahre wie über 59 Jahre alt, wird es im Jahr 2050 mehr als doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen geben. Zudem steigt die Zahl der über 80-jährigen Bürger rasant an: Gehören heute noch 4 % der Bevölkerung zu diesen Hochbetagten, werden es in 50 Jahren schon bis zu 12 % sein. Auf ähnliche Entwicklungen treffen wir übrigens bei den Nachbarn Deutschlands und in zahlreichen weiteren Staaten des Kontinents. Schon heute ist Europa in weltweiter Sicht der "älteste" Kontinent.

Partizipation?
Die Folgen dieser Entwicklung sind brisant. Die auf diese Weise "heranalternde" Gesellschaft bewirkt einen heute nur wenig zur Kenntnis genommenen Strukturwandel des individuellen und gesamtgesellschaftlichen Lebens. Was bedeutet das für den Einzelnen?

Für den Einzelnen offenbart sich immer stärker, dass in keiner Phase des Lebens die Unterschiede zwischen den Menschen so groß sind wie im Alter. Dabei tritt immer stärker der Wunsch hervor, der Selbstverwirklichung im Alter durch aktiv-politische Beteiligungsformen an gesellschaftlichen Vorgängen Raum zu geben. Die Lebenslage "Alter" entwickelt einen eigenständigen Repräsentationsbedarf bzw. -charakter in der Aktivgesellschaft. Das politische Engagement wird für viele Ältere - allerdings nicht für alle - zur notwendigen Voraussetzung, die eigene Selbständigkeit "zu leben".

Auf kleinem Feuer
In diesem Sinne hat das Streben nach einer seniorenpolitischen Aktivbürgerschaft u. a. durch Seniorenvertretungen in den letzten Jahren wieder zunehmende Bedeutung gewonnen. Halten Sie die Repräsentation "der Alten" im politischen Umfeld für genügend, oder wie bewerten Sie dies?

Seit Beginn der 70er-Jahre tritt der ältere Mensch in der Bundesrepublik Deutschland auch als politischer Aktivbürger in den Blick der Öffentlichkeit. Von diesem Zeitpunkt an wurden nämlich auf kommunaler Ebene die ersten Seniorenbeiräte gegründet. Heute bestehen in weit über 700 Kommunen Seniorenbeiräte oder -vertretungen. Darüber hinaus gibt es in nahezu allen Bundesländern Landesseniorenvertretungen bzw. Landesseniorenbeiräte oder auch Arbeitsgemeinschaften von Seniorenvertretungen. Als überwölbendes Dach fungiert die "Bundesseniorenvertretung e. V.". Es scheint so, als hätten sich auf diese Weise tragfähige Institutionen eines auch politischen Dialogs über Lebenslage und Partizipation Älterer an Entscheidungen in Politik und Verwaltung entwickelt. Doch der Eindruck täuscht womöglich. Die damit verbundenen Entwicklungsfragen sind in den letzten Jahren eher auf kleinem Feuer "gekocht" worden.

Nur ein Anteil?
Haben wir Sie richtig verstanden, es fehlt Ihrer Meinung nach zumindest an einem tragfähigen Konzept für die Entwicklung einer "Altersrepräsentation" in Deutschland?

Zwar wird von den politischen Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden sowie von Seiten der öffentlichen Verwaltung häufig die gewichtige Frage nach der eigentlichen Legitimation einer Beteiligung von SeniorInnen an kommunalpolitischen bzw. Verwaltungsentscheidungen aufgeworfen. Die Antwort darauf gipfelt aber regelmäßig in dem Hinweis darauf, dass ältere Bürger stets nur einen Anteil der gesamten Bürgerschaft in einer Kommune oder in einem Bundesland darstellten und ihnen deshalb keine besondere Entscheidungsbefugnis zukäme. Hinzu tritt häufig der Vorwurf einer "Selbsterzeugung" der Altenpolitik.

Verunsicherung
Diese politische Zurückhaltung, um nicht zu sagen Distanz der Kommunalpolitik gegenüber der politischen Aktivbürgerschaft von SeniorInnen führt, wie eine Generationsstudie des baden-württembergischen Sozialministeriums zeigt, zu einer Verunsicherung der 40- bis 50-Jährigen in Bezug auf die eigene Altersperspektive. Wie wirkt sich dies auf das künftige Generationenverhältnis aus?

Daran ändert auf Bundesebene auch der mühsame Versuch nichts, Belange Älterer im Rahmen der Rentenreform zu berücksichtigen. Der Bevölkerung ist klar, dass "keine Rentnerregelung der Welt" (K. Hummel) die soziale Teilhabe der älteren Generation erfolgreich sicherstellen kann - die politische schon überhaupt nicht.Es ist daher kein Wunder, dass sich an die Entwicklung des Phänomens eines Bürgerschaftlichen Engagements zahlreiche Hoffnungen der Älteren anknüpfen, im Rahmen dieser neuen Entwicklungslinie unserer Bürgergesellschaft zu einer Altersrepräsentation und darüber hinaus zu einer Seniorenpartizipation zu kommen.

Wer ist alt?
Können Sie das näher erläutern?
Ja, es müssen zwei Vorfragen geklärt werden. Zum einen ist herauszufinden, wer denn überhaupt zum Personenkreis der SeniorInnen zählt. Wer ist alt? Denn davon hängt die Legitimation der handelnden Personen, die im weitesten Sinne politische Basis der sozialen und kulturellen Verantwortung sowie des privaten Handelns für das Gemeinwohl ab. Erfahrungsgemäß ergibt sich eine Veränderung insoweit vor allem nach Ende des beruflichen Lebensweges. Dieser Umstand setzt jedenfalls ein bedeutsames Merkmal für die allgemeiner zu fassende Altersgrenze. Insofern amtliche Statistiken belegen, dass die Erwerbstätigkeit nach dem 57. Lebensjahr deutlich absinkt, könnte auf diesen Zeitpunkt bzw. auf die Mitte des 50. Lebensjahrzehnts der Beginn der dritten Lebensphase nach Kindheit und Jugend sowie Berufsleben festgesetzt werden. ...

Unterschiede
... Schon dieser etwas gequälte Versuch, den Begriff des älteren Menschen, des Alten, des Seniors bzw. der Seniorin auf ein bestimmtes Lebensalter festlegen zu wollen, macht freilich auch deutlich, wie schwer es fällt, eine seniorenzentrierte Politik auf staatlicher und kommunaler Ebene zu initiieren, die dem Gedanken politischer Repräsentation von spezifischen Altersinteressen und -bedürfnissen in Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit den notwendigen Raum gibt. Zwischen den Wünschen eines 60-jährigen Bürgers und eines 80-jährigen Seniors bestehen wohl doch Welten. ...

Staat oder Bürger
... Zweitens aber ist zwischen der politischen Teilhabe in der Altersphase an der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung durch den Staat und dem zivilgesellschaftlichen Engagement zu unterscheiden. Gleichwohl könnte es sein, so vermute ich, dass aus den realen Gestaltungsbeiträgen Älterer im gesellschaftlichen Raum zugleich neue Formen der politischen Repräsentation auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene erfließen sollten. Dem altersbezogenen Bürgerlichen Engagement in lokalen und übergemeindlichen Angelegenheiten im Sinne einer Seniorenarbeit als "Freiwilligenarbeit" erfließen dann Ansprüche auf Mit-Prägung der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik aus dem Blickwinkel einer seniorenpolitischen Aktivbürgerschaft.

[Lesen Sie bitte weiter im Teil II des Interviews.]