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LernCafe 25 vom 15. Juni 2004: "Der ältere Mensch als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Was ist Macht?

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Ralph Schneider
E-Mail: Ralph.Schneider@zawiw.uni-ulm.de

Schlagzeilen
"Die deutsche Wirtschaft kämpft weiterhin mit aller Macht gegen die angekündigte Ausbildungsplatzabgabe." (Spiegel online, 05.06.04) Schlagzeilen wie diese künden immer wieder von Macht. Sprichworte und Slogans ebenfalls. Bekannt sind "Wissen ist Macht" und "Keine Macht den Drogen". Otto von Bismarck soll gesagt haben "Macht geht vor Recht". Und manchmal ist ironisch zu hören "Alle Macht geht vom Volke aus - aber kehrt nie wieder zurück." Diese Beispiele zeigen, dass Macht in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht. Was hat es nun also mit diesem Begriff auf sich? Und wie kann der und díe Einzelne Macht ausüben?

Begriff der Macht
Nach dem Duden-Herkunftswörterbuch leitet sich der Begriff der Macht ursprünglich von "können, vermögen" ab. Macht ist aber mehr als die Bezeichnung, zu etwas in der Lage zu sein. Der Soziologe Max Weber (1864 - 1920) hat Macht folgendermaßen beschrieben: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." Macht ist ein soziales Phänomen. Sie spielt im Zusammenleben von Menschen eine Rolle, und die Frage dabei ist, wie die Menschen mit ihr umgehen. Eine Sonderform ist der Herrschaftsbegriff. Er beinhaltet auch die Anerkennung von Macht durch die Beherrschten.

Aspekte
Macht ist nicht nur von Weber und weiteren Soziologen betrachtet worden. Auch in der Philosophie spielt sie eine Rolle. Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) versteht darunter beispielsweise die Verwandlung zum freien Geist (und nicht etwa das, was die Nazis aus seinem Werk machten). Aus der tiefenpsychologischen Sicht Alfred Adlers (1870 - 1937) ist Macht im Zusammenhang mit der sozialen Gemeinschaft das zentrale Motiv menschlichen Handelns. Hilflosigkeit und Minderwertigkeitsgefühle sollen damit überwunden werden. Auch in diesen Richtungen deutet sich an, dass der Umgang mit Macht die Ausgestaltung des Lebens bestimmt. In einer demokratischen Gesellschaft hat jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht dazu, wenn nicht sogar die Pflicht. Auch die älteren Menschen!

Machtausübung
Die Europa-, die thüringische Landtags- und einige Kommunalwahlen vor wenigen Tagen sind Beispiele für Machtausübung in der Demokratie: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen [...] ausgeübt." (Art. 20.2 GG). Hier wird Zukunft geformt: Es besteht die Möglichkeit, die VertreterInnen eigener Interessen zu bestimmen. Viele Menschen zweifeln inzwischen auch an dieser Form. Sie finden nicht (mehr) "ihre" Partei, wünschen sich andere Möglichkeiten der Mitbestimmung oder sie bezweifeln, dass sie mitbestimmen könnten. Das Schlagwort der Politikverdrossenheit macht da die Runde. Wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung aber berichtet, sind mehr Menschen in Deutschland an Politik interessiert als in den 90er-Jahren. Und auch mehr glauben, Einfluss nehmen zu können.

Aufmerksamkeit
Macht zeigt sich in Ordnungen und Gesetzen, aber auch in Traditionen. Auch Charisma ist eine Möglichkeit, Macht auszuüben, ja auszustrahlen. Was bedeutet dies praktisch, wenn mit Machtansprüchen umgegangen werden muss? Aufgrund der sozialen Komponente der Macht ist jede Person Machteinflüssen ausgesetzt. Und wenn nicht anarchische Zustände gewünscht sind, haben sie auch ihren regelnden Sinn. Eigene Interessen können dabei aber eingeschränkt werden, wer nimmt schon Rücksicht darauf? Von daher ist es geboten, aufmerksam Mächtige und Machtstrukturen zu beobachten, zugleich aber auch eigene Ansprüche. Und werden dabei Widersprüche gefunden, dann steht der Mensch vor der Entscheidung, sich vereinnahmen zu lassen oder für sich aktiv zu sein, Verantwortung zu übernehmen.

Sich organisieren
Eigene, einzelne Interessen durchzusetzen kostet unter Umständen sehr viel Energie. Was kann getan werden, um den Einsatz zu minimieren? Der Soziologe Heinrich Popitz (1925 - 2002) antwortet auf die Frage, wie Macht auch aus kleinen Gruppen heraus gewonnen werden kann, mit der These "Die Privilegierten haben die größere Chance, sich schnell und wirkungsvoll zu organisieren. Ihr gemeinsames Interesse ist nicht notwendig intensiver, aber organisationsfähiger." Sich Überlegenheiten und Interessen bewusst werden und dann zusammenfinden, Verbündete suchen, nach der Macht greifen und sich gegenseitig darin zu unterstützen: Beispiele dafür sind oder bezüglich der älteren Generation die BAGSO als deren Interessenvertretung.

Verbrauchermacht
In den letzten Jahren hat sich auch noch eine andere Macht gezeigt, die der Verbraucher. Erinnern wir uns nur daran, als der erste Fall von Rinderwahnsinn auch in Deutschland nachgewiesen wurde. Nach entsprechenden Medienberichten entschieden Tausende von Menschen gleichzeitig, kein Rindfleisch mehr zu kaufen. Der Markt dafür brach nahezu vollständig ein. Auch die Vielzahl der Individuen stellt also einen nicht zu unterschätzenden Machtfaktor dar. Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch der Hinweis, wie groß wiederum die Macht der Medien ist, wie schnell Ängste zu Handlungen führen können.

Überlegenheit
Die bereits erwähnte "Überlegenheit" ist ein Machtfaktor. In DIE ZEIT 24/2004 nennt Bernd Ulrich angesichts der hohen Ölpreise und der Furcht vor islamistischem Terror den Westen einen "Junkie, [der,] vor Angst schwitzend, dem Dealer [= die Öl exportierenden Staaten] droht", statt Sicherheits-, Energie- und Umweltpolitik als Einheit zu denken. Das Beispiel zeigt verschiedene mögliche Überlegenheiten: Eigentum an Rohstoffen, von denen andere abhängig sind, bedeutet Macht. Aber auch Wissen, weiß man es denn einzusetzen. Große Politik lässt sich auch oft auf kleine übertragen. Um geistige Überlegenheit zu fördern, ist das "Lebenslange Lernen" eine gute Voraussetzung: Wer sich Gehör verschaffen will, muss auch was zu sagen haben und Zusammenhänge kennen.

Mensch sein
Macht wird oft mit Herrschaft und Konfrontation in Verbindung gebracht: Hinter dem Durchsetzungsvermögen von Interessen steht oft ausschließlich Macht. Das sind harte Worte. Zum Abschluss dieses Beitrags will ich daher noch einen Kontrapunkt setzen, den einer charmanten Art der Macht. In dieser Betrachtungsweise geht es nicht darum, spezifische Interessen in den Mittelpunkt zu setzen, sondern den Mensch an sich. Eine Idee dazu kommt aus der humanistischen Psychologie. Mächtig könnte genannt werden, wer es versteht, nicht nur sich selbst zu (er-)kennen, sondern auch für das Gegenüber entsprechendes Verständnis zu entwickeln. In der Kommunikation miteinander wird Wertschätzung zum Ausdruck gebracht.

Links und Quellen
"Der Club der toten Soziologen" ist ein Webangebot über berühmte VertreterInnen dieses Zweigs der Wissenschaften und ihrer Theorien:
www.club-der-toten-soziologen.de

Der freie Journalist Dr. phil. Thomas Lemke (Politik- und Rechtswissenschaftler sowie Soziologe) veröffentlicht im Internet folgenden Beitrag über Macht:
www.thomaslemkeweb.de/publikationen/Leviathan%20und%20Legitimation%20II.pdf

Studie der Bertelsmann-Stiftung: "Politische Partizipation in Deutschland":
www.bertelsmann-stiftung.de/de/16412_17731.jsp

"Um Nietzsches Willen" - eine Webseite von 3sat über den Philosophen und den Willen zur Macht:
www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/14001

Ein Beitrag über die humanistische Psychologie:
http://gfk.freepage.de/Texte/hum.html

Ob Macht Spuren hinterlässt, untersuchte die Fotografin Herlinde Koelbl in ihrer Studie "Die Verwandlung des Menschen durch das Amt" anhand Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Einige Fotografien können hier begutachtet werden:
www.dhm.de/ausstellungen/spuren_der_macht/fotos.htm