AusdruckenLernCafe 25 vom 15. Juni 2004: "Der ältere Mensch als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor"
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http://www.lerncafe.deKomplott gegen die Alten
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Renate Wiese
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Komplott gegen die Alten
Die Zeitschrift "Psychologie heute" beinhaltet in ihrer Ausgabe 5/2004 einen Beitrag der 1942 geborenen Soziologin und Publizistin Gunhild Gutschmidt: Dank guter Ernährung, moderner Medizin und Frieden steigt die Lebenserwartung von Jahr zu Jahr, eine erfreuliche Entwicklung, sollte man meinen. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein, die Information kommt daher, wie eine bevorstehende Naturkatastrophe. Begriffe wie "Generationengerechtigkeit", "gerechte Verteilung", scheinbar sinnvoll, werden populistisch benutzt, "um über die wachsende soziale Ungleichheit innerhalb jeder einzelnen Altersgruppe schweigen zu können", so der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge.
Generationenvertrag
Der Generationenvertrag ist nicht auf "viele Kinder - wenig Alte" angelegt, sondern darauf, dass diese Kinder als Erwachsene bezahlte, versicherungspflichtige Arbeit haben. Und dies ist seit Jahren nicht mehr der Fall. Vorschläge, das Rentenalter auf 67 Jahre zu erhöhen (Rürup) oder gar auf 70 Jahre (Rentenzugangsalter zurzeit 60,5 Jahre) würde einen erbitterten Streit zwischen Jung und Alt um die raren Arbeitsplätze bringen, also ein Trick zur Rentenkürzung. Der Popanz "demografischer Wandel" dient dazu, den Blick von den wahren Ursachen abzulenken, Demografie kommt als Freibrief gelegen, die Kosten dem letzten Glied in der Kette anzulasten - den Rentnerinnen und Rentnern.
Wohlstand - Armut
Angelika Koch und Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg kommen bei einem Einkommensvergleich der Arbeitnehmer und Rentnerhaushalte zu dem Ergebnis, dass Rentnerhaushalte über nur etwa 84 % des Einkommens von jüngeren Haushalten mit vergleichbarer Personenzahl verfügen können. Anfang letzten Jahres meldete das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) einen neuen Rekord: Insgesamt verfügen 13- bis 17-Jährige heute über eine jährliche Kaufkraft von 7,5 Milliarden Euro, das entspricht etwa 1440 Milliarden Euro pro Kopf und Jahr. Der durchschnittliche Teenager hat 1500 Euro auf Spar- und Girokonten gespart. Noch nie hatte eine junge Generation so viel Geld zur Verfügung wie die heutige. Innerhalb der Jungen gibt es mithin größere soziale Unterschiede als zwischen Jung und Alt.
Ein Zusammenhang?
Das hohe Sozialhilferisiko von Kindern hat nichts mit den gesicherten Altersrenten zu tun. Die Sozialhilfebedürftigkeit von Kindern ist Teil eines familienpolitischen Konzepts. Die Familienpolitik geht vom "Versorgermodell" aus: Der Mann ist Hauptverdiener, sie die Hausfrau, vielleicht noch Zuverdienerin. Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung in der Kranken- und Rentenversicherung, dies soll dem "Ernährer" die Versorgung der Familie erleichtern. Es bestärkt das traditionelle Rollenverständnis. Aus der 3-jährigen Elternzeit dem darauf folgenden Karriereknick und den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten resultiert oft Teilzeitarbeit oder Minijob. Bei Trennung und Scheidung für Frauen und Kinder ein sicherer Weg in die Verarmung. Durch die zunehmende Zahl an Scheidungen und nichtehelichen Geburten sind ein 1/3 aller Sozialhilfebezieher nun Kinder und Jugendliche - fast ausnahmslos von alleinerziehenden Frauen.
Klischee
Ein Klischee besagt, der Mensch werde mit zunehmendem Alter zu teuer für das Sozialsystem. Beängstigend, nicht nur Jungpolitiker profilieren sich damit, auch der kath. Theologieprof. Wiemeyer und der Sozialpolitikprof. Breyer haben sich in Report Mainz so geäußert. Die Verfechter sind ja von ihren eigenen Ideen nicht betroffen. Zu anderen Ergebnissen kommen die Schweizer Versicherungsmathematiker Beck und Käser-Meier in einer Analyse von rund 15000 Todesfällen. Nicht bei Hochbetagten, sondern bei Schwerkranken im mittleren Erwachsenenalter fallen besonders hohe Kosten an (Managed Care, 2/2003). Auch bei einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock kommt H. Brockmann bei einer Analyse von mehr als 430 000 Krankenhausakten zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Botschaft von den teuren Alten als Schuldige für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist einfacher als sich mit der Pharmaindustrie anzulegen.
Transfer / Frauen
Verschwiegen werden die immensen materiellen Transferleistungen der älteren an die jüngere Generation (im Jahr 1996 (ohne Erbe) 17,2 Milliarden Euro an Kinder und Enkel).
Ehrenamt, Pflege und Kinderbetreuung: 60- bis 85-Jährige arbeiten rund 3,5 Milliarden Stunden. Bei einem Stundenlohn von 11.80 Euro wären dies 41,3 Milliarden Euro im Jahr, es entspricht 21% der im Jahr 1996 geleisteten Zahlungen der gesetzlichen Altersvorsorge. (Studie der freien Universität Berlin)
Die Debatte hat vor allem Frauen im Visier, die zuwenige Kinder gebären und länger leben. Auch Engpässe bei den Pflegeleistungen treffen am ehesten Frauen. Sie sind meist jünger und pflegen ihre Männer, brauchen sie im hohen Alter Pflege, sind sie auf öffentliche Hilfen angewiesen.
Link und Literatur
Der Link zur Zeitschrift "Psycvhologie heute":
www.beltz.de/html/frm_psyheu.htm
Literatur zum Thema:
Christoph Butterwegge: Generationengerechtigkeit und demografischer Wandel. In: Universitas, 11/2003
Max-Planck-Institut für demografische Forschung: Demografie: Hohes Alter - sinkende Gesundheitskosten. In: Max-Planck-Forschung, 1/2003
Angelika Koch, Gerhard Bäcker: Die Jungen als Verlierer? Alterssicherung und Generationengerechtigkeit in Zeiten des demografischen und wirtschaftlichen Wandels. In: WSI-Mitteilungen, 2/2003
Martin Kohli: Generationen und Lebenslauf. Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf /FALL). Forschungsbericht 73 der Freien Universität Berlin, Berlin 2003