AusdruckenLernCafe 25 vom 15. Juni 2004: "Der ältere Mensch als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deVirtuelles Interview mit Prof. Pitschas
Teil 2
(Druckversion)
Nutzen
Das vorerwähnte Bürgerschaftliche Engagement bedeutet, wie es weithin verstanden wird, selbstbestimmtes und freiwilliges, dabei auf Gegenseitigkeit ausgerichtetes Handeln der Bürger in einem vorgegebenen sozialen Raum. Das Handeln wird mit der Überzeugung erbracht, zugleich etwas Nützliches für das Gemeinwohl und für sich selbst zu tun. Ist das richtig so?
Ja, in diesem Verständnis geht das Bürgerschaftliche Engagement über einen Beitrag zur direkten Demokratie etwa in den Kommunen noch hinaus. Es bezieht sich auf den solidarisch dem Gemeinwohl verpflichteten Bürger, der in bestehenden oder neu zu gründenden Gruppeninitiativen oder Vereinen an kommunalen Projekten mitwirkt und dabei ein hohes Maß an Kreativität und Engagement bei gleichzeitig bewusster Verantwortungsübernahme entfaltet.
Seniorität
Ist die heute zunehmende Betonung des Gedankens eines ausgreifenden Bürgerengagements zunächst eine Reaktion auf vielfältige Defizite kommunaler Politik gegenüber den Leistungserwartungen der Bürger?
In der Tat kann man das Bürgerschaftliche Engagement der Älteren in der Gesellschaft als beispielhaft für die gesamte Bewegung hervorheben. Mag es heute auch in vielen anderen Belangen um dezidiert politische Aktionen im Rahmen von Bürgerinitiativen, politischen Stiftungen, Vereinen oder Parteien gehen, um soziales, humanitäres, kulturelles oder ökologisches Handeln durch Hilfsverbände, Sammlungen und einzelne Gruppierungen, so scheint mir doch, dass vor allem Seniorität ihre spezifische gesellschaftliche Relevanz im Zusammenhang mit der Entstehung und Ausprägung des Bürgerschaftlichen Engagements bewiesen hat.
Möglichkeiten
Knüpft man an die Lernerfahrungen aus der Betätigung des Bürgerschaftlichen Engagements von SeniorInnen an, so ergibt sich eine offenkundige Konsequenz: Anzustreben ist die institutionelle Verdichtung der seniorenpolitischen Aktivbürgerschaft im Kommunalrecht und in der Kommunalpolitik. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?
Auf der einen Seite ließe sich durch den Rat ein Bürgerbeauftragter bestellen. In diesem Sinne kämen auch die Bestellung von Seniorenbeauftragten in Betracht, die den Älteren in der Gemeinde in allen kommunalen Belangen als Ansprechpartner bzw. Vermittler zur Verfügung ständen. Verschiedentlich wird freilich in der Bestellung von Bürgerbeauftragten die Gefahr einer Distanzierung zwischen Gemeinde und Bürgern vermutet. Ich teile diese Ansicht nicht.
Seniorenanwalt
Selbstverständlich soll der Seniorenbeauftragte als Anwalt der älteren Bürger im Umgang mit der Kommunalverwaltung begriffen werden. Aber darin lässt sich nicht die Entwicklung eines strukturellen Gegeneinanders von Gemeinde und SeniorInnen erkennen. Vielmehr erhöht sich der "Wirkbereich" seniorenpolitischer Einflussnahme, wobei sich die Verbindung zu den "Bürgerbüros" im baden-württembergischen Verständnis, aber auch die zu den "Seniorenbüros" herstellen ließe, wie sie die Bundesregierung fördert.
Darüber hinaus steht es selbstverständlich seniorenpolitischen Bürgergremien und-initiativen frei, sich in Belangen der Seniorenpolitik selbständig zu formieren und einer Gemeinde gleichsam anzudienen.
Ausschüsse
Einen höheren Grad institutionalisierter Seniorenbeteiligung verspräche schließlich die Bildung von Seniorenausschüssen in Gemeinden. Eine demgegenüber weniger durchschlagskräftige Form könnte die Einrichtung von Seniorenbeiräten darstellen.Man sieht also, das Spektrum seniorenpolitischer Aktivbürgerschaft zur Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements älterer Gemeindebürger/Innen ist ziemlich groß, obschon derzeit noch wenig institutionalisiert.
Engagement
In der Gesellschaft des langen Lebens offenbart sich ein breites und tiefreichendes Bedürfnis vieler älterer Bürger, selbsttätig politisch zu handeln und ihr im langen Berufsleben erworbenes Sachwissen durch "Freiwilligenarbeit" und ehrenamtliche Tätigkeit in gesellschaftliche Zusammenhänge einzubringen. Auf welchen Feldern sehen Sie entsprechende Bemühungen?
Entsprechende Bemühungen zur Einrichtungen von Seniorenvertretungen als politische Interessenrepräsentanz der älteren Generation sind immer stärker unterwegs. Die präzisen Bedürfnisse bzw. Wünsche Älterer zur Art und Weise der Verwirklichung ihrer Vorstellungen von politischer Aktivbürgerschaft sind dabei auf drei Ebenen anzutreffen, nämlich in Bezug auf die kommunale, Landes- und Bundespolitik, im Hinblick auf die jeweilige Verwaltung und schließlich bzw. vor allem im Bereich des so genannten Bürgerengagements.
Zurückhaltung
Freilich sieht sich diese Entwicklung auf der einen Seite durch die Zurückhaltung oder gar Abwehrhaltung der Politik bedroht. Auf der anderen Seite lässt sich wohl auch ein abnehmendes Engagement ab den mittleren Altersgruppen für die "Freiwilligenarbeit" bzw. für die ehrenamtliche Tätigkeit erkennen. Letzteres mag damit zusammenhängen, dass noch nicht recht deutlich ist, wer zum Kreis der SeniorInnen eigentlich gehört.
Aufwertung
Dessen ungeachtet kommt es heute spürbar zu einer Aufwertung der Seniorenarbeit als "Freiwilligenarbeit" im Rahmen des Bürgerschaftlichen Engagements. Sehen Sie das auch so?
So wie dieses selbst Ausdruck strukturierter Bürgermitverantwortung für die Steuerung der Gesellschaft im "aktivierenden Staat" darstellt, nutzen SeniorInnen die Mitwirkung an gesellschaftlichen Projekten bzw. deren Initiierung, um ihre fortbestehende "Nützlichkeit" für die Gesellschaft, ihre Selbstbestätigung, aber auch ihre politische Subjektstellung zu erhalten bzw. zurückzugewinnen.
Unverzichtbarkeit
Eine letzte Einschätzung! Halten Sie SeniorInnenvertretungen heute und in der Zukunft für unverzichtbar?
Nach alledem was ich heute sehe und worüber wir gerade gesprochen haben, zeigt der Blick auf den Zusammenhang des Bürgerschaftlichen Engagements mit der aktivpolitischen Seniorenrepräsentation, dass Seniorenvertretungen wie andere Formen der Seniorenarbeit im politischen und gesellschaftlichen Raum die örtliche Verankerung der individuellen Existenz verstärken bzw. die politische Subjektstellung der älteren Bürger in der Gesellschaft fördern wollen und können. In diesem Sinne sind Seniorenvertretungen ein unverzichtbarer Bestandteil der Bürgergesellschaft.
Bei alledem heißt es allerdings zu erkennen, dass sich Bürgerschaftliches Engagement von SeniorInnen bzw. aktivpolitische Seniorenrepräsentation weder "per Gesetz" noch durch auferlegten Wertewandel erreichen lässt. Bürgerschaftliches Engagement bedeutet auch in der Altersgesellschaft und in vorangeschrittenem Alter soziales Lernen.
Herr Professor Pitschas, wir danken Ihnen für das interessante "virtuelle Interview".
Link
Prof. Pitschas, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft, Internationale Beziehungen und Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer):
www.hfv-speyer.de/Pitschas/Lehrstuhlinhaber.htm