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LernCafe 25 vom 15. Juni 2004: "Der ältere Mensch als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Zur Statistik
Angaben zu Bevölkerungs-
entwicklung, Wähler und Abgeordnete

(Druckversion)


Clemens Thelen
E-Mail: Clemens.Thelen@t-online.de

Alterspyramide
Die Zahl der älteren Einwohner nimmt in Deutschland stetig zu. Während die durchschnittliche Lebenserwartung Anfang des 20. Jahrhunderts bei etwa 46 Jahren lag, ist heute - 100 Jahre später - die Hälfte unserer Gesellschaft älter als 40.

Altenquotient steigt
Der sogenannte Altenquotient zeigt die zu erwartenden Verschiebungen im Altersaufbau besonders deutlich: Für das derzeitige tatsächliche durchschnittliche Rentenzugangsalter von 60 Jahren lag er 2001 bei 44, d.h. 100 Menschen im Erwerbsalter (von 20 bis 59 Jahren) standen 44 Personen im Rentenalter (ab 60 Jahren) gegenüber. Nach einer Vorausberechnung wird der Altenquotient bis 2050 bis auf 78 steigen. Würden die Menschen nicht mit 60, sondern erst mit 65 Jahren in den Ruhestand wechseln, ergäbe sich ein deutlich niedrigerer Altenquotient: Für 2050 wäre dann ein Quotient von 55 gegenüber 78 bei dem Rentenzugangsalter von 60 Jahren zu erwarten. (Statistisches Bundesamt 2003)

Beschleunigung
Die Alterung der deutschen Gesellschaft wird nicht erst in 50 Jahren zu Problemen führen, sondern bereits in den nächsten beiden Jahrzehnten eine Herausforderung darstellen. Der Altenquotient zeigt eine kritische Beschleunigung der Alterung zwischen 2010 und 2030.
Nicht nur dass der Geburtenrückgang in der Bundesrepublik drastischer ausfiel als in anderen Ländern, vor allem führte er zu Geburtenraten von ca. 1,4 Kinder pro Frau, die weit unter den für die demografische Bestandserhaltung notwendigen statistischen 2,08 Kindern pro Frau liegen. Hinzu kommt die gestiegene Lebenserwartung, die dazu führt, dass die bundesdeutsche Gesellschaft trotz der seit 1972 zu verzeichnenden Sterbeüberschüsse im Durchschnitt immer älter wird. Das Resultat beider Prozesse ist die demografische Alterung.(Die Pyramide steht Kopf, A. Rödder, 2003)

Geburtendefizit
Zu einem langfristigen Bevölkerungsrückgang kom mt es, weil in Deutschland - wie schon seit 30 Jahren - auch in den nächsten fünf Jahrzehnten stets mehr Menschen sterben werden, als Kinder zur Welt kommen. Wegen des anhaltend geringen Geburtenniveaus wird die heutige jährliche Geburtenzahl von ca. 730 000 auf voraussichtlich etwa 560 000 im Jahr 2050 sinken und dann nur noch halb so hoch sein wie die Zahl der jährlich Gestorbenen. Das "Geburtendefizit" wird 2050 etwa 580 000 betragen (2001: 94 000). Kinderlos in die Zukunft?
"Die einzige Zukunftssicherung, die zuverlässig funktioniert, sind Kinder, nichts anderes. Sie erwirtschaften die Sozialversicherungsbeiträge, die Steuern, die Zinsen, den Wohlstand, von dem wir leben, wenn wir alt sind." (Susanne Gaschke am 14. August 2003 in Die Zeit)

Bevölkerungsentwicklung
Für den Zeitraum von 2002 bis 2050 wurden die Ergebnisse der sog. mittleren Variante der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung herangezogen. Dieser Variante liegen folgende Annahmen zugrunde:

1) Die Geburtenhäufigkeit bleibt während des gesamten Zeitraums der Vorausberechnung bei 1,4 Kinder pro Frau.

2) Die Lebenserwartung bei Geburt steigt bis 2050 für Mädchen auf 86,6 Jahre und für Jungen auf 81,1 Jahre; die "fernere" Lebenserwartung beträgt 2050 für 60-jährige Frauen 28 weitere Lebensjahre und für gleichaltrige Männer etwa 24 Lebensjahre.

3) Der Außenwanderungssaldo der ausländischen Bevölkerung beträgt 200.000 jährlich; die Nettozuwanderung der Deutschen geht von etwa 80.000 im Jahr 2002 schrittweise zurück bis zum Nullniveau im Jahr 2040.

Politische Elite
Viele würden behaupten, unsere politische Elite sei überaltert. Doch in deutschen Parlamenten gibt es weit weniger Ältere als in anderen westlichen Demokratien. Prof B. Baltes, Direktor des Max-Plank-Institutes für Bildungsforschung Berlin, macht auf dieses Problem aufmerksam: "...als Psychologe und Alternsforscher begann ich, mir Gedanken über das Alter unserer politischen Führung zu machen. Könnte es sein, dass unsere Politiker zu jung sind - dass sie deshalb die mit dem Älterwerden der Bevölkerung zusammenhängenden Probleme der Zukunft nicht begreifen können? Und das Altern aus diesem Grund nur als ökonomische Belastung, nicht aber auch als Chance für Fortschritt und Innovation betrachten können?" (Die Zeit 27.3.02)

Wähler
Eine Auswertung nach der letzten Bundestagswahl 2002 zeigt u.a. folgendes Bild: Bei der Altersgruppe ab 60-70 ist mit 85,9 % die höchste Wahlbeteiligung zu verzeichnen. Da diese Altersgruppe zudem laut der Repräsentativen Wahlstatistik zur Wahlbeteiligung die zahlenmäßig größte ist, kam der hohen Wahlbeteiligung der Altersgruppe ab 60 (ca. 20 Millionen Wahlberechtigte) eine besondere Bedeutung zu. Bemerkenswert ist, dass die Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen in jedem Bundesland die höchste Wahlbeteiligung aufgewiesen hat. Zu den Statistiken (diese werden beim anklicken als eigene Fenster geöffnet)
1. Wahlberechtigte nach Altersgruppen und Geschlech (Bundestagswahl 2002)
2. Repräsentative Wahlstatistik zur Wahlbeteiligung

Parlamentarier
Die Faktenlage ist klar: unsere Parlamentarier werden jünger. Es gibt eine historische Veränderung in Richtung eines zunehmenden Ausschlusses der Älteren, vor allem der 60-Jährigen, vom Parlamentsgeschehen. In den ersten vier Wahlperioden nach dem Zweiten Weltkrieg betrug der Anteil von 60-Jährigen und Älteren im Bundestag zwischen 17 und 25 Prozent. Ungefähr seit 1972 hat sich der Anteil dieser Altersgruppe mehr als halbiert: auf etwa 10 Prozent und weniger. Das ist gerade mal ein Drittel des prozentualen Anteils der über 60-Jährigen an der Wahlbevölkerung. Die Diskrepanz zwischen der Größe der Wählergruppe und der Anzahl ihrer Vertreter im Bundestag nimmt sogar noch dramatisch zu, wenn man die Personen ab 70 betrachtet. In der gesamten Bevölkerung sind mehr als 10 Millionen älter als 70. Nur 2 Personen hatten dieses Alter bei ihrer Wahl in den letzten Bundestag. (Prof B. Baltes, a.a.O.) Der Anteil der über 60-jährigen im Parlament spiegelt mit ca. 10 % nicht annähernd ihren Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung mit ca. 31 % wieder.Zu den Statistiken (diese werden beim anklicken als eigene Fenster geöffnet)

1. Alterszusammensetzung Abgeordnete 14. Deutscher Bundestag
2. Altersgliederung des 15. Deutschen Bundestags nach Parteien

Widerspruch
Dieser krasse Rückgang der Älteren im Parlament ist umso überraschender, als zwei Faktoren der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung eigentlich dagegen sprechen sollten: die generelle Zunahme des Bevölkerungsanteils von Älteren aufgrund längerer Lebenserwartungen und geringerer Nachwuchsraten, der zweite Faktor ist die enorme Verbesserung des körperlichen und mentalen Gesundheitsstandes älterer Menschen. Wie wir aus der Forschung wissen, ist ein heutiger 70-Jähriger im Vergleich zu den Alten vor 25 Jahren etwa fünf Jahre "jünger', was sein allgemeines körperliches und mentales Funktionsprofil anbetrifft. Es gibt also nicht nur mehr Alte, sondern auch immer fittere Alte. So schreibt Prof Baltes weiter: "Mir kommt es zunächst einmal auf die schiere Feststellung der Tatsache an, dass, aus welchen Gründen auch immer, im gegenwärtigen deutschen Parlamentsbetrieb der "Jugendwahn" regiert. Er bewirkt, dass man mit 60 in Pension geschoben wird, nach den Regeln des Beamtenstaates und der Wegwerfgesellschaft, die in den Älteren bloß Ausschuss sehen. Dies führt dazu, dass ein wesentlicher Teil der Humankompetenz unserer Gesellschaft im Parlament nicht genutzt werden kann."

Andere Länder
Ein Blick auf andere Länder lehrt, dass es durchaus möglich ist, mehr Ältere in Parlamenten zu berücksichtigen. In den USA sind im 100-köpfigen Senat 52 (also 52 Prozent!) älter als 60. Älter als 70 sind 12 Personen (12 Prozent). Auch im Repräsentantenhaus, das 435 Abgeordnete umfasst, gibt es relativ gesehen deutlich mehr Alte als im Deutschen Bundestag. Insgesamt 138 (32 Prozent) der Mitglieder des US-Repräsentantenhauses sind älter als 60, 29 älter als 70 (7 Prozent). Im Vergleich zu Deutschland sind dies Multiplikationsfaktoren in der Größenordnung von fünf bis zehn - wahrlich keine Kleinigkeit! Anders formuliert: In Deutschland steigen Parlamentarier etwa zehn Jahre früher aus als in Amerika.

Gemeinwohl
Wird die Alterszusammensetzung im Parlament ein Problem für unser Gemeinwohl werden? Wie können wir sicherstellen, dass bei politischen Beratungen und Entscheidungen im Parlament das Lebenswissen aller Altersgruppen und Generationen zum Tragen kommt? Die moderne Gesellschaft ist ein System, das seine Stärke aus seiner kooperativen und alle ihre Gruppen umgreifenden Struktur bezieht. Gerade in einer Zeit, da immer mehr Leute immer älter werden, in der vor allem die jungen Alten, die 60- bis 70-Jährigen, immer leistungsfähiger bleiben, ist es notwendig, die besonderen Fähigkeiten aller Lebensalter und Generationen in das Kalkül effektiver Politikberatungen und Politikentscheidungen einzubringen.