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LernCafe 27 vom 15. November 2004: "Computerwissen - alltagstauglich"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Senior Research Group
Interview mit dem Leiter Kai-Uwe Neth
(Druckversion)


Mechthild Trilling-Piest
E-Mail: m.trilling-piest@web.de

Einführung
Dipl.-Ing. Kai-Uwe Neth, 1965 in Esslingen geboren, arbeitet außer in seiner Tätigkeit als selbstständiger Designer auch als Dozent für Design, Ergonomie und Kreativitätstechniken an der TU Berlin und der Universität der Künste Berlin. 2003 übernahm er nach Abschluss des "SENTHA"Projektes den so genannten Seniorenbeirat und rief die "Senior Research Group" (SRG) ins Leben. Diese besteht neben den wissenschaftlich Betreuenden aus 25 Senioren zwischen 55 und 95 Jahren als Kerngruppe und weiteren ca. 100 erfahrenen Testpersonen der gleichen Altersgruppe.

Gründe
Was sind die Beweggründe der Gruppe solche Tests zu machen, woher kam die Idee für die Gruppengründung?
Die SRG-Gruppe ist eine Eigeninitiative des Seniorenbeirates im Rahmen des 1997-2003 von der DFG geförderten "SENTHA"-Projektes. SENTHA steht für "Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag".
Dieses Forschungsprojekt wurde 2003 beendet und hat zwar interessante, aber sehr theoretische und wissenschaftliche Ergebnisse geliefert. Die ursprünglich vorwiegend als Testpersonen geladenen Senioren haben sich im Verlauf des Projektes als unverzichtbarer Know-How-Träger herausgestellt und daher wurden ausgewählte Personen zum Seniorenbeirat bestellt.
Dieser hatte die Aufgabe, die Ergebnisse auf Eignung für die Zielgruppe 55+ zu verifizieren.

"SRG"-Gründung
Die Seniorenbeirats-Mitglieder waren nun 2003 nicht bereit, mit diesen theoretischen Ergebnissen zu enden. Unter meiner Leitung entstand die "Senior-Research Group". Die SRG hat sich zur Aufgabe gestellt, die im Sentha-Projekt gewonnenen Erkenntnisse zusammen mit der Industrie in konkrete Produkte umzusetzen. Hierzu müssen die Erkenntnisse im Rahmen der Marktwirtschaft transferiert und vor allem auf konkrete Fragestellungen heruntergebrochen werden.

Güter
Um welche Gegenstände handelt es sich vorwiegend und wie werden diese ausgewählt?
Wir beschäftigen uns vorwiegend mit Produkten, die schon heute und vor allem in Zukunft eine hohe Bedeutung im Sinne der Teilnahme am aktiven modernen Leben für die Generation 55+ bedeuten.
Aktuelle Themen sind:
- Mobile Kommunikation: Handys, mobile Dienste.
- Elektronische Speichermedien: MP-3 Player - Wie geht man mit der medienlosen Datenarchivierung um?
- Gesundheit und Fitness: Fahrrad, Hometrainer, Blutdruckmessgeräte.
- Internet: Windows und Browser für "Senioren". Themen wie: Gehhilfen, Treppenlifte, stehen bei uns nicht im Zentrum, denn einerseits sehen wird diese als ausreichend abgedeckt, zum zweiten sprechen Sie nur ca. 10% der Zielgruppe 55+ an.

Anfragen
Werden sie auch von Produktdesignern vor der Entwicklung neuer Produkte oder als Tester angefragt?
Die Probleme der unzureichenden Seniorengerechtigkeit liegen zwar auch im Bereich der Gestaltung, allerdings unterscheidet sich hier das Formempfinden der Generationen weit weniger voneinander als im Volksmund gedacht. Die Probleme liegen gänzlich andersartig. Das Produkt wird von der Zielgruppe 55+ vor allem abgelehnt, weil es nicht auf die Lernförderlichkeit dieser Menschen eingeht. Einstiegshemmschwellen, unübersichtliche Menüstrukturen, Voraussetzung der "Try and Error"-Nutzung, fehlende Funktionshierarchien oder unlogische Bedienelemente, z.B. Wipptasten statt Drehregler für die Lautstärkeeinstellung, sind hierfür Gründe. Natürlich bewerten wir auch Serienprodukte, vor allem aber im Hinblick auf Erkenntnisse für die Produktevolution. Die Eignung eines Handypaketes (Gerät, Vertragsbindung, Zusatzdienste etc.) z.B. auf Kostentransparenz lässt sich nicht an Prototypen testen. Wir sehen uns daher vielmehr als Unternehmensberater denn als Entwickler.

Systematik
Wie gehen Sie an die Gegenstände heran? Systematisch oder eher intuitiv? Das Vorgehen ist in etwa wie folgt: Beispiel Produkttest:
1. Definition der Fragestellung und Zielsetzung des Auftraggebers.
2. Kreativsitzung der Gruppe zur Definition der eigenen Frage- und Zielstellung.
3. Abstimmung der Aufgabenstellung.
4. Ermitteln des Nutzungsprofils der Zielgruppe für das Produkt.
Senioren nutzen z.B. Funktionen eines Handys in anderer Intensität als Jugendliche. Senioren nutzen SMS weitaus häufiger als 30-50Jährige aber seltener als 12-18-Jährige.
5. Festlegen eines gewichteten Testablaufes.
6. Durchführung der Testung je nach Produkt mit Interviews, Think Aloud Technik, Self-Critical Test, Bewertungsbögen, Video-Beobachtung, Empathische Methoden.
7. Dokumentation, Interpretation der Ergebnisse, Daten und der im Test aufgetauchten neuen Problem- und Fragestellungen.
8. Ergebnisbericht.
9. Erstellung eines Pflichtenhefts als Briefing für die Produktweiterentwicklung.

Ergebnisse
Wer interessiert sich für die Ergebnisse und wo kann man sie finden?Es gibt ein überaus großes Interesse jeglicher Mediensparten: Printmedien, Hörfunk, Fernsehen. Seit einigen Monaten haben wir ein inzwischen ansehnliches Portfolio an Industrieprojekten und Partnern. So arbeiten wir derzeit an einer Untersuchung von MP-3 Playern für einen bekannten Hersteller. Parallel arbeiten wir an einer Studie über das Konsumverhalten von Handykäufern der Altersgruppe 55+ für einen der großen Netzbetreiber. Kürzlich haben wir Blutdruckmessgeräte in Bezug auf ergonomische Anforderungen für Oberarm/Unterarm/Fingermessung abgeschlossen. Da auch die SRG wie alle Forschungseinrichtungen nicht mehr von den stark zusammengestrichenen öffentlichen Mitteln existieren kann, sind wir auf das Einwerben von Drittmittelprojekten angewiesen. Die dort erarbeiteten Erkenntnisse sind daher logischerweise nur uns und dem Auftraggeber zugänglich. Allgemeine Analyse- und Forschungsergebnisse finden Sie aber auf unserer Homepage.

Produktgüte
Haben Sie schon einmal daran gedacht, den von Ihnen geprüften Produkten ein Gütesiegel zu verleihen?
Ja, hierzu gibt es Planungen, da aber speziell in unserem Forschungsgebiet (Handys, Softwareprogramme etc.) Produkte stets in Zusammenhang mit Ihrer Infrastruktur (Netzbetreiber, Providerdienste, Vertragsbindungen etc.) gesehen werden müssen, ist es mit einem Aufkleber auf dem Produkt nicht getan.
Gibt es ein besonders wichtiges Kriterium bei der Auswahl für Technik für Ältere zu nennen?
Ja - eine auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmte Lernförderlichkeit.

Kauf-Tipp
Wollen Sie unseren Lesern zum Abschluss noch einen Tipp geben, auf was sie beim Kauf von technischen Geräten achten sollten?
Überlegen Sie sich vor dem Kauf wie Sie das Produkt nutzen wollen. Erklärt sich das Produkt in diesen für Sie selbst wichtigsten Funktionen (Wohlgemerkt: nicht in allen ) von selbst, so sollten Sie zugreifen. Lassen Sie sich im Zweifel diese zwei bis drei für Sie wichtigsten Funktionen vom Verkäufer erklären oder lesen Sie im Laden die entsprechenden Abschnitte der Anleitung durch. Sind Sie auch dann noch unsicher, werden Sie mit dem Gerät nicht glücklich werden, denn es wird Ihnen keine Lust auf das Lernen am Produkt machen. Denn ohne Lerninteresse werden Ihnen alle anspruchsvollen Produkte nicht Problemlösung und Freude, sondern zusätzliche Belastung sein.

Links
Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt:
www.sentha.udk-berlin.de
Senior Research Group (SRG), eine Initiative des Lehrstuhls für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der TU Berlin:
www.srg-berlin.de