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LernCafe 29 vom 15. März 2005: "Brücken bauen, Türen öffnen - Lernen durch interkulturelle Begegnungen"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Altenhilfe für MigrantInnen

(Druckversion)


Ursula Brunstein
E-Mail: Vide-CA@t-online.de

Manfred Hielen
E-Mail: Hielen-ESMZ@web.de

IKoM
Nach einer Hochrechung des Statistischen Bundesamtes wird der Personenkreis von Migranten und Aussiedlern, die das Rentenalter erreichen, bis zum Jahr 2030 auf rund 2,8 Millionen anwachsen. Damit zeichnet sich ein zunehmender Hilfs- und Pflegebedarf dieser Zielgruppe ab, der die transkulturelle Öffnung von Diensten und Einrichtungen der Altenhilfe erforderlich macht. Aufgrund der historisch gewachsenen Trennung zwischen Migrationsarbeit und Altenhilfe gibt es im ersten Bereich kaum Kenntnisse über Angebote der Seniorenarbeit und Altenhilfe, im zweiten Bereich zu wenige Kenntnisse über die kulturspezifischen Anforderungen an eine befriedigende Versorgung alter MigrantInnen.
Um hier Abhilfe zu schaffen, begann AKTIONCOURAGE im August 2002 mit dem Aufbau der IKoM.

Projektangebote
- Literatur- und Mediendatenbank:
bietet Informationen über Veröffentlichungen und graue Literatur zum Thema.
- Kontaktdatenbank:
bietet fortlaufend aktualisierte Informationen über laufende, geplante und bereits abgeschlossene Projekte bzw. Arbeitsschwerpunkte zum Thema "ältere MigrantInnen"
- Unterstützungsangebote:
Expertisen, Beratung, Begleitung bei der Entwicklung und Umsetzung adäquater Angebote für ältere MigrantInnen sowie von kommunalen und überregionalen Zukunftskonzepten
- IKoM-Newsletter:
Die ca. 2monatlich erscheinende Informationsschrift informiert über aktuelle Entwicklungen aus dem Bundesgebiet und behandelt Schwerpunktthemen zum Thema kultursensible Altenhilfe.

Interview
Herr Hielen, der Projektleiter der IKoM, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, einige Fragen zur Situation von MigrantInnen im Rentenalter zu beantworten:
U.Brunstein: Wie groß ist die Gruppe der Migranten im dritten Lebensalter zahlenmäßig?
Herr Hielen: Genaue statistische Angaben liegen nicht vor, da hier die Ausländerstatistik zugrunde gelegt wird. Personen mit Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, sind aus diesem Grunde nicht erfasst.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden lebten Ende 2003 in Deutschland 7.334.765 Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, von denen 757.928 älter als 60 Jahre waren. Hinzugerechnet werden müssten diejenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben, sowie die Gruppe älterer Aussiedler, die auf Bundesebene auf rund 400.000 Personen geschätzt wird.

Situationen
U.B.: Wie beurteilen sie die soziale und finanzielle Situation dieser Gruppe? Herr Hielen: Pauschal gesehen ist die Bevölkerungsgruppe älterer Migranten ärmer als die vergleichbare einheimische Bevölkerungsgruppe. Späterer Einstieg in das Berufsleben und keine kontinuierliche Berufsbiographie haben geringere Rentenzahlungen zur Folge.Die Situation in städtischen Ballungsgebieten (ethnischen Enklaven) hat u. a. zur Folge, dass im Rentenalter die Kontakte zur einheimischen Bevölkerung weniger werden, dass die Sprachkompetenzen in der Zweitsprache Deutsch weiter abnehmen und tradierte Normen und Werte verfestigt werden. Festzuhalten ist aber auch, dass ältere Migranten in den ethnischen Enklaven ein ihnen vertrautes soziokulturelles Umfeld finden, dass ihnen vielfältige Ressourcen bietet.

Probleme
U.B.: Was sind die schwerwiegendsten oder häufigsten Probleme? Herr Hielen: Entstehende Problemlagen im Alter unterscheiden sich, generell betrachtet, kaum von denen der einheimischen Bevölkerung. Ein anderes Gesundheits- und Krankheitsverständnis, mangelndes Wissen über das Älterwerden und Alterserkrankungen, führen jedoch zu starken Verunsicherungen in dieser Lebensphase und verstärken bestehende Zugangsbarrieren.
M.E. sind bestehende Problemlagen eher darin begründet, dass aufgrund einer anderen Sozialisation in der Herkunftskultur und einer anderen religiösen Ausrichtung Bedürfnislagen im Alter entstehen, auf die das deutsche Altenhilfesystem wenig vorbereitet ist.

Erfahrungen
U.B.: Bei meinen bisherigen Recherchen habe ich erfahren, dass Migranten der ersten Einwanderungsgeneration die vorhandenen Angebote für Senioren (Wohlfahrtverbände, Gemeinden) wenig oder gar nicht nutzen. Wo liegen ihrer Meinung nach die Hemmschwellen bei den Migranten?
Herr Hielen: Aus verschiedenen Gründen haben sich Migranten in der Regel nicht damit auseinandergesetzt, in der Bundesrepublik auf Dauer zu verbleiben und älter zu werden. Eine Folge ist, dass die Unterstützungsleistungen des deutschen Altenhilfesystems unbekannt sind. Hinzu kommt, dass die Erfahrungen aus den Herkunftsländern mit Altenhilfeangeboten meist negativ geprägt sind. Diese und die (oft negativen) Erfahrungen mit deutschen Behörden, behindern die Inanspruchnahme vorhandener Angebote. Wichtig ist hierbei zu berücksichtigen, dass es nach wie vor an kulturkompetenten Angeboten seitens der deutschen Altenhilfe fehlt.

Maßnahmen
U.B.: Welche Maßnahmen würden sie empfehlen, um die Situation dieser Gruppe zu verbessern?
Herr Hielen: Eine Verbesserung der Lebenssituation älterer Migranten und Schaffung adäquater Unterstützungsleistungen, kann nur durch die Umsetzung verschiedener Maßnahmen erreicht werden. Hierzu zählen u. a.:
- Vernetzung der Arbeitsbereiche Altenhilfe und Migrationssozialarbeit, Verbesserung interdisziplinärer Arbeiten (Gerontologie, Soziologie, Migrationsforschung etc.),
- Wechsel der Perspektive: Die Ausgangsposition von Umsetzungsstrategien sind nicht vorhandene Defizite bei Migranten, sondern bestehende Defizite bei Institutionen,
- Einbeziehung von Migrantenselbstorganisationen in die Ausgestaltung von Unterstützungsleistungen,
- Umsetzung einer Informationskampagne für ältere Migranten,
- Umsetzung kulturkompetenter zugehender Angebote an der Schnittstelle zwischen Altenhilfe und Migrationssozialarbeit,
- Durchführung kleinräumiger Bedarfs- und Bedürfnisanalysen,
- Transkulturelle Öffnung der Regeldienste und Umsetzung spezifischer ethnisch oder religiös ausgerichteter Angebotsformen,
- Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis auf regionaler Ebene und auf Bundesebene.

Kompetenz
U.B.: Zum Schluss noch eine Frage zum Schwerpunktthema dieser LernCafe-Ausgabe: Herr Hielen, haben Sie den Eindruck, dass mit der Projektarbeit von IKoM ein Mehr an interkultureller Kompetenz gewachsen ist?
Herr Hielen: Interkulturelle Kompetenz als Haltung, lässt sich nur schwer messen. Zudem zielen die Angebote von IKoM darauf, diejenigen zu unterstützen, die sich diesem Arbeitsbereich annehmen. Insgesamt betrachtet haben die IKoM-Arbeiten dazu beigetragen, dass sich mehr Träger und Personen mit dieser Thematik beschäftigen. In dieser Form hat IKoM auch dazu beigetragen, dass die Sensibilität und Interkulturelle Kompetenz bei vielen Kooperationspartnern verbessert wurde.

Kontakt
Informations- und Kontaktstelle Migration (IKoM).
Schwerpunkt: Altenhilfe für MigrantInnnen
Projektbüro Bonn
AKTIONCOURAGE e.V. (Projektträger)
Postfach 2644
53016 Bonn
www.ikom-bund.de
E-Mail: IKoM@aktioncourage.org
Tel.: +49 (0) 228 / 921293-46/58
Fax: +49 (0) 228 / 262978
IKoM-Projektbüro Bonn
AKTIONCOURAGE e.V.
Projektbüro Duisburg
c/o ESMZ
Ehrenstr. 53
47198 Duisburg
E-Mail: Hielen-ESMZ@web.de
E-Mail: Czibi-ESMZ@web.de
Fax: +49 (0) 2066 / 380515