AusdruckenLernCafe 29 vom 15. März 2005: "Brücken bauen, Türen öffnen - Lernen durch interkulturelle Begegnungen"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deLernen im ikubiz
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Hanna Müller
E-Mail: HannaMue2000@gmx.de
ikubiz
Das "ikubiz" in Mannheim ist ein interkulturelles Bildungszentrum. Es befasst sich seit 1983 mit Schülerinnen und Schülern Mannheimer Haupt- und Berufsschulen. Bei der Beratung wird dabei auf migrationsspezifische Erfahrungen Wert gelegt. Ein Integrationsbeispiel aus meiner Beratungstätigkeit soll die Arbeit des "ikubiz" verdeutlichen. Zugleich sehe ich darin zusätzlich die Möglichkeit, persönlich viel interkulturell dazu zu lernen. Das Beispiel zeigt ein Stück Lebensgeschichte von Gülhan, einem Mädchen aus der Türkei, das am Ende der 5. Klasse nach einem Vorbereitungsjahr, in der sie Grundkenntnisse der deutschen Sprache erwarb, zur Beratung kam.
Gülhan
Sie war 1990 mit ihrer Mutter und ihrer Schwester zu ihrem Vater nach Mannheim gekommen und sollte nun mit 14 Jahren in die 6. Klasse versetzt werden. Ihre Noten aus der 5. Klasse waren sehr gut. Gülhans Frage war, ob es möglich sei ein Schuljahr zu überspringen und in die 7. Klasse versetzt zu werden. Nach einem Gespräch mit der Klassenlehrerin, den Eltern und der Schulleitung wurde diesem Wunsch - zunächst auf Probe - entsprochen. Gülhan bestand die 7. Klasse, nachdem sie durch unsere Vermittlung im Fach Englisch Nachhilfe-Unterricht nehmen konnte. Mit großem Ehrgeiz und Fleiß machte sie einen ausgezeichneten Hauptschulabschluss und konnte die 10. Werkrealschulklasse besuchen, die sie mit dem Realschulabschluss beendete.
Verstehen lernen
In dieser Zeit besuchte sie immer wieder das ikubiz und holte sich Rat und Mut. Besuche bei Gülhans Familie bescherten mir genaueren Einblick in ihre Lebenssituation. Diese Gespräche waren für Gülhans Entwicklung und für ihre Familie besonders wichtig. Erst nach längerer Zeit gelang es mir, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Dies wiederum half mir familiäre Schwierigkeiten und die andere - mir zunächst fremde - Sozialisation zu verstehen. Es ging dabei nicht darum sie vollständig zu akzeptieren, sondern darum sie als wichtige Gegebenheit für Gülhan zu sehen.
Bedenken ausräumen
So war es möglich, dass sie zunächst in ein Wirtschaftsgymnasium wechselte und dort das Abitur erreichte. Die ständigen Kontakte mit Gülhans Familie ermöglichten ihr zu ihrem Studienwunsch das Einverständnis ihrer Eltern zu erreichen. Sie wollte Lehrerin werden. Ihre Mutter unterstützte die Tochter, war aber noch unsicher, was die Dauer des Studiums und die beruflichen Möglichkeiten danach betraf. Gemeinsam mit einem türkischen Mitarbeiter konnten in einem weiteren - in der Muttersprache geführten - ausführlichen Gespräch Bedenken ausgeräumt. Auch der Vater konnte überzeugt werden dem Berufswunsch der Tochter zuzustimmen. Im Januar 2005 begann Gülhan ihr Referendariat in einer Stuttgarter Realschule. Ich freue mich mit ihr.
Reflexion
Bei meiner Arbeit im ikubiz konnte ich Menschen aus verschiedenen Ländern kennen lernen. Das half mir - zunächst unbewusst - mich einer Interkulturellen Kompetenz zu nähern. Diese Erfahrungen führten dazu, dass ich meine eigene Sozialisation, meine Geprägtheit, meine Kultur hinterfragen lernte. Außerdem erlebte ich mich nun bei meinen Reisen in andere Länder bei Begegnungen vorsichtiger. Was die Wissenschaft "Entkulturation" nennt, ist im Erwachsenenalter nichts anderes als die Prozesshaftigkeit und Veränderbarkeit der eigenen kulturellen Identität anzunehmen.
Kulturelle Muster
Die Enkulturation beginnt übrigens unfreiwillig bereits in der Kindheit, dort durch die ersten Bezugspunkte, wie Eltern, Kindergarten, Schule etc. Dieser Prozess vollzieht sich über Nachahmung und prägt den Menschen für sein restliches Leben entscheidend.
Heute nehmen wir - soweit wir offen und dialogbereit dafür sind - im Laufe unseres Lebens zusätzliche neue kulturelle Muster an. Dies geschieht vor allem dann, wenn wir mit Freunden ausländischer Herkunft enger zusammen sind aber auch dann, wenn wir und in einem anderen Land neuen Begegnungen nicht verschließen. Ich danke an dieser Stelle Gülhan und vielen anderen Ratsuchenden. Sie haben mich beim Interkulturellen Lernen begleitet. Sie füllten Interkulturelle Kompetenztrainings mit Leben und waren sehr wichtig für mich.
Link
Interkulturelles Bildungszentrum Mannheim:
www.ikubiz.de/xen.htm
Siehe auch den Artikel von Hanna Müller über Interkulturelles Lernen in der Rubrik Hintergründe.