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LernCafe 29 vom 15. März 2005: "Brücken bauen, Türen öffnen - Lernen durch interkulturelle Begegnungen"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Von der Multi- zur Interkulturalität

(Druckversion)


Erna Subklew
E-Mail: e.subklew@gmx.de

Multikulturalität
Der Begriff Multikulturalität lässt die meisten von uns Deutschen sofort an Migration denken. Daran, wie die ausländischen Arbeitskräfte aufgrund des Arbeitskräftemangels hierher geholt wurden. Sie kamen seit Ende der 50er Jahre aus den verschiedenen Anwerbeländern: Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Jugoslawien, Portugal und Marokko. Dabei war das Bleiben anfangs weder von den Ankommenden noch von den Aufnehmenden gewünscht. Sie sind gekommen und geblieben und sind noch immer die Fremden.
Man denkt aber auch an die vielen Asylanten, die hier Zuflucht suchten vor den Gefahren, die sie in ihrem Land für Leib und Leben befürchten mussten.

Andere Gründe
Erst in einem zweiten Gedanken kommen wir darauf, dass Multikulturalität auch durch unsere Reisen ins Ausland entsteht. Vor allem aber tragen die EU und deren Erweiterung, neue technische Entwicklungen, die Globalisierung und die insgesamt höhere Mobilität dazu bei, dass unterschiedliche Kulturen miteinander in Berührung kommen.
Wir Deutschen tun uns mit der Multikulturalität besonders schwer. Wir hatten doch kaum Minderheiten oder aber solche, bei denen wenigstens die Religion, die gleiche war wie die unsere: Sorben, Friesen, Polen. Daher glaubte man auch, das Integrationsproblem mit den "Gastarbeitern" würde sich fast von selbst lösen. Andere Staaten wie Österreich, Frankreich und Holland hatten wegen ihren anderen historischen Voraussetzungen mehr Übung im Umgang mit ihren Minderheiten.
In der Kultur gibt es aber auch Bereiche, bei denen die Multikulturalität kaum eine Rolle spielt: Musik, Malerei, Literatur.

Assimilation?
Als man die Vielfalt der verschiedenen Ethnien und ihre Kulturen wahrnahm, rechnete man zunächst damit, dass die Zeit die Frage der Unterschiedlichkeit lösen würde. Man dachte, dass in absehbarer Zeit eine Angleichung an die Kultur der einheimischen Bevölkerung erfolgen würde, wie es mit den ins Rheinland eingewanderten Polen gewesen ist. Dabei vergaß man, dass viele Einwanderer aus Staaten kamen, in denen die nationale Identität eine größere Rolle als bei uns spielt. Dieses Nationalbewusstsein wird oft verstärkt durch die andere Religion. Man kann daher nicht erwarten, dass sich die meisten Einwanderer ohne weiteres integrieren oder gar assimilieren.
Eins aber ist sicher, wenn sie Bürger dieses Landes sind, müssen sich die Einwanderer bis zu einem gewissen Grade integrieren. Sie müssen die Sprache beherrschen, um damit die gleichen sozialen Chancen zu bekommen wie die hiesige Bevölkerung. Heute spricht man daher anstatt von Multikulturalität lieber von Interkulturalität.

Interkulturalität?
Die Erfahrung der Verschiedenheit der Menschen und der Kulturen in unserem Lande, gehört inzwischen zu unserem Alltag. Alle brauchen daher Wissen und Kompetenz mit den Fremdheitserfahrungen, die sie machen, umzugehen. Schon vom Kindergarten an, müssen wir die Andersartigkeit unserer Mitmenschen sehen und ihr situationsgemäßes anderes Handeln akzeptieren lernen. Die Verschiedenheit muss als Normalfall angesehen werden. Dabei müssen wir nach Wegen suchen, wie die unterschiedlichen Kulturen sich miteinander vertragen und miteinander kommunizieren können. Wir alle müssen lernen, die Vielfalt der unterschiedlichen Lebensformen zu akzeptieren. Das erfordert unsere plurale demokratische Gesellschaft. Wir finden also unsere Identität in der eigenen Gruppe, um den Kontakt zu anderen Gruppen zu suchen. Wir gelangen so zu einer Vernetzung unserer Kulturen, Interkulturalität genannt.

Kulturenvielfalt
Auf manchen Gebieten hat diese Interkulturalität schon ihre Wirkung gezeigt. Wer hätte früher schon etwas von türkischer Literatur gewusst? Heute haben bereits sehr viele Yasar Kemal gelesen. Ebenso lesen wir marokkanische Schriftsteller, von spanischen und italienischen ganz zu schweigen. Im Fernsehen sehen wir Sendungen aus den unterschiedlichsten Ländern. Schon bei den Kindersendungen finden wir vielfach ausländische Beiträge.
Eine ganz große Veränderung zeigt sich auf dem Gebiet der Esskultur. Viele von uns essen heute Gemüse, die sie früher nicht einmal dem Namen nach kannten. Ebenso ist es bei den Lebensmitteln. Spaghetti sind zum Lieblingsgericht unserer Kinder geworden. Wir gehen zum Italiener, zum Spanier, zum Jugoslawen oder Griechen, wenn wir ein Lokal besuchen.

Transkulturalität
Wolfgang Welsch schreibt in seinem Buch: "Transkulturalität. Zur veränderten Verfasstheit heutiger Kulturen": Durch Migration, Kommunikationssysteme und ökonomische Interdependenzen sind die Kulturen miteinander vernetzt. Verschiedene Lebensformen enden dabei nicht an den Nationalgrenzen. Die Unterscheidung zwischen Eigenen und Fremden ist oft nicht mehr möglich. Anstelle der separierten Einzelkulturen von einst ist eine interdependente Globalkultur entstanden, die sämtliche Nationalkulturen verbindet und bis in Einzelheiten durchdringt. Transkulturalität steht für eine Kultur der Integration.
Wenn ich diese Beschreibung auch für Wunschdenken halte - wir sind höchstens auf dem Wege dahin - wäre es auch meiner Ansicht nach schade, wenn es zu einer Einheitskultur käme.

Links
Webadressen für multikulturelle Themen:
www.dw-world.de
http://parapluie.de
www.eineweltimfez.de