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LernCafe 32 vom 15. Oktober 2005: "Winter - Impressionen - Visionen - Illusionen"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Damals - Winter bei uns im Osten

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Hildegard Neufeld
E-Mail: hneu61348@aol.com

Strenge Winter
Die Winter waren sehr kalt und währten lange - damals bei uns daheim. Mein Elternhaus befand sich zwischen Weichsel und Ostsee und dem Frischen Haff im damaligen Freistaat Danzig. Es war ein Bauernhaus und wie viele hier aus Holz gebaut und in hellen Farben gestrichen, so dass es sich deutlich von den umliegenden Gärten und Bäumen abhob.
Die heute so selbstverständliche Technik hatte hier noch nicht Einzug gehalten als ich meine Kindheit in einem Land verlebte, das es so, wie es war, heute nicht mehr gibt. Und auch die so strengen Winter, wie einst zuhause, habe ich nie wieder erlebt. Den kältesten Winter meines Lebens habe ich in meinem Bewusstsein noch nicht gespeichert, aber er blieb in der Erinnerung aller, die ihn erlebten, immer präsent.

44 ° C unter Null
Wie ein Kirchliches Gemeindeblatt aus Pommern im März 1929 berichtete, zeigte das Thermometer im Februar 1929 in Ostpreußen 44, in Schlesien 40 Grad unter Null an. Die Folgen dieser Kälte werden wie folgt beschrieben:
Der Frost soll an manchen Orten 1,5 Meter tief in die Erde gedrungen sein. Große Mengen eingemieteter Hackfrüchte sind angefroren. In vielen Orten sprengte der Frost die Leitungsdrähte der Überlandzentralen. Große Schäden sind unter den Obstbäumen aufgetreten.
Besonders das Wild hat unter der Kälte stark zu leiden. Rehe wurden tot aufgefunden. Habichte kommen in die Dörfer und fangen Krähen und Tauben.
Die Eisdecken auf dem Strom und auf den Seen sind bis zu einem halben Meter dick. Pumpen sind eingefroren, ebenso Wasserleitungen. Schiffe sind auf der Ostsee in schwerer Eisnot.

Schutz vor Kälte
Nicht jeder Winter im Osten wartete mit "sibirischen Temperaturen" auf, aber die Wintermonate habe ich als Kind oft als sehr kalt erlebt. Wie schützte man sich dagegen?
Bei Überlandfahrten im offenen Wagen oder Schlitten bot eine dicke Pelzdecke Schutz, und manchmal wärmte zusätzlich ein erhitzter Ziegelstein die Füße der Reisenden.
Die Erwachsenen zogen - soweit vorhanden - ihre Pelzmäntel an. Die Felle waren zumeist im Mantelinnern eingearbeitet, um besser zu wärmen, und die Mäntel waren sehr lang. "Fahr"-Pelze nannte man diese Mäntel - im Gegensatz zu den kürzeren "Geh"-Pelzen - die von den Landbewohnern, wie meine Eltern es waren, wohl kaum getragen wurden.

Die Kinderkleidung
Warm anziehen war erforderlich, wenn es hieß, den oft mehre Kilometer weiten Schulweg durch verschneite und auch vereiste Wege und Straßen anzutreten. Leider gab es damals noch nicht die praktische Winterkleidung, die heute angeboten wird.
Lange wollene Strümpfe musste ich anziehen, mittels Strumpfbändern an einem Leibchen befestigt. Darüber kamen die ebenfalls wollenen Überziehstrümpfe, auch als Gamaschen bekannt. Natürlich gehörte auch ein dicker warmer Unterrock zur Ausstattung. Sehr wichtig, aber auch lästig war das Anziehen der sog. Überschuhe, die als Kälte- und Nässeschutz dienten. Diese wurden in der Schule abgestreift und bei Schulschluss wieder aus der Vielzahl der dort parkenden Kinderschuhe herausgesucht.
Die heutigen Schüler in ihrer zweckmäßigen Kleidung und den bequemen Schuhen werden sich solche Situation wohl kaum vorstellen können.

Lange Winterabende
Die Dunkelheit brach früh herein und währte lange. Oft fiel der Schnee schon Mitte November und hüllte unser weites, flaches Land in eine dicke Schneedecke ein. In den Häusern gingen früh die Lampen an. Die Elektrizität hatte bei uns noch nicht Einzug gehalten.
Schon am Nachmittag wurden die Petroleumlampen angezündet und erleuchteten sparsam die Wohnräume und Stallungen. Hier hatten einfache, laternenähnliche Lampen, mit einem Drahtkorb gesichert, ihren festen Platz und wurden nach Beendigung der Tagesarbeit gelöscht.
Die in den Wohnräumen befindlichen Lampen unterschieden sich durch Größe, Ausstattung und Funktion. Da waren die Hängelampen, die Stehlampen, oft mit schönen Porzellanschirmen versehen, und die einfachen "mobilen" Lampen, die je nach Bedarf den Standort wechselten, sowie die kleinen Nachtlampen.

Unsere Hängelampe
Wenn ich an meine Kindheit und an die dunklen Winterabende denke, dann gewinnt unser "Familienbild unter der Hängelampe" eine besondere Bedeutung. Es zeigt meine Eltern und uns drei Kinder Abend für Abend vereint am Familientisch unter der großen Hängelampe. Ihr Lichtkreis war begrenzt, und wir rückten deshalb eng zusammen. Radio und Fernsehen gab es noch nicht, und wir waren mit Büchern und Spielen sowie mit Erzählen beschäftigt. Meine Eltern lasen - mein Vater die Informationen der Tageszeitung, meine Mutter den Fortsetzungsroman -- . Meine Mutter handarbeitete gern und hat uns Mädchen früh dazu angeleitet, und es wurde oft gemeinsam gespielt.Individuelle Schritte, abseits vom Familientisch und damit aus dem Lichtkreis der Hängelampe, führten ins Dunkel und dann zwangsläufig ins Bett. Also blieb man lieber zusammen -- wohl auch, weil man es gar nicht anders kannte.

Am Kachelofen
In allen Wohnräumen meines Elternhauses standen Kachelöfen - und jeder war anders, z.B. in Größe, Form, Farbe und Ausstattung. Der bedeutendste und m.E. auch zweckmäßigste Kachelofen stand im Wohnzimmer und wurde vom Vorzimmer aus beheizt. Dieser Ofen war mit einer geräumigen Röhre ausgestattet, in der an Winterabenden die Bratäpfel brutzelten, aber auch der Wasserkessel für Grog und Glühwein bereit stand. Viel wichtiger aber war seine Warmhalte-Funktion. Wenn wir hungrig aus der Schule kamen, stand das warme Mittagessen verzehrbereit in der Ofenröhre.
Am schönsten aber war es am Abend, besonders, wenn Wind und Wetter, Eis und Schnee uns heimsuchten. Im Kachelofen knisterten die Holzscheite, anheimelnde Wärme breitete sich aus, und immer wieder verließ ein Familienmitglied seinen Platz unter der Hängelampe und lehnte sich an den wärmespendenden Ofen.

Wieder aktuell
Der Kachelofen ist, so las ich kürzlich auf einer Webseite, "heute beliebter denn je. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in Deutschland bereits sechs Millionen Wohnungen mit einem neuen Kamin oder Kachelofen ausgestattet." Und eine weitere Information sagt folgendes aus: "Der Kachelofen ist Untersuchungen zufolge die einzige Heizquelle, die eine ähnliche Wärmestrahlung abgibt wie die Sonne".
Und dennoch: So viel Wärme, Sicherheit und Geborgenheit, wie der Kachelofen in meinem Elternhaus im Osten uns gab, kann keiner der sechs Millionen Kamine und Kachelöfen in der Bundesrepublik heute vermitteln.

Links
Weitere Wetterchroniken
www.wetterchronik.de/1929.htm
Informationen über Kachelöfen
www.baumarkt.de/b_markt/fr_info/ofen.htm