AusdruckenLernCafe 32 vom 15. Oktober 2005: "Winter - Impressionen - Visionen - Illusionen"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Hintergrundwissen
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Erwin Hutterer
E-Mail: erwin.hutterer@uni-ulm.de
Zahlen
Die gesamte Eismasse der Erde zusammen genommen bedeckt eine Fläche von etwa 15 Mio. km2 (ca. 3% der Erdoberfläche). 98% davon befinden sich erwartungsgemäß in den Polargebieten (einschließlich Grönland). Mit 126.000 km2 gesamter Gletscherfläche führt Asien die Statistik der Kontinente an. Mit dem 100 km langen Malaspina-Gletscher befindet sich der längste allerdings in Alaska (also in Nordamerika). Und in der Statistik der Gletscherlänge taucht Europa mit dem Großen Aletsch-Gletscher in der Schweiz, (ca. 20 km Länge) weit hinter den patagonischen Gletschern in Südamerika und sogar erst nach dem neuseeländischen Tasman-Gletscher (fast 30 km Länge) auf. Betrachtet man die Gesamtfläche der Gletscher, hängt Europa (ohne Island und Spitzbergen) mit etwa 6.000 km2 Neuseeland mit seinen 1.000 km2 deutlich ab. Als letzter Kontinent in dieser Statistik folgt dann - wen wundert es? - Afrika. Bei den Größenangaben zur Gletscherfläche in Afrika gibt es unterschiedliche Angaben. Es sind jedoch sicher nicht mehr als 10 - 15 km2.
Entstehung
Bei Gletschern handelt es sich primär um große Schnee- und Eismassen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass Gletscher nur dort entstehen können, wo zwei Bedingungen gegeben sind: Niederschlag in Form von Schnee einerseits und Temperaturen, die Eisbildung zulassen, andererseits. Solche Gegenden befinden sich hauptsächlich in Gebirgen, sowie in polaren Regionen. Aber nicht überall: im nördlichen Alaska z.B. wären die Temperatur-Voraussetzungen zwar gegeben, aber zu wenig Niederschlag und zu viel Wind verhindert in dieser Region die Gletscherbildung.
Gletscherbildung
Zunächst einmal muss es schneien. Und der Schnee darf nicht sofort wieder wegschmelzen. Trotzdem spielt die Sonne bzw. die Temperaturerwärmung auf mehr als 0°C eine Rolle. Durch diesen temporären Schmelzprozess entsteht Nassschnee - zumeist tagsüber. Nachts sinken die Temperaturen wieder und der Nassschnee gefriert erneut. Wenn sich dieser Prozess wiederholt, verwandelt sich der Schnee in sog. Firneis. Dieser Temperatureinfluss ist eine Voraussetzung für die Entstehung von Gletschern, die andere ist der Druck: Denn es bleibt in den Regionen, in denen sich Gletscher bilden, ja nicht bei einmaligem Schneefall. Auf die bereits bestehende Schnee- oder Firndecke fällt weiterer Neuschnee. Dessen Gewicht führt darunter zur Eisbildung.
Die obersten Schichten eines Gletschers sind also immer eine Kombination aus Schnee und Firn. Erst darunter folgt das Eis.
Aus dem Wechselspiel zwischen Tauen und Gefrieren, zwischen Sommer und Winter ergeben sich zwangsläufig auch Gletscherveränderungen - Wachstum oder Schrumpfung. Insofern sind Gletscher auch Indikatoren für - zumindest regionale - Klimaveränderungen.
"Ernährung" und "Zehrung"
Gletscher erstrecken sich über eine längere zusammenhängende Strecke und im Gebirge- da sie dort ein Gefälle aufweisen - über unterschiedliche Höhenlagen. In der Regel speisen sich solche Gletscher durch ihren oberen, höher liegenden Bereich (Nährgebiet - Neuschnee bleibt liegen) und schmelzen nach unten hin ab (Zehrgebiet - Schnee und Eis schmelzen, Wasser verdunstet). Irgendwo dazwischen lässt sich eine Linie ziehen, in der sich beide Vorgänge die Waage halten, wenn man den Prozess über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet. Diese Linie wird als Gleichgewichtslinie oder auch als klimatische Schneegrenze bezeichnet. Natürlich folgt Schmelzwasser, egal, wo es gebildet wird, immer dem vorhandenen Gefälle, sodass am Fuße eines Gletschers ein Schmelzwasserabfluss entsteht - der Ursprung eines Flusses.
Gletscherbewegung
Dass Gletscher nicht nur ihre Mächtigkeit verändern, sondern sich auch gerichtet bewegen, lässt sich schon seit langem durch Beobachtung feststellen: Gletscher führen Steine und andere Gegenstände mit sich, die mit der Gletscherbewegung natürlich mitwandern. Die Ursache dieser Bewegung ist zum allergrößten Teil schlicht auf das Rutschen des Eises auf dem darunter befindlichen Felsen zurückzuführen, was im Laufe der Jahrhunderte zur Bildung eines Gletscherbetts (analog zu Flussbett) führt. Die Geschwindigkeit der Gletscherbewegung hängt ab von der Neigung und Form des Untergrunds, aber auch von der Dicke der Eisschicht und der Eistemperatur.
Bei unseren Alpengletschern beträgt die Geschwindigkeit etwa 30 - 200 Meter im Jahr. Bei größeren Gletschern, wie z.B. im Himalaya- oder Karakorumgebiet kann sie bis zu 800 Metern im Jahr betragen.
Da sich Gletscher über ihren Querschnitt gesehen nicht gleichmäßig bewegen, entstehen Risse und Spalten, z.T. auch Gletscherabrisse.
Moränenbildung
Betrachtet man einen Alpengletscher von oben - insbesondere im Sommer, wenn es schon länger nicht mehr geschneit hat, wirkt er ziemlich schmutzig. Auf seiner Oberfläche haben sich Fremdkörper, insbesondere Gestein jeder Größe gesammelt, das aus den manchmal recht steilen Felswänden seiner Flanken auf ihn herabfällt. So kommt es insbesondere an den "Uferbereichen" der Gletscher zu einer erheblichen Ablagerung von Gestein - das nun zusammen mit dem Gletscher in Richtung Tal abtransportiert wird. Diese charakteristischen Längsstreifen nennt man Seitenmoräne. Besonders eindrucksvoll wird es, wenn sich zwei Gletscher treffen und ineinander fliessen. Dann wird aus den zwei ehemaligen Seitenmoränen eine Mittelmoräne (z.B. Aletschgletscher)
Sehr augenfällig sind auch Endmoränen. Sie kommen zustande, wenn sich ein Gletscher durch Abschmelzen zurückzieht und dabei das transportierte Material liegen bleibt.
Tische und Mühlen
Ein Gletschertisch entsteht, wenn ein Felsbrocken auf einem Gletscher das darunter liegende Eis abdeckt und so vor der Sonne schützt, dass das umgebende Eis schneller schmilzt. Der Felsbrocken bleibt erhöht auf einer Art Eissockel zurück. Bei plattenförmigen Felsbrocken wird man dabei sehr an einen Tisch erinnert. Ein solcher Tisch kann durchaus eine Fläche von mehreren Quadratmetern aufweisen und auf einem Sockel bis zu 2 m Höhe stehen.
Gletschermühlen sind ein Gemeinschaftsprodukt von meist unter der Gletscheroberfläche abfließendem Schmelzwasser und in diesem Fluss mitgerissenen Steinen. Reiben solche Steine an Felsen, angetrieben vom stetigen Schmelzwasserstrom, schleifen sie dabei nicht nur sich selbst rund und immer kleiner, sondern auch Mulden in den Felsen hinein. Das kann im Laufe der Jahrtausende zur Herausbildung von sogenannten Gletschertöpfen führen. Diese können bis zu 10 Metern Tiefe erreichen, wie z.B. im Gletschergarten Luzern.
Kryokonit und Flöhe
Kryokonit ist ein Fachbegriff für den schwarzen, staubähnlichen "Dreck" auf der Gletscheroberfläche. Die Hauptbestandteile sind organischen Ursprungs, nämlich Bakterien, Algen usw., deren organischer Kohlenstoff auch für die dunkle Färbung verantwortlich ist; es ist aber auch vom Wind eingewehter Mineralstaub dabei. Im Einzelnen weiß man erst wenig über das Auftreten von Kryokonit, aber die Fachleute sind sich einig, dass es sich keinesfalls um eine direkte Folge der Umweltverschmutzung handeln kann.
Der Gletscherfloh (Isotoma saltans) jedenfalls, ein etwa 2 Millimeter großes Insekt, das zu den Springschwänzen gehört, ist froh um den Kryokonitstaub, bildet er doch seine einzige Nahrungsquelle. Da Gletscherflöhe Temperaturen über 12°C nicht ertragen, bilden Gletscher und Wassertümpel in deren Nähe den einzigen Lebensraum dieser Tiere.
Kryokonitlöcher
Kryokonitstaub führt auch dazu, dass sich Löcher auf der Gletscheroberfläche bilden können, die bis zu 30 cm tief sein können und meist mit Wasser gefüllt sind. Die verstärkte Absorption des Sonnenlichtes an der schwarzen Fläche gegenüber der reflektierenden, hellen Schichte des Gletscherfirns wärmt die direkte Umgebung schneller auf. Das führt zu den charakteristischen Vertiefungen mit dem Kryokonitstaub als schwarzem Schlamm auf dem Grund. Entsprechend des Gangs der Sonne sind die Kryokonitlöcher meist oval mit der Längsrichtung Ost-West ausgerichtet und haben eine Ausbuchtung gegen Norden. Sie erlauben damit eine Richtungsorientierung auf dem Gletscher bei Nebel.
Physik
Zum Schluss noch etwas Physik oder Warum ist ein Gletscher innen blau?Eis verhält sich zwar physikalisch in vielerlei Hinsicht völlig anders als Wasser, aber in Hinblick auf die optischen Eigenschaften fast genauso wie destilliertes, also reines Wasser. Je reiner Wasser ist, desto weniger schwebende bzw. gelöste Bestandteile sind darin zu finden. Nur (mehr oder weniger) reines Wasser ist in größerer Schichtdicke und bei Betrachtung von oben blau. Das liegt daran, dass das Licht, das alle Farben enthält, von Wasser selektiv absorbiert wird. Blau ist der Farbanteil im Lichtspektrum mit der geringsten Wellenlänge und wird von Wasser am stärksten absorbiert. Die anderen Farben werden stärker reflektiert. Ergebnis: Wasser erscheint blau. Aber nur, wenn sich nur wenig organische Stoffe darin befinden. Diese verschieben das Spektrum in Richtung gelb und grün.
Da sich Eis genauso verhält, sind Gletscher innen tiefblau.
Im Gegensatz dazu bezeichnet man den Abfluss eines Gletschers wegen seiner weißlichen Färbung als Gletschermilch. Die Ursache dafür sind feinste Gesteinsablagerungen, die der Gletscher durch Reibung an seinem Bett gelöst hat und im Schmelzwasser abtransportiert.
Material/Links
www.educeth.ch/geographie/puzzles/gletscher/docs/gletscher.doc
Unterrichtsmaterial von S. Reinfried (1 MB - eventuell lange Downloadzeit):
Gletscher - Unterlagen für den Geographieunterricht
(kommerzielle Nutzung ist nicht gestattet!)
www.gletscherarchiv.de
http://givre.ethz.ch:8888/messnetz/index.html
www.schweizerseiten.ch/leben_gletscher.htm
www.joinme.net/stelmo/glacierlinks.html
Beachten Sie auch den Beitrag "Glaziologie für Anfänger" in diesem LernCafe in der Rubrik "Lernprojekte" sowie "Bedrohlicher Klimawandel: Gletscher schmelzen weltweit", hier in der LernCafe-Rubrik "Hintergründe".