AusdruckenLernCafe 33 vom 1. März 2006: "Globalisierung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deInnovative Impulse für die Gesellschaft
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Christa Grawert-Wagner
E-Mail: christa_grawert@yahoo.com
Alter als Chance
"Alter als Chance" heißt das Motto des 8. Deutschen Seniorentages vom 16. bis 18. Mai 2006 in Köln. In Workshops und in Foren sollen die verschiedenen Facetten eines befriedigenden Lebens und die Möglichkeiten des Einsatzes für andere erarbeitet und diskutiert werden. Professor Dr. Dr. Klaus Dörner, einer der großen Reformer der deutschen Psychiatrie, hat sich intensiv mit dem Miteinander von Jung und Alt, von Gesunden und Kranken beschäftigt. Auf einem Kölner Kongress (Ende 2005, auf den auch das LernCafe hinwies) legte er seine Sichtweisen über eine sich wandelnde Gesellschaft dar. Christa Grawert-Wagner berichtet.
Alte als Masse
Wie die Gesellschaft im Jahre 2050 aussehen werde, könnten wir heute nicht wissen. "Heute können wir lediglich wissen, dass diese Aufgabe so atemberaubend groß ist, dass einmal das Versorgungssystem (Versorgung in den eigenen vier Wänden oder im Pflegeheim) ausgedient haben wird." Von der erforderlichen Problemlösung seien alle Bürger betroffen. Daher müssten sich alle ändern. Denn Alte kämen heute nicht mehr einzeln, sondern als Masse vor. Diese Alters-Herausforderung sei menschheitsgeschichtlich völlig neuartig. Daher könne man heute von der neuen menschlichen Seinsweise des Altseins sprechen.
Das betonte Professor Dr. Dr. Klaus Dörner im vorigen November auf dem 2. Kölner Kongress "Altern ist anders" in der Universität.
Neue Bewegung
Dörner, Sozialpsychiater, Buchautor und Historiker, war der Einladung des Initiativforums Generationenvertrag (IFG), einer Projektgruppe von Seniorstudenten der Kölner Hochschule gefolgt. Ausdrücklich schloss der 72-Jährige in seine Ausführungen die Dementen, psychisch und physisch Alte und Kranke mit ein. Die politisch Verantwortlichen beantworteten die durch die Alten-Herausforderung entstandene Kostenkrise seit 1980 nur durch Reformgesetze, so Dörner. Das sei eher kostentreibend. "Aber es ist andrerseits ermutigend, dass die Bürger zu einem tiefgreifenden Kulturwandel aufgebrochen sind. Es gibt eine neue soziale, solidaritätsorientierte Bürgerbewegung." Es werde nicht die Markt-, sondern die Solidaritätssteuerung des Helfens gestärkt.
Nachbarschaft
Durch die neue Bürgerbewegung werde wieder der "nachbarschaftliche Sozialraum" belebt. Das sei der einzige Sozialraum für unbeweglich gewordene Alte. Seit Jahrhunderten sei dies der Sozialraum für Alleinstehende und Hilfebedürftige. Dörner: "Es gibt keine einzige Kultur, in der nicht die kleinste tragfähige Einheit die Familie zusammen mit der Nachbarschaft ist." Die Hilfe für einen Notleidenden dürfe jedoch nicht mit der Frage verknüpft werden, ob daraus eine Wechselseitigkeit entstehe, mahnte Dörner. "Wer soll mit der Wechselseitigkeit anfangen?" "Ich kann weder darauf vertrauen noch warten, vielmehr muss ich anfangen", betonte der engagierte Wissenschaftler.
Integration
Eine Aufgabe sieht Dörner darin, Alterspflegebedürftige und Demente in die Nachbarschaft zu integrieren. Integration gelinge jedoch nur dann, wenn Schwächere und Stärkere (Junge und Alte) selbständig ihre Beziehungen regeln würden. Dabei müsse sich der Stärkere, der Profi, zurücknehmen. Der Markt beginne stets bei den "Aussichtsreichsten, Profitablen, Ersten". Solidarische Integration beginne hingegen immer bei den Letzten. Nur so radikal, im Sinne von Alle oder Keiner, könne eine Integration für alle im Sinne von Inklusion und community care möglich sein, könne sich die Gesellschaft verändern.
Grundbedürfnis
Die Menschen hätten ein Grundbedürfnis nach Bedeutung für den anderen. Das gelte besonders für Menschen mit Handicap. "Da Menschen mit Behinderung aber mehr als andere aufs Nehmen (Hilfe) angewiesen sind, müssen für sie Gelegenheiten zum Geben noch wichtiger sein als für andere." Deshalb begrüßte Dörner die nachbarschaftsorientierten Wohngruppen und Haushaltsgemeinschaften für Alterspflegebedürftigen und Demente. Diese könnten in Begleitung ihren Haushalt führen und so "Lasten für andere" tragen. Deren Leben sei "weitaus wacher, aktiver, lebensvoller und befriedigender als bei einer noch so guten Heimunterbringung". Es habe sich gezeigt, dass nachbarschaftliche Nahräume und Lebenswelten für alle Bürger sich wieder mit Leben füllen würden.
Geschenk für alle
Dörner betrachtet die neuen nachbarschaftlichen Netzwerke als ein Geschenk für alle: "Das sind Schritte zu einer aktiven Bürgergemeinschaft." Den Alten, besonders den Alterspflegebedürftigen sei offenkundig das Geschenk für alle zu verdanken. Er verwies damit auf die - weitgehend noch zu definierende - Rolle der Alten. "Ohne die Alten kriegen die anderen die Augen nicht auf", appellierte er an die Alten.
Hinweis
Zum Dt. Seniorentag "Alter als Chance" in Köln siehe entsprechenden Beitrag in diesem LernCafe, ebenfalls unter Aktuelles.