AusdruckenLernCafe 33 vom 1. März 2006: "Globalisierung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deGlobalisierung auf philosophisch
Peter Sloterdijk
(Druckversion)
Helmut K. Doerfler
E-Mail: publicmarketing@arcor.de
Weltsicht
"Für eine philosophische Theorie der Globalisierung" macht sich Peter Sloterdijk - derzeit wohl der bedeutendste und hier zu Lande zu Recht auch enorm populäre Philosoph und intellektuelle TV-Star ("Das philosophische Quartett" im ZDF) - im Untertitel seines jüngsten Buches "Der Weltinnenraum des Kapitals" stark. Vorweg gesagt: Wer sich kompetent einmischen will in die ausufernde Debatte über Globalisierung, kommt wohl kaum an seiner philosophischer und historischer Weltsicht der Dinge und damit - so meine ich - an der Lektüre dieses faszinierenden Werks vorbei.
Lesegenuss
Sloterdijk schreibt eine nicht nur verständliche, sondern auch wortgewaltige, mitreißende und oft höchst unterhaltsame Sprache. Man muss sich allerdings für das Buch viel Zeit nehmen, es ist alles andere als eine leichte Nachttischlektüre. Und mit einer knappen Buchbesprechung können wir den geneigten Leser natürlich nur "anfixen", ihm nur einen kleinen Appetithappen vor diesem opulenten und äußerst schmackhaften Lesevergnügen servieren.
Globale Neuzeit
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: "Zur Entstehung des Weltsystems" und "Das große Interieur". Globalisierung ist - so der Querdenker aus Karlsruhe - beileibe kein tagesaktuelles Phänomen. Sie beginnt in seiner Sicht Ende des 15. Jahrhundert als Neuzeit mit den großen Entdeckern Kolumbus und Magellan (er nennt die Phase "terristische Globalisierung"), hat ihre dynamischen Höhepunkte im imperialistischen 19. Jahrhundert und mit der Kolonialisierung der Welt durch die Europäer und endet etwa 1945, zum "Beginn der Posthistorie". Eine Periode, in der von der "...Freisetzung religiöser, unternehmerischer und krimineller Energien der Innovation" die Rede ist. Riesige Gewinnspannen und verlässliche Handelsgeschäfte sind die Hauptmotive. "Die Hauptsache der Neuzeit ist nicht, dass die Erde um die Sonne, sondern dass das Geld um die Erde läuft."
Komfortzone
Danach fängt das an, was Peter Sloterdijk - derzeit Professor für Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung und deren Rektor - nüchtern die "elektronische Globalisierung" nennt. "Weltinnenraum" - eine Wortschöpfung von Rainer Maria Rilke - verschwistert sich da mit Dostojewskijs gesellschaftskritischem Bild vom Londoner Kristallpalast, wo 1851 die erste Weltausstellung stattfand. Die Metapher nutzt Sloterdijk, um unser westliches, kapitalistisches Treibhaus als globale Komfortzone zu charakterisieren, zu dem allein die Verfügung über Kaufkraft das Eintrittsbillet verschafft.
Binnenkomfort
Er beschreibt die Jetztzeit als Periode der Vernetzung, der Verdichtung, der gegenseitigen Behinderung und damit auch des Zwangs zur Kooperation. Und zugleich für uns Insider als Verwöhnungsraum. "Der kapitalistische Weltinnenraum umfasst, wie gesagt, demografisch kaum ein Drittel der aktuellen Demnächst-Sieben-Milliarden-Menschheit und geografisch kaum ein Zehntel der Festlandflächen" resümiert der Autor ohne jegliches sozialkritisches Tremolo. Drinnen transportiere ein "Verwöhnungsaufzug" einzelne Bewohner auf unterschiedlichen "Etagen der Entlastung" (wie beispielsweise "leistungsloses Einkommen", "politischer Sicherheit ohne eigener Kampfbereitschaft", "Wissenserwerb ohne Erfahrung" "Prominenz, ohne eine Leistung vorzuweisen oder ein Werk zu veröffentlichen".)
Perspektiven
Bisherige Basis dieses "Prinzips Überfluss" und des bei uns herrschenden Konsumerismus: Die Ausbeutung fossiler Energieträger und unter anderem auch die der Nutztiere. (Zitat: "Die tierischen Proteine bilden den größten legalen Drogenmarkt."). Ob hier eine "Umwertung der Umwertung aller Werte" bevorsteht - etwa der internationale Tierrechtsbewegung, der Zuwendung zu Sonnen- und erneuerbarer Energie, der ökokonservative Mäßigung - der Autor lässt die Frage im Schlusskapitel offen, setzt allerdings große Hoffnungen auf den Übergang vom "fossilenergetischen" zum "technosolaren Regime". Allerdings "Ob dies zugleich die Erwartungen an weltweite Friedensprozesse, an planetarischen Vermögensausgleich und Überwindung der globalen apartheid erfüllen wird, das verhüllt die Zukunft."
Fazit
Es ist ein müßiger Versuch, hier die überwältigende Gedankenfülle Sloterdijks auf ein paar Online-Zeilen einzudampfen. Dass jedoch, wie gesagt, "Globalisierung" eine philosophische Denkaufgabe ist, daran ist kaum zu zweifeln. Dazu der Autor süffisant: "Die Monopolisierung des Globalisierungsdiskurses durch Politologen und Sozialwissenschaftler, denen man die Fortsetzung des Journalismus mit griesgrämigen Mitteln verdankt, wäre aufs Ganze gesehen sehr gut erträglich, bliebe nicht die Tatsache, dass die Grundbegriffe dieser Debatte fast ausnahmslos unerkannte philosophische Termini sind, deren amateurhafter Gebrauch zu Suggestionen und Sinnverdrehungen führt."
Peter Sloterdijk
"Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung"
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005
451 Seiten, EURO 24,80