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LernCafe 34 vom 01. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.de

Lebensschutt

(Druckversion)


Ellen Salverius-Krökel
E-Mail: ellen.salverius-kroekel@uni-ulm.de

Einführung
Dieses Buch passt zum Thema! Alle sagen es, fast alle. Schon diese Perspektive, so scheint mir, ist vor der Lektüre der ersten Seite schwierig. Kann ich ein Buch so lesen? Vielleicht erstmal nachdenken über den Titel des Buches: Endmoränen. Was bedeutet das Titel-Wort, was assoziiert es?

Endmoränen
Endmoränen also sind die Überreste, die nach der Eiszeit zurückbleiben. Was aber könnte das mit der Reflektion über das Alter zu tun haben? Letztlich steht es ja im Klappentext und in den Kritiken. Überhaupt die Kritiken: ich konnte es nicht verkneifen, mir die eine oder andere Kritik vor der Lektüre "anzutun". Das Internet bietet zahlreiche. Erstaunlich wie dort mit der Wiedergabe des Inhalts umgegangen wird. Darum war ich auch vom Buchanfang richtig enttäuscht…

Die Geschichte
Ich habe mich dann aber natürlich durchgerungen und weiter gelesen. Was also erfahren wir, wie geht die Geschichte? Endmoränen, also doch Endmoränen ganz realer Natur nördlich von Berlin, sind der Ort des Geschehens. Ein Dorf eingebettet in die "Überreste der Eiszeit", in das sich Johanna und ihr Mann Achim noch zu Zeiten der DDR, vor staatlicher Bevormundung und Kontrolle einigermaßen sicher, fern der Großstadt und dennoch umtriebig zurückziehen. Der Roman spielt 13 Jahre nach dem Kauf des Hauses. Johanna, einiges über 50, bleibt am Ende eines Sommers allein zurück, um die Biographie der Wilhelmine Enke, die Geliebte Friedrich Wilhelms II., zu schreiben. Es gibt viel her, das Leben der Gespielin Willhelms II. - Fleisches Lust, Philosophie, Musik, Kunst, Architektur. Ob dies eine Art Gegenentwurf zu Johannas eigener, etwas trockener Biografie sein könnte?

Lebensschutt
Der mehrwöchige Aufenthalt veranlasst sie jedoch ? auch ausgelöst durch auftretende Schreibunlust ? zu Reflexionen über ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben, ihre Ehe, ihre Freundschaften etc. D.h., sie zieht Bilanz. Einer Endmoräne gleich hat sich der Lebensschutt von Jahrzehnten vor ihr aufgetürmt, all die Hoffnungen und Sehnsüchte, die enttäuschten Liebschaften, die Träume von einem glücklichen Leben.
Johanna hat das Empfinden, obwohl sie noch eine Lebenserwartung von 20 bis 30 Jahren hat, nichts als eine öde, lange Restzeit ihres Lebens vor sich zu haben, nichts anderes mehr zu sein als die "Zielgruppe von Verkäufern aller Branchen" und nur noch als "katastrophaler Kostenfaktor für die Krankenkassen" Bedeutung zu haben. Die Lebensentwürfe aller scheinen erschöpft, und die Zeit vor ihnen ist noch lang.

Zeitreise
Der Anfang der Geschichte ist etwas traurig. Der Tod einer Schulkameradin, die sie scheinbar als Freundin gesehen hat, was Johanna aber für sich gar nicht so empfunden hat, gibt ihr zu denken. Es ist gleichzeitig der Beginn einer Zeitreise, die ständig wechselt zwischen Vergangenheit und Zukunft, von der Autorin gestaltet mit Hilfe von Briefen, Gesprächen und Erinnerungen. Immer wieder drehen sich die Gespräche mit den Freundinnen, mit ihrem Mann ist sie nur noch selten zusammen, um die Probleme des Alterns. Was fehlt sind vor allem die Zukunftsperspektiven. So sucht Johanna vor allem ihren biographischen Standort. Dabei schildert die Autorin aber nicht nur das Leben der Johanna, sondern auch noch das ihrer sie umgebenden Menschen. Es entsteht ein Bild der Veränderungen - die der Johanna, aber auch die, die durch die Wende bedingt sind.

Identifikation
Das "Miterleben" für die Leser an Gedanken und Träumen, aber auch Ängsten der Ich-Erzählerin bedeutet durchaus die Möglichkeit, sofern man in diesem Lebensabschnitt steht, des Vergleichs. Und dazu gibt es noch mehr Möglichkeiten, vielleicht ein bisschen weniger Vergleich, als viel mehr die Chance, am Beispiel Johanna sich selbst zu betrachten und es ihr gleich zu tun: Einmal schonungslos mit sich und der Welt umzugehen, indem man sich mal die "Endmoränen" in seinem Leben vornimmt. Bei Johanna ist es die Nachbarin, im Leben der LeserInnen gibt es vielleicht etwas anderes. Und Damit ist man auch schon bei der Frage des Anfangs wieder angelangt - was eigentlich sind Endmoränen?

Lesen!
Monika Marons Roman ist trotz des Themas keineswegs trist, sondern hat Humor, gute Beobachtungen, überlegenswerte Gedanken und es macht Freude, ihn zu lesen. Vielleicht nicht für 16-Jährige, aber die finden ihre Bücher vielleicht woanders.
Ablesen lässt sich ganz wunderbar die Zeit, der Wende und der langen Zeit danach. Auch in diesem Roman wird, wie in anderen bereits zuvor, die Frage nach dem Wesen und Wirken der Erinnerung gestellt. Monika Maron wird gerne mit Christa Wolf verglichen, wer aber gerne auch mal lacht, dem sei eben diese Autorin empfohlen. Empfohlen sei dieses Buch ebenso, auch wenn es um den Ernst des Lebens und das Älterwerden geht. Bei aller Wehmut und Melancholie gibt es in diesem Buch auch Grund zu lachen.

Titelhinweis
Monika Maron
Endmoränen
Fischer Taschenbuch
€ 8,90