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LernCafe 34 vom 1. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Kultur-Netzwerk Gerresheim

(Druckversion)


Anne Pöttgen
E-Mail: annepoettgen@web.de

Netzwerkidee
Netzwerke aller Art haben Konjunktur in unserer Zeit und sind auch notwendig. Familien gehen auseinander und neue soziale Kontakte müssen aufgebaut werden. Doch die fallen nicht vom Himmel, sie erfordern eigene Bemühungen. Das fällt gerade älteren Menschen nicht leicht. Hier bieten die Netzwerke in den einzelnen Stadtteilen Möglichkeiten, andere Men-schen mit gleichen Interessen kennen zu lernen.
Gerresheim ist ein Stadtteil von Düsseldorf, allerdings erst seit etwa hundert Jahren. Seit dem Mittelalter war es ein kleines Städtchen rund um eine große Stiftskirche, die heute den Namen St. Margareta trägt. Der mächtige spätromanische Bau bestimmt das Stadtbild, sein Turm scheint über den Bäumen und Dächern zu schweben.

Lebensart
"Gemeinsames Schaffen schafft Zusammengehörigkeitsgefühl" das war die Idee von Inge Gößling, die als Sozialpädagogin die Netzwerkarbeit in Gerresheim begleitet. Ihre eigene Liebe zur Kunst brachte sie auf die Idee, eine Gruppe von Hochbetagten zur Beschäftigung mit bildender Kunst zu verführen.Unter dem unverfänglichen, aber auch doppeldeutigen Titel "LebensArt" wurde ab Herbst 2002 zunächst ein Kochbuch gestaltet, dann mit Gips gearbeitet und Steine bemalt. Einfache Techniken, die die ersten Erfolgserlebnisse brachten.
Es folgten mit Pinsel und Farbe gemalte Bilder, wie bei den "echten" Künstlern. Die Motiva-tion, sich mit moderner Kunst zu befassen war da. Darüber hinaus war das gemeinsame krea-tive Arbeiten eine psychische, physische und soziale Herausforderung.

Neues Projekt
Inge Gößling und ihre ehrenamtliche Mitarbeiterin Renate Jastrzembski wurden kühner: Die nächste Gruppe befasste sich gleich von Anfang an mit Künstlern von Weltgeltung. Jackson Pollock und Joseph Beuys, Picasso und Matisse, Günther Ücker und Max Ernst standen auf dem Programm. Aus "Lebensart" wurden die "Kunstspuren". Jeder Mensch ist ein Künstler - so heißt ein Buch, in dem die Gespräche mit Joseph Beuys auf der documenta 5 im Jahre 1972 aufgezeichnet sind. Seine Forderung hieß: "mehr Kreativität für jeden Menschen" und "sie müssen mit ihren jetzigen Mitteln beginnen". Gesagt, getan. Während eines Projektzeit-raums von sechs Monaten haben sich die Teilnehmer - sämtlich ältere Menschen - zweimal monatlich getroffen und aktiv mit moderner Kunst auseinander gesetzt. Ein Nachmittag ge-hörte der Theorie, der zweite der praktischen Arbeit.

Kunstspuren
Die nächsten "Kunstspuren" beschäftigten sich mit den Arbeiten von Paul Klee, Piet Mondri-an, Friedensreich Hundertwasser, Niki St. Phalle, Victor Vasarely und Alexander Calder.
Zunächst wurden in einem theoretischen Teil die Ideen der jeweiligen Künstler vermittelt, dann wurde gemeinsam das Typische herausgearbeitet. Wohlgemerkt in Anlehnung und nicht als Kopien wurde mit unterschiedlichen Materialien und Arbeitstechniken experimentiert. Innerhalb von sieben Wochen und innerhalb von wenigen Stunden je Künstler entstanden Arbeiten, die mal mehr mal weniger Begeisterung bei den Kreativen selbst auslösten, vor al-lem wegen der Arbeitstechniken: Mit Draht und Gips, mit Scheren und Zangen wurde han-tiert. Zur Unterstützung war nun eine zweite ehrenamtliche Helferin, Frau Hildegard Hilles-heim, dazugestoßen.

Einblick
Natürlich werden die Arbeiten auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Zahlreiche Besucher kom-men zu den Ausstellungen, die jedes Mal den Titel "Einblick" tragen.

Neue Wege
Ganz neue Netze werden mit den "Kunstspuren IV" gesponnen. Die Überschneidung von sozialer und kultureller Arbeit fest im Blick, bahnte Inge Gößling eine Verbindung zur örtli-chen Gemeinschaftsgrundschule an. Das erste generationsübergreifende Projekt des Kultur-Netzwerks Gerresheim startete am 8. Februar 2006 mit 10 Erwachsenen aus dem Kultur-Netzwerk und 10 Schülern der 3. Klasse der Ferdinand-Heye-Gemeinschaftsschule.
Die Gruppe der Teilnehmenden ist also größer geworden und auch die Betreuung wurde aus-gebaut. Neben Inge Gößling und Renate Jastrzembski vom Kultur-Netzwerk Gerresheim machen die Kunsttherapeutin Kirsten Schulte-Frohlinde und das Künstlerpaar Viola Werner und Armin Kaster mit.

Paarweise Arbeit
"Kunstspuren IV" ist in jeder Hinsicht ein spannendes Projekt. Zum einen ist der Veranstal-tungsort eine Schulklasse, was für Senioren eine ungewohnte Umgebung bedeutet allein schon von der Größe des kindgerechten Mobiliars her. Dann muss eine Basis des gemeinsa-men Lernens gefunden werden. Wo ist der gemeinsame Nenner zwischen Jung und Alt in dieser Gruppe? Es geht ja auch um die unterschiedlichen Interessen der beiden Altersgruppen bei der Arbeit - die Kinder sind nicht so sehr an der Theorie interessiert, sie wollen endlich malen, mahnen sie an.
Keinerlei Probleme gibt es beim sozialen Miteinander der beiden Gruppen. "Machen wir jetzt endlich Pärchen?" fragen die Kinder und das sieht dann so aus wie im Bild.

Seniorentag
Am 18. Mai beim Deutschen Seniorentag 2006 gab es einen Workshop "Kreativprojekt Kunstspuren - Begegnung mit moderner Kunst im Rahmen der Netzwerkarbeit" mit dem Kultur-Netzwerk Gerresheim. Zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen nach einer kurzen Einführung in Leben und Werk des Künstlers Alexej von Jawlensky an die praktische Arbeit. Und bekamen einen Eindruck davon, was die Damen Gößling, Jastrzembsky und Hil-lesheim unter Kreativität verstehen. Jede und jeder zeichnete ein "Mondgesicht", musste dann das Werk ausschneiden und in vier Teile zerreißen. Die Teile wurden eingesammelt und wie-der verteilt, gemischt natürlich. Anschließend klebte jeder die erhaltenen Teile auf und griff zu Pinsel und Farbe. Aus dem einfachen Mondgesicht war ein Kopf à la Jawlensky geworden. Das kann jeder zu Hause ausprobieren.

Am Ziel ?
Ich bin in meinem beruflichen Leben immer wieder begeistert gewesen zu sehen, wie aus ei-ner Idee etwas Konkretes wird. Im Kultur-Netzwerk Gerresheim ufert die Kultur förmlich aus: Neben dem Kunstspuren-Projekt gibt es zwei Malgruppen, die Kreativ-Werkstatt, die Kulturgruppe, das Literatur-Café und den Literaturzirkel. Wem das nicht genügt, genehmigt sich mit vielen anderen die Kulturhäppchen. Die Häppchen sind wörtlich zu nehmen, es han-delt sich um ein wöchentliches gemeinsames Frühstück, bei dem die Kultur in Form von Le-sungen und kurzen geschichtlichen Vorträgen geliefert wird.So hat sich die Vorstellung von Inge Gößling und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern verwirklicht: Gemeinsames Schaffen schafft Zusammengehörigkeitsgefühl. Wozu auch ge-hört, dass man sich um inzwischen sehr viel Ältere und Kranke, die nicht mehr teilnehmen können, kümmert.

Link und Adresse
Kultur-Netzwerk Gerresheim der Diakonie in Düsseldorf,
Neusser Tor 10, 40625 Düsseldorf
www.netzwerke-duesseldorf.de/kultur-gerresheim