AusdruckenLernCafe 34 vom 1. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deTraumland Intensivstation
(Druckversion)
Helmut K. Doerfler
E-Mail: publicmarketing@arcor.de
Traumwelten
Was unterscheidet oneiroidales Erleben von NDE - sprich Nahtoderfahrung (neudeutsch NDE wie near dead experience)? Oder einfacher gefragt: Was kommt da auf uns alle besonders auf uns Alte zu, wenn’s ans Sterben geht? Das Wort Oneiroid stammt von griechisch oneidros, was Traum heißt. Es sind “komplexe individuelle … Träume, die die noch (unterschwellig) wahrgenommenen belastenden (körperlichen) Umstände des Sterbens und die Ängste und Phantasien des Sterbenden traumhaft umgestaltet verarbeiten und deswegen zumeist aus negativ-bedrohlichen individuellen Traumszenarien bestehen …..“, so einer der Kenner dieser Traumwelten, Michael Schröter-Kunhardt. Und er unterscheidet sie von den eigentlichen „Nahtoderfahrungen als transzendentale Erfahrungen“.
Grenzerfahrungen
Wissenschaftlich sind sie inzwischen gründlich erforscht, bei Menschen, die zurückgekehrt sind, u.a. aus dem „Traumland Intensivstation“, aus komatösen Bewusstseinszuständen, aus den Grenzregionen zwischen Leben und Tod. Sie wurden von Menschen erlebt, die weiterleben (wollten) und die zu diesen Erfahrungen befragt wurden. Und sie berichten in einer von 100 aus 300 Fällen umfassenden Fallsammlung des Autors – in Klammer nach Häufigkeit der Nennungen – über wenig beängstigende Erlebnisse. Wie ein „Gefühl der Ruhe, Frieden und Wohlbefinden (89 %) oder über ein „Gefühl von Freude und Glück (80 %)“.
Wahrnehmungen
Und so geht es weiter in dieser Fallstudie: Lichtwahrnehmungen (77%), gesteigerte Lebendigkeit der Wahrnehmung (75%), Eintritt in eine überirdische, jenseitige Welt (63 %), außerkörperliche Erfahrungen (OBE, 61 %), beschleunigter Zeitablauf / Zeitlosigkeit (59 %), Wahrnehmung der Realität (48 %), Beschleunigung der Gedanken (47 %), Tunnelphänomene (47 %), Einheitserleben (38 %), Allverstehen / Allwissenheit (33 %), Begegnung mit mystischen Wesen (32 %), Ablauf von Ereignissen der eigenen Vergangenheit (30 %), Erreichen einer Grenzzone (29 %), Begegnung mit Verstorbenen / mit religiösen Figuren (27 %), Wahrnehmung von Musik (24 %), Präkognition (3%) und NDE-untypische, traumhaft-oneidale Komponenten (27 %).
Dank an Theo
Was soll im LernCafe mit dem Thema „Alter als Chance“ die Besprechung eines Buches, das sich im Wortsinn mit solchen „letzten Dingen“ befasst? Für mich gibt es dafür erstmals einen persönlichen Grund: Das Thema faszinierte mich verstärkt, seit ich meine alte Mama aus der Nähe postoperativ in einem Bewusstseinszustand miterlebte, den die Mediziner „Durchgangssyndrom“ nennen. Und SOR-Kollege Theo Zimmer hat dann die Spur zu diesem Buch und zum Verlag „Books on Demand GmbH, Norderstedt“ gelegt – vielen Dank! Und ich meine: Solche Berichte aus einem Grenzland der Todesnähe sind für uns Alte, die wir uns unserer Endlichkeit ja eher bewusster werden, eine wichtige Fragestellung und eine wirkliche Chance, tabufrei und angstarm darüber mehr zu erfahren.
Interdisziplinär
Der Untertitel des Buches: „Interdisziplinären Expeditionen“. Sein Herausgeber Thomas Kammerer, katholischer Pfarrer im ökumenischen Seelsorgezentrum Großhadern am Uni-Klinikum München hat im Herbst 2005 den Kongress „Traumland Intensivstation“ veranstaltet mit der Frage: Was erleben dort angeblich bewusstlose Menschen, von denen einst Schulmediziner meinten: „Die kriegen doch gar nichts mit.“ Das Gegenteil ist offenbar richtig. Der umfangreiche Kongress-Berichtsband ist eine bunte Mischung aus dem Blickwinkel unterschiedlichster Fachreferenten (Medizin, Pflege, Seelsorge und Psychologie). Und deren ganz überwiegende Ansicht ist: Patienten auf der Intensivstation erleben „nur“ andere als unsere Alltagswelten; sie sind auf „Reisen und Begegnungen im unbekannten Land“, eben in „anderen Bewusstseinszuständen“.
Jenseitsreisen
Unzweifelhaft scheint, dass Menschen im Koma weiterhin ein intensives „Innenleben“ führen. Das gibt auch der aktuellen ethisch-medizinischen Debatte um Terri Schiavo oder um Patientenverfügungen ein neues Gesicht. Faszinierend ist ferner, wie diesem Buch christliche (ars moriendi) und andere (schamanische, tibetisch buddhistische) Überlieferungen von Reisen ins Jenseits zur Sprache bringt. Erhellend auch zwei philosophische Perspektiven: Der Beitrag des klinischen Psychologen Renaud van Quekelberghe von der Uni Koblenz-Landau (zum Thema „Menschliches Bewusstsein“) und der brillante Abschlussvortrag des Münchener Philosophen Matthias Varga von Kibéd „An der Grenze – zwischen den Welten. Logische und anthropologische Betrachtungen“.
Einladung zur Diskussion
Sein Vorwort schließt der Herausgeber mit dem Appell: „Eine einfache Möglichkeit, sich an der weiteren Diskussion zu beteiligen, stellt heute das Internet zur Verfügung. Wir laden alle ein, sich auf unserer Seite www.traumland-intensivstation.de zu informieren, selbst Beiträge zu schreiben und Rückmeldungen zu geben auf das, was Sie hier gelesen und/oder selbst erfahren und erkannt haben. München, im Februar 2006“
Übrigens: Im Buchhandel kann man das Buch auch kaufen:
Thomas Kammerer (HG.)
„Traumland Intensivstation.
Veränderte Bewusstseinszustände und Koma.
Interdisziplinäre Expeditionen“
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
29,90 Euro