Ausdrucken

LernCafe 34 vom 1. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.de

Lebenslang lernen

(Druckversion)


Anne Pöttgen
E-Mail: annepoettgen@web.de

Rosemarie Schmidt
E-Mail: RS-Herchen@freenet.de

Der Besuch
"Wir müssen in unserer Zeit des beschleunigten technischen, sozialen und demografischen Wandels lernend altern und Altern lernen." Dieser Satz aus dem Mund von Frau Prof. Dr. Ursula Lehr - gehört bei einem ihrer Vorträge - könnte als Maxime für das LernCafé dienen. Ein Interview mit der anerkannten Alternsforscherin würde denn auch ideal in diese Ausgabe des LernCafé "Altern als Chance" passen, dachten wir uns. Und gerne wurde uns ein Gespräch in ihrem Haus gewährt.
"Frau Prof. Lehr, wie haben Sie vom LernCafé erfahren?"
"Ich wurde vom IFG - InitiativForum Generationenvertrag der Universität Köln darauf aufmerksam gemacht. Rosemarie Schmidt, die sowohl Projektmitglied des IFG ist als auch als Senior-Online-Redakteurin arbeitet, bat mich um das Interview."

Kunst des Alterns
"Ist die Kunst des Alterns die wichtigste Aufgabe der Älteren?""Dass wir älter werden, - daran können wir nichts ändern. Aber wie wir älter werden, das haben wir zum Teil selbst in der Hand. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden. Es gilt, nicht nur dem Leben Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben zu geben! Wenn heutzutage einer in Rente oder Pension geht, hat er noch ein Viertel seines Lebens, oft sogar ein Drittel, vor sich - eine Zeit, auf die viele Senioren heutzutage nicht vorbereitet sind.
Wir haben eine zunehmende Langlebigkeit, die den demographischen Wandel bedingt - oder genauer: stark mit beeinflusst. Doch dies ist nur e i n Aspekt eines Veränderungsprozesses unserer Gesellschaft, der neben diesen quantitativen Veränderungen (mehr Alte, weniger Junge) eine Reihe qualitativer Umstrukturierungen mit sich bringt. "

Kompetenz erhalten
"Besteht nicht eine Verpflichtung der Älteren, für körperliche und geistige Gesundheit zu sorgen, nachdem der Drei-Generationenvertrag sich zum Fünf-Generationenvertrag ausgeweitet hat?"
"Immer mehr Menschen erreichen ein immer höheres Lebensalter. Ich selbst habe in meiner Bekanntschaft bei der Geburtstagsfeier einer 102-Jährigen deren 80-jährigen Sohn und ihre 58-jährige Enkelin kennen gelernt. Wenn wir deren Kinder und Enkel hinzuzählen, haben wir fünf lebende Generationen.
Die Tatsache der Langlebigkeit ist zu begrüßen, aber wir müssen alles tun, um möglichst gesund und kompetent alt zu werden. Geistige Aktivität auch im Alter trägt zum Erhalt der Kompetenz bei, kann sogar nach neueren Erkenntnissen dementielle Erkrankungen hinauszögern - und erspart somit Pflegekosten, abgesehen von der Erhöhung der Lebensqualität."

Zeitgeist
"Wie beeinflusst die moderne Gesellschaft unser Altern?""Das 21. Jahrhundert ist nicht nur durch den demografischen Wandel gekennzeichnet, sondern durch eine Vielzahl struktureller und gesellschaftlicher Veränderungen. Das Älterwerden heutzutage findet in einer Zeit des wirtschaftlichen Wandels, in einer Zeit des rapiden technischen und sozialen Wandels, in einer Zeit des völlig veränderten beruflichen und privaten Alltags statt, in dem e-mailing, tele-banking und tele-shopping nicht mehr wegzudenken sind und ein Leben ohne Internet geradezu unvorstellbar wird. Hier ist auch selbst für Hochaltrige ein Lernen notwendig, da sie sonst aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind."
"Sie selbst haben ja schon in der Urzeit des Computers mit dem damals sensationellen "Zenith" gearbeitet".
"Ja, und mit einem Vorläufer des Schreibprogramms Word "Euroscript".

Lernformen
"Sind auch Änderungen bei der Form des Lernens erforderlich?""Lebenslanges "Lernen" - im weitesten Sinne definiert als Verhaltensänderungen aufgrund von Erfahrungen - ist in unserer schnelllebigen Zeit geradezu zur Existenznotwendigkeit geworden. Wir müssen ein Leben lang mehr lernen - und "anders" lernen als es von unseren Großeltern und Urgroßeltern gefordert wurde, weil wir uns mit den Veränderungen unserer Umwelt, die mit immer größerer Beschleunigung vor sich gehen, aus einander setzen müssen. Wir haben über den entsprechenden Ausbau von Beschäftigungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten auch für Ältere nachzudenken - und hier Ältere in die Programmgestaltung mit einzubeziehen. Wir brauchen für Senioren das Angebot von Volkshochschulen, Seniorenuniversitäten, Akademien. Und natürlich so etwas wie das LernCafé, das Anregungen zum Weiterlernen gibt."

Ein Beispiel
"Sehen Sie sich die Lernmethoden in modernen Schulen an, als Beispiel kann mein Enkel dienen, der in Mexico zur Schule geht. Ein Thema wird mit allen verfügbaren Medien behandelt. Etwa "Germany". Der gute alte Globus, Landkarten, die Fahne, die Hymne, die Hauptstadt. Komponisten, Dichter, Philosophen, Maler. Und die Wissensquellen? Bücher natürlich, aber auch das Internet. Soweit also der Input. Als Output dann ein Vortrag über das jeweilige Land, auf einem Schulfest werden typische Waren gezeigt...
So macht das Lernen Spaß und es bleibt weit mehr haften als beim üblichen Pauken, das wir in unserer Jugend noch erlebt haben. Das will heute niemand mehr, erst recht nicht ältere Menschen, denn Lernen im Ganzen ist leichter als Lernen in Teilen."

Engagement
"Ist bürgerschaftliches Engagement eine Möglichkeit, die geistige Beweglichkeit zu erhalten?"
"Für eine Kompetenz im Alter ist nicht die Anzahl der Lebensjahre ausschlaggebend, sondern das "functional age", die Funktionsfähigkeit verschiedener körperlicher und seelisch-geistiger Fähigkeiten. Und diese Funktionsfähigkeiten sind keinesfalls an ein chronologisches Alter gebunden, sondern werden von biologischen und sozialen Faktoren, die während eines ganzen Lebens einwirken, mitbestimmt. Weiterhin hat man ganz enge Zusammenhänge gefunden zwischen einer Lebensqualität im Alter und "dem Gefühl, gebraucht zu werden". Das alles spricht für ein Engagement - allerdings: Kein Soziales Pflichtjahr für ältere Mitbürger, sondern fordernde und fördernde Angebote."

Defizitmodell?
"Was ist eigentlich daran, dass ältere Menschen nicht mehr so lernfähig sein sollen wie jüngere?"
"Ein generelles Defizit-Modell des Alterns ist in Frage zu stellen. Altern muss nicht Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten im geistigen Bereich bedeuten. Der ältere Mensch lernt anders, aber nicht unbedingt schlechter. Das Defizit-Modell des Alterns wurde durch viele Studien widerlegt (Hinweise dazu im letzten Absatz) Alter kann in vielen Bereichen geradezu Gewinn sein, eine Zunahme von Kompetenzen und Potenzialen und damit eine Chance - für den Einzelnen und die Gesellschaft! Fest steht: Gleichaltrige zeigen oft größere Unterschiede in ihrer Leistungsfähigkeit als Menschen, deren Altersunterschied 20 Jahre und mehr beträgt - und in vielen Bereichen sind hierfür lebenslange Bildungsmaßnahmen verantwortlich zu machen..."

Die Griechen…
"Sie erwähnten vorhin kurz: Schon die alten Griechen..."Frühe Hinweise auf eine notwendige Aktivität im Alter, eine lebenslange Vorbereitung auf das Alter, eine Geroprophylaxe, die schon in Kindheit und Jugend beginnen sollte und neben dem physischen Bereich auch den geistigen Bereich umfassen muss, findet man auch bei PLATO (427-347 v.Chr) in seiner "Politeia" und auch bei CICERO (106-43 v.Chr.) in seiner Schrift "Cato maior de senectute". Sie preisen die lebenslange körperliche Aktivität, die richtige Ernährung, weisen aber auch auf die Notwendigkeit geistiger Aktivität und entsprechende Sozialkontakte, sozialer Zuwendung hin, die während des ganzen Lebens geübt werden müsse: Nichtaufhören, Weitermachen, ständiges Üben in allem, das sei die Maxime (CICERO)."
"Dem wollen wir nichts hinzufügen. Wir danken Ihnen, liebe Frau Prof. Lehr, herzlich für das Interview und Ihre Gastfreundschaft."

Links und Hinweise
Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_Lehr ) informiert umfassend über die Vita von Frau Prof. Dr. Ursula Lehr und über ihre Veröffentlichungen.
Studien zum "Defizitmodell Altern" zusammenfassend bei LEHR 1972, 2003, LEHR & THOMAE, 2000; MAYER & BALTES 1996
InitiativForum Generationenvertrag Universität Köln IFG (www.ifg.uni-koeln.de)