AusdruckenLernCafe 34 vom 1. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
http://www.lerncafe.deChancen und Herausforderungen im Alter
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Hildegard Neufeld
E-Mail: hneu61348@aol.com
Die Chancen
Noch nie hatten ältere Menschen so viele Chancen wie heute. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern das Ergebnis einer jahrzehntelangen Veränderung, an der viele und unterschiedliche Faktoren mitgewirkt haben, wie beispielsweise der medizinische Fortschritt und die technische Entwicklung.
Worin bestehen die "neuen Chancen" für die älteren Menschen unserer Zeit? Da ist zunächst die viel zitierte Chance des längeren Lebens. Wir leben heute in Deutschland über 30 Jahre länger als noch vor 100 Jahren, und die Lebenserwartung steigt - Prognosen zufolge - weiterhin an. Ist diese Chance zugleich auch Gewinn - und vor allem:
Gewinn für alle?
Wie so oft, sind Gewinne und Verluste ungleich verteilt, und der "wohlverdiente Ruhestand" hat inzwischen etwas an Attraktivität eingebüßt. Zum einen kommt er nicht selten früher als in der Lebens- und Finanzplanung vorgesehen und erfüllt auch nicht immer die individuellen Erwartungen. Für den Rentenversicherungsträger und die Beitragszahler aber ist die "Chance des verlängerten (Rentner)lebens" ein Problem.
Die Ruheständler stehen bei Rentenbeginn vor einem neuen Lebensabschnitt, der etwa die Hälfte ihres bisherigen Lebens umfassen oder sogar übersteigen kann. Er hält eine Vielzahl von Chancen bereit, Chancen für ein erfülltes Leben, der gesellschaftlichen Teilhabe und Mitgestaltung und damit für einen Gewinn. Die Chancen müssen allerdings ergriffen und umgesetzt werden.
Chancen aufgreifen
Als ich einst meinen 'selbstgewählten Ruhestand' antrat, war noch die Rede vom " tiefen dunklen Loch", das Rentner und Pensionäre bedrohte. Diese Befürchtung hegte ich nicht, denn mein Ruhestand sollte viele schöne Pläne realisieren. Als ich diese zurückstellte, um mich einer neuen Aufgabe (der Konzeption einer Seniorenzeitschrift) zu widmen, ahnte ich nicht, dass dies auch eine Chance war, die mein weiteres Leben maßgeblich beeinflussen sollte.
Meine neue Aufgabe erforderte neue Kenntnisse, die ich an der noch jungen Universität des dritten Lebensalters in Frankfurt a.M. erwarb. Damit hatte sich mir eine zweite Chance, die Chance der Weiterbildung, aufgetan, und - ohne dass ich es zunächst wahrnahm oder gar anstrebte -- war die dritte Chance schon unterwegs: Meine beruflichen Erfahrungen, kombiniert mit neuen Kenntnissen, führten zu einem Lehrauftrag, den ich bis vor wenigen Jahren ausübte.
Herausforderungen
Eine Lehrtätigkeit erfordert nicht nur Wissen, das man, wie ich sehr bald feststellte, auch im Alter erwerben kann, sondern auch die sprachliche Wissensvermittlung. Während meines ganzen Berufslebens hatte ich meine Gedanken, Erkenntnisse und Texte ausschließlich schriftlich formuliert. Es kostete mich Mut und Überwindung, mich in den Seminaren von meinem Konzept zu lösen und frei vorzutragen.
Die nächste Herausforderung kam auf mich zu als die an der Universität erarbeiteten Projekte in Fachveranstaltungen vorgestellt, kommentiert und diskutiert werden mußten. Ich war völlig unerfahren in der Benutzung von Mikrofonen, der Demonstration mit Hilfe der Technik und dgl.m. Mit Hilfe versierter Seminarteilnehmer habe ich meine Unsicherheit überwunden.
Internet als Chance?
Dass die neuen Technologien, dass PC und Internet eine Chance auch für ältere Menschen bedeuten, hat sich längst herumgesprochen. Nicht jeder nutzt sie, vor allem wenn er nicht persönlich damit konfrontiert wird.
Als ich aus meinem Berufsleben ausschied, glaubte ich, "dem Computer entkommen zu sein". Ein Irrtum, wie sich sehr bald herausstellte. Meine Weiterarbeit als Redakteurin machte die Nutzung der neuen Technologien erforderlich, und meine derzeitige Tätigkeit als Senior-Online-Redakteurin ist ohne PC und Internet nicht denkbar.
Zuvor galt es jedoch, sich einer weiteren Herausforderung zu stellen. Als ich mich noch unentschlossen zeigte, appellierte ein jüngerer Kollege an meine Verantwortung: "Was sollen denn die Jungen von uns denken", argumentierte er, "wie sollen sie ihre Möglichkeiten im Alter einschätzen, wenn wir nicht den Mut haben, uns den gesellschaftlichen Anforderungen zu stellen".
Die Verantwortung
Wir alle tragen Verantwortung: Verantwortung für uns selbst, Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, gegenüber der Gesellschaft. Auch ältere Menschen können sich der Verantwortung nicht entziehen.
" ... Heute weniger denn je kann sich der Mensch im Alter distanzierend von der sozialen Wirklichkeit entfernen, in der er sich vielfältig behaupten und bewähren muß, um sich mit seinen Erfahrungen und auch seinen Wünschen einzubringen, ... um kontinuierlich und systematisch an Aufgaben mitzuarbeiten." *
" ... Der ältere Mensch ist auch verantwortlich für die Welt und die Gestalt der Kultur, in die die jüngere Generation hineinwächst." *
" ... In der Frage an die ältere Generation, was sie denn hinterläßt, klingt deutlich genug die nach der Verantwortung für die folgenden Generationen mit. Diese darf nicht unverbindliches Versprechen bleiben." *
* Günther Böhme "Verständigung über das Alter oder Bildung und kein Ende" , Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein 1992.
Mut zur Veränderung
"Der demographische Wandel erfordert von uns allen ein Umdenken und Mut zur Veränderung" führte die frühere Bundesseniorenministerin Christine Bergmann (vor etwa acht Jahren) aus und forderte zugleich eine neue Sicht auf das Alter.
Die vielfältigen Chancen im Alter - häufig begründet mit der Vitalität, Aktivität und Mobilität der heutigen älteren Menschen - sind für uns alle ermutigend, aber sie bleiben bloße Erkenntnis und Information, wenn sie nicht umgesetzt, nicht genutzt werden. Dies gilt nicht nur für die älteren Menschen, sondern für die ganze Gesellschaft, für Wirtschaft und Soziales, Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt, für die Bildung und vor allem auch für die Medien. Sie alle sind von der demographischen Entwicklung betroffen und sollten sich engagiert darauf einstellen und tätig werden - jetzt!
Die Medien
Die Medien haben den demographischen Wandel und seine Folgen in ihre Berichterstattung integriert und kommen damit ihrem Informationsauftrag nach. Bei Google finden sich beispielsweise zum Stichwort "Chancen im Alter" z.Zt. 3.640.000 Ergebnisse, unter "Herausforderung im Alter" sind es immerhin 2.170.000.
Auch für die Medien ist das Älterwerden und Alter eine Chance und Herausforderung, Diese richtet sich vor allem darauf, die sich aus der veränderten Altersgliederung ergebenden Folgen so zu vermitteln, dass praktikable Lösungen erkannt und in Angriff genommen werden. Es genügt nicht, die Aktivitäten besonders leistungsfähiger bzw. privilegierter Menschen herauszustellen, sondern zu berichten, wie ältere Menschen sich im Alltagsleben engagieren, wie sie sich für die Gemeinschaft einbringen.
Die Medien sollten sich der uns alle betreffenden Aufgabe stellen: gezielt informieren, motivieren und zur Mitarbeit herausfordern.
Die Wirtschaft
"Wer auf Gewinn setzt, muss Ältere als Kunden gewinnen, und wenn die Wirtschaft die richtigen Produkte und Dienstleistungen für ältere Menschen anbietet, erschließt sie eine Chance für Wachstum und Beschäftigung" erklärte der Staatssekretär Rubenstroth-Bauer in einem Pressegespräch am 04.04.2005. Diese Chancen haben die meisten Unternehmen in unserem Land bisher noch nicht ausreichend erkannt bzw. aufgegriffen. Vor allem gelingt es ihnen noch nicht, sich auf die Bedürfnisse der älteren Konsumenten einzustellen. Oder nehmen sie diese Bedürfnisse gar nicht erst zur Kenntnis? -"Langfristig werden jene Wirtschaftsregionen einen Vorteil haben, die sich gezielt auf ältere Menschen als Kunden einstellen", argumentierte die nordrhein-westfälische Familienministerin Birgit Fischer. - Und wie jeder weiß: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!"
Zusammenfassung
Die demographischen Herausforderungen betreffen uns alle, und wir können sie nur bewältigen, indem wir sie annehmen und umsetzen. Die größte Chance der älteren Menschen liegt darin, dass sie ihre "gewonnenen Jahre" nicht nur der eigenen Lebensqualität widmen, sondern ihre Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen in gesellschaftliche Aufgaben einbringen.
Ältere Menschen setzten sich bereits in immer größerer Zahl im freiwilligen Engagement für die Gemeinschaft ein. Sie stärker in die gesellschaftliche Mitgestaltung, in Planungs- und Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen, sollte von Staat und Gesellschaft als Chance und Herausforderung nicht nur erkannt, sondern auch gefördert und unterstützt werden.
Die Zukunft hält eine Vielzahl von Chancen und Herausforderungen bereit. Wir alle sind aufgefordert, sich ihnen zu stellen, die Zukunft engagiert und verantwortlich mitzugestalten.
Links
www.bmfsfj.de/Politikbereiche/
Aeltere-Menschen/erfahrungswissen-nutzen.html
www.erziehung.uni-giessen.de/studis/robert/senioren.html
www.google.de
www.lerncafe.de/lerncafe31/index_open.htm