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LernCafe 34 vom 1. Juni 2006: "Alter(n), eine Herausforderung"
Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung
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Ich kann das... lernen

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Lucy Englisch
E-Mail: e.englisch@t-online.de

Erkenntnis
Ich öffnete langsam die Augen und nahm allmählich wahr, dass ich mich in einem kargen Raum befand und in einem Krankenhausbett lag. Beim weiteren Umherblicken sah ich dann meinen Enkel Markus am Bett sitzen, der meine Hand streichelte. Ich wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus.
Ich war entsetzt und probierte es noch einmal und gurgelte mühsam die Worte: "Oh Gott, bleibt das jetzt immer so?" "Aber nein", beruhigte mich seine Stimme, "Du hattest eine längere Vollnarkose und da ist das Erwachen immer etwas schwieriger!"
Ja, und nun fiel mir alles wieder ein: Ich war in B. die Bahnhofstreppe hinab gestürzt und hatte dabei einen bösen Oberschenkel-Halsbruch erlitten. Mich traf der Gedanke wie ein Schlag, dass ich nun meine Lieblingstätigkeit, nämlich "Das Tanzen" nicht mehr ausüben konnte.

Vorher
Ich hatte mich nach dem Tode meines Mannes als Seniorentanz-Tanzleiterin ausbilden lassen und inzwischen zwei größere Tanzgruppen aus dem Nichts aufgebaut. Ich hatte mir damals vorgenommen etwas "Soziales" zu tun, was mir aber auch gleichzeitig Spaß bereiten sollte. So hatte ich hier eine wunderbare Ergänzung meiner Neigungen gefunden, hatte zwei tolle Tanzteams aufgebaut und wir waren alle glücklich und zufrieden - und nun das!! Zehn Jahre hatten wir gemeinsam unsere Freizeit verbracht und es waren mit die schönsten Jahre meines Lebens.
Nun auch schon älter geworden, hatte ich zwei ausgezeichnete jüngere Nachfolgerinnen gefunden und wollte mich dann so allmählich zurückziehen und etwas anderes unternehmen. Stattdessen stürzte ich jetzt in ein tiefes seelisches Loch und war total verzweifelt.

Aussichten
Nach "Reha" und anderen Maßnahmen war ich dann soweit, mich mit einem Rollator einigermaßen bewegen zu können mit der traurigen Aussicht, dass es so bleiben würde. Ich hatte keine Lust mehr zu leben und als ich wieder mal so ganz verzweifelt war, war es wiederum mein Enkel, der mich allmählich wieder ins Leben zurückholte, indem er mir vorschlug, es doch einmal mit der Arbeit am Computer zu versuchen.
Ich absolvierte an der hiesigen VHS einen Einführungslehrgang für Senioren und allmählich reifte der Gedanke: Ich wollte das alles lernen.

Mühe
Am Anfang war es gar nicht so einfach, weil man selbst mit guten Englisch-Kenntnissen vollkommen hilflos war, denn die Computersprache ist eine ganz eigene Sprache, die lässt sich teilweise überhaupt nicht übersetzen. Man muss die Begriffe echt auswendig lernen und sich schon ein bisschen anstrengen und vor allen Dingen muss man eben wollen!
Ich wollte ja um jeden Preis abgelenkt werden und habe ganz eifrig gelernt.
Nach einiger Zeit kam ich von selbst dahinter, dass man gar nicht alles lernen kann, dafür ist das Gebiet zu umfangreich. Man muss sich das heraussuchen, was man gerne mit dem PC machen will und sich darauf konzentrieren. Mit der Zeit wird es dann von selber immer mehr.

Computer
Zuerst hatte ich mir einen billigen PC geliehen und hatte auch noch keinen Zugang zum Internet. So habe ich erst einmal die Textverarbeitung gelernt, dann kamen Grafik-Programme hinzu. Ich beschenkte meine Freunde mit Visitenkarten und Adress-und Absender-Aufklebern usw. Es gab natürlich auch mal Momente, in denen ich das Ding am liebsten an die Wand geschmissen hätte, weil nichts klappte.
Aber bei ehrlicher Betrachtung war man meist selber diejenige, die die Fehler verursacht hatte.

Internet
Vor drei Jahren habe ich mir dann einen Internet-Anschluss einbauen lassen und fortan wurde das Leben immer interessanter. Inzwischen arbeite ich auch mit einer Digital-Kamera einer Web-Kamera und an einem Laptop. Darüber hinaus habe ich viele visuelle und virtuelle Freunde gefunden. Ich könnte nicht so ein nichts sagendes "Tralala-Leben" führen. Ich brauche auch als älterer Mensch kleine Erfolgserlebnisse und eine gewisse Anerkennung und hier bin ich sogar in der Lage, sie mir selber zu verschaffen.
Mittlerweile bin ich weit über 80 Jahre alt und ganz " Neunmalkluge" sagen dann:" Was soll das Ganze? Du stirbst ja doch in einigen Jahren!"
Das mit dem Sterben stimmt schon, aber ich weiß nicht wann. Soll ich mich nun bis dahin hinsetzen und drauf warten, mit der Aussicht zu verblöden? Oder soll ich mir selber und anderen noch Freude machen mit dem, was ich kann?
Also liebe zaghafte ältere Seniorinnen, nur keine Angst, traut euch was zu und ihr werdet merken, dass man mit diesen Kenntnissen ganz anders in die Welt schaut.

Neues
Ach, ein kleines ganz neues Erfolgserlebnis muss ich doch noch erzählen. Durch das Programm meiner kleinen guten Webkamera, die oberhalb meines Bildschirmes angebracht ist, kann ich Freunden ein kleines Video schicken, zwar nur 18 Sekunden lang, aber der Erfolg war umwerfend.
Ich war leibhaftig auf dem Monitor und habe meine Ostergrüße also persönlich gesprochen überbracht. Die meisten meiner Freunde sagten, das wäre die tollste Osterüberraschung gewesen und die ganze Familie hätte vor dem Bildschirm gesessen und sich riesig gefreut.