Die Geschichte der AG FOrsche HUman (FOHU)

Erstes Projekt: Von der Uni in die Stadt – Wie gelangt wissenschaftliche Information zu den Bürgern?
Zweites Projekt: Ein Jahr mit Tai-Chi-Kursen in der Geriatrischen Klinik Bethesda
Drittes Projekt: Ärztinnen und Ärzte zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot, Patientenwünschen und Klagedrohung

Sommer 1995: der Beginn des ersten Projekts: Von der Uni in die Stadt – Wie gelangt wissenschaftliche Information zu den Bürgern?

Wir treffen uns zum ersten Mal in der Musischen Werkstatt, dem kreativen Zentrum der Universität Ulm. Noch kennen wir einander nicht. Sicher ist nur: Unser Frauenanteil liegt bei 83,34%, während die Männer mit 16,66% vertreten sind. Und: Wir unterscheiden schon Kaffee- und Teetrinker.

Einige von uns haben bei der Seniorenakademie die Arbeitsgruppe Humangenetik besucht und wollen sich nun tiefer mit dem Thema Humangenetik beschäftigen. Der gesamte Problemkreis erscheint uns so wichtig, dass wir nach Wegen suchen wollen, die Erkenntnisse der Wissenschaft an möglichst viele Menschen weiterzugeben. Wir wollen also gemeinsam herausfinden, wie sich das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit darstellt und dies am Beispiel "Humangenetik".

Die anspruchsvolle Zielsetzung "Forschendes Lernen" macht uns zunächst skeptisch, aber wir packen es an. Frau Elke Kohler, Diplom Biologin, wird unsere Projektleiterin sein. Frau Dr. Gerlinde Sponholz wird uns beratend zur Seite stehen, und für unlösbare Probleme gibt es unseren Übervater Prof. Helmut Baitsch.

Zunächst müssen wir unsere Interessen koordinieren und Wissenslücken schließen. Dann wollen wir herausfinden, wie vertrauenswürdige Wissenschaft arbeiten muss und wie Vertrauen für die Arbeit der Wissenschaftler aufgebaut werden kann. Wie gehen die Menschen mit der Informationsflut aus den Medien um, was greifen sie sich heraus, welches Bild der Humangenetik entsteht dadurch? Um dies zu erheben wollen wir möglichst viele Menschen befragen. Über die Sommerpause gibt es eine Hausaufgabe: Wir sollen geeignete Fragen zusammenstellen. Beim nächsten Treffen stellt jeder seine Highlights vor, es ist eine bunte Mischung von Vorschlägen.

Wir diskutieren verschiedene Methoden der Befragung: Sollen wir mit Interviews arbeiten, oder ist es sinnvoller einen Fragebogen zu erstellen? Nach langen Überlegungen siegt der Fragebogen. Die Herbstakademie des ZAWIW steht vor der Tür, und damit die Möglichkeit eine große Zahl interessierter Bürger zu befragen. Auch erscheint uns die Auswertung von Fragebögen einfacher und präziser. Frau Kohler bietet an, eine Zusammenstellung der Fragen auszuarbeiten und legt in der nächsten Sitzung als Diskussionsgrundlage einen ersten Entwurf vor. Wir sind sprachlos. Der Bogen ist ein kleines Heft, 17 Seiten! Er wird kritisch diskutiert. Das wird teuer: wir sind besorgt über die entstehenden Kopierkosten. Das ZAWIW ist bereit, die Kosten für 100 Bögen zu übernehmen. Durch private Initiative werden noch 20 zusätzliche Bögen kopiert. In der Regel nehmen an der Akademie über 500 Personen teil, da reichen unsere Bögen nicht. Wir beschließen, sie nur an Frauen auszugeben, - das erleichtert dann auch die Auswertung.

Welche persönlichen Angaben brauchen wir von den Befragten? Alter, Vorbildung, Interessen, Kinder, Familienstand. Wir wollen ja herausfinden, wie und wodurch die Einstellung der Bürger zur Humangenetik beeinflusst wird. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, ob die Befragten im Rahmen einer früheren Senioren-Akademie an Arbeitsgruppen zu diesem Thema teilgenommen haben. Äußern Menschen, die mehr wissen, eine differenziertere Meinung? Unser Beschluss lautet also: 60 Fragebögen gehen an Teilnehmerinnen und 60 an Nichtteilnehmerinnen.

Herbst 1995 - Namensfindung des Arbeitskreises

Unsere Gruppe muss nun noch einen Namen bekommen, wir denken darüber nach und kommen auf allerlei Heiteres. Prof. Baitsch bringt schließlich den brauchbaren und sehr seriösen Vorschlag: "FORSCHungsgruppE HUMANgenetik". Das leuchtet allen ein. Wir heißen also fortan "FORSCHE HUMAN".

Die Herbstakademie 1995

Wir teilen die Bögen aus und bitten darum, sie bis zum Ende der Akademiewoche ausgefüllt in den bereitgestellten Karton zu werfen. Doch wir haben noch mehr zu tun: Während der (wieder voll besetzten) Arbeitsgruppen zur Humangenetik protokollieren wir den genauen Ablauf. Zunächst löst ein Rollenspiel von Herrn Prof. Baitsch und Frau Dr. Sponholz bei den Teilnehmenden unmittelbare Betroffenheit aus. Dargestellt wird ein Gespräch auf der Genetischen Beratungsstelle. Es zeigt die Vielschichtigkeit und oft auch Unlösbarkeit der Probleme (Sponholz et al., 1995). In der anschließenden Diskussion interessieren uns vor allem folgende Fragen: Welche Probleme werden angeschnitten? Welche Personen beteiligen sich? Wer sagt was? Wer fragt was? Und: Welche Fragen werden gehäuft gestellt? Wir schreiben sehr viel auf, leider harren diese Protokolle immer noch der Auswertung.

Bis zum Ende der Akademiewoche finden 72 Fragebögen den Weg in unsere Sammelschachtel. Mit dieser Rücklaufquote von 60% sind wir zunächst sehr zufrieden.

Winter 1995

Ein kritischer Rückblick zeigt uns allerdings: Der Bogen war zu umfangreich, manche Fragen waren nicht zu beantworten. Viele Frauen haben den Bogen mit nach Hause genommen und dort nicht alleine ausgefüllt, die Beantwortung wurde zur "Familiensache". Diese Mitteilung überraschte uns sehr, damit hatten wir nicht gerechnet!

Bei Kaffee und Tee findet in der Musischen Werkstatt das erste "Streichkonzert" statt. Welche Fragen sollen gestrichen werden, welche sind nicht ergiebig? Wir feilschen hart um jede Frage. Bei welchen Fragen unterscheiden sich Teilnehmerinnen und Nichtteilnehmerinnen der Arbeitsgruppen eindeutig? Bei welchen ist kein Unterschied festzustellen? Bei dieser Arbeit zeigt sich, dass wir -je länger, desto mehr- gut zusammenarbeiten und zu brauchbaren Resultaten kommen. Die Diskussionen in der Gruppe sind stets ergiebig.

Erste Ergebnisse

Ein erstes Ergebnis zeichnet sich ab: Durch die Arbeitsgruppen zur Humangenetik werden fest zementierte Vorurteile erschüttert und sichere Positionen in Frage gestellt. Nichtteilnehmer neigen zu klaren Antworten, Teilnehmer an den Seminaren antworten sehr häufig mit "weiß nicht" und beweisen damit ihre differenziertere Sichtweise der Probleme in der Humangenetik. Nach dieser aufschlussreichen Pilotstudie machen wir uns nun an Überlegungen für einen endgültigen Fragebogen.

Unsere Ziele werden präzisiert:

Durch eine Fallvignette soll der Einstieg in die Problematik erleichtert werden.
Zuerst wird von uns als Beispiel Brustkrebs erwogen, da aber Brustkrebs nicht zu 100% erblich ist wird dieses Beispiel verworfen, wir entscheiden uns für Mukoviszidose. Obwohl dies die häufigste erbliche Erkrankung in Mitteleuropa ist, wird es nötig sein über Erbgang und Krankheitsbild näher zu informieren. Langsam kommen wir ins Gedränge. Wir arbeiten schon am 2. Fragebogen und haben den ersten noch nicht vollständig ausgewertet. Die Frauen, die den 1. Bogen ausgefüllt haben, wollen bei der nächsten Akademie die Ergebnisse erfahren. Wir arbeiten gleichzeitig an der Auswertung des Pilotfragebogens und konzipieren den zweiten Bogen. Diese Arbeit macht uns viel Kopfzerbrechen und wir merken allmählich, wie aufwendig die Auswertung von Fragebögen ist.

Mit dieser Erfahrung setzen wir uns zu einem weiteren Streichkonzert zusammen. Am Ende sind 33 Fragen des Pilotbogens gestrichen, bei einigen muß noch geprüft werden, ob und wie sie in den endgültigen Bogen übernommen werden. Frau Kohler stellt den neuen Fragebogen zusammen und besorgt Informationen über Mukoviszidose.

Nun geraten wir unter Zeitdruck. Bei heißen Diskussionen mit viel Kaffee, Tee und Kuchen wird der neue Entwurf erörtert. Es bleiben uns nur 6 Wochen Zeit, denn im Februar soll ein erster Stapel unserer Bögen bei einer Vortragsveranstaltung in einer Volkshochschule zum Thema Humangenetik ausgegeben werden. Diesmal wollen wir alle Teilnehmenden, Männer und Frauen, befragen. Auf den letzten Drücker werden wir fertig. Der Fragebogen umfasst jetzt nur noch 3 Seiten.
Wir haben gelernt, dass es besser ist, die Bögen gleich wieder einzusammeln, um zu vermeiden, dass die Beantwortung erneut "Familiensache" wird. Außerdem erzielen wir mit dieser Methode eine hohe Rücklaufquote.

Nun müssen wir uns an den PC setzen, für die meisten von uns ist es das erste Mal, aber Frau Kohler hilft. Es gibt DiktiererInnen und SchreiberInnen, wir bestaunen die Möglichkeiten, die ein PC zur Auswertung und Darstellung bietet: Der Rechner ist eigenwillig, er wird zum dominanten Mitglied unserer Gruppe; wir anerkennen seine Arbeit aber trotzdem (was bleibt uns auch anderes übrig)?

Für die Frühjahrsakademie 1996 planen wir eine Präsentation unserer Gruppe. Drei Stellwände sind vorgesehen. Ein Plakat von Fred Ayer liefert uns die zündende Idee zur Gestaltung der ersten Stellwand: Auf buntem Untergrund wollen wir Fotos unserer bisherigen Arbeit präsentieren. Für das zweite Poster ziehen wir aus unserer "Sammelmappe" informative Zeitungsausschnitte und "goldene Worte". Auf der dritten Stellwand wollen wir ausgesuchte Ergebnisse unseres Pilotfragebogens präsentieren. Als Untergrund wählen wir einen dezent durchscheinenden Chromosomensatz. Nun pinselt die eine wild drauf los, der Techniker arbeitet mit Millimetermaß. Es gilt abzuwägen und auszusuchen, Schriftart Größe und Anordnung, Kurven oder Säulen, farbig oder schwarzweiß, räumlich oder flächig.... Wir probieren, verwerfen und heißen schließlich gut.

Frühjahr 1996

Die Präsentation ist fertig. Aber oh Schreck: Alle Poster sind um eine DIN-Größe kleiner als die Stellwände! Hier hilft eine schwarze Unterlage und diese Notlösung entwickelt sich zum Design-Renner.

Mit ihren Unterlagen für die Frühjahrsakademie erhalten alle 540 TeilnehmerInnen unseren Fragebogen Im Laufe der Akademiewoche werden dann 297 ausgefüllte Bögen an uns zurückgegeben. Wir nehmen wieder an den Arbeitsgruppen zur Humangenetik teil. Wir müssen uns davor hüten die Diskussion zu dominieren, wir wissen allmählich "zuviel".

Frühsommer 1996

Wir dürfen nun nach dem Pilotfragebogen auch den endgültigen Fragebogen in den PC eingeben. Wir rücken jeden Montagmorgen paarweise an, geben die Bögen in den PC ein und sind mächtig stolz auf die Anzahl die wir jedesmal verarbeiten. Langsam wird der Stapel kleiner. Natürlich sind neue Überlegungen nötig. Nach welchen Kriterien werten wir dieses Mal aus? Alter, Religion, Geschlecht, Sport, Bildung, Beruf, Kinder, wer ist - warum - wie eingestellt? Wer wäre z.B. für Selbstbezahlen von Gentests? Welche Leute sind für die Verbesserung des Menschen durch Eingriffe in die Keimbahn? Gibt es Unterschiede zwischen dem befragten VH-Publikum und den Teilnehmern der Jahreszeitenakademien?

Sommer 1996

Die Übersicht der Einzelergebnisse ist fertiggestellt. Das Wetter ist super! Wir sitzen auf dem Balkon, schauen von oben auf die Uni hinunter und diskutieren unsere Ergebnisse. Mit einem Poster, das die Zusammenfassung unserer Ergebnisse zeigt reist Frau Dr. Sponholz zur Tagung der AMEE (Association of Medical Education in Europe) in Kopenhagen. Zum Glück gibt es hier in der Uni Leute, die über genügend Sprachkenntnisse verfügen um die schwierige Materie auf englisch darzustellen. In Kopenhagen finden unsere Ergebnisse großes Interesse.

Herbst 1996

Für die Herbstakademie wird wieder ein Plakat gebraucht. Wir haben inzwischen große Übung im Poster machen, diesmal geht alles ziemlich schnell. Wir sind nicht dumm; "Kopenhagen" wird einfach mit deutschem Text überklebt. Erfahrungen sammeln wir auch: Das Befestigen der einzelnen Blätter mit Fotoecken ist wenig sinnvoll, ständig fällt ein Blatt herunter. In einer Nachmittagsveranstaltung der Herbstakademie wird über den neuesten Stand der Humangenetik informiert. Wir sitzen unter den Zuhörern und sind nicht schlecht erstaunt, als uns Prof. Baitsch ein neues Aufgabengebiet zuweist: Als Anlaufstelle für Fragen aus der Bevölkerung wird die Gruppe FORSCHE HUMAN genannt. Doch uns beschäftigen schon die nächsten Überlegungen: Wie sollen wir weitermachen?

Es gibt 3 Bereiche, die bearbeitet werden sollen:

Nachdem immer wieder von Akademieteilnehmern der Wunsch geäußert wird, in unserer Gruppe mitzuarbeiten, sehen wir in der Aufteilung in Untergruppen die Möglichkeit, weitere Interessenten an unserer Arbeit zu beteiligen. Zudem werden durch diese Maßnahme die bisher häufig auftretenden Terminschwierigkeiten gemildert. Plötzlich stehen ganz andere Dinge im Vordergrund: Unser Professor Baitsch wird 75. Welches Geschenk ist hier angebracht? Wir einigen uns auf eine riesige Torte. Wieder teilen wir uns die Arbeit: Basteln, backen, dichten, verzieren.

Wir feiern ein rauschendes Geburtstagsfest. In den abgedunkelten Hörsaal schieben wir die Torte mit 75 brennenden Kerzen und gratulieren mit einem eigens verfaßten Gedicht. Die Überraschung gelingt und wir platzen fast vor Stolz. Das Geburtstagskind ist gerührt.

Frühjahr 1997

Frau Kohler hat für uns einen PC Kurs organisiert. Zwei Mitarbeiter des Universitätsrechenzentrums mühen sich mit uns ab. Wir sitzen ratlos aber eifrig am PC. Bei manchem von uns geht diese Woche an die Substanz. Gegen Ende des Lehrgangs aber lichtet sich der Nebel.

Das Buch "Forschendes Lernen" wird vom ZAWIW angekündigt. Wir kommen also nicht dazu, unser neu erworbenes PC-Wissen bei der Auswertung der Fragebögen anzuwenden, die Publikation hat Vorrang. Diese Idee des ZAWIW bereitet uns großes Kopfzerbrechen. Anhand unserer Arbeitsprotokolle tragen wir die Daten fürs Buch zusammen, erarbeiten in mehreren Diskussionen ein Konzept und einigen uns über den Inhalt. Auch dieser Artikel soll ein Gemeinschaftswerk werden.

Unter großem Zeitdruck machen wir uns daran, den Wunsch des ZAWIW zu erfüllen, und wir schaffen es mit letzter Kraft, unseren Artikel für das Buch termingerecht abzuliefern.

Vielleicht waren wir die einzigen, denen das gelang. Jedenfalls warteten wir – zuerst geduldig, dann zunehmend ungeduldig und letztlich vergebens – auf das Erscheinen dieses Buches.

Sommer 1997 bis Frühjahr 1998

Gut ein Jahr lang beschäftigt uns der Eintrag ins Internet. Hier geht es zunächst um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms und die Folgen dieser neuen Erkenntnisse. Wir haben zwar in unserem PC-Kurs mancherlei Fertigkeiten erworben, aber noch traut sich niemand an das Gerät heran, und so läuft es darauf hinaus, dass wir beraten und verwerfen und schließlich doch diktieren - und Frau Kohler schreibt.

In gemeinsamer Arbeit entsteht so ein kleines Lehrbuch über die Humangenetik, wobei wir großen Wert darauf legen, alle Informationen so zu formulieren, dass sie von jedermann begriffen werden können. Der Eintrag ist zu finden unter: www.mogmog.de/fohu

Bei den Anwendungsmöglichkeiten ist es uns besonders wichtig, auf die ethischen Fragen hinzuweisen, die sich aus dieser neuen Wissenschaft ergeben. Ein Fallbeispiel ermöglicht es dem Leser, sich an der Diskussion zu beteiligen. Über eine e-mail-Anschrift kann mit einem Mitglied der Gruppe Kontakt aufgenommen werden.

Frühjahr 1998 und später

Inzwischen sind wir mutig geworden, und als wir gefragt werden, ob wir bei einer Seniorenakademie eine Arbeitsgruppe übernehmen wollen, sagen wir zu, und es bleibt nicht bei dem einen Mal. Allerdings sind wir froh, dass wir die Aufgabe als Gruppe gestalten können, und wir sind hinterher immer mächtig stolz, wenn wir hören, unsere TeilnehmerInnen seien beeindruckt gewesen. Insgesamt machen wir auf drei Jahreszeitenakademien mit.

Einer der Zuhörer ist so angeregt, dass er uns etliche Zeit danach (Mai 2000) nach Singen auf die Landesgartenschau holt, wo wir im Rahmen des „Gartens der Erinnerung“ einen Nachmittag gestalten mit dem Thema: „Ethische Fragen zur Humangenetik“.

In einem Buch, das die Singener später herausgeben, wird unser Nachmittag ganz besonders gelobt, worüber wir uns natürlich sehr freuen.
Eine aus der Gruppe arbeitet seither weiter mit drei verschiedenen Vorträgen zu den Themen:


Insgesamt werden es (bis zum Frühjahr 2003) achtunddreißig Vorträge werden.

1999

Frau Elke Kohler verlässt die Universität – wir werden „kopflos“.

Doch nun stehen wir vor einem Riesenproblem: Trauer macht sich breit, denn unsere Arbeitskreisleiterin, Diplom-Biologin Elke Kohler, verlässt aus beruflichen Gründen die Uni und zieht von Ulm weg. An einem wunderschönen Maientag machen wir noch einen gemeinsamen Ausflug in die Wilhelma, und probieren danach im Schlossgartenhotel in Stuttgart die Eiskarte rauf und runter. Doch dann kommt der Abschied, der uns allen schwer fällt, denn die gemeinsame Arbeit hat so etwas wie Freundschaft entstehen lassen.

Dies mag auch der Grund sein, weshalb wir unsere Gruppe nicht so einfach auflösen. Da wir nun keinen Zugang mehr haben zu den Räumen der Uni, treffen wir uns gelegentlich in unseren privaten Wohnungen. Und bei einem solchen Treffen beschießen wir, noch einmal einen Neuanfang zu versuchen.

April 2000

Im April 2000 findet im Büro des Arbeitskreises „Ethik in der Medizin“ ein Gespräch mit Herrn Professor Baitsch und Frau Dr. Sponholz statt. Wir haben den Wunsch, für eine Weiterarbeit unserer Gruppe beraten zu werden. „Wir hätten uns“, meint Herr Professor Baitsch, „nun lange mit Problemen am Beginn des Lebens befasst.“ Und er schlägt vor, uns jetzt Fragen, die am Ende des Lebens auftauchen, zuzuwenden.

Wir sind zunächst etwas ratlos. Aber dann ergibt sich – eher durch Zufall - ein Kontakt zu Herrn Professor Nikolaus, dem Chefarzt der Geriatrischen Klinik „Bethesda“. Zu unserer Überraschung hat er sofort eine Aufgabe für uns, die wir gerne übernehmen.

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Zweites Projekt: Ein Jahr mit Tai-Chi-Kursen in der Geriatrischen Klinik Bethesda

Mai 2000

Es geht um Sturzprävention im Alter zur Verhütung von schweren Knochenbrüchen. Unsere Aufgabe besteht zunächst darin, heraus zu finden, inwieweit die chinesische Heilgymnastik Tai-Chi von Menschen im dritten Lebensalter angenommen wird.
Unser neuer Arbeitsplatz ist in der Bethesda-Klinik im obersten Stockwerk in einem Raum, der rundum Fenster hat und einen wunderschönen Blick über die Stadt ermöglicht. Doch wir gucken nicht nur raus, sondern machen uns sogleich mit neuem Elan an die Arbeit. Wir entwickeln einen Fragebogen, den wir zunächst im Elisastift an Teilnehmerinnen einer dort bereits bestehenden Tai-Chi-Gruppe austeilen. Diese Gruppe ist zwar sehr klein, doch das positive Echo ist so groß, dass wir beschließen, diese Gymnastik einem größeren Teil älterer Menschen vorzustellen.

Zu einem Informationsnachmittag im Januar 2001 mit den beiden Ärzten aus der Klinik Bethesda, sowie Herrn Lindemann und dem Tai-Chi-Lehrer, Herrn Hammer, kommen dann zu unserer Verblüffung 120 InteressentInnen, und 57 davon melden sich spontan zu einem Tai-Chi- Kurs an.

Diese Riesengruppe muss natürlich aufgeteilt werden, und immer zwei von uns finden sich nun vor jeder Übungsstunde, die unter der Leitung von Herrn Hammer stattfindet, in der Klinik Bethesda ein, und verteilen unsere Fragebögen. Wir wollen wissen, mit welchen Erwartungen dieser Kurs belegt wurde.

Nach 12 Übungsstunden erhalten alle Beteiligten erneut einen Fragebogen, der uns Aufschluss darüber geben soll, wie weit die Erwartungen erfüllt worden sind. Dazu gibt es Untersuchungen, die belegen sollen, dass tatsächlich das Gleichgewichtsgefühl besser geworden ist und auch die Konzentrationsfähigkeit zugenommen hat. Diese wird geprüft mit einem Test, bei dem 10 Begriffe zu lesen und anschließend wieder zu geben sind.

Wir, als Gruppe, die nicht an der Gymnastik teilnimmt, geben die Kontrollgruppe ab, und auf den Fluren der Klinik wird je nachdem, verschämt oder stolz bekannt gegeben, wie viele man noch gewusst hat, fünf, sieben oder gar acht?

Weitere Ergebnisse:

Zunächst einmal melden sich etwa 75% aller Teilnehmerinnen zu einem Folgekurs an, was allein schon als positives Ergebnis zu werten ist.

Die Auswertung der Fragebögen ergibt darüber hinaus folgende Erkenntnisse:

War am Anfang „Freude an der Bewegung“ für etwa 60 % aller Teilnehmenden sehr wichtig, so sind es nach 12 Übungsstunden ca. 92 %. Auch „Kontakt zu anderen Teilnehmern“, der mit nur 19 % am Anfang angegeben wurde, erhöht sich auf 49 %.

Deutliche Steigerungen zeigen sich in „Verbesserung der Ausdauer“, „Körperliche und geistige Entspannung“ und „Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens“.

Leicht verbessert haben sich „Wiedergewinnung der Gelenkigkeit“ und „Stärkung von Gleichgewicht im Stehen“.

Positive Wirkung auf Konzentration und den Schlaf können dagegen vorläufig nicht bestätigt werden.

Informationen zu diesem Modellversuch zur Verbesserung der Beweglichkeit und Verhinderung von Stürzen findet man im Internet unter www.fit-in-jedem-alter.de.

2001

Zurück an die Uni – in die „Ethik in der Medizin“

Mit den beiden Ärzten am „Bethesda“ ist unsere Mitarbeit von vornherein auf ein Jahr begrenzt. Zwar fühlen wir uns in dieser Klinik sehr wohl und finden uns in den schönen Räumen auch immer gastfreundlich aufgenommen, aber insgeheim zieht es uns alle wieder auf den Ulmer Eselsberg.

Wieder sitzen wir zusammen und beraten . Wir schreiben das Jahr 2001. Alle Zeitungen sind voll mit Berichten über den Kampf um eine Gesundheitsreform. Es ist die hohe Zeit der Lobbyisten, und jeder Versuch der jeweiligen GesundheitsministerInnen wird sofort von einer oder mehreren Seiten torpediert. Die Sache erscheint nahezu aussichtslos.

Da bringen uns verschiedene Meldungen über die Haftbarmachung von Ärzten auf eine neue Fährte. Da wird z. B. ein Arzt in Frankreich haftbar gemacht, weil er bei einer pränatalen Untersuchung eine Schädigung des Föten nicht entdeckt hat, und er wird nach der Geburt eines kranken Kindes zu „Schadenersatz“ – was immer dies auch sein mag – verurteilt.

Solche Urteile werden dazu führen, so vermuten wir, dass zukünftig Ärzte alles tun werden, um nicht in eine solche Situation zu kommen. Sie werden alle denkbaren, womöglich auch sinnlosen Maßnahmen ergreifen, und auf alle Wünsche der Patienten eingehen, damit ihnen nur ja kein Versäumnis nachzuweisen sein wird. Dies wird dann zu einer wenig sinnvollen Verschleuderung der Ressourcen, die für unser Gesundheitswesen zur Verfügung stehen, führen. So denken wir.

Wie, so wollen wir fragen, wirkt sich dieses zunehmende Beharren der Patienten auf irgend eine Rechtslage im Gesundheitswesen heute schon aus? Und was denken die Ärzte in dieser Frage?

Jetzt fehlt uns nur noch eine neue „Elke“, und dann können wir wieder loslegen.

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Drittes Projekt: Ärztinnen und Ärzte zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot, Patientenwünschen und Klagedrohung

Dezember 2001

Unser neuer Koordinator heißt Michael Gommel, er ist Diplom-Biologe.

In einem Ethikseminar, im Dezember 2001, kann eine von uns einen „alten Kontakt“ neu beleben. Eigentlich wagt sie gar nicht, auf Erfolg zu hoffen, aber – siehe da – der Leiter des Seminars, Michael Gommel, sagt auf ihre Anfrage sofort zu, unsere Gruppe zu übernehmen.

Wir können es kaum fassen, und unsere Verwunderung darüber, mit welch spürbarem Spaß er mit uns arbeitet, hält immer noch an.

Nun sitzen wir wieder in den alten Räumen, ein Teller mit Brezeln steht auf dem Tisch, die Teetassen dampfen, die Köpfe rauchen, und uns geht es gut.

Frühjahr 2002

Wieder einmal auf dem Weg zu einem Fragebogen.

Wir wollen zunächst einmal erheben, in welcher Situation sich die Ärzte heute befinden, wie ihr ärztlicher Alltag aussieht und wie es ihnen geht angesichts des Streites um die Kosten im Gesundheitswesen.

Zuerst machen sich zwei von uns auf den Weg, um einen Fachmann zu befragen. Es wäre ja immerhin denkbar, dass andere schon auf gleichen oder wenigstens ähnlichen Feldern arbeiten.

Ein Beratungsgespräch mit Herrn Dr. Lippert kann uns beruhigen: „Rechtsfragen im Bereich der Medizin“ so hören wir, „ist eine unterbelichtetes Gebiet“. Allerdings ist mehr und mehr zu beobachten, dass sich die Medizinstudenten dafür interessieren, besonders in den Ethikseminaren wird nach der juristischen Seite von Entscheidungen im ärztlichen Alltag gefragt. Die Studierenden wollen wissen: Was darf ich und was ist mir nicht erlaubt? Wo beginnt die Haftung des Arztes ? Was kann ihn Geld kosten und was seinen Ruf?

Wir liegen also richtig, wenn wir uns hier um Klärung bemühen.

Nun werden als Hausaufgaben Themen zu Referaten verteilt. Fachzeitschriften, Bibliotheken und das Internet werden durchsucht nach Informationen zu unserem Anliegen. Wir treffen uns einmal monatlich, jedes Mal referiert jemand zu einem anderen Schwerpunkt, wie:

Vor der Sommerpause 2002 ist unser Fragenkatalog mehrere Seiten lang. Wir stellen die wichtigsten Bereiche zusammen und machen uns ans Aussortieren. In Gesprächen mit uns bekannten Ärzten überprüfen wir die Chance, auf unsere Fragestellungen auch Antworten zu bekommen. Und so entsteht ein Fragebogen auf nur einer Seite - hier ist die Erfahrung von Michael Gommel besonders wertvoll –, den wir als Pilotstudie an die Ärzteschaft Ulms versenden wollen.

Ein frankierter Rücksendeumschlag soll verhindern, dass allzu viele unserer Briefe in den Papierkörben der Praxen landen. Das bedeutet aber: Wir brauchen Geld!

Wir wenden uns mit der Bitte um Übernahme der Kosten an das ZAWIW, und es kostet nicht wenig Überredungskunst, den Vorstand des Förderkreises des ZAWiW von der Sinnhaftigkeit unseres Vorhabens zu überzeugen. Doch wir bemühen uns nicht vergebens.

Januar 2003

Es ist Januar 2003. Wir sitzen im „AK Ethik in der Medizin“ und tüten ein: einen Fragebogen, ein Begleitschreiben und einen adressierten Rückumschlag. Die Anschriften der in Ulm niedergelassenen Ärzte wurden schon einige Zeit vorher von einer anderen Mitarbeiterin des Klinikums zu einem anderen Zweck zusammengestellt, so dass wir mit praktischen Aufklebern adressieren können.

Wir arbeiten, als gälte es, einen Rekord zu unterbieten, und so werden wir an einem Vormittag fertig: 255 Briefe sind zum Versand bereit! Wir schließen zwar keine Wetten ab, aber wir sind sehr gespannt: Wie viele Antworten werden wir bekommen? 30? 40? Das wäre schon ein Riesenerfolg! Zwei Tage später sind 70 Briefe da! Und als wir nach zwei Wochen daran gehen, die Antworten in den PC einzugeben, sind 149 Fragebögen zu bearbeiten.

Frühjahr 2003

Mit der Auswertung und der Interpretation der Daten werden wir noch einige Zeit beschäftigt sein. Viele der Ärzte, die uns den Fragebogen zurückgeschickt hatten, möchten die Ergebnisse der Befragung lesen. Dies und der hohe Rücklauf ermutigen uns, über eine Fortsetzung des Projekts nachzudenken.

Die wichtigsten Ergebnisse

Eigentlich ist es schade, dass man in Berlin bei der Arbeit an der Gesundheitsreform unsere Ergebnisse noch nicht vorliegen hatte. Es kommt z. B. heraus, dass fast drei Viertel der Ärzte das kassenärztliche Abrechnungssystem nicht für sinnvoll halten. Beinahe 90 Prozent der Antwortenden sind der Ansicht, Grund – und Wahlleistungen sollten getrennt werden. Die Forderung, Patienten über die Höhe ihrer Behandlungskosten zu informieren, findet große Zustimmung.

Deutlich wird auch, dass die Medien ziemlich viel Einfluss haben auf die Wünsche, die von Patienten an ihren Arzt herangetragen werden. Offensichtlich lassen sich Hausärzte durch diese Wünsche eher beeinflussen als Fachärzte.

Dass unsere Ärzte unter verschiedenen Stressfaktoren leiden, von denen die Sorge um die finanzielle Situation ihrer Praxen nur einen Teil darstellt, ist ebenfalls ein Ergebnis unserer Erhebung.
Diese und andere Ergebnisse sollen nun in einem Artikel in der Zeitschrift „Der Hausarzt“ ihren Niederschlag finden. Denjenigen unter den Ärzten, die uns um das Ergebnis unseres Fragebogens gebeten haben, geht demnächst die ganze Auswertung zu.
Einige Plakate, auf denen sowohl der Fragebogen als auch ein Teil der Ergebnisse dargestellt sind, wurden schon bei der Akademie im Herbst 2003 gezeigt. Es war zu beobachten, dass vor allem StudentInnen der Medizin, die sich zu dieser Zeit in der Uni befanden, großes Interesse dran zeigten.

Unser neues Thema: Die Hospizarbeit

Zusammen mit dem Ulmer Hospizverein arbeiten wir an einem neuen Fragebogen, den wir in der Herbstakademie 2004 verteilen wollen. Wir wollen zunächst einmal in Erfahrung bringen, welche Informationen zu diesem Thema vorliegen. Wie wird über Sterben und Tod gedacht? Denken die Menschen überhaupt über diese Fragen nach? Kennen sie die Hilfen, die ein Hospiz anbietet? Wie stellen sie sich diese Arbeit vor?

Wir sind gespannt auf den Rücklauf.

(Wird fortgesetzt)

Arbeitskreis Forschendes Lernen „Humangenetik“

Wissenschaftliche Begleitung: Dr. Michael Gommel

Beginn: SS 1995
Laufzeit: immer noch
Mitglieder: Ingeborg Bauser, Elfriede Dehlinger, Brigitte Dippel, Heinz Fischer, Michael Gommel, Ursula Köber, Eva Sick, Ursula Vollmer, Ruth Zimmermann

Berichterstattung: Elfriede Dehlinger

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