Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon

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Erna
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Registriert: Freitag 1. April 2005, 10:47

Beitrag von Erna »

Ich möchte auf die Gedanken von Horst eingehen. Wollen wir an allem teilhaben, ohne zu unterscheiden was für uns wichtig oder unwichtig ist? Das würde z.B. das viele Telefonieren erklären, bei dem man seinem Partner oft nur ganz banale Sachen erzählt. Wenn ich auf dem Weg zu ihm bin, muss ich doch nicht von der U-Bahn anrufen, ich komme!
Hier taucht wieder die Frage auf, warum Gregorius alles von Prado wissen muss. Aber vielleicht will er auch nur wissen, wie Menschen in Portugal während der Diktatur gelebt haben.
Vielleicht kann mir da jemand helfen.
Erna
Marlis Beutel
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Gregorius und Prado

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Erna,

Horst hat einen interessanten Aspekt in die Diskussion gebracht. Ich hatte seither geglaubt, dass die Menschen nach Kontakten suchen, die sie durch die hohe Mobilität nicht haben können. Aber ich kenne mich zu wenig aus, weil ich selbst das Handy höchstens in Notfällen benutze.

Dass Gregorius sich so intensiv mit Prado beschäftigt, hat ja wohl damit zu tun, dass der Altphilologe in seinem Leben nur einen geringen Teil seiner eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Was geschieht also mit dem Rest? Ich denke, es gibt in der Natur immer diesen Überfluss, nicht nur bei den Menschen.

Wie interessant dieses Buch doch ist!

Liebe Grüße, Marlis
Marlis Beutel
Horst Glameyer
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Nachtzug nach Lissabon

Beitrag von Horst Glameyer »

Mit dem Altphilologen Gregorius hat Pascal Mercier eine Gestalt geschaffen, die uns in ihrem Forscherdrang, allem auf den Grund zu gehen, nicht nur nach Lisssabon entführt. Sie soll uns zugleich auf eindringliche Weise mit der jüngeren portugiesischen Geschichte unter dem Diktator Salazar vertraut machen. Es ist dem Autor gelungen, Gregorius sehr lebendige Züge zu verleihen. Vermutlich enthält seine Lebensgeschichte sogar ein wenig Autobiographisches, sonst wäre er in seiner Art nicht so überzeugend. Dennoch ist dieser Raimund Gregorius, wie wahrscheinlich auch Amadeu Prado, eine erdachte Gestalt, die u.a. dem Zweck dient, uns Geschehnisse und menschliche Verhaltensweisen in einem Land am Rande Europas nahezubringen, die uns aus der eigenen Geschichte nicht fremd sind. Rein gefühlsmäßig sind uns die Portugiesen, die in diesem Roman gewissermaßen zum Leben erweckt werden, sehr nah.
Nicht nur als Touristen sind wir mit der iberischen Halbinsel eng verbunden. Erst 1937, vor 70 Jahren, zerstörte im spanischen Bürgerkrieg die deutsche Legion Condor ohne Vorwarnung mit einem Bombenangriff die baskische Stadt Guernica y Luno (Gernika).
Horst
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Uwe Bartholl
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Beitrag von Uwe Bartholl »

Wie Renate, so werde auch ich das Buch in Reichweite lassen. Mir haben es vor allem die Aufzeichnungen von Amadeu Prado angetan, mit dem anregenden Blick auf das eigene Denken und Handeln. Mir gefällt die Präzision, mit der den aufgeworfenen Fragen nachgegangen wird und es entsteht der Wunsch, sein Gesprächspartner zu sein. Die Kostbarkeit von Worten erleben zu lasen in Zeiten des Sprachverfalls ist ein Verdienst dieses Romans. Der nicht stattgefundene Briefwechsel zwischen Amadeu und Vater und der Abschiedsbrief an seine Mutter greifen voll in die gelebten Beziehungen in der eigenen Familie. Überhaupt, die Lektüre ist eine wundervolle Begleitung durch die Tage mit ihrem Impuls gebenden Takt zu bedenkenswerten Fragen des Lebens.
Uwe
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