Alice Munro: Tricks

Hier diskutieren wir über belletristische Bücher.
Marlis Beutel
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Brigitte,

Juliets Geschichte hat mich erschüttert. Man kann als Mutter gar nicht alles richtig machen. Begreift Penelope überhaupt nicht, was sie ihrer Mutter antut?
Übrigens sagt Eric bei der gemeinsamen Zugfahrt ganz am Anfang etwas sehr Bemerkenswertes (nach dem Selbstmord von Juliets Platznachbar): "Ich denke, dass..." sagte er. Ich denke, dass das hier unbedeutend ist. In Ihrem Leben werden Dinge geschehen - werden wahrscheinlich Dinge geschehen, neben denen Ihnen dies unbedeutend vorkommen wird. Dann werden Sie sich ganz anders schuldig fühlen können." S. 81

Das überraschende Zusammentreffen mit Heather erinnerte mich an Wyoming, USA. Ich fragte eine Freundin am Telefon, ob es eine Zugverbindung zu ihr gäbe, und sie erwiderte: "There is a small commuter plane."
So ist das auch in unserer Geschichte: Penelope fliegt mit zwei Söhnen zum Einkaufen.

Interessant fand ich Annemaries Anmerkungen zur Übersetzung. Es scheint gar nicht möglich, in der anderen Sprache ganz genau zu sein. Ihr letztes Buch hat die Autorin "Dear Life" genannt. Es heißt in der deutschen Übersetzung "Liebes Leben". Aber wenn man den deutschen Titel ausspricht, klingt er ganz anders als er gemeint ist.

Viele Grüße von der Bergstraße,
Marlis
Marlis Beutel
Brigitte Höfer
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Brigitte Höfer »

Liebe Marlis,
heute sind wir auf einen weiteren Übersetzungsfehler gestoßen. Der letzte Satz in der Geschichte "Bald" heißt: "I will see Juliet soon." Auf deutsch: "Bald wird Juliet kommen." In der deutschen Übersetzung steht: "Bald werde ich Juliet sehen."
Na, was sagt man dazu ? Gut, dass zwei von uns das Buch auf Englisch lesen: Renate und Annemarie. So kann man dann doch mal nachschauen.
Ja, dass Penelope den Kontakt zu ihrer Mutter abbricht, ist hart. Man kann sich fragen, ob ihre Kinder das Gleiche mit ihr machen werden? Ich glaube, dass solch ein Bruch nicht allzu selten ist. Ungewöhnlich ist allerdings, dass er so sang- und klanglos geschieht. Ohne dass ein Streit vorausgegangen wäre.
Brigitte
Marlis Beutel
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Brigitte,

to see bedeutet in erster Linie sehen mit den Augen, aber auch erleben, als Zeuge beobachten, betrachten, jemand begleiten, unterscheiden, etwas durch Erfahrung wissen.
Ich kann nicht erkennen, weshalb hier die Übersetzung nicht stimmt. "Bald wird Juliet kommen" ist etwas, das Juliet tut. "I will see..." ist etwas, das mich betrifft.

Viele Grüße,
Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Erna »

Hallo, liebe Englischleserinnen,
ich bin auch der Meinung, dass in diesem Falle die Übersetzung des Buches, die richtige ist. Es sei denn, I will see Juliet soon ist ein feststehender Ausdruck und bedeutet immer das Kommen von jemandem.
Man kann nie bei einer Übersetzung eine Eins-zu-eins-Übertragung erstellen, es bleibt immer ein kleiner Unterschied. Dies ist mir bei den Übersetzungen vom Deutschen ins Türkische sehr aufgefallen.
Ich lese gerade die letzte Erzählung und bin in meine Jugend zurückversetzt: Austeuer und Hochzeitsvorberetungen wie vor fast 60 Jahren.
Einen Gruß aus Frankfurt
Erna
HildegardN
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von HildegardN »

Liebe Lesefreunde,
"Diese Autorin kann schreiben und den Leser faszinieren", schrieb Marlis am 9.Dezember in unserem Forum. - Ich habe mich diesmal erst relativ spät im aktuellen Leserkreis eingefunden und kann mich jetzt auf die Erkenntnisse und Beurteilungen der emsigen Diskussionsteilnehmerinnen stützen.
Und natürlich habe ich auch Brigittes Literaturhinweis genutzt und, wie schon durch Marlis' Bemerkung, meine bisherigen Eindrücke bestätigt gefunden: Alice Munro schreibt nicht nur "mit leichter Hand", sondern durch ihre Sprache, Formulierung und oft naturnahe Beschreibung auch motivierend bzw. einladend.
Auf der Internetseite zum Literaturnobelpreis wird Alice Munro u.a. als "kluge, feinfühlige Erzählerin"
beschrieben, und als solche habe ich sie in den ersten vier Geschichten, die ich gelesen habe, auch kennen und schätzen gelernt.

Bvor ich weiterlese, möchte ich Euch allen ein frohes und unbeschwertes Weihnachtsfest wünschen.
Kommt gut an im neuen Lesejahr 2014 !
Erna
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Erna »

Liebe Lesefreundinnen,
Unsere neue Leserin Eleonore hat mir folgenden Text geschickt, den ich für sie einstelle. Danke, Eleonore.
Liebe Mitleserinnen,
ich komme ein wenig spät, um meinen Eindruck von den Kurzgeschichten in dem Buch „Tricks“ zu übermitteln. Das Buch hatte ich schon vor einigen Wochen gelesen, war aber leider durch eine Krankheit in der Zwischenzeit etwas gebremst und musste mich neu „einlesen“.
Da ich aber schon lange ein Fan von Alice Munro bin, möchte ich zusammenfassend sagen, dass ich diesen Stil sehr gerne lese und dass ich Short Stories mag. Im Buch „Tricks“ hat die Autorin nun ihre eigene Vorliebe für Kurzgeschichten anscheinend mit dem Wunsch ihrer Leser, dass sie doch mal einen Roman schreiben möge, verbunden, indem sie einige der Protagonisten zeitversetzt in anderen Geschichten auftauchen lässt. Sie webt sozusagen einen roten Faden zwischen die Stories.
Alice Munro ist eine außerordentlich gut beobachtende Autorin, die ihren Protagonisten nichts durchgehen lässt, Sie betrachtet die einzelnen Figuren ihrer Geschichten fast wie ein Insektenforscher, liebevoll, gründlich aber ab und zu auch unbarmherzig. Sie legt jede Ausrede offen, die sich eine der Personen zurechtgelegt hat, um die eigentliche Absicht einer Handlung zu verschleiern. Wie mit einem Laserpoint lenkt sie die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Redewendung, die anscheinend unabsichtlich bzw. so nebenbei benutzt wird, die aber zwischen den Zeilen längst die eigentlichen, oft schädlichen Motive des Handelnden freilegt. Und gelegentlich lässt sie durchblicken, dass der Handelnde das auch weiß.
Ich habe gerade noch einmal die Geschichte von Robin gelesen, die sich aufmacht, um mitsamt einer Eisenbahnwagon-Ladung von Möbeln zu einem Mann reist, um ihn, wie sie hofft, zu heiraten. Sie wusste ja nicht, dass zwei junge Mädchen sich einen Spaß erlaubt hatten, indem sie ihr fingierte Briefe schickten.
Das ist ja nun eigentlich eine dramatische Angelegenheit, die leicht in einer absoluten Katastrophe hätte enden können. Und die auch oft so endet bei Alice Munro.
Dieses Mal hat es der Autorin gefallen, daraus eine hoffnungsvolle Story zu flechten, die für alle Beteiligten eine unerwartet erfreuliche Zukunft bereit hält. Selbst für die beiden jungen Mädchen, die einer schon etwas in die Jahre gekommenen, oft auch zu kurz gekommenen, aber tüchtigen, realistischen Frau einen solchen riskanten Streich gespielt hatten. Robin krempelt die Ärmel hoch und ordnet das Leben des Mannes und ihr eigenes neu, hält sich nicht lange mit Ursachensuche für die seltsamen Vorkommnisse auf. Alice Munroe beschreibt dies in ihrer bewährt realistischen Art, verliert ihrerseits keine Zeit damit, der Vergangenheit der Protagonisten nachzuweinen.
Manchmal benutzt die Autorin eigenartige Wendungen. So beschreibt sie ein gebogenes Messer als „böse gerundetes“ Messer. Das erstaunt mich, denn normalerweise beschreibt sie die Dinge und Menschen wie sie sind, so nach dem Motto: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Hier aber weist sie dem Messer von vornherein eine Absicht zu.
Diese Art der Beschreibung kommt im Buch zwei Mal vor.
Ich bin übrigens im Zusammenhang mit den Übersetzungen aus dem Englischen auch der Meinung von Brigitte, dass die Wendung „I will see Juliet soon“ ausdrückt, dass Juliet bald kommen wird. Es ist nach Meinung meiner englischen Freundin eine stehende Redewendung, die aber in diesem Falle auch auf das Wissen um den baldigen Tod der Mutter hinweisen soll. Denn spätestens zur Beisetzung wird die Tochter kommen müssen.
Mir gefällt ganz besonders auch Alice Munros Vorliebe für nicht mit einem Happy End abschließende Erzählungen. Es ist schön, sich einige mögliche Variationen auszudenken. Es hält den Leser aber auch lange nach der Lektüre an der Geschichte und der Autorin fest, was sicher auch die Absicht von Alice Munro ist. Da lasse ich Alice Munro auch keine Ausrede durchgehen ;-)

Mit guten Wünschen für das neue Jahr,
Eleonore
Marlis Beutel
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Eleonore,

die Geschichte, in der Robin sich mit Möbeln aufmacht, um einen Mann zu heiraten, kann ich einfach bei meinen acht Erzählungen nicht finden. Steht sie vielleicht in einer anderen Sammlung? Wie lautet der Titel?

Viele Grüße von der Bergstraße,

Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Erna »

Oh, die Geschichte von Robin habe ich auch nicht bei mir gefunden. Steht sie vielleichti in einem anderen Buch?
Liebe Eleonore siehst Du mal nach?
Viele Grüße
Erna
Eleonore Zorn
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Eleonore Zorn »

Liebe Marlis, liebe Erna,

ich habe tatsächlich einen Fehler gemacht, indem ich über eine Geschichte aus dem Buch "Himmel und Hölle" geschrieben habe. Das kann passieren, wenn man mehrere Bücher parallel liest. Entschuldigt bitte, dass ich so unaufmerksam war. Ich werde den Text heraus nehmen.

Ach ja, noch ein gutes neues Jahr wünsche ich!

Eleonore
Eleonore Zorn
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Eleonore Zorn »

Ach ja, zu meiner Schlamperei kommt noch eine zweite hinzu: Die Protagonistin heißt nicht Robin, sondern Johanna.
Ich gelobe Besserung!

Eleonore
Annemarie Werning
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Annemarie Werning »

Liebe Lesefreundinnen,
jetzt habe auch ich das Buch zu Ende gelesen.
Robin ist die Protagonistin in der Geschichte "Tricks".
Es ist ein "Trick" des Schicksals, dass der Mann, in den sie sich nach der ersten Theateraufführung verliebt hat, gerade in dem Moment seinen Hund ausführt und nicht anwesend ist, als sie ihn nach einem Jahr wie verabredet in seiner Werkstatt besuchen will. Statt seiner öffnet sein Zwillingsbruder, von dem sie nichts weiß und mit dem sie sich nicht verständigen kann. Dessen Ablehnung versteht sie als Ablehnung ihres Freundes.
Das ist bezeichnend für die Geschichten von Munro: Eine kleine Episode entscheidet über das weitere Leben. Genauso ist es ja auch mit der Geschichte, die auf englisch "Passion" heißt. Durch die Begegnung mit ihrem vermutlichen zukünftigen Schwager entdeckt Grace, dass es Leidenschaft geben kann und dass diese in der Beziehung zu ihrem Freund Maury völlig fehlt. Mit Neil kommt es zu keinem körperlichen Kontakt, beide fahren lediglich einen ganzen Tag lang miteinander Auto. Es komt auch praktisch zu keinerlei Gespräch, dennoch erkennt Grace, dass sie mit Maury nicht leben will.
In diesen beiden Geschichten wird durch ein kurzes Ereignis etwas verhindert. In der Geschichte "Powers" verändert die Begegnung von Tessa und Ollie deren Leben. Ihre Begegnung wirkt sich wohl für beide negativ aus, Tessa wird psychisch krank, Ollie wird ruhelos. Nicht ganz in dieses Muster paßt die Geschichte von Delphine in "Trespasses" (Übertretung, Einbruch). Aber auch in dieser Geschichte geht es darum, dass das Leben des Kindes Delphine ein ganz anderes hätte sein können, wenn sie nicht das leibliche, sondern das adoptierte Kind ihrer Eltern gewesen wäre.
Ich finde, dieses Buch gab sehr viel Anlass zu überlegen, was aus uns selbst hätte werden können, wäre das Schicksal an irgendeiner Stelle unseres Lebens anders verlaufen als es tatsächlich geschehen ist.
Liebe Grüße Euch allen Annemarie
Eleonore Zorn
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Eleonore Zorn »

Liebe Annemarie,

das hast Du sehr anschaulich beschrieben, dass es bei Alice Munro fast in jeder Geschichte um verpasste Chancen, nicht
wahrgenommene Wendepunkte im Leben geht. Meist erkennen die Handelnden erst spät, dass dieser oder jener Vorfall eine Wegmarke in ihrem Leben gewesen war, die sie damals nicht gesehen haben. Meistens ändert sich die Geschichte danach zum Negativen, selten zum Postitiven. Alice Munro stellt das alles nur fest, sie wertet nicht. Jedenfalls kommt es mir so vor.

Der Einfall, sich einen gehörlosen Zwilling auszudenken, der ungewollt dem Schicksalsrad in die Speichen greift, das hat mir sehr gefallen, wenn es auch sehr tragisch ist. Denn ein Jahr auf ein Ereignis hinzuleben, das dann so enttäuschend und vor allem unerklärlich endet, das ist ja keine einfache Sache. Erzählerisch gesehen, ist es eine wirklich ungewöhnliche Geschichte, die mich sehr beeindruckt hat und für die ich Alice Munro sehr bewundere.

Ich bin gespannt auf das nächste Buch, das wir lesen werden.
Herzlich grüßt
Eleonore
Marlis Beutel
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Annemarie,

Du hast in Deinem letzten Satz etwas sehr Bemerkenswertes ausgesprochen.
Wenn ich mir aber überlege, ein Schriftsteller würde zwei Lebensläufe der gleichen Person erzählen, indem er einen Zwischenfall oder ein Erlebnis anders ablaufen ließe, aber durchaus realistisch, würde ich beide Versionen wissen wollen? Ich glaube, nein. Mich würde nur eine Version interessieren. Offensichtlich hat die (erlebte oder gedachte) Realität ein anderes Gewicht. Was meinst Du?

Grüße von der Bergstraße,
Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Erna »

Diese kleine Frage, was wäre gewesen wenn, die man bei den Erzählungen von Munro sich immer stellen kann, stellt sich doch für unser Leben auch. Wenn ich an mein Leben denke, so waren es nicht die großen Dinge, die dazu beitrugen, dass es sich änderte, sondern die kleinen, die ihm eine ganz andere Richtung gaben. Im Augenblick des Geschehens merkte ich es wahrscheinlich nicht einmal, erst wie gesagt in der Rückschau.
Heute vielleicht sogar stärker als früher, da gab es so viel anderes zu tun.
Erna
Brigitte Höfer
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Re: Alice Munro: Tricks

Beitrag von Brigitte Höfer »

Danke, Annemarie, dass Du die Diskussion der letzten vier Geschichten von Munros Buch "Tricks" angestoßen hast.
Du schreibst, dass durch ein kurzes Ereignis etwas verhindert wird. Ich sehe es anders: durch das Ereignis oder aber durch eine Begegnung wird eine Alternative zum vorgefassten Weg möglich: ich kann mich so oder so entscheiden, und diese Entscheidung hat in jedem Fall etwas mit mir zu tun, - ich würde sagen: mit meinem erweiterten Bewusstsein. Dieses Bewusstsein davon, dass ich nicht in der erwarteten Form handeln muss, sondern anders handeln kann, macht meine Freiheit aus.
Alice Munro beschreibt in ihren Geschichten, wie ein Mensch, der aus engen Verhältnissen kommt, die nicht viel Freiheiten gewähren, sich Stück für Stück diese Freiheit aneignet. Er wird dadurch nicht unbedingt glücklicher, davon ist nicht die Rede, aber er (bzw. sie) weiß, dass der eingeschlagene Weg etwas mit ihr zu tun hat und dass sie dafür die Verantwortung übernimmt.
Der Titel "Leidenschaft" hat wie "Passion" etwas mit Leiden zu tun. Grace erkennt, dass sie Maury nicht heiraten kann, weil er das Leiden nicht kennt. Sie würde sich neben ihm immer wie eine Fremde vorkommen, weil er einen wichtigen Gefühlsbereich mit ihr nicht teilen kann. So geht es oft Menschen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen. Neil weiß, wie es ist, ohne Vater aufzuwachsen und Grace weiß, wie es ist, ohne Eltern und arm zu sein. Die Mutter von Neil und Maury sieht diesen Unterschied sehr genau. Sie hängt sich nicht in die Beziehungen ihrer Kinder hinein, gibt Grace aber eine liebevolle Unterstützung in deren Arbeitspausen. Sie hat möglicherweise dafür plädiert, dass Grace zum Abschied Geld für eine Starthilfe ins Leben bekommt, was ich sehr sympathisch finde.
Brigitte
P.S. Liebe Erna, Deinem Beitrag "Diese kleine Frage, was wäre gewesen wenn..." kann ich vorbehaltlos zustimmen.
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