John Williams: Stoner

Hier diskutieren wir über belletristische Bücher.
Eleonore Zorn
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Eleonore Zorn »

Liebe Erna, liebe Stoner-Leser,

trotz einiger Bedenken setze ich hier meinen Beitrag zu "Stoner" ins Forum, denn ich weiß, dass er zu lang ist und vielleicht auch zu allgemein gehalten. Hoffentlich bekomme ich keinen Platzverweis ;-)

Es fällt mir schwer, das Buch „Stoner“ zu mögen, nachdem ich gerade „Aufbruch“ von Ulla Hahn zu Ende gelesen habe.
Hier wie dort geht es um einen Entwicklungsroman. William Stoner stammt aus einer sehr armen Farmerfamilie in Amerika, die Protagonistin Hilla im Buch von Ulla Hahn ist ein Arbeiterkind im Nachkriegsdeutschland. Beide leiden unter der „Sprachlositkeit“ und Bildungsferne ihrer Herkunftsfamilie. Aber was für ein Unterschied in der Art und Weise, wie sie dem Mangel gegenüberstehen. Ulla Hahn lässt ihre Protagonistin innerlich und äußerlich aufbegehren. Hildegard/Hilla Palm, das Arme-Leute-Kind (im Buch „dat Kenk von em Prolete“) erkämpft sich das Recht auf Bildung und Aufstieg. Dies ist mit emotionalen Ausbrüchen, mit Krisen, Leid und Schmerz verbunden.
Dagegen Stoner. Seltsam unbeteiligt wird hier vom Autor geschildert, wie Stoner als einziges Kind ohne jede Möglichkeit der Kommunikation unter Gleichaltrigen, neben seinen fast stummen Eltern aufwächst. Er nimmt alles hin, wie es kommt. Kein Aufbegehren. Selbst das überraschende Angebot, studieren zu dürfen, akzeptiert er ohne sichtbaren Enthusiasmus. Das ist für mich unvorstellbar.
Während des Studiums, das er sich durch harte Arbeit bei den Verwandten verdient, die ihm eine Unterkunft gewähren, entdeckt er seine Liebe zur Literatur, zur Sprache. Endlich eine Gefühlsregung.

Ich frage mich die ganze Zeit, ob es sich hier um den persönlichen Schreibstil des Autors John Williams handelt, der vielleicht sein ganzes Schreiben prägt. Diese karge Ausdrucksweise müsste dann auch in den anderen Romanen des Autors so oder ähnlich zu finden sein. Ich werde versuchen, ein anderes Buch von Williams zu finden zum Vergleich.

Geht es in den beiden Büchern mit sehr ähnlichem Inhalt einfach nur um die Darstellung einer männlichen und einer weiblichen Sicht der Welt? Beide Romane sind autobiographisch gefärbt, wobei Ulla Hahn ausdrücklich darauf hinweist, dass dies so ist.

Stoner braucht jedenfalls fast sein halbes Leben, um seine Gefühle zu entdecken und den Mut zu haben, sie zu zeigen. Dies gelingt ihm besonders im Umgang mit seiner kleinen Tochter. Eine Affaire während seiner Zeit als Universitätslehrer gibt ihm die Gelegenheit, die Gefühle auszuleben (im Geheimen), die er mit seiner gefühlskalten Ehefrau nicht leben kann. Er hatte sich zu der jungen Frau hingezogen gefühlt, obwohl sie schon vor der Ehe diese eigentümliche Starre zeigte. Vielleicht hatte er die Hoffnung, dass sie seine eigene Gefühlsarmut verstehen und heilen würde?

Warme Gefühle hatte er nur für sein Fach, die englische Literatur. Aber auch hier gelingt es ihm nicht, seine Studenten so zu begeistern, wie er es möchte. Als er am Ende seines Lebens Bilanz zieht, wird ihm dies deutlich bewusst.

Mir scheint es, dass es sich hier um einen Menschen handelt, der der Gefühlsarmut seiner freudlosen Kindheit niemals entfliehen konnte, obwohl es auch einige glückliche Momente in seinem Leben gab. Die wenigen Zeiten, in denen er liebte und geliebt wurde, ließen ihn jedoch überleben.

Dem Autor John Williams ist zu wünschen, dass er selbst nicht nur Erfolg in seinem Berufsleben hatte, sondern auch im Austausch mit seinen Mitmenschen lebte, im Gegensatz zu Stoner, der mehr oder weniger „versteinert“ durch sein Dasein wandelt.
Marlis Beutel
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Eleonore,

ja, Du hast recht. Zuletzt kümmert sich Edith wirklich um ihren Mann. Aber was sie auf S. 343 zu Gordon Finch sagt, erschreckt zumindest Gordon.
Der Roman hat mich sehr über die Erfahrungen, die wir machen, nachdenken lassen. Bei Stoner kann man gut nachvollziehen, dass er sich durch Erfahrungen verändert. Während der Episode mit Katherine hat er sogar zu seiner Familie eine bessere Beziehung. Als ihm seine Frau den Ehebruch vorwirft (S. 253), ist er bereit, mit ihr darüber zu sprechen, aber sie will nicht. Wahrscheinlich ist sie mit ihrer Situation durchaus zufrieden und will keine Veränderung.
In der Auseinandersetzung mit Lomax resigniert Stoner nicht, gibt auch nicht nach, sondern wird ausgesprochen kreativ im Umgang mit dem unversöhnlichen Kollegen, bis er wieder akzeptable Kurse erhält (S. 279-287).
Ich freue mich über die Diskussionen zu diesem Roman.

Viele Grüße von der Bergstraße,
Marlis
Marlis Beutel
HildegardN
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von HildegardN »

Liebe Mitleserinnen,
auch mir macht die rege Diskussion viel Freude und hat mich wiederholt zum Nachdenken bzw. Überdenken der eigenen Eindrücke und Schlussfolgerungen motiviert. Ich habe wieder manche Anregung und Einsicht hinzu gewonnen.
Leider muss ich mich vorübergehend etwas zurückziehen, denn meine Ausleihfrist des Stoner ist bereits abgelaufen und kann nicht verlängert werden. Dieses Buch wird an der Stadtbibliothek in Bad Homburg wieder besonders begehrt, und die Warteliste ist voll. Ich habe mich bereits frühzeitig zum zweiten Mal eingereiht und hoffe noch im Februar wieder auf die erlösende Mail.
In Marlis Antwort vom 4.Februar, für die ich herzlich danke, las ich u.a. "Wenn der Roman in einem solchen Ausmaß negativ wäre, würde man ihn dann mit Anteilnahme lesen"? Ich meine, dass meine Anteilnahme mich beim Weiterlesen wohl behindert hätte, aber die konnte ich, besonders angesichts Ediths Verhalten, nicht aufweisen. Aber ich bin vor allem Optimist und wünsche mir oft ein positives Ergebnis oder zumindest erfreuliches Ende eines Romans, so auch beim Stoner.
Ich habe das Buch mit viel Intersse gelesen, und meine keinesfalls ständige und auch berechtigte positive Erwartung hat meinem Leseeifer schließlich noch Auftrieb gegeben.
Grüße aus Bad Homburg, Hildegard
Marlis Beutel
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Eleonore,

erst heute habe ich Deinen langen Beitrag gelesen. Ulla Hahn lasen wir in dieser Gruppe auch, aber das ist schon eine Weile her.
Dass Stoner nicht aufbegehrt, könnte doch auch eine Frage des Temperaments sein. William nimmt hin, dass er von den Verwandten ausgenutzt wird. Wenn ich daran denke, was ich als junger Mensch alles hinnahm, weil ich gar keine Alternative sah, dann staune ich heute auch. Ich zog mich zurück statt aufzubegehren. Was für absurde Regeln gab es früher, und wenn man nachfragte, bekam man einfach keine Antwort. Wir haben heute gelernt, Regeln und Verhaltensweisen zu hinterfragen. Das hatten unsere Vorfahren nicht gelernt. Es kommt mir wie Luxus vor, dass wir heute kritisch sein können. Früher waren auch "normale" Menschen so arm, dass es ums tägliche Überleben ging. Debatten wären reiner Luxus gewesen, dafür hatte man gar keine Zeit. (Ich durfte als Kind nicht einmal ein Buch lesen, und als ich eine Lektüre von der Schule im Bett zu Ende lesen wollte, drehte meine Mutter die Sicherung heraus, damit auch das nicht ging.)

Viele Grüße von der Bergstraße,
Marlis
Marlis Beutel
Eleonore Zorn
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Eleonore Zorn »

Liebe Marlis,

Du hast leider nur allzu recht in der Schilderung der Erziehungsmethoden in den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ich durfte auch nicht lesen, außer sonntags, da war ja Ruhetag und dieser Tag war zu kurz, um all das zu lesen, was einen interessierte. Meine Schwestern und ich waren auch heimliche Leserinnen, überall, sogar unter dem Bett haben wir uns mit den Büchern versteckt. "Erst die Arbeit, dann das Spiel", so hieß es damals, Bücher waren also Spiel. Dabei war meine Mutter die schlimmste Leseratte, die man sich vorstellen kann. Trotzdem dachte sie, dass sie uns aus Erziehungsgründen werktags davon abhalten müsste, weil wir ja im Haushalt helfen sollten. Natürlich auch schon als Schulkinder.

Aber wir haben über so wichtige Dinge wie Schule, Ausbildung und sogar über größere Anschaffungen der Familie geredet, bevor sie beschlossen wurden. Nicht das unsere Meinung ausschlaggebend war, die Eltern machten dann doch, was sie für richtig hielten. Aber sagen durften wir, ob uns eine Entscheidung der Eltern gefiel oder nicht. Deshalb verstand ich Stoners Ergebenheit in den Willen seiner Eltern oder anderer Leute nicht.

Was mich beschäftigt, ist eigentlich die Frage, ob der Autor John Williams hier seine eigene Jugend schildert, die eben so und nicht anders war. Oder ob er nur seinen Protagonisten im Roman so agieren lässt. Im letzteren Falle käme mir so manche Entwicklung im Roman nicht schlüssig vor. Zum Beispiel, dass Stoner keine Meinung hat, als der Krieg ausbricht. Das erscheint mir unglaubwürdig. Gerade er als Mann, der ja weiß, dass er in diesem Falle zum Militär sollte, musste doch wissen, was er in diesem Falle tun würde.
Über so etwas denkt man doch lange vor einem Krieg nach und bildet sich eine Meinung. Die Nachrichten über einen drohenden Krieg dringen doch auch bis in den hintersten Winkel einer Kleinstadt in USA.

Aber vielleicht ist das gerade die "Message" des Buches, dass Meinungslosigkeit und Schicksalsergebenheit zu so einem distanzierten Leben führt, wie es Stoner quasi "erduldet" hat.

Eleonore
Marlis Beutel
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Eleonore,

was Du schreibst, interessiert mich sehr. (Ich ging übrigens während des Kriegs zur Schule.)
Der Autor heißt John Williams, der Protagonist William Stoner. Beide unterrichten an einer amerikanischen Universität. Ich war beim Lesen überrascht, wie mühelos der Klatsch in dieser geschlossenen Welt kursiert.
Nur Stoners Arzt weiß, was ihm fehlt, und der Patient bittet ihn zu schweigen. Aber Edith erfährt es umgehend.
Amerika ist sehr weit von Europa entfernt. Damals gab es noch keine Flugverbindung. Außerdem ist Amerika ein ganzer Kontinent, viel größer als Europa. (Wir haben ja gerade gelesen, was eine amerikanische Politikerin über Europa geäußert hat.)
Also: John Williams widmet das Buch seinen Freunden und früheren Kollegen und unterstreicht, dass es sich um Fiktion handelt. Aber die Namensähnlichkeit und die Umstände des Romans widersprechen dieser Versicherung so sehr, das jeder Kollege die Zusammenhänge erkennen musste. Das ist schon raffiniert. Erstaunlich auch, dass dieses Buch erst vor kurzem übersetzt wurde und uns jetzt und hier beschäftigt.

Herzliche Grüße!
Marlis
Marlis Beutel
Eleonore Zorn
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Eleonore Zorn »

Liebe Marlis,

ich wurde erst nach dem Krieg eingeschult und wir hatten einen Lehrer, der für jedes Fremdwort, das wir benutzten, 10 Pfennige verlangte. Der Lehrer war über 65.

Bei einem großen Online-Händler habe ich ein Buch in Deutsch von John Williams gefunden und habe es gleich bestellt. Bin sehr gespannt, ob sich der Stil, den ich als "distanziert" bezeichne, dort wiederfindet. Es wird leider dauern, das Buch muss über den Ozean schippern.

Dass das Buch jetzt hier in Deutsch erhältlich ist, kann einem einzigen Leser zu verdanken sein. Vor vielen Jahren habe ich einmal ein englisches Buch gelesen, das mich sehr beeindruckt hat. Es gab keine deutschen Übersetzungen. Ich schrieb an den Verlag, dass ich das bedaure. Etwa ein dreiviertel Jahr später kam das Buch von einem sehr guten deutschen Verlag heraus. Leider war die Übersetzung schon auf Seite 1 so wenig von Sachkenntnis getragen, dass das Buch ein Flop wurde. Wenn gleich auf den ersten Seiten auch nur ein einziges Wort sachlich falsch übersetzt wird, gerät der Leser auf eine falsche Fährte und kann den Rest eigentlich nicht mehr richtig deuten. Es war übrigens kein Krimi, sondern ein autobiographisches Buch von einem spastisch Gelähmten. Aber sehr lesenswert, auch heute noch. Es heißt "Unter dem Auge der Uhr" von Christopher Nolan. Erhältlich ab 0,01 Cent bei dem besagten Online-Händler.
So, jetzt bin ich wieder einmal vom Thema abgekommen. Sorry.

Liebe Grüße,
Eleonore
Marlis Beutel
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Eleonore,

es ist schon erstaunlich, was sich die Menschen im Lauf der Zeit alles gedacht und wie sie interpretiert und sogar Regeln aufgestellt haben. Wenn dann ein Philosoph zu dem Schluss kommt "Ich weiß, dass ich nichts weiß", leuchtet es ein.
Ich bin aber neugierig, was Du herausfindest, wenn Du das zweite Williams-Buch liest.

Herzliche Grüße,
Marlis
Marlis Beutel
Erna
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Erna »

Ohne auf das Buch einzugehen, möchte ich doch zu der anregenden Diskussion etwas beitragen.
Stoner ist noch eine Generation vor uns. Das bedeutet, dass die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern und damit überhaupt, noch viel eingeschränkter war. Meine Mutter erzählte mir, dass meine Großmutter eines Tages, sie muss woll schon die Schule beendet gehabt haben, kam, ihr einen Ballen Stoff gab und sagte, daraus nähst du Hemden für deine Brüder. Sie hatte zuvor nie Hemden genäht!-
Obwohl wir keine großartige Bibliothek hatten, seit ich lesen konnte, bekam ich Bücher geschenkt. Trotzdem bekam ich meine einzige Ohrfeige von meinem Vater wegen des Lesens. Es regnete nämlich in die Wohnung ein und anstatt beim Aufwischen zu helfen, lag ich auf dem Sofa und las. Ich muss so ungefähr 10 Jahre alt gewesen sein. Aber sonst durfte ich lesen so viel ich wollte, manchmal ein Buch am Tag. Wir hatten nämlich einen Schulweg von einer Stunde Schifffahrt. So habe iuch sämtliche Zukunftsromane von Dominik gelesen. Vielleicht erinnert sich jemand an: Atomgewicht 500.
Schöne Sonntagsgrüße
Erna
Annemarie Werning
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Annemarie Werning »

Liebe Lesefreundinnen,
zu Eleonores Vergleich mit dem Buch von Ulla Hahn möchte ich anmerken, dass Stoner im Gegensatz zu Hilla keine Personen hatte, mit denen er sich vergleichen konnte. Außerdem ist er offenbar von keinem Lehrer besonders gefördert worden. Wie soll er unter seinen bäuerlichen Lebensverhältnissen auf die Idee kommen, dass es ein anderes Leben als die Arbeit auf dem Land gibt?
Edith sehe ich nicht nur negativ. Sie kann einem eigentlich nur leid tun: Das ist wohl auch der Grund, weshalb Stoner sich gegen sie nicht auflehnt und alles hinnimmt, was sie anrichtet.
Man muss bedenken, dass sie mit 18 aus wohlbehütetem Haus geheiratet wurde, und in einer kleinen, verkommenen Wohnung praktisch allein zurechtkommen mußte. Von ihrem Ehemann kam eigentlich nichts. Sie hat im Grunde erst angefangen zu leben, als die Familie in das größere Haus eingezogen ist und sie sich wohl gezwungen hat, Kontakte zu anderen Frauen zu knüpfen. Da sie sich sicher war, dass Stoner sie wegen seines Berufs und seiner Tochter nicht verlassen würde, konnte sie sich im Grunde alles leisten - wie z.B. sein Arbeitszimmer in ein Atelier úmräumen. Als sie merkte, dass Stoner zu seiner Tochter eine gute Beziehung aufgebaut hatte, wurde sie eifersüchtig bzw. neidisch und hat sie ihm im Grunde entfremdet. Ihr Leben erscheint mir trostloser als das von Stoner. Zum einen hatte er immerhin doch einmal eine Liebesbeziehung, zum anderen hat ihn sein Beruf erfüllt. Er kam im Grunde genommen mit seinem Leben recht, ohne in Edith ein Partnerin zu haben.
Annemarie
Erna
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Erna »

Meiner Ansicht nach haben die Bücher von Ulla Hahn und Williams gemeinsam, dass sie Entwicklungsromane sind und in einer sozial schwachen Schicht spielen .Die Autoren und Protagonisten sind aber unterschiedlichen Geschlechts und Hilla hat ihren Bruder, mit dem sie sich recht gut versteht und zuerst auch ihren Großvater. Da ist es meiner Ansicht nach ganz natürlich, dass dies zu einer anderen Bearbeitung des Themas führt.
Schon die Erzählweise beider Autorem ist vollkommen anders. U. Hahn mit ihrer sehr reichen Sprache, ich denke nur an die vielen Adjektive, die sie gebraucht, wenn sie etwas erzählt. Dagegen finde ich die Sprache von Williams arm und irgendwie kalt. Aber wie schon gesagt, ich habe erst einen kleinen Teil des Buches gelesen.
Erna
Eleonore Zorn
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Eleonore Zorn »

" Dagegen finde ich die Sprache von Williams arm und irgendwie kalt.", schreibt Erna


Liebe Erna,
da bin ich ganz Deiner Meinung. Das ist ja auch der Grund, warum ich mich frage, ob diese arme Sprache und kalte Beobachtung dem Wesen des Autors geschuldet ist oder ob der Autor sie "nur" seinem Protagonisten auf den Leib geschrieben hat. Wer weiß, vielleicht schrieb der Autor andere Bücher mit größerer Wärme, mit größerer Anteilnahme, mit mehr Empathie für seine Figuren? Es ist schwer zu sagen, wenn man nur ein Buch von ihm kennt. Deshalb freue ich mich auf das zweite Buch, das ich bestellt habe.

Herzlich grüßt Eleonore
Annemarie Werning
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Annemarie Werning »

Liebe Literaturfreundinnen,
ich fand die sachliche Sprache von Williams sehr angenehm. Das worauf es ankommt hat er präzise benannt und sehr einfühlsam geschildert.
Erna
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Erna »

Meine Feststellung zur Sprache Williams war im Vergleich zur Sprache Ulla Hahns gesehen. Wahrscheinlich ist sie für diesen Roman sogar von Vorteil. Ich war überhaupt erstaunt, wie einfühlsam Stoner trotz seiner mangelnden Erfahrung auf dem Gebiet der Sexualität die Begegnung mit seiner Frau in der Brautnacht beschreibt.
Was mich etwas erstaunt, ist, dass der Autor in der Realität ja 4 verschiedene Ehen eingegangen ist, er hier aber das Festhalten der Eheleute beschreibt. Hat er einfach versucht zu ergründen, wie es gekommen wäre, wenn er sich so verhalten hätte? Außerdem bin ich auch der Meinung, dass sich beide lieben. Der körperliche Widerwille bei Edith aber so groß ist, dass selbst wenn sie sich ein Eingehen vornimmt, sie es nicht durchhalten kann. Das scheint seine Wurzeln in der Familie von Edith zu liegen, denn ihr Vater kann ja auch niemanden anschauen und guckt beim Sprechen über die Köpfe hinweg. Die Abscheu, mit anderen in körperlichen Kontakt zu treten, ist bei Edith ja auch bei ihrer Tochter vorhanden. Wahrscheinlich hätte sie eine Therapie bei Freud gebraucht. Aber dazu war sie zu früh geboren. Sie wäre jetzt 90 Jahre alt.
Erna
Marlis Beutel
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Re: John Williams: Stoner

Beitrag von Marlis Beutel »

Liebe Mitleserinnen,

mit Ulla Hahn vergleiche ich nicht und bin der gleichen Meinung wie Annemarie, dass Stoner sehr präzise beschreibt. Das fiel mir immer wieder auf. Als kalt habe ich den Roman ganz und gar nicht empfunden. Er hätte uns nicht so berühren können, wenn er es wäre.

Viele Grüße von der Bergstraße,
Marlis
Marlis Beutel
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