Helmut K. hat geschrieben: Noch spannender finde ich die Radikalkritik mit den Querverweisen des Hermann Detering. Kennst Du Dich auch da aus oder wie kamst Du zu der Seite?
Den Kalisch -Text bekam ich von einer Bekannten gemailt, den Detering habe ich erst durch Deine Erwähnung entdeckt. Interessanter Mann, interessanter Stoff. Doch halte ich bei religiösen - besser konfessionellen - Problemen, die politischen Aspekte für gravierender.
Zu der, beinahe abgelaufenen, Islam-Diskussion auf dieser Seite sehe ich auch die Ängste eher im gesellschaftlichen Bereich als in einem Streit um religiöse Werte.
In der gestrigen Frankfurter Rundschau standen zwei Texte die ich mir erlaube anzuhängen.
Tschuess
Werner R.
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Ayatollah Seyyed Mohammad Moussawi-Bodjnourdi studierte 14 Jahre bei Revolutionsführer Ayatollah Khomeiny und war zehn Jahre im höchsten Justizrat der islamischen Republik. Er promovierte in Jura und Philosophie und ist heute Professor in Teheran. Außerdem arbeitet er u.a. für die Imam-Khomeiny-Stiftung.
Terrorismus ist ein Verbrechen, auch gegen den Islam
Gespräch mit dem schiitischen Theologen, Philosophen und Juraprofessor Ayatollah Seyyed Mohammad Moussawi-Bodjnourdi in Teheran
Hartkemeyer: Herr Bodjnourdi, die Konflikte zwischen den Kulturen scheinen sich am Beispiel des Karikaturenstreites zuzuspitzen. Zwischen den christlich geprägten Ländern des Westens und den islamischen Ländern scheint der Riss groß geworden zu sein. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht in dieser Konstellation die Religion?
Bodjnourdi: Die abrahamitischen Religionen, Christentum Judentum und Islam haben so viele Gemeinsamkeiten, dass ich die Unterschiede eigentlich als sehr gering ansehe. Alle diese drei Religionen haben im Wesen die gleiche Botschaft. Ja, der Koran fordert im Bezug auf diesen gemeinsamen Nenner zur Einigung auf, was darin als das "Drehen um eine gemeinsame Achse" beschrieben wird . Darüber habe ich mit Papst Johannes Paul II. kurz vor seinem Tod gesprochen und dabei eine große Übereinstimmung festgestellt. (...)
Die Rolle der Frau scheint in der islamischen Welt im Vergleich zum christlich geprägten Abendland noch eine sehr untergeordnete zu sein.
Es gibt unterschiedliche Auffassungen vom Islam. Wenn wir sie unabhängig von den konkreten kulturellen Traditionen der Länder betrachten, gibt es keine Unterschiede in der Rolle von Mann und Frau in der Gesellschaft. Das tradierte Frauenverständnis, das sie meinen, lässt sich aus dem Koran nicht ableiten. Was von Gott geschaffen ist, kann keine Unterschiede im Wert haben. Die physiologischen Unterschiede von Mann und Frau dürfen keine Unterschiede in Recht und Gesetz bedeuten. Im Koran heißt es, wir haben "Euch von der selben Seele" geschaffen. Das bedeutet, Mann und Frau sind vom gleichen Wesen. Da Mann und Frau Kinder Adams sind, gibt es zwischen den Menschen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit keine aus dem Koran begründeten Unterschiede. Die Frau kann auch das höchste Richteramt bekleiden. Nach koranischer Auffassung kann eine Frau alle religiösen Ämter bis zum Mufti und Großayatollah bekleiden - wie z.B. Großayatollah Fatimeh Amini in Isfahan sowie zahlreiche Theologielehrerinnen und hochrangige Frauen in der theologischen Hochschule Ghoms; anders als beispielsweise in der katholischen Kirche. Natürlich haben wir Vorbilder... und da stehen die Menschen wie Maria, Fatimah und ihre Mutter Khadidjah, die aus unserer Sicht Vollkommenheit verkörpern, in einer Reihe.
Machen Sie keine Unterschiede zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen?
Der Koran sagt: Wir haben Euch, die Menschen, ob Muslim oder Christ, Jude oder Buddhist, Gläubige oder Ungläubige, als Mann und Frau in verschiedenen Sippen und Stämmen geschaffen, damit Ihr Euch besser kennt. Am nächsten zu Gott stehen diejenigen von Euch, die Gott und seiner Schöpfung verantwortungsbewusster begegnen, die die satanischen Triebe in sich besser bekämpfen, ihre von Gott geschaffene Natur zur Entfaltung bringen. Auch die Wissenden stehen näher zu Gott als die Unwissenden. Dies sind laut dem Koran die Kriterien zur Bevorzugung, aber nicht in Bezug auf Geschlecht oder Religion.
Es gibt dazu doch auch unterschiedliche Auffassungen im Islam selbst.
Die schiitische Lehre baut auf Sachverstand und Logik auf und fragt nach dem "Wie" und "Warum", nach der Kausalität, nach gesellschaftlichen Gegebenheiten - der sog. Edjtihad. Wir führen uns auf den Imam Ali zurück, der Glaube ohne Begründung und Argumentation nicht akzeptierte. Dagegen fundiert die sunnitische Rechtsauffassung nur auf dem Ursprung der Überlieferungen - der Ghiyas. Ich gehe jedoch von den gesellschaftlichen Gegebenheiten aus, denen sich der Islam stellen muss, und ich bin überzeugt davon, dass sich letztlich alle Strömungen dieser Aufgabe stellen müssen.
Welche Rolle spielt für Sie der Buddhismus, der auch in Europa zunehmenden Anklang findet?
Mit den Buddhisten und auch den Atheisten haben wir als Menschen Gemeinsamkeiten. Auch bei Atheisten ist letztlich der Keim, der Instinkt nach der Suche nach Gott, vorhanden. Das sehen sie spätestens in akuten Notlagen. Und das verbindet die Menschen. Aber für den Islam ist Gott die absolute Schönheit, Wissen, Liebe, Barmherzigkeit. Das Zentrum für alles. Er bestimmt die Kausalgesetze der Natur. Wenn also alle Gesetze von dieser absoluten Macht stammen, ist unser Wille letztlich diesem Geist unterworfen. Der Glaube an diese höhere Macht ist im Buddhismus nicht vorhanden. Trotzdem haben wir Gemeinsamkeiten. In der Buddhistischen Mystik findet man auch schöne und erhebende Ansätze.
Wie sehen Sie im Islam und speziell in einer islamischen Republik, das Verhältnis von Religion und Staat?
...Heute stellt sich diese Frage anders als im Mittelalter. Wenn wir die Rolle der Religion zu eng sehen, und eine engstirnige Auffassung von Überlieferungen und religiösen Bestimmungen haben, kann das nur schief gehen. Wenn wir die Gesetze der Religionen mit den Sitten und Gebräuchen jedes Stammes und Volkes gleichsetzen, wenn wir unsere persönliche Willkür und Meinung als göttliches Gebot geltend machen, kann das nur schief gehen. Wir müssen selbstkritisch sehen, dass der Egoismus die Menschen zum Missbrauch der Religion verleiten kann. Religiöse Oberhäupter sind davon nicht befreit. Das endet in Despotie und führt den eigentlichen Anspruch der Religion ad absurdum. Ein Staat auf Basis der Religion ist nur dann erstrebenswert, wenn bei den Gelehrten und Oberhäuptern eine zeitgemäße Auffassung der Religion existiert. Eine Auffassung, die Menschenwürde und -rechte garantiert, ihre freie Entfaltung fördert, die Freiheit der Menschen zu ihrer Selbsbestimmung und Lebensgestaltung anerkennt. Bis vor kurzem war ich noch der Meinung, dass man auf der Basis des Islam einen Staat gründen kann. Heute sehe ich das unter dem Eindruck der Erfahrungen anders... Die Art und Weise, wie ich den Islam kenne, lässt eine Einigung von Religion und Staat theoretisch zu. Die Gegebenheiten in den heutigen islamischen Ländern sprechen aber nicht dafür.
Der Islam wird zunehmend mit dem Terrorismus zusammengebracht. Auch Selbstmordattentäter scheinen ihre Energie aus dem Islam zu beziehen.
Der Terrorismus ist das größte Verbrechen - auch gegen den Islam selbst. In Samarra wurde das Imam Hadj Heiligtum von der Al-Qaeda zerstört. Unkenntnis, Gehirnwäsche und eine völlig falsche Vorstellung vom Paradies leitet diese Menschen. Diese Verbrecher wissen nicht, was sie dem Islam antun. Religion kann für mich nichts anderes als praktizierte Liebe bedeuten. Ich muss aber betonen, dass diese terroristischen Aktionen und Anschauungen keineswegs nur auf Muslime beschränkt sind. Die Menschenverachtende, radikale und unausgeglichene Haltung und Handlung, finden Sie auch bei anderen nichtmuslimischen Gruppen, wie z.B. in Serbien, Irland, Israel, Kambodscha oder bei den baskischen Separatisten. Insofern ist eine differenzierte Betrachtung dieser Vorgänge unabdingbar.
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Die eigenen Bilder der fremden Kultur überprüfen
Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt ein Dialogprojekt mit iranischen Partnern / Von Martina und Johannes F. Hartkemeyer
Das Verhältnis des Westens zu der islamischen Welt ist derzeit von steigendem Misstrauen und scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen geprägt. Vor allem Iran ist in jüngster Zeit durch den Atomstreit und die neue Präsidentschaft kein Kandidat für positive Nachrichten. Zeitgleich mit der bildgerecht inszenierten Verbrennung der deutschen Flagge vor der Deutschen Botschaft in Teheran gibt es in Iran auch eine andere Welt, die mangels explosiver Bildhaftigkeit nur selten Eingang in die westliche Wahrnehmungswelt findet. Die dort stattfindenden Veränderungsprozesse, wie auch das derzeit angelaufene Dialogprojekt, werden allerdings im Inneren der islamischen Gesellschaft - und von der nationalen Presse - interessiert wahrgenommen.
Die Reaktionen auf den Karikaturenstreit ist durchaus unterschiedlich. Obwohl viele es als Beleidigung empfunden und ein anderes Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit haben, wird die Haltung und die Handlungsweise des neuen Staatspräsidenten Mahmud Ahmdinedschad offen kritisiert. Insbesondere seine Äußerungen zum Holocaust stoßen vielfach auf Missbilligung.
Initiative des Expräsidenten
Vergessen ist hierzulande, dass auf Initiative des ehemaligen iranischen Präsidenten Mohammed Khatami die Vereinten Nationen das Jahr 2001 zum Jahr des Dialogs der Weltkulturen erklärte. Kaum wahrgenommen wurde die Gründung eines "International Center for Dialogue among Civilisations" (ICDAC), das sich dem Dialog zwischen den verschiedenen intellektuellen und kulturellen Strömungen des Westens und der islamischen Welt widmet.
Internationale Literatur, die aus Poesie, Geschichte und Sozialwissenschaften Bezug zum dialogischen Denken bot, wurde in Farsi übersetzt und unter dem Logo des Instituts herausgegeben. Darunter auch das Buch "Miteinander denken" von Hartkemeyer und Dhority, auf das Fatemeh Sadr-Tabatabai, die in Düsseldorf Pädagogik studierte und die seit langem zwischen beiden Ländern hin- und her pendelt, durch eine Zeitungs-Rezension gestoßen war. Es sollte eine ungeahnte Wirkung entfalten. Eine Anfrage aus Teheran, den Dialogansatz in der Praxis kennen zu lernen und für Multiplikatoren aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft zu trainieren, erreichte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin. Ohne Unterstützung der FES, wäre die praktische Umsetzung der Arbeit in Iran nicht möglich geworden.
Was ist Dialog?
Grundlegende dialogische Fähigkeiten - wie das Unterscheiden von Beobachtung und Bewertung, das Suspendieren festgefahrener Meinungen, Wechseln von Positionen in Konfliktfällen oder die Analyse misslungener Gespräche - sind Gegenstand der gemeinsamen Übungen. Durchgeführt wurde das Seminar im symbolträchtigen Imam- Ali- Museum, das dem Gründer der schiitischen Religionsgemeinschaft gewidmet ist. Die Stadt Teheran stellte es kostenlos zur Verfügung. Mehr als 20 Frauen und Männer aus verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft, bildeten sich in diesem Kommunikationsverfahren fort. Darunter auch die Gründerin der Frauenpartei Irans, die Enkeltochter von Revolutionsführer Khomeiny, Fereshte Tabatabai.
Die Autoren
Martina Hartkemeyer ist Leiterin des Instituts für Dialogprozess-Begleitung der Adolf-Reichwein- Gesellschaft.
Johannes F. Hartkemeyer ist Direktor der Volkshochschule der Stadt Osnabrück.
Sie leiten das Dialogprojekt mit iranischen Partnern, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wird. Auf Wunsch der iranischen Initiatoren soll der Dialogprozess als Kern einer zivilgesellschaftlichen Weiterentwicklung etwa im dortigen Bildungswesen verankert werden.
Die Autoren verfassten zwei praxisnahe Standardwerke: "Miteinander denken - das Geheimnis des Dialogs"; J.F. & M. Hartkemeyer und L.F. Dhority, Klett Cotta, Stuttgart, 3. Aufl. 2001. "Die Kunst des Dialogs. Kreative Kommunikation entdecken. Anregungen, Erfahrungen, Übungen". J.F. & M. Hartkemeyer, Klett Cotta, Stuttgart, 2005. Internet:
www.dialogprojekt.de
Tatkräftige Unterstützung erfahren die Organisatoren vor Ort auch durch die Moussa-Sadr-Stiftung, die im Nahen Osten zahlreiche Bildungs- und Sozialprogramme durchführt, wie etwa die Alphabetisierung in Flüchtlingslagern. Moussa Sadr war in den 70 Jahren in Libyen spurlos verschollen. Seine älteste Tochter Hawra Sadr, Leiterin der Stiftung, nahm an dem Dialogseminar teil und Fatemeh Sadr-Tabatabai übersetzte für die Stiftung auch die in Osnabrück entwickelten Studienmaterialien. Hawra will mit ihrer Stiftung helfen, den Dialogprozess als Kern einer zivilgesellschaftlichen Weiterentwicklung in Iran insbesondere im Bildungswesen zu verankern. Diese Dialog-Ausbildung stellt den Auftakt einer Reihe von Trainingsmaßnahmen dar.
Hohe Lernbereitschaft
Das Engagement der Teheraner Teilnehmer ist groß. Intensiv wird in den Übungssequenzen gearbeitet, in den Gesprächsrunden werden auch brisante Themen nicht ausgespart. Die in Teheran gemachten Erfahrungen mit dem Dialogansatz zeigen, wie groß die Lernbereitschaft der Teilnehmenden ist. Zugleich bleibt es unverzichtbar, auch die eigenen Bilder der fremden Kultur immer wieder zu überprüfen. Viele Dinge, die für uns selbstverständlich sind, so etwa, dass man bei uns auch als Frau unbekannten Männern zur Begrüßung die Hand reicht - und umgekehrt - können im Iran ein Fauxpas sein. Auch die weibliche Kleidungskultur der Iranerinnen erscheint Europäern zunächst fremd. Aber gerade das Erkennen derartiger Unterschiede und das Aufdecken der gegenseitigen Vorurteile sind Grundlage jeder interkulturellen Verständigung. Doch diese von den westlichen Frauen als Freiheits einschränkend empfundene Kleidungstradition hindert die Iranerinnen nicht daran, akademische Grade zu erzielen, hohe berufliche Ziele zu verwirklichen, mehrere Fremdsprachen fließend zu sprechen und eine moderne Lebensweise zu führen. Auch das Nichthandgeben mit den Frauen ist keine allgemeine Praxis. So hielt Prof. Bodjnourdi, mit dem wir uns zum Gespräch über Ziele und Werte des Islam trafen, (s. Gespräch mit Bodjnourdi oben) die Einhaltung dieser kulturellen Einschränkung nicht für theologisch begründet.
In vielen politischen Gesprächen wird darauf hingewiesen, welche entscheidende Rolle Iran nicht nur vor dem aktuellen Hintergrund der Energiepolitik spielt: Persien ist schließlich der älteste Agrar- und Kulturraum der Erde. Und die heutige Rolle dieser Kultur könnte zu einer Schlüsselfunktion für die Entwicklung einer friedlichen Zukunft werden. Diese andere Seite der islamischen Denktradition gemeinsam herauszuarbeiten und zu befördern, kann eine wichtige Kulturaufgabe sein. Für die Verbreitung des Dialogansatzes in Persien bestehen gute Chancen. Im Bildungswesen und bei Nichtregierungsorganisationen sind weitere Multiplikatorenseminare geplant. Derzeit sind Gäste aus Iran in Deutschland. Das Ausbildungsmaterial soll weiter überarbeitet werden und eventuell als mehrsprachiges Dialoghandbuch dienen.
Es bleibt zu hoffen, dass der Eishauch der internationalen Atom- und Ölinteressen diese zarten Pflänzchen überleben lässt.