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Kommentierte Inhaltsangabe von Peter Joksch
Die unwürdige Greisin, Erzählung (Kalendergeschichte)
Berthold Brecht, Geb. 1898, gest. 1956
Brecht beschreibt in dieser Erzählung die zwei Jahre "seiner Großmutter", die sie nach dem Tod ihres Mannes noch lebte. Sie starb mit 74 Jahren.
Die Geschichte spielt um 1910 und zeugt insbesondere davon, dass von Menschen in bestimmten Situationen bestimmte Verhaltensmuster erwartet wurden. Wurden diese Muster nicht eingehalten, begab man sich außerhalb der Gesellschaft.
Wie Brecht schreibt, lebte seine Großmutter 6 Jahrzehnte als Tochter, Frau und Mutter und dann nur noch als Frau B. Als alleinstehende Person ohne Verpflichtungen.
Als ihr Mann starb, betrachteten ihre Kinder es als Problem, was mit ihr zu geschehen sei. Sie waren der Meinung sie könne nicht alleine leben. Die Großmutter setzte sich jedoch durch und verlangte lediglich eine kleine monatliche Unterstützung. Die Kontakte zu ihren Kindern waren spärlich, den Wunsch des jüngsten Sohns, der einzige, der mit ihr in der gleichen Stadt wohnte, in ihrem Haus wohnen zu dürfen, erfüllte sie nicht. Die Enkelkinder des Sohnes lud sie jeden Sonntag zum Kaffee ein. Seine Familie besuchte sie ein- oder zweimal im Vierteljahr.
Im übrigen lebte sie von nun an ihr eigenes Leben. Und was machte sie da? Sie ging ins Kino. 1910 bedeutete dies hinausgeworfenes Geld. Sie besuchte keine alten Bekannten und ging nicht zu den Kaffeegesellschaften des Städtchens. Nein, sie besuchte einen Flickschuster, der in einer armen und sogar etwas verrufenen Gasse mit allerlei nicht respektablen Existenzen wohnte. Er war herumgekommen und es hieß dass er trank. Aber, so die Großmutter, er hat etwas gesehen. Dann ging sie jeden zweiten Tag zum Essen in den Gasthof. Sie, die zeitlebens für ein Dutzend Menschen gekocht und immer nur die Reste aufgegessen hatte. Sie bestellte sich eine Pferdekutsche, um in einen Ausflugsort zu fahren. Und sie fuhr mit einem halb schwachsinnigen Küchenmädchen zum Pferderennen in die zwei Eisenbahnstunden entfernte Stadt. Dies alarmierte ihren am Ort lebenden Sohn derart, dass er seinem Bruder, Brechts Vater, vorschlug, einen Arzt zu Rate zu ziehen, was dieser jedoch ablehnte. Sie kaufte diesem "Krüppel" einen Hut, war häufig beim Flickschuster, trank dort Rotwein, brachte ab und zu auch stärkere Getränke für die andern mit. Den Pfarrer, der die "Einsame" besuchen wollte, lud sie ins Kino ein. Als ihr auswärts lebender Sohn, Brechts Vater, sie während einer Geschäftsreise aufsuchte, forderte sie ihn nicht auf, bei ihr zu wohnen, und zum Grab des Vaters schickte sie ihn alleine.
Brecht prangert hier also an, dass niemand jemand anderem vorschreiben dürfe, wie derjenige sich sein Leben gestaltet. Insbesondere muss eine Witwe sich nicht den Wünschen oder Vorstellungen ihrer Kinder oder Enkel anpassen sondern soll ihr eigenes Leben leben. Weder der Einzelne noch die Gesellschaft haben zu bestimmen, was richtig und was falsches Benehmen sei. Eine Vorstellung, die heute weitgehend überholt aber noch nicht ausgestorben ist.