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_ Kommentar 1
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Vergleichender Kommentar einer Studentin aus Stuttgart



Zwei der drei vorgegebenen Texte habe ich nun gelesen, "Die unwürdige Greisin" und "Nicht nur zur Weihnachtszeit". Mein erster Eindruck ist mehr persönlicher Natur. Nicht weiter verwunderlich, denn beim Lesen kreisten meine Gedanken zunächst nur um die Frage, wie es denn um die Rollen in meiner Familie steht.

Den Brecht-Text fand ich leichter zu lesen wie den Böll-Text. Vielleicht weil der Erzähler Verständnis für das Verhalten der Greisin zeigt. Verantwortlich scheint dafür der Generationenabstand, das mehr an Verständnis, das man für die Großmutter aufbringen kann, die beginnt, ein eigenes Leben fern der Familie zu führen, wohingegen das Verstehen der Mutter schwerer fällt, wenn diese beginnt ihr eigenes Leben zu führen, sobald sie ihre Kinder soweit für eigenständig hält.
Das war jetzt schon vorgegriffen, denn für die Entscheidung zu einem zweiten Leben als Frau B. muss für die Großmutter wohl auch der Tod ihres Mannes wichtig gewesen sein, nicht nur die Eigenständigkeit der Kinder. Denn erst nach dem Tod ihres Mannes scheint sie sich von den Familienverpflichtungen lösen zu können.
Auch der räumliche Abstand ist für das Verständnis von Bedeutung. Die Kinder der Großmutter beraten per Briefkontakt über deren Kopf hinweg, was weiter mit ihr geschehen soll. Als diese sich weigert und selbst für sich bestimmen will, so ist das nur für den am Ort geblieben, jüngsten, eher schwächlichen Sohn ein Problem, der noch nicht so recht auf eigenen Beinen zu stehen scheint. Die Kinder, die aus dem Heimatort weggezogen sind, können mit der Entscheidung der Mutter leben. Sicherlich auch, weil sie nicht ständig mit dem "unwürdigen" Verhalten konfrontiert werden.
Für meine Generation sollte das Verhalten der Greisin eigentlich nichts außergewöhnliches mehr sein, dennoch bewundere ich die 72-jährige Frau, die sich ein eigenes Leben zugesteht. Heute sehen die Familienstrukturen ganz anders aus, ob es deshalb leichter wird, wenn plötzlich eine nahstehende Person ihre Rolle ändert, wage ich zu bezweifeln.

Aus dem Brecht-Text ist mir der Satz "Wir sind mit dem Leben bestraft" im Kopf hängen geblieben. Sind wir mit dem Leben bestraft? Wenn man die Geschichte liest, könnte man das meinen. Deprimierend mit anzusehen, wie eine Familie sich so im Kreise dreht. War die Greisin aus dem Böll-Text mit dem Leben bestraft, ehe sie ihr Leben als Frau B. aufnahm?
Warum nur muss ich bei beider Lektüren die ganze Zeit an meine Mutter denken, die sich gerade verpflichtet fühlt, sowohl Schwiegermutter als auch eigene Mutter zu pflegen. Für mich ist dieses Pflichtgefühl nahezu nicht nachvollziehbar, für sie eine Situation ohne anderen Ausweg.
Lustig wird es Weihnachten, wenn die ganze Familie sich von nah und fern versammelt und jeder in dem Zwiespalt steht, nicht in seine alte Rolle schlüpfen zu wollen, aber anders nicht mit der Familie kommunizieren kann, anders kein Verständnis erhält. Unweigerlich wünscht man sich dann, dass die Feiertage schnell zu Ende gehen mögen und in aller Ironie hört man das Flüstern des Engels. Frieden.

Frieden, innerer Frieden, Frieden mit sich selbst. Ich glaube, wenn man ihn gefunden hat, dann ist das Leben keine Strafe, sondern ein Geschenk.