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Thema: Relevanz in der Entstehungszeit und heute


Erzählung: Werde, die du bist.

eine Aufforderung, die bereits 100 Jahre zuvor, beeinflußt durch die Schriften der Aufklärung z. B. Rousseaus „Emile“; „die neue Heloise“ und gewiß auch Goethes “Die Leiden des jungen Werther“ an die überaus lesefreudige Jugend erging. Die Betonung lag außerdem auf „habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Weg von dem Zwang der Bevormundung durch die Eltern z. B. hinsichtlich Partnerwahl. Verstärkt wurden diese Bestrebungen als die Fanfaren der Französischen Revolution (1789) „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ bliesen. Die Romantiker nahmen die humanistischen Gedanken begeistert auf. In den Literarischen Salons konnten sich die Frauen erstmals artikulieren und es gab erste Versuche als Frau des Adels und des Bürgertums über sich selbst zu bestimmen.

Mit dem Einsetzen der sogen. Restauration nach 1815 und dem entschiedenem Vorgehen der staatlichen Institutionen (beinflusst durch Kanzler Metternich vom Kaiserhaus Habsburg) gegen alle freiheitlichen Gedanken und Umtriebe wurde dem ein Ende gesetzt.

Die Intellektuellen verließen, um sich einer Verhaftung zu entziehen, das Land, viele begingen Selbstmord, andere zogen sich, wie Josef von Eichendorff oder Achim von Arnim auf ihre Güter zurück.

Mit dem Beginn der Industrialisierung entstand im Gegensatz zur höfischen Etikette ein einflussreiches, reiches Bürgertum, welches im Sinne einer geregelten Erbfolge von großen Vermögen die Frauen zurück an “Heim und Herd“drängte. So blieb es bis ins 20. Jahrhundert hinein, obwohl ab etwa der Mitte des 19. Jh. eine neue Generation Intellektueller die Fragen nach Selbstbestimmung neu aufwarf.

· 1854 Richard Wagner beginnt die Oper „Der Ring des Nibelungen“; er befaßt sich in allen Werken mit der Rolle der Frau in einer modernen Gesellschaft

· 1855 schreibt Friedrich Hebbel „Agnes Bernauer“

· 1861 schreibt Johann Jacob Bachofen über „Das Mutterrecht“

· 1865 gründet sich der „Allgemeine deutsche Frauenverein“ in Leipzig

· 1866 schreibt Luise Otto-Peters „Das Recht der Frau auf Erwerb“

Etwa um diese Zeit schreibt Hedwig Dohm. ihre ersten kritischen Pamphlete, in denen sie für die Frau das Recht auf Bildung, auf Selbstbestimmung und das Wahlrecht fordert. Wie kam es dazu?

In Preußen hatte das jüdische Bürgertum aufgrund seiner Assimilierungsbemühungen 1820 das Bürgerrecht erhalten. In der Folge waren deren musisch/literarisch gut gebildeten Töchter (s.a. Rahel Varnhagen, Dorothea Schlegel) diejenigen, die die aufklärerischen Gedanken in ihren Kreisen weitertrugen. Hedwig Dohm entstammt einer jüdischen Familie des Großbürgertums (Berliner Tabakfabrikant Schleh).Hedwig Dohm hatte alle Möglichkeiten der Bildung. Mit Auslandsaufenthalten (1852 Spanien) oder (1869-70 Rom) konnte sie sich auch über die Grenzen hinweg mit den dortigen gesellschaftlichen Verhältnissen vertraut machen. Die Bewegung Garibaldis, die ein Jahr später zum Abzug der Franzosen aus Rom (Rom wird Hauptstadt) führte, wird nicht spurlos an ihr vorbeigegangen sein.

Zur selben Zeit führt der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens mit Beteiligung der süddeutschen Staaten einen siegreichen Krieg gegen Frankreich, der Frankreich zu hohen Reparationzahlungen verpflichtete, die im neu gegründeten Kaiserreich mit der Hauptstadt Berlin zu einer ungeahnten wirtschaftlichen Blüte (Gründerzeit) führte. Sein Industriepotential macht Deutschland zu einer Wirtschaftsmacht in Europa. Im Zuge dessen entstanden unübersehbare Unterschiede zwischen den Klassen der Gesellschaft, die nach Lösung trachteten. Es kommt zur Gründung von Arbeitervereinen. Rechte für die Frauen werden reklamiert und zögerlich gewährt

· 1875 wird Turnen an Berliner Mädchenschulen erlaubt

· 1876 lassen sich zwei Ärztinnen, die in Zürich promoviert hatten, in Berlin nieder.

· 1876 Hedwig Dohm schreibt „die Frau soll studieren, weil sie studieren will, weil die uneingeschränkte Wahl des Berufs ein Hauptfaktor der individuellen Freiheit und des individuellen Glücks ist“

· 1888 Gründung des Frauenvereins „Reform“ mit Hedwig Dohm (nach Heirat der 3. Tochter)

· 1891 SPD bekennt sich im Erfurter Programm zur Gleichberechtigung der Frau

· 1894 Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine
· 1895 Sigmund Freud begründet die Psychoanalyse
· 1896 in Berlin machen erstmals Mädchen das Abitur

· 1896 schreibt Hedwig Dohm den Roman „Sibilla Dalmar“ An dieser Stelle ist zu vermerken, daß ihre in München lebende Tochter Gertrude, verheiratet mit dem Mathematik Prof. Alfred Pringsheim, in einem regen Briefwechsel 3x wöchentlich aus ihrem Leben und über die Gesellschaft Münchens berichtete. Hedwig Dohm verwertete diese Berichte in ihrem Roman, was zu einem Skandal in München führte. (nachzulesen bei H.D.’s Enkelin Katia Mann *1886 -Frau von Thomas Mann- in “Meine ungeschriebenen Memoiren“)

Theodor Fontane befasste sich in seinen Werken mit den Zwängen der Frau in der adeligen und bürgerlichen Gesellschaft. Um nicht größeren Unmut der Gesellschaft, die er kritisierte, auf sich zu ziehen, stellte er seine Frau in der Öffentlichkeit als mäkelnde, allein an einer sicheren bürgerlichen Existenz interessierte Gattin dar. Heute wissen wir es aus dem nachgelassenen Briefwechsel der Eheleute anders. Emilie Fontane war eine moderne, literaturinteressierte Frau, die nicht nur Haus und Kinder versorgte, sondern auch alle seine Manuskripte schrieb.

Im Deutschen Kaiserreich war die Frau an das „Rollenspiel“ gebunden, daran durfte nicht gerüttelt werden. In bürgerlichen Haushalten war es verpönt, dass die Hausfrau einer geldbringenden Arbeit nachging. Da der kleine Angestellte oder Beamte über ein geringes Einkommen verfügte, konnte diese Geldknappheit nur durch Mehrarbeit der Hausfrau in der eigenen Hauswirtschaft aufgefangen werden. Trotzdem führte dies nicht nur in der Arbeiterschaft zu einer Verarmung ohnegleichen.

Währenddessen wird die Welt von „Geld-und Machtmenschen regiert“ wie der Maler Anselm Feuerbach in einem Brief an seinen Vater schreibt. Die Maler und Schriftsteller ziehen sich dadurch meist (ähnlich der Situation nach 1815) in die innere Emigration zurück oder lassen sich in einer Art Protest in naturnaher Landschaft am Rande der Städte in sog. Künstlerkolonien nieder. Dort finden auch malende Frauen eine gewisse Befreiung von den gesellschaftlichen Zwängen.

· 1880 erste deutsche Poliklinik für Frauen

· 1883 Einführung der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht

· 1887 schreibt Johann Jacob Bachofen „Mutterrecht und Urreligion“

· 1891 Einführung der max. Arbeitszeit von 11 Std. für Fabrikarbeiterinnen über 16 Jahre

· 1901 schreibt Thomas Mann „ Die Buddenbrooks“

· 1905 Gründung des Bundes für Mutterschutz; Hedwig Dohm unterschreibt den Gründungsaufruf; Hemdkleider leiten die schnürleibfreie Mode ein

· 1905 Hedwig Dohm beteiligt sich an einer Unterschriftensammlung gegen den § 218 und befürwortet Straffreiheit für Abtreibung. Die UNI Berlin läßt Frauen zum Studium zu. Frauen können Mitgliedschaft in politischen Parteien erwerben

· 1906 internationales Nachtarbeitsverbot für Frauen
· 1914-1918 Erster Weltkrieg

· 1918 November: Abschaffung der Monarchie. Proklamation des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts für alle männlichen und weiblichen Personen über 20 Jahre

· 1919 Hedwig Dohm (*1831) stirbt in Berlin an Lungenentzündung

· 1923 wird der Muttertag in Deutschland (seit 1912 in USA) eingeführt

· 1925 kniefreie Röcke sind Mode
Mit den nun gewonnenen Freiheiten hätten sich die Frauen in den 20er Jahren weiter entwickeln können. Die wirtschaftlichen Verhältnisse verhinderten dies weitgehend. Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde den Frauen aus mehreren Gründen u.a. Beseitigung der Arbeitslosigkeit das altbekannte Rollenverständnis - Hausfrau Mutter - als Ideal (Belohnung: Mutterkreuz) vermittelt. Während des 2. Weltkrieges (1939-45) trugen Frauen die Hauptlast bei der Organisation von Erziehung, Haushalt und Arbeit in den kriegswichtigen Betrieben. Die aus der Not des Krieges gewonnene Selbständigkeit und Tatkraft war eine wichtige Voraussetzung für den raschen Wiederaufbau des zerstörten Landes (siehe Trümmerfrauen) Die Frauen waren als Arbeitskräfte hoch willkommen. Es darf nicht vergessen werden, dass unser Wirtschaftswunder großenteils auf den unermüdlichen Einsatz und dem Engagement der Frauen basiert, aber Männer hatten in allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens das Sagen

· 1977 schreibt Günther Grass im Zuge der heftigen Debatten um die Gleichberechtigung der Frauen „Der Butt“ als beeindruckende Erzählung über die Entwicklung der Gesellschaft vom Matriarchat zum Patriarchat, und damit einer Entrechtung der Frau, so wie bereits Johann Jacob Bachofen 1887 dieses Thema in seiner Abhandlung „Mutterrecht und Urreligion“ wissenschaftlich behandelte.

Um die selbe Zeit erschienen unter dem Titel „Werde, die du bist“ Texte deutscher Schriftstellerinnen des 19. Jh.. (Karoline von Günderode, Annette von Droste-Hülshoff, Bettina von Arnim usw.) und damit schließt sich der Kreis.


Frauen - 2002 in Europa Viele Frauen erzählen, sie fühlen sich ausgegrenzt. In stark katholisch geprägten Ländern wird die Frau zu Heim und Herd gedrängt.

Wenn bei uns in Deutschland der Ruf nach „Heim und Herd“ z.Z. unterbleibt, liegt es daran, dass allenthalben Mangel an gut gebildeten und hochqualifizierten Personen herrscht. Mit den gleichen Bildungschancen, höherer Motivation und der notwendigen Behauptung in der von Männern beherrschten Wirtschaftswelt ist leider nur ein kleiner Teil der Frauen bereit, diese Auseinandersetzungen auf sich zu nehmen. Damit geht eine eigentlich unverzichtbare Komponente zur Humanisierung der Gesellschaft verloren.


Wenn man das 20. Jh. Revue passieren läßt, dann muß man leider feststellen, dass trotz Erringung aller bürgerlichen Rechte die Frau letztendlich Manipuliermasse im Wirtschaftskreislauf bleibt und dies ganz besonders in unserer globalisierten Welt