Startseite > Ergebnisse > Werte

Diskrepanz zwischen Werten, die gelehrt werden und nach denen gelebt wird

Bearbeitungszeit 20.01.2003 bis 02.03.2003
Moderatorin Renate Bowen

Kurzreferat
Zusammenfassung
Zitate
Wertklärende Gespräche und sozialpädagogische Berufsethik  
Vortragsskript Prof. Dr. Rüdiger Funiok SJ
(Mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Druckversion (pdf)
 
Kurzreferat

Nach dem tragischen Ereignis am Erfurter Gymnasium hat mich ein Artikel von Wilhelm Heitmeyer, Sozialwissenschaftler an der Universität Bielefeld, "Süchtig nach Anerkennung", sehr beeindruckt. ("Die Zeit", 2.5.2002)
Er machte nicht das Computerspiel "Counterstrike" für die Neigung von Jugendlichen zur Gewalt verantwortlich, sondern er befasste sich mit anderen Phänomenen und stellte die Frage, was Gewalt hervorbringt. Warum verliert das eigene Leben und das anderer Menschen an Wert, warum wird auf die Demonstration von Gewalt gesetzt?

Es gibt ein wichtiges Problem, und das ist die Frage der Anerkennung. Wilhelm Heitmeyer hält folgende Fragen für ganz existenziell: "Wer braucht mich? Fühle ich mich gerecht behandelt? Bin ich gleichwertig?"
Er vertritt die Meinung, dass eine Gewalttat als Ziel die Wiederherstellung der Anerkennung haben kann.

Was versuchen wir den Jugendlichen zu vermitteln, welche Werte zählen. Stimmt nicht die Aussage: "Wer nicht auffällt, wird nicht wahrgenommen - ist ein Nichts."

Werden in unserer Gesellschaft nicht einseitig Leistungen prämiert. So sprach z.B. Dr. Herz, Pädagoge und Diplom-Psychologe, in seinem Vortrag in Bad Urach am 29.10.02 darüber, dass er sich bemüht hatte, in seinem Schulbezirk anstatt Fachleistungen auch Zivilcourage zu prämieren. Für die Prämie wurde in einem ganzen Jahr kein Schüler gemeldet. Müssten nicht in der Gesellschaft wieder Werte der Menschlichkeit und Solidarität viel mehr Raum haben? Zeigt unser eigenes Leben die Beachtung dieser Werte?
Wird in der Realität nicht der Erfolg, die Durchsetzung um jeden Preis, belohnt?

In seinem Buch "Sittliche Werte und Normen" beschreibt Karl Bremer folgende Definition zum Wertebegriff:

    Werte sind mehrheitlich akzeptierte und verinnerlichte Vorstellungen von etwas , das gewünscht, erstrebt, anerkannt oder ehrfürchtig angeschaut wird. Sie sind Beurteilungskriterien für Ziele, Mittel und Folgen von Handlungen. Sie entstehen in geschichtlichen Prozessen durch Konsens einer menschlichen Gemeinschaft über die Art und Weise der Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Natur und den gruppenspezifischen Regelungen über die Form des Zusammenlebens von Mitgliedern. Geschichtlich entstanden, werden Werte in Gemeinschaften kulturell typisiert (z.B. durch Leitbilder, Religion, Recht, Sitten und Gebräuche), von den Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft im Erziehungsprozess internalisiert und von der Gemeinschaft in Form von Geboten konkretisiert und durch Verbote sanktioniert. Insofern ist jede menschliche Gemeinschaft, sie sich als Einheit empfindet, eine Wertegemeinschaft: Werten kommt somit eine einheits- und identitätsstiftende Bedeutung zu.
Über die Jahrzehnte verändern sich Werte in einer Gesellschaft. Ich denke, wir müssen diesen Wandel nicht unbedingt als Verlust von Werten verstehen.
Eine Generation, die unter veränderten Lebens- und Wohlstandsbedingungen aufwächst, gelangt zwangsläufig zu anderen Erfahrungen und Gewohnheiten. Wenn sich der Zeitgeist ändert, ändert sich auch die Geltung und Akzeptanz der bisherigen Werte. Negativ und als für unsere Jugend heute außerordentlich schwierig sehe ich die Beliebigkeit. Brauchen wir nicht eine Debatte über eine neue Ethik?
Die traditionellen Weltbilder, Wertvorstellungen und Normensysteme sind nicht mehr selbstverständlich gültig; es gibt aber auch keine neuen, die sich einer allgemeinen Anerkennung erfreuen. Es sei denn die Werte des Erfolgs, vor allem des wirtschaftlichen Erfolgs, werden anerkannt. In dieser Pluralisierung entstehen Geltungsprobleme von Normen. Die Jugendlichen stehen unter dem Druck der Anerkennung durch ihre Gruppe, dazu benötigen sie z.B. besondere Markenzeichen ihrer Kleidung.

Dr. Horst W. Opaschowsky, zukunftswissenschaftlicher Forscher, schreibt in seinem Buch "Deutschland 2010":

    Mehr als andere Bevölkerungsgruppen stehen Jugendliche und junge Leute unter einem fast sozialen Druck des Konsumieren-Müssens. Der soziale Druck geht vornehmlich von der Freizeitclique aus: Wer dazugehören will, muss sich den Gleichaltrigen anpassen. Junge Leute wollen sich von der Erwachsenenwelt abheben und bedienen sich dabei der Konsumgüter, die die Erwachsenen für sie bereitgestellt haben. Der vermeintlich unkonventionelle Ausstieg aus der Erwachsenenwelt wird zum angepassten Einstieg in die Konsumgesellschaft. Durch entsprechenden Freizeitkonsum lässt sich Gruppenzugehörigkeit signalisieren und mitunter auch Individualität ausdrücken.
Wie können wir den Jugendlichen helfen, in dieser Welt ihren Weg zu finden? Prämiert unsere Gesellschaft nur Leistung und Selbstdurchsetzung, wo bleiben die Jugendlichen, die diesem Bild nicht entsprechen?

Dr. Herz sprach in seinem Vortrag über drei Felder der Werte:

"Ich" (mein individuelles Verhalten)
"Wir" (das Verhalten in meiner Familie)
"Wir" (das Verhalten in der Gesellschaft, auch der Weltgemeinschaft)

Als universalen Wert stellte er die Achtung vor dem anderen Menschen, seine Gleichwertigkeit, heraus.

Sind wir nicht jeden Tag konfrontiert mit einer Missachtung dieser Werte?
Ich denke, vor allem das Verhalten in der Gesellschaft zeigt eine Diskrepanz. Einflussreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beachten die einfachen Grundwerte, die auch heute noch gelten sollten, nicht. Es werden von Politikern Versprechungen gemacht, von denen man weiß, sie können nicht eingehalten werden. Da werden Kriege geplant, die Kosten kalkuliert, und von den zu erwartenden Leiden der Betroffenen wird kaum gesprochen. Wo bleibt der Aufschrei? Wie sollen Jugendliche in dieser Gesellschaft ihre Werte finden?

Seitenanfang


 
Zusammenfassung der Diskussion
Renate Bowen


Das Thema wurde sehr intensiv diskutiert. Es gab 41 Beiträge in unserem Diskussionsforum, die von 9 Teilnehmern geschrieben wurden. Auch während der 5 Chats war der Austausch von Gedanken sehr konzentriert und lebhaft.

Eine allgemeine Zustimmung fand die Aussage des Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer, dass ein Mangel an Anerkennung bei Jugendlichen im Extremfall zur Gewalt führen kann. Es wurde daran erinnert, dass sich diese Gewalt nicht unbedingt gegen andere wendet, sondern auch in suizidaler Absicht gegen sich selbst gerichtet sein kann.

Der Missbrauch zwischen den gelehrten und gelebten Werten wurde im geschichtlichen Kontext betrachtet. Dieser Missbrauch kann über die Jahrhunderte verfolgt werden. Es gab die Diskrepanz zwischen den Moralpredigten und dem Benehmen des Predigers. Es wurde an den Ablasshandel erinnert und daran, dass die Mächtigen dem Volk Normen auferlegten, die sie für ihr eigenes Leben nicht als verbindlich ansahen. Potentaten konnten sich Mätressen halten, dem Volk wurde eheliche Treue gepredigt. Man sprach von Enthaltsamkeit.
In diesem Zusammenhang wurde aus "Deutschland ein Wintermärchen" von Heinrich Heine folgender Text zitiert:
    Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
    Ich kenn auch die Herren Verfasser;
    Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
    Und predigten öffentlich Wasser.
Jedoch gibt es einen Unterschied: in früheren Jahrhunderten war das Wissen um den Missbrauch auf einen kleineren Kreis beschränkt, während wir alle - einschließlich der Jugendlichen - im 21. Jahrhundert durch das Fernsehen Zeugen desselben in unseren Wohnzimmern werden.

Zu den Werten wurden zwei Begriffe aus der Philosophie in unsere Diskussion eingeführt:
Wertabsolutismus (die Behauptung, Werte seien allgemeingültig, übergreifend, überzeitlich, unveränderlich).
Wertrelativismus (Die Behauptung, Werte seien historisch, gesellschaftlich und kulturell bedingt, daher veränderlich.).
Ganz eindeutig wurde am Anfang unsere Diskussion von diesen zwei verschiedenen Standpunkten geführt. Der Konsens liegt in der Aussage, Werte sind als solche immer da, werden aber unterschiedlich gewichtet. Zu diesem Wandel wurde ein Beitrag aus dem Jahr 1996 von Gerd Hepp (Aus Politik und Zeitgeschichte) zitiert:

"In den letzten Jahrzehnten hat in den westlichen Industrienationen ein enormer Wertewandel stattgefunden.......
Auslösende Faktoren waren die technologische Modernisierung, die Bildungsrevolution, die sozial- und wohlfahrtsstaatliche Entwicklung sowie der wachsende Einfluss der Massenmedien. Der Kern dieses Wertewandels lässt sich vor allem als Gewichtsverlagerung beschreiben: Pflicht- und Akzeptanzwerte sind deutlich geschrumpft, während Selbstentfaltungswerte expandierten."


Es wurde festgestellt, dass diese Worte auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
In Bezug auf die Selbstentfaltungswerte wurde gefragt, ob die Beschränkung individueller Freiheit durch die Normen immer weniger akzeptiert werden. Von der Aussage, es gäbe kein zuviel an Freiheit, geht die Meinung bis hin zu der Feststellung, dass seit 1968 dieser Wert überbetont wird, ganz besonders in der Erziehung. Das Setzen von Grenzen gilt als Eingriff in die Freiheit der zu erziehenden. Und doch sind ethische Werte, sind Normen die Voraussetzung für ein Zusammenleben in einer Gemeinschaft. Sie sind Handlungsgebote und schränken die individuelle Freiheit des Einzelnen ein. Man einigt sich auf die einfache Aussage, meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des Anderen angegriffen wird oder die "goldene Regel":
    Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, sollt ebenso auch ihr ihnen tun; denn das ist das Gesetz.
    Matthäus 7, 12
Es wurde betont, der Wert der Solidarität ist heute nicht verloren, er äußert sich in neuer Form, da man seine Hilfe in einem flexibleren Rahmen einbringen möchte. Es werden zeitlich begrenzte Projekte bevorzugt. Aber auch auf die große Anzahl von Menschen, die sich in Selbsthilfegruppen treffen, wurde hingewiesen.

Weitere Verschiebungen auf der Werteskala sind im Bezug auf Spaß und Genuss zu beobachten. Sie haben einen bevorzugten Platz errungen, nicht selten bis zu einer quasi Lebensmaxime. Dagegen scheint das Wertegefühl für Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Rücksichtnahme, Mitmenschlichkeit immer geringere Positionen einzunehmen.
Das Wissen Älterer wird von der Gesellschaft wenig beachtet, sie werden oft mit 55 Jahren aus dem Arbeitsleben entlassen. Es wurde aber auch gefragt, ob früher nicht manches als Wert galt, was sich inzwischen als wertlos, sogar falsch gezeigt hat, hat man zu oft gute Manieren mit Werten verwechselt und Werte mit Indoktrination. Ob Patriotismus z.B. nicht oft an Nationalismus, Fanatismus, Chauvinismus gegrenzt hat, Fleiß an negative Strebsamkeit, Sinn für Opfer oder Mut an Masochismus? Wie war das mit den Ideologien, die inzwischen diskreditiert sind?

Für die Entwicklung der Werte in der Persönlichkeit wird dem Elternhaus, der Schule, Politikern, Erwachsenen ganz allgemein die größte Beeinflussung zuerkannt. Sie tragen eine große Verantwortung. Da die Bindung an die Kirche abnimmt, kann diese kaum noch Leitbilder durchsetzen. Bei der Verschiebung der Werte ist der Einfluss der Massenmedien der größte Faktor. Dabei wurde betont, dass die Aufnahme eines Wertes in die Verhaltensregeln des Einzelnen ein schleichender Prozess ist.
Ethische Werte werden im Verlauf der Entwicklung in der Persönlichkeit etabliert. Abhängig von der persönlichen Beschaffenheit nehmen wir sie auf. Sie widerspiegeln auch die Einflüsse der Umgebung. Es wurde auch auf die unterschiedliche Orientierung der Werte in Ost- und Westdeutschland hingewiesen. Diese Entwicklung ergibt sich aus der Beeinflussung durch die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme. Werte werden als erstrebenswerte Ideen bezeichnet. Man erwähnte auch die Umkehrung von Werten zu Unwerten. Es wurde gefragt, ob es nicht gerade ein Charakteristikum von Werten ist, dass man sie ständig reflektieren muss und nie mit ihnen fertig wird. Und ist nicht gerade dieser permanente Prozess der beste Schutz gegen das Unterjubeln fragwürdiger Werte?

Welches sind die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Senioren? Wie können sie Jugendlichen helfen? Selbstverständlich wurde zuerst an ihre Rolle als Großeltern gedacht, die ihren Enkelkindern Werte vorleben sollten und sie dadurch beeinflussen können. Hier wurden Liebe in Form von Güte, Nachsicht, Verständnis und Mitgefühl, dazu Toleranz und Respekt vor dem Leben als besondere Werte genannt. Aber auch Zivilcourage wird von Senioren erwartet. Wer von niemandem mehr abhängt, hat es leicht, offen auch für unpopuläre Meinungen einzutreten.
Es wurde aber auch gesagt, dass der im Wachsen begriffene Bevölkerungsanteil der Senioren eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber hat. Welche Wege beschritten werden können, darüber sollte man sich in zukünftigen Diskussionen einigen.
Die Reflexion über eine weitere Frage wurde angeregt: Welche Werte braucht die menschliche Global-Gesellschaft heutzutage, um überleben zu können? Und welcher Wert hat absolute Priorität, wenn nicht das Leben selbst?

(Ich möchte noch auf die im Anhang zu dieser Zusammenfassung enthaltenen Zitate und das Vortragsscript von Prof. Funiok hinweisen.)

Seitenanfang


 
Ausgewählte Zitate von Philosophen und Dichtern

Um den einzelnen Beiträgen mehr Gewicht zu geben und unsere Diskussion zu vertiefen, haben sich viele Beteiligte des Kollegiums auf große Denker gestützt, oder sie direkt zitiert. Ich möchte hier einige anführen.

Hannah Arendt (1906-1975)
"Die Gefahr des Konformismus und seine Bedrohung der Freiheit ist in allen Massengesellschaften angelegt", bemerkt Hannah Arendt und fügt hinzu: "Die Freiheit verschwindet immer dann, wenn eine Vielheit sich so verhält, als ob sie einer wäre, und dazu noch ein einziger". Sie hält es für eine "außergewöhnliche Gnade, sich bewusst zu werden, dass Menschen die Erde bewohnen und nicht DER Mensch."

Hannah Arendts gesellschaftskritische Erläuterung "Der Wert ist das, was früher Tugend geheißen hat, und wird festgestellt durch die Schätzung der anderen (Hobbes), die als Gesellschaft konstituiert in der öffentlichen Meinung die Werte nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmen."

Brecht (1898-1956)
"So viel ist gewonnen, wenn nur einer aufsteht und nein sagt".

Hobbes (1588-1679) Besonders plakativ drückte Thomas Hobbes es im Leviathan aus: "Der Wert des Menschen ist sein Preis, das ist das, was für den Gebrauch seiner Kraft gegeben werden würde."

Kant (1724-1804)
"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde".

Nietzsche (1844-1900)
Auch Nietzsches "Umwertung aller Werte" gehört hierher: "Der selbst geprägte Wert wird zum Mittel der Macht. Wenn ich es bin, der die Interpretation des Wertes festlegt, verfüge ich über Macht! Schaffe ich es zum Übermenschen, dann bin ich - im Gegensatz zum Durchschnitt - an keine Wertvorstellungen, keine Konventionen außer den meinen mehr gebunden."

Max Scheler (1874-1928)
entwickelte eine materiale Wertethik. Zentral ist für Scheler der Begriff des Wertfühlens bzw. des Wertgefühls, denn für ihn ist das Erfassen eines Wertes kein intellektueller, sondern ein emotionaler Akt. Werte sind nach Scheler keine Gesetze oder Gebote, sondern selbständige "materiale Qualitäten". Alle Werterkenntnis und Wertnahme gründet in der Fähigkeit der Teilnahme am Sein, die wiederum in der Liebe gegründet ist. Scheler sieht das Wesen des Menschen nicht in erster Linie in seinem Denken oder Wollen, sondern in der Liebe. Der Mensch ist ein ens amans, ein liebendes Wesen. Die Rangordnung der Werte und die wertnehmenden Handlungen bilden den ordo amoris (die Ordnung der Liebe) eines Menschen.
"Wer den ordo amoris eines Menschen hat, hat den Menschen. Er hat für ihn als moralisches Subjekt das, was die Kristallformel für den Kristall ist."
Den höchsten Rang in Schelers Hierarchie der Werte nimmt der Wert des Heiligen ein.

Sokrates (470-399 v. Chr.)
"Unsere Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren, macht sich über die Autorität lustig, hat überhaupt keinen Respekt vor dem Alter. Unsere Kinder sind Tyrannen, sie erheben sich nicht vor dem Alter, sie widersprechen ihren Eltern, sie sind unmöglich."

Prinzipielle Kritik übte Sokrates an Machtpolitik auf der Grundlage des Naturrechts des Stärkeren. Es wurde festgestellt: "Je größer die Macht, um so größer sind die Chancen, aber auch die Gefahren. Erfolg besteht nicht in Macht und Reichtum, weder des Einzelnen noch des Gemeinwesens, sondern in der schwierigen Leistung eines Lebens nach Grundsätzen der Vernunft."

Nach Sokrates/Platon gibt es zwei Konzepte des menschlichen Lebens: Ein Leben, das der Lust, d.h. der Begierde, gewidmet ist und ein Leben, das der Vernunft und dem Guten folgt.
Sokrates ging in seiner radikalen Kritik an der Überschätzung bloßer Daseinssicherung, materieller Vorsorge, Lebensstandard, auf Besitz gegründeter Macht so weit, dass er selbst die Heroen der athenischen Geschichte - Themistokles, Kimon, Miltiades, Perikles - bezichtigte, zwar für das materielle Wohl der Stadt gesorgt zu haben, aber das, worauf es eigentlich angekommen wäre, die moralische Erziehung der Bürger, sträflich vernachlässigt zu haben.
Dieser massive Angriff auf berühmte Repräsentanten Athens rief schon in der Antike schärfsten Widerspruch hervor.

Für Sokrates ist Unrecht erleiden besser als Unrecht tun - das Erste schade dem Körper, das Zweite der Seele.

Seitenanfang          Druckversion (pdf)