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Gefühl und Verstand:
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Kurzreferat
1. Verstand
Seit der Aufklärung leben wir, die "westliche Welt", unter der Dominanz des Verstandes.
Er hat Gott in die Karten geschaut. Aber der Mensch beschränkt sich nicht auf das Erkennen, er leitet daraus auch sein Handeln ab. Mit dem Wissen über den Kern des Atoms und den der Zelle hat er zwei Schlüssel zur Umgestaltung der Welt in die Hand bekommen, die so fruchtbar wie furchtbar sein können. Er kann gefährliche Energien freisetzen, und er kann die Biologie der Erde, einschließlich der des Menschen, von Grund auf verändern. Wie Gott kann er in die Schöpfung eingreifen. 2. Gefühl Inzwischen ist uns bei unserer Gottähnlichkeit bange, und dieses Unbehagen lässt sich rational nur schwer fassen. Ethische Überlegungen werden unscharf oder gar unlösbar (s. Stammzelldebatte). Immer mehr nehmen wir unser Gefühl zu Hilfe, um mit der rational geschaffenen Komplexität umzugehen. Doch das befriedigt uns nicht, weil wir Probleme der Ratio auch rational behandeln möchten, und so gerät unser Gefühl in Konflikt mit der Ratio. Dieser Konflikt hängt mit den unterschiedlichen Funktionsweisen dieser beiden uns verfügbaren Werkzeuge zusammen:
Nebenbei bemerkt: Auch rationale Entscheidungen messen wir an dem "guten" oder "unguten Gefühl", weil wir in unsere Gedanken auch Wertungen einfließen lassen, die (s. Thema "Werte") einen hohen emotionalen Gehalt haben. 3. Angst Eines der wichtigsten Gefühle, die uns in unübersichtlichen Situationen warnen, ist die Angst. Nun war die Welt zu allen Zeiten komplex und unübersichtlich, und so hatte der Mensch zu allen Zeiten Angst. Heute scheint gerade die vom Verstand geschaffene neue Komplexität uns Angst zu machen. Die Ratio hat uns zu "Zauberlehrlingen" werden lassen, und unsere Gefühle legen sich quer. Sie kehren sich gegen Technik, gegen (Schul-)Medizin, gegen Gifte, Wellen, Strahlung. Sie suchen nach Alternativen und finden sie in Öko-Bekenntnissen, Bio-Nahrung und Naturheilverfahren. Oder in Esoterik und Sekten. Unser Gefühl führt uns, gerade über die Angst, an die Ränder der Vernunft. Es bereitet einem Irrationalismus den Boden, der sich selbständig machen kann. Und Irrationalismus hat sich in der Historie immer als gefährlich erwiesen. Übrigens: auch der Glaube mancher Wissenschaftler, das Glück des Menschen "machen" zu können, ist alles andere als rational. 4. Fragen So stecken wir denn in einem Dilemma:
Fragen also über Fragen! Ich stelle erst einmal ein paar davon:
4.1 Wo ist es besser, den Verstand zu nutzen? 4.2 Wo besser das Gefühl? 4.3 Woran halten wir uns, wenn sie gegeneinander stehen (in einem selber, zwischen den Menschen)? 4.4 Wie sähe ein möglichst harmonisches Wechselspiel aus?
5. Kleine Schlussbemerkung zum Thema "Vernunft"
Mir scheint wichtig, zwischen Verstand und Vernunft zu unterscheiden. Dabei ist die Vernunft der komplexere Begriff. Vielleicht könnte man sie eine gefühlsgesteuerte Ratio nennen, in dem Sinne, dass dort unsere - emotional geprägten - Werte dem Verstand die Richtung weisen. Stimmte das, dann hätten wir zu überlegen, auf welche Weise Verstand und Gefühl zusammenwirken sollten,
damit der Mensch "zur Vernunft kommt".
Seitenanfang Zusammenfassung der Diskussion Werner Toporski
Ein weites Thema, und so vielfältig die Diskussion (39 Beiträge von 9 Teilnehmern im Forum und 6 Chats), dass sie hier nur verkürzt wiederzugeben ist. Und trotzdem, trotz anfänglichen "Tappens wie im Nebel" haben wir es geschafft, uns eine Vorstellung von einem gedeihlichen Miteinander von Verstand und Gefühl zu machen. "Man sieht nur mit dem Herzen gut" - oder? Da ist etwas dran. Da ist aber auch etwas falsch. - Fest steht, dass unser Gefühl feiner sieht und komplexere Dinge erfasst, als der Verstand. Selbst logische Fragestellungen wie in Mathematik oder Philosophie werden oft eher intuitiv als rational erfasst. Und wenn wir versuchen, gefühlsbetonte Handlungen mit dem Verstand anzugehen (etwa indem wir zu viele Bücher über Kindererziehung lesen), dann scheitern wir und nennen das "verkopft". Diese Ambivalenz empfand auch Kant, denn, obwohl selbst ein rationaler Denker, bewegten ihn zutiefst "der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir". Das heißt einerseits: Was wären wir ohne die Empfindung für die Wunder des Alls? Andererseits: Was wären wir ohne unsere Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden. Und diese Unterscheidung ist keineswegs rein rational, denn in unsere Werte fließen Gefühle vielfältig ein. "Vernünftig" sind also Denken und Handeln, die wir an unserem Gefühl gemessen haben. Wir brauchen das Gefühl als Regulativ des Verstandes: "Die Vernunft ist grausam, das Herz ist besser." (Wilhelm Meister, Lehrjahre). Erfährt der Verstand keine Kontrolle durch das Gefühl, oder wird das Gefühl manipuliert oder unterdrückt, wird es gefährlich. Das gilt vor allem für technische Entwicklungen, die wir rein rational zu betrachten pflegen. Dabei greifen wir in Systeme ein, deren Komplexität wir weder erfassen noch steuern können (Klima, Gentechnologie). Die weitreichenden Folgen unseres rationalen (wissenschaftlich-technischen) Handelns lassen eine gefühlsbetonte Gegenkultur entstehen. So kommt es, dass Computer und Esoterik gleichzeitig einen Boom erleben. Zwei Anmerkungen:
Genau wie der ungesteuerte Verstand können sich auch Gefühle, die nicht vom Verstand kontrolliert werden, zerstörerisch gegen uns richten. "Wild gewordenes" Gefühl gleitet in Irrationalismus ab, der immer eine Gefahr darstellt. Als Massenwahn drückt er sich in Verfolgungen von Hexen, Juden und anderen aus (oder in Polenwitzen), im individuellen Bereich als Mobbing. Auch Überzeugungen sind oft irrational: Man fühlt, wie gut Bio, und weiß, wie böse Chemie ist. Phänomene, die sich mühelos rational erklären lassen, werden geheimen Kräften zugeschrieben, und niemand hat eine Scheu, das offen auszusprechen. Besonders fragwürdig ist die Herrschaft der Klischees. Wir machen uns aus dem Bauch (=Gefühl) ein oberflächliches Bild und übersehen seine Unschärfe. So entstehen Vorurteile, Meinungen, Gerüchte bis hin zur Massenhysterie. Regeln für ein Miteinander von Gefühl und Verstand Wenn es gelingt, Gefühl und Verstand richtig auszubalancieren, kann das zu harmonischem Handeln führen. Keinem der beiden darf dabei Priorität eingeräumt werden. Schwierig ist es, seine eigene Einseitigkeit zu erkennen. Begriffe, die unsere Aufmerksamkeit schärfen und uns weiterhelfen können:
Die Vernetzung von Gefühl und Verstand Immer wieder mussten wir feststellen, dass Gefühl und Verstand einander nicht nur brauchten, sondern dass sie sich auch kaum trennen ließen. Im Hirn herrscht ein so hoher Vernetzungsgrad, dass sozusagen alles mit jedem zusammenhängt. Vielleicht sind Verstand und Gefühl nur Begriffe unterschiedliche Ausdrucksformen unserer Hirnleistungen, Begriffe, die wir brauchen, um uns selber besser zu verstehen. Jaspers sagt, es gäbe eine Logik der Wissenschaft und eine der Philosophie. Das ist nahe an unserer Trennung Verstand - Vernunft. Und Sartre sagt, es gäbe auch die Logik des Herzens. Dann wäre das Gefühl Teil der Vernunft. Alle diese Aussagen sprechen dafür, dass unser Hirn uns unglaublich viele Möglichkeiten zur Ausrichtung unseres Denken und Handelns anbietet. Übrigens ist auch die Kunst eine dieser Facetten. Sie rüttelt Gefühle wach, verändert Sichtweisen, schärft die Wahrnehmung. Ohne Verstand ist sie in Gefahr, ins Banale abzugleiten, ohne Gefühl ist sie undenkbar. Auch Kunst und Verstand sind also ineinander verflochten. Technische Träume der Menschen sind in der Kunst entstanden (Ikarus). Mit der künstlerischen Darstellung seines Lebens bewältigt der Mensch seine Umwelt, überlistet der Verstand die Natur. So hilft Kunst, Harmonie zwischen Verstand und Gefühl herzustellen. Schlussbemerkung (Madeleine): "Du sprichst von Vernunft. Wie wär's mit "Weisheit", d.h. der Erkenntnis, dass der Mensch leider - oder Gott sei Dank - nicht vernünftig ist?" Seitenanfang Druckversion (pdf) |