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Toleranz - Disziplin - Gehorsam

Bearbeitungszeit 10.11.2003 bis 21.12.2003
Moderatorin Elke Joksch


Kurzreferat
Zusammenfassung

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Anlage
Intoleranz und Toleranz im Spiegel der Sprache
 
Kurzreferat

Wir müssen keine perfekten Helden sein,
aber wir haben die Pflicht zu handeln,
selbst wenn es scheint, dass wir mit einem Löffel
den Ozean ausschöpfen.
Roman Herzog


Toleranz

Das lateinische "tolerare" bedeutet erdulden. Toleranz bedeutet also das Erdulden anderer Meinungen, anderer Lebensweisen, anderer Lebensorientierungen. Das setzt eine eigene Meinung, eine eigene Lebensorientierung voraus. Wenn man keine Meinung hat, wenn einem alles egal ist, ist man nicht tolerant, sondern indifferent. Vor allem setzt Toleranz Wissen voraus und die Bereitschaft sich sachlich mit anderen Meinungen und Argumenten auseinander zu setzen. Toleranz bedeutet Respekt haben vor anderen Meinungen, vor anderen Lebensweisen.   
Wir suchen für uns selber nach Wahrheiten, nach Verlässlichkeiten, an denen wir uns orientieren können. In unserer Jugend, im Laufe unserer Erziehung und im täglichen Leben werden wir mit vielen "Wahrheiten" konfrontiert. Manche können wir anhand von "Tatsachen" nachprüfen, andere müssen wir glauben. Ohne ein gewisses Maß an Glauben können wir nicht leben. Aber da nicht alles wahr ist was wir hören, lesen, sehen, ist eine gesunde Skepsis angebracht. Ein prüfendes Betrachten der "Wahrheiten" aus der Distanz. Es geht also auch um Bewertung, um das Finden eigener und gesamtgesellschaftlicher Werte, an denen man sich orientieren kann. Daher geht es auch immer um die Frage, wo sind die Grenzen, unter Umständen sogar meine Grenzen, der Toleranz. Grenze der Toleranz bedeutet aber auch die Kehrseite der Toleranz, nämlich die Intoleranz gegenüber Dingen, die ich nicht tolerieren kann und sei es womöglich nur aus Unkenntnis oder aus meinem familiären Hintergrund, meiner eigenen Sozialisation heraus.
Toleranz üben findet für mich auf verschiedenen Ebenen statt. Global gesehen gibt uns die "Erklärung von Prinzipien der Toleranz", die von den Mitgliedstaaten der UNESCO 1995 proklamiert und verabschiedet worden ist, eine gute Grundlage, um den Gedanken der Toleranz in unserer Gesellschaft zu verbreiten. (Siehe Anlage)
Für den Einzelnen heißt das wohl mit Roman Herzog gesagt, den Ozean mit einem Löffel ausschöpfen. Aber man kann sich mit seinem Löffel anderen Löffeln zugesellen und versuchen mit ihnen gemeinsam zu schöpfen.
In der nächsten Umgebung aber hat man als Einzelner mehr Möglichkeiten den Gedanken der Toleranz zu verbreiten, sich selber in Toleranz zu üben. Es heißt achtsam sein anderen Menschen gegenüber, sie bewusst wahrnehmen, versuchen, sich in ihre Gefühle und Sichtweisen hinein zu versetzen und Respekt davor zu haben. Versuchen zu verstehen, warum sie so und nicht anders leben, fühlen und handeln. Das heißt aber nicht, automatisch alles gut zu heißen, zu tolerieren, nachzugeben, Nachsicht zu üben. Aber es gibt das friedliche Mittel der Sprache. Man kann Menschen ansprechen, Meinungen auszutauschen und eigene Sichtweisen vermitteln und Grenzen eigener Toleranz aufzeigen. Verstehen heißt nicht automatisch auch tolerieren.

    Toleranz üben heißt also: neues Wissen erwerben und damit eigene Maßstäbe ständig neu überprüfen und bewerten.
Fragen
Es ist aber auch nötig Grenzen zu finden.
  • Wo haben Toleranz und Gehorsam ihre Grenzen?
  • Toleranz - auch ein Seiltanz zwischen Verstand und Gefühl?
  • Ist man nahestehenden Menschen, Menschen die man mag, gegenüber toleranter als der abstrakten Menschheit in aller Welt?


  • Gehorsam

    ist die Unterordnung des eigenen Willens unter fremde Anordnungen, die unter Umständen durch Zwang herbeigeführt wird oder aber freiwillig geschieht.

    Erzwungener, unbedingter Gehorsam
    setzt Macht voraus. Widerstand bedeutet unter Umständen Gefahr für Leib und Leben. Auch zunächst freiwillige Einordnung in eine Hierarchie kann durch autoritäre, reine Macht ausübende Verhaltensweisen übergeordneter Personen zu unfreiwilligem Gehorsam führen, um z.B. eigenes Fortkommen, den eigenen Arbeitsplatz nicht zu verlieren, also "Strafe" zu vermeiden.

    Fragen
  • Wie verhalten sich Menschen in solchen Situationen anderen Menschen gegenüber?
  • Kann man sich heute Situationen vorstellen, in denen Mitmenschlichkeit, Toleranz, Mitleid im ganz normalen Alltag auf der Strecke bleiben?


  • Freiwilliger, bedingter Gehorsam
    kennzeichnet ein Verhältnis der Über- bzw. Unterordnung zwischen Menschen und zwischen Menschen und Institutionen.

    Autorität als Befehls- oder Einflussverhältnis wird als sinnvoll angesehen und durch alle Beteiligten bejaht.
    Persönliche Autorität geht dabei von einer Person aus, die sich durch besondere Leistungen, wie Intelligenz, Überzeugungskraft, Bildung, Fachwissen , Menschlichkeit etc. auszeichnet.
    Unpersönliche, formale Autorität geht in sozialen Gemeinschaften auch von Organisationen aus, die sich z.B. auf Tradition, Recht, Eigentum, religiöse Vorstellungen usw. gründen.

    Grundsätzlich sollte man zwischen autoritärer Forderung nach Unterordnung, also unbedingtem Gehorsam und einem Führungswillen unterscheiden, der Hilfestellung zur unumgänglichen Einordnung in eine Gemeinschaft und zur Selbstentwicklung gibt.

    Disziplin

    lat. disciplina hängt mit dem Verb discere - lernen zusammen.
    Disziplin hat daher in ihrer Grundbedeutung mit Lernen, Unterrichtung, Unterweisung, Erziehung, also Schule als Ort und Institution und die sich daraus ergebende Ordnung zu tun.
    Disziplin meint den Grad der Ordnung in einem Sozialgebilde.
    Unter Disziplin wird ebenso die Selbstdisziplin verstanden, also Selbstbeherrschung aus eigener Einsicht.

    Immanuel Kant versteht Erziehung als Menschwerdung und gliedert den Bereich Erziehung in vier Begriffe:
    Disziplinierung - Kultivierung - Zivilisierung - Moralisierung.

    In unsere moderne Sprache übersetzt (Berliner Bildungsserver) bedeutet das:
    Menschen sollen zur Selbstbeherrschung fähig werden.
    Menschen sollen in die Kultur eingeführt werden, in der sie existieren.
    Menschen sollen zu selbstbestimmtem und an sittlich-vernünftigen Werten orientiertem Leben fähig werden.
    Menschen sollen fähig werden, mit anderen Menschen zusammen zu leben und deren Wertorientierung zu akzeptieren.

    Mit diesem letzten Satz schließt sich für mich der Kreis zu Toleranz.

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    Zusammenfassung der Diskussion

    An der Diskussion des Themas zum Ende des Jahres 2003 beteiligten sich 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit insgesamt 46 Beiträgen. Es gab 5 Chats.

    Disziplin (als Ordnungsprinzip)
    Dieser Teilaspekt des Themas wurde nur wenig diskutiert. Man war sich einig, dass Disziplin als vom Willen gesteuertes Verhalten grundlegend ist für menschliches Zusammenleben, dass Einsicht in notwendige Strukturen geboten ist. Disziplin ist eng verbunden mit Autorität. Beide begründen sich auf Kompetenz, Leistung, klare Regeln und verbindliche Umgangsformen.
    Disziplinlosigkeit wurde auch gerade in der Generation der Älteren bemängelt und mit Rücksichtslosigkeit gleichgesetzt. Manch einer hält sich für ein freies Individuum und ist doch nur ein rücksichtsloser Klotz wie ein Teilnehmer es treffend ausdrückte.
    Selbstdisziplin als eine Art der Disziplin sei besonders für ältere Menschen wichtig. Übernommene Pflichten erfüllen, selbst wenn es manchmal schwer fällt. Auch dem 3. Lebensalter einen Inhalt, eine Struktur, eine Ordnung geben und nicht nur so vor sich hinleben, denn dann würde man wirklich "alt".

    Gehorsam
    Hier teilte sich die Diskussion in verschiedene Bereiche vor allem durch Erfahrungen mit Gehorsam aus der eigenen Biografie, sei es in der Familie, sei es im politischen und gesellschaftlichen Umfeld.
    Zwei Arten von Gehorsam standen sich gegenüber: der durch Zwang und Druck erzwungene Gehorsam und der Gehorsam der freiwillig über echte Autorität bewirkt wird.
    Gehorsam der ersten Art wurde mit Befehl und Bestrafung assoziiert. Je nach Kontext auch mit Passivität, Schweigen, Unterwürfigkeit, Mangel an innerer Freiheit, ja Freiheit schlechthin in Verbindung gebracht. Die Generation unserer Großeltern wurde zu Untertanen erzogen, was sich bis in unsere Elterngeneration auswirkte, die meinten, diese Art von Erziehung weitergeben zu müssen. Die Erziehung zu kritiklosem Gehorsam hätte auch mit zu den Vorgängen im 3. Reich beigetragen.
    Gehorsam war für einige von uns in der Kindheit mit Angst verbunden und zwar nicht so sehr vor einer eventuellen Strafe, sondern vor der Verachtung der Erwachsenen.
    Für die Erziehung unserer eigenen Kinder fand ein Teilnehmer das Wort "folgen" angemessener als gehorchen. Folgen nämlich dem guten Beispiel, das einen unabdingbaren Bestandteil enthält, nämlich die Liebe.
    Eine Teilnehmerin fand, dass blinder Gehorsam ohne den Mut zum Verstoß gegen den Gehorsam uns zu unreifen, unverantwortlichen Menschen macht, die nie zu sinnvollem Widerstand fähig sind. Gehorsam ist nicht harmlos. Er ist eine Waffe in den Händen kleiner und großer Diktatoren. Ungehorsam, besonders in Kriegszeiten kann auch Heldentat sein, die der Betreffende mit dem Leben bezahlen kann. Gehorsam ist eine Gewissenfrage und es gibt eine Hierarchie der Pflichten.
    Gehorsam und Disziplin sind Verhaltensformen, die eine Gründung in der Ethik brauchen, sagte ein Teilnehmer. In unserer Kindheit waren es noch Werte an sich: Der Gehorsame war gut, der Ungehorsame böse bis zur tödlichen Konsequenz wie oben angeführt. Im Gefolge von 1968 verloren beide Werte an Bedeutung. Kritik und Individualität traten in den Vordergrund. Die Hintansetzung von Verhaltensformen führte weniger zu einer verantwortungsvollen als zu einer schrankenlosen Freiheit. Die Bedeutung von Formen wurde unterschätzt. Verhaltensformen geben einen rasch verfügbaren Rahmen, den Menschen zum Zusammenleben brauchen. Allerdings müssen diese Formen einer ständigen ethischen Prüfung unterliegen.
    Bedenklich ist, dass 2/3 der Deutschen (lt. Friedrich-Ebert-Stiftung) eine starke Hand für nötig halten. Das ist typisch für schwierige Zeiten. Die Menschen sehnen sich nach einem "Retter" der verspricht zu handeln. Ein Teilnehmer führte Aussagen von Stammtischen an, die in simplen Kategorien denken. Politisch "rechte" Denkweisen seien dafür typisch und er hält es für kein Wunder, wenn Gehorsam - gerade der notfalls erzwungene, zur verbreitetsten Forderung der Stammtische zählt.

    Toleranz
    Dieser Teil nahm den breitesten Raum in unserer Diskussion ein und es ist schwierig allen diskutierten Aspekten auf dem durch unsere Regeln vorgegebenen Raum gerecht zu werden. Daher meine vielleicht etwas übergangslose Aneinanderreihung von dem, was dazu gesagt wurde.
    Toleranz ist ein Kennzeichen von Demokratie. Toleranz bedingt eine Ablehnungs- und eine Akzeptanzkomponente. Die Grenze der Toleranz wird erreicht, wenn die Ablehnungskomponente größer ist als die Akzeptanzkomponente.
    Toleranz ist eine Entscheidung des freien Willens. Folglich ist Toleranz ein Akt der Freiheit. Man kann etwas tolerieren, muss es aber nicht. Deshalb ist man nicht gleich intolerant, es kommt auf die Begründung an. Somit ist Toleranz nicht nur Schwester der Freiheit, sondern auch Tochter der Vernunft. Ob man etwas toleriert oder nicht, ist eine bewusste, freie Entscheidung unserer Ratio. Wenn man die lateinische Wurzel, dulden, erdulden, beim Wort nimmt kann grundsätzlich etwas aufgezwungen werden, das nichts mehr mit Toleranz zu tun hat. Dazu ein Goethezitat: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Dulden heißt beleidigen."
    Eine ganz wichtige Haltung im Zusammenleben der Menschen scheint mir die "Achtung" zu sein, die von zwei Teilnehmern angesprochen wurde. Einen Menschen und seine Auffassung achten ist mehr als tolerieren. Hier spielt das Gefühl eine nicht zu unterschätzende Rolle, ohne die Vernunft auszuschließen. Einen Menschen kann man tolerieren, ohne ihn zu achten, während die Achtung vor einem Menschen und seiner Meinung auch die Toleranz einschließt.
    Toleranz, sagt ein Teilnehmer, ist für mich eine Haltung, andere Anschauungen, Einstellungen, Sitten, Gewohnheiten usw. zu akzeptieren, zu dulden oder auch hinzunehmen, ohne dass ich sie für richtig halte. Er zitiert dazu einen Ausspruch von Rosa Luxemburg, dass Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden ist. Damit wird für ihn auch die Grenze von Toleranz sichtbar: sie verläuft dort, wo die Freiheit in Gefahr ist. Dieser Teilnehmer warf auch die Frage auf: Kann Toleranz töten? Ausgangspunkt war ein Erlebnis bei einer Veranstaltung, bei der eine Gruppe von jungen Leuten ein Transparent mit der Aufschrift "Toleranz tötet" enthüllte und die Diskussion über ein umstrittenes Buch verweigerte. Das erinnerte ihn fatal ans 3. Reich und die DDR, wo es keine Gegner sondern nur Feinde gab.
    Toleranz bedingt Wissen, die Auseinandersetzung mit Personen, Institutionen, Kulturen, die Toleranz erwarten. Desinteresse, Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit sind etwas anderes als Toleranz.
    Ein Charakteristikum für Toleranz, fand ein Teilnehmer, sei, dass man für sie eintritt. Toleranz die sich verbirgt, ist feige oder verlogen. Wenn man z.B. fremden Kulturen gegenüber tolerant sein will, muss man auch dann dazu stehen, wenn einem die üblichen Stammtisch-Parolen um die Ohren gehauen werden. In unserer Gesellschaft gibt es genügend Gelegenheiten, wo das ohne Gefahr für Leib und Leben möglich ist.
    Toleranz wird maßgeblich beeinflusst von den Verhältnissen/Umständen die zwischen Tolerierenden und Tolerierten bestehen. Je näher einem eine Person oder eine Gruppe steht, je eher ist man geneigt, Toleranz zu üben.
    Kant versteht Toleranz als Tugend der Gerechtigkeit und Forderung der Vernunft. Dabei erhob sich natürlich die Frage, was ist Gerechtigkeit, die ebenso unbeantwortet blieb wie die Frage nach Wahrheit. Das damit verknüpfte Bewusstsein der Unvollkommenheit schützt uns vor Überheblichkeit. Dieses Bewusstsein, dass alle Menschen auf der Suche sind, ist für einen Teilnehmer die Basis der Toleranz.
    Selbst die Wahrheit von Tatsachen kann unterschiedlich dargestellt werden. Dazu ein Zitat von Aristoteles: "Feuer brennt sowohl in Hellas als auch in Persien, aber die Vorstellung von richtig oder falsch ist von Ort zu Ort verschieden." Die eigenen Wahrheiten sind mit Skepsis zu betrachten und den Wahrheiten der anderen sollte man mit Toleranz begegnen.
    Toleranz aus politischem und wirtschaftlichem Kalkül, für die es in der Geschichte bis heute reichlich Beispiele gibt. Das Tolerieren verschiedener Religionen oder Kulturen in einem Staat ging häufig genug auf die Haltung schlauer Herrscher zurück, die geschickt die Kompetenzen und Eigenschaften der verschiedenen Bevölkerungsgruppen als Bereicherung für das Land zu nutzen wussten. Echte Toleranz hat es in den großen Fragen wohl nur selten gegeben. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Aber wie ist es im Kleinen, fragten zwei Teilnehmerinnen.
    Ein Zitat von Albert Cohen aus seinem Buch "An meine Brüder" wurde zur Grundlage ihrer Überlegungen:
    "Ja, meine Brüder, nicht mehr hassen - aus Mitgefühl und Brüderlichkeit, die einen doch so bescheiden machen und zur Güte führen - nicht mehr hassen ist doch viel mehr als Nächstenliebe,..."
    Das Wort Bescheidenheit erlangte für sie eine besondere Bedeutung in unserer Diskussion. Mit der Frage einer Teilnehmerin schließe ich diese Zusammenfassung:
    Würde es nicht genügen, wenn wir in unserem Alltag nach dem obigen Zitat leben könnten?

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