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Hat der Sozialstaat eine Zukunft?Bearbeitungszeit 26.04.2004 bis 06.06.2004 |
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Kurzreferat
Seitenanfang Zusammenfassung der Diskussion
Zu diesem Thema gab es im Forum 16 Beiträge von 10 Teilnehmern und es wurde in 5 Chats jeweils eine Stunde diskutiert. Schwerpunkte dabei waren - Der Generationenvertrag - Sind Kinder ein Armutsrisiko? - Studiengebühren - Wieviel ist uns unsere Gesundheit wert? Zunächst sei festgestellt, dass von keinem der Diskussionsteilnehmer der Sozialstaat in Frage gestellt wurde. Wir waren uns aber darüber im Klaren, dass die jetzige Form nicht mehr finanzierbar ist. Wichtig ist auch die Feststellung, dass der Sozialstaat nicht an eine bestimmte politische Staatsform gebunden, aber nur als Rechtsstaat möglich ist. Ein Unrechtsstaat kann kein Sozialstaat sein, auch wenn er soziale Sicherungsysteme realisiert. In der Zwischenzeit wurde die Verfassung der Europäischen Union von den Regierungs-chefs der 25 Mitgliedsländer beschlossen. Sie enthält im Artikel III (103 - 115) unter Bezugnahme auf die Europäische Sozialcharta von 1961 und die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 die Bestimmungen über die Sozialpolitik. Ich möchte im Folgenden einige Schwerpunkte der Diskussion näher betrachten, ohne den Anspruch zu erheben, die gesamte Breite der behandelten Probleme zu erfassen. Wie definieren wir sozial? Diese Frage wurde in einem Forumbeitrag gestellt. Das kann man zunächst mit Bezug auf die wörtliche Bedeutung tun. Danach ist sozial synonym für gesellschaftlich, auf die menschliche Gemeinschaft bezogen, oder besser dem Gemeinwohl, der Allgemeinheit dienend. In dem erwähnten Beitrag wird aber darauf hingewiesen, dass in den entwickelten Ländern der Begriff "sozial" lange Zeit so ausgelegt wird, dass den Menschen die Lebensrisiken so weit wie möglich abzunehmen sind. Die daraus abgeleiteten Ansprüche an die Gemeinschaft ohne sich um die Quellen der eingeforderten Leistungen zu kümmern, führen zu Bequemlichkeit. Ich füge hinzu: sie dienen auch nicht dem Gemeinwohl. In Verbindung mit der sich verändernden demografischen Struktur der Bevölkerung führen sie auch zu übermäßiger Belastung der im Arbeitsprozess stehenden Bevölkerungsgruppen und der nachfolgenden Generationen. Die Abkehr von dieser durch Politiker aller politischen Richtungen geförderten Fehldeutung des Begriffs "sozial" ist schmerzhaft, aber unausweichlich. Soziastaat und soziale Marktwirtschaft In einer Reihe von Diskussionsbeiträgen sowohl im Forum als auch im Chat wurde auf die Rolle der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsform des Sozialstaats hingewiesen. Wenn Marktwirtschaft eine solche Wirtschaftsordnung ist, in der Art und Umfang von Erzeugung, Verteilung und Verbrauch von Gütern und Leistungen durch den auf dem Markt mittels Angebot und Nachfrage gebildeten Preis bestimmt werden, versucht die soziale Marktwirtschaft durch staatliche Eingriffe nachteilige Auswirkungen zu verhindern. Das können ordnungs-, struktur- und konjunkturpolitische Maßnahmen, Korrekturen der Einkommens- und Vermögensverteilung sowie Maßnahmen der Arbeitsmarkt-, Familien-, Gesundheits- und Bildungspolitik sein. Die sozialen Sicherungssysteme sind jedoch kein Markt mit Angebot und Nachfrage als Regulativ der Preisfindung, sondern Gegenstand der Daseinsvorsorge des Staates. Die Organisierung des Wettbewerbs der Leistungserbringer und die Eigenbeteiligung der Leistungsempfänger müssen in diesem Rahmen durch staatliche Eingriffe erfolgen. Sie können nicht dem Markt überlassen werden. Generationenvertrag und Familienpolitik Als 1957 der sog. Generationenvertrag eingeführt wurde, lag dem die wissenschaftliche Untersuchung eines Prof. Schreiber zu Grunde ("Solidarvertrag zwischen jeweils zwei Generationen"). Das Konzept sah ein Drei-Generationen-Modell vor - Kinder, Eltern, Großeltern - mit einer Rentenkasse und einer Kinderkasse, in die alle Erwerbstätigen einzahlen sollen. Damit sollten sowohl das Risiko des Altwerdens als auch das Risiko des Kinderkriegens kollektiv abgesichert werden. Realisiert wurde aber nur ein Torso dieses eigentlich schlüssigen Konzepts: Aus der Umlage der auch noch auf die unteren und mittleren Lohn- und Gehaltsgruppen reduzierten Erwerbstätigen wurden nur die Renten finanziert. Das Aufziehen von Kindern blieb Privatsache. Adenauer soll gesagt haben: "Kinder kriegen die Leute immer". Dazu kommt die völlig ungenügende Bereitstellung von Möglichkeiten der Kinderbetreuung, die jungen Frauen auch bei Mutterschaft die Berufstätigkeit erleichtert. Die fehlerhafte Entscheidung wurde bis heute von den Regierungen - unabhängig von ihrer parteipolitischen Richtung - nicht grundsätzlich korrigiert. (Abgesehen davon, dass das heute kaum noch eine wie auch immer geartete Mehrheit finden würde.) Man begnügte sich mit marginalen Reparaturen wie Anhebung des Kindergelds und Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung. Durch diese vom Ansatz her verfehlte Familienpolitik ist Deutschland kein kinder-freundliches Land. Das kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass heute eine deutsche Frau im gebärfähigen Alter im Durchschnitt 1,3 Kinder bekommt und damit am Ende des internationalen Vergleichs liegt. In Dänemark z.B. sind es 1,7 und in Frankreich 1,9. Besonders gering ist die Kinderfreudigkeit bei Akademikerinnen, 42 % zwischen 35 und 40 Jahren haben keine Kinder. In den nächsten Jahren soll dieser Anteil auf 50 % steigen. Die Frauen finden aber auch unter den Spitzenpolitikerinnen keine Vorbilder. Angela Merkel, Heide Simonis und viele andere sind kinderlos. Die Folgen dieser Familienpolitik sind schrumpfende Bevölkerung, alternde Gesellschaft, kollabierende Sozialsysteme. Sozialstaat und Globalisierung Der Sozialstaat in seiner heutigen Form entstand und entwickelte sich am Ende des 19. und in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit dominierten in der Industriegesellschaft die Nationalstaaten. Wirtschaft, Interessenvertretungen (z.B. Gewerkschaften) und die Sozialsysteme waren auf dieser Grundlage organisiert. Mit der Entwicklung der Globalisierung (wenn darunter die zunehmende internationale Integration von Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten, unmittelbar verursacht durch wachsende internationale Mobilität von Produkten und Produktionsfaktoren verstanden wird) im letzten Drittel des 20. und im 21. Jahrhundert gerieten die Möglichkeiten der Nationalstaaten zunehmend in den Hintergrund. In einem Forumbeitrag wird dazu festgestellt, dass sich im Zeitalter der Globalisierung die wirtschaftlichen Bedingungen ändern. Die Unternehmen können global wirken, der Staat und die Gewerkschaften aber nur national. D.h. die Unternehmen können ihr Kapital dem Einfluss der die Profitmaximierung begrenzenden nationalen Rahmen-bedingungen entziehen. Die Lösung dieses Konflikts wird in einem "Weltgesellschaftsvertrag" gesehen, verbunden mit einer stärkeren Koordinierung der gesellschaftlichen Kräfte als Partner der koordinierten wirtschaftlichen Kräfte. Zusammengefasst wird festgestellt: "Die Globalisierung der Märkte erfordert eine Globalisierung der Moral." Der Weg dorthin wird lang sein. Aber die Probleme müssen heute gelöst werden. Eigenverantwortung und bürgerschaftliches Engagement Einen breiten Raum in der Diskussion nahmen Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung sowie ehrenamtliche Arbeit ein. In vielfältiger Weise wurde die Notwendigkeit betont, dass ehrenamtliche Tätigkeit in der sozialen Sicherung einen höheren Stellenwert bekommen müsse. Ein Teilnehmer forderte, dass ein System gebraucht wird, das Eigeninitiative fördert und Leistung belohnt. Dadurch solle das Nutzen der sozialen Systeme stärker mit dem Eigeninteresse verknüpft werden. In einem anderen Beitrag wurde festgestellt, dass wir eine Bürgergesellschaft brauchen, eine Gesellschaft, in der Menschen Initiativen ergreifen und Dienste ohne Bezahlung, aber gegen eine Vergütung übernehmen, die auch dem Ansparen eines Guthabens für die eigene Versorgung im Alter dienen kann. Fazit Im Ergebnis unserer Diskussion sind wir uns darüber einig, dass der Sozialstaat auch in Zukunft funktionsfähig bleiben muss. Das kann jedoch nur auf der Basis des solidarischen Miteinander der gesamten Gesellschaft, der Gerechtigkeit zwischen den Generationen und im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten erfolgen, auch wenn dazu Einschnitte für den Einzelnen erforderlich werden. Seitenanfang Druckversion (pdf) |