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Sara tanzt
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Der Autor Erwin Koch, Jahrgang 1956, ist Journalist. Er arbeitete als Redakteur und Reporter u.a. für die Zeit, den Spiegel und das FAZ-Magazin. Für seine journalistische Tätigkeit wurde er mehrfach ausgezeichnet und erhielt zweimal den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Koch lebt in der Schweiz. "Sara tanzt" ist sein erster Roman. Die Geschichte Der Roman spielt in einem fiktiven Land, in dem eine brutale Militärdiktatur herrscht. Grundlage ist eine wahre Begebenheit, ohne dass der Autor eine Reportage geschrieben hat. Ort der Handlung ist ein Wochenendhaus mit mehreren Zimmern am Rande einer Großstadt, das das Innenministerium gemietet hat und das als Objekt für Verhöre von Regimegegnern dient, die dort über eine mehr oder weniger lange Zeit gefangen gehalten werden, um sie zu Aussagen über die Widerstandsbewegung zu zwingen. Ist das gelungen oder glaubt man nichts mehr von ihnen erfahren zu können, werden sie in andere Gefängnisse überführt und umgebracht. Die Junta hat offenbar das Land politisch und wirtschaftlich an den Rand des Ruins gebracht und kann ihre Macht nur noch durch brutale Methoden von Terror und Gewalt erhalten. Die Hauptpersonen Sara Broffe, eine junge Frau, Mutter von vier Kindern, ist Mitglied einer illegalen Organisation. Sie übernimmt Kurierdienste für die Widerstandsbewegung. Rico, ihr Mann, ein leitender Funktionär der Widerstandsorganisation, ist von der Junta unter nicht aufgeklärten Umständen ermordet und tot aufgefunden worden. An einem trüben Wintermorgen wird Sara bei der Ausführung eines Auftrags - die Übergabe eines Mikrofilms - verhaftet. Sie ist verraten worden und findet sich in dem Stadtrandhaus wieder. Dort muss sie allein in einem Zimmer, an Händen und Füßen gefesselt, mit verbundenen Augen und an einer Matratze festgebunden, viele Monate verbringen. Während man sie über den Ort und die Dauer ihrer Gefangenschaft im Unklaren lässt, wird sie immer wieder befragt. Sie muss erfahren, dass man ihren Namen und Decknamen, die Anzahl, das Alter und die Namen ihrer Kinder sowie Namen, Decknamen und Funktion ihres drei Jahre zuvor getöteten Mannes kennt. Der Cellist ist nach vergeblichen Versuchen, eine Anstellung als Orchestermusiker zu finden, Beamter des Innenministeriums geworden. Er wird nach einiger Zeit der Tätigkeit in der Zentrale des Ministeriums in das Haus am Stadtrand versetzt. Seine Aufgabe ist es, neben untergeordneten Verwaltungsarbeiten wie das Führen der Belegungskartei und Chauffeurtätigkeit vor allem, mit seinem Cellospiel während der Verhöre das Schreien der Gefangenen zu übertönen. Dabei hatte er keinen Kontakt zu den Häftlingen. Er spielte in seinem Zimmer, die Musik wurde mit einer Verstärkeranlage in den Flur des Hauses übertragen. Die Wächter. In dem Wochenendhaus sind 6 oder 8 Angehörige des Innenministeriums beschäftigt, die die Häftlinge zu bewachen und zu verhören haben. Sie sind von schlichtem Verstand, teilweise primitiv, bleiben anonym und werden mit Phantasienamen bezeichnet. Als sie gegen Ende des diktatorischen Regimes eine ungewisse Zukunft erwartet, wird ihre Angst deutlich. Die Handlung Die Erzählung erfolgt im Wesentlichen auf drei Ebenen:
Der Inhalt wird erst nach und nach deutlich. Das Ziel der Verhöre Saras ist es, sie zum Verrat zu bringen und von ihr Neues über die Widerstandsbewegung zu erfahren. Um ihren Willen zu brechen, werden vor allem psychische Foltermethoden angewandt. Sicher auch physische, wie aus Andeutungen und vor allem aus dem Cellospiel während der Verhöre hervorgeht, obwohl diese nicht beschrieben werden. Da Sara in den Verhören keine für das Regime verwertbaren Aussagen macht, glaubt man, dass sich in ihren gesummtem Liedern geheime Botschaften verbergen. Als schließlich die Junta in dem abgewirtschafteten Land demokratischen Wahlen zustimmen muss und ihren Rücktritt ankündigt, ist Sara die einzige Gefangene im Haus am Stadtrand. Der Cellist verhindert, dass sie noch kurz vor Schluss dem Terror der Militärdiktatur zum Opfer fällt und erwirkt ihre Freilassung. Nach der Ablösung der Junta durch eine demokratische Regierung heiraten Sara und der Cellist. Er wird jedoch wegen seiner Tätigkeit für das alte Regime verhaftet und vor Gericht gestellt. Nun bemüht sich Sara um seine Freilassung. Ihren Grund nennt sie im letzten Absatz des Romans. Welche Fragen beschäftigen uns nach dem Lesen des Romas?
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Zusammenfassung der Diskussion
Zu dieser Buchdiskussion gab es 8 Beiträge im Forum und 4 Chats. Das Buch wurde allgemein als hochinteressant und spannend geschrieben beurteilt, das den Leser nicht loslässt. Der vom Autor gewählte Stil, der wesentlich die Spannung bestimmt, erfordert ein "Einlesen", das hohe Aufmerksamkeit verlangt. Einige der Teilnehmer hätten gern näher gewusst, wo die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte sich abgespielt hat. Wir haben uns aber darauf verständigt, dass das vom Autor bewusst offen gelassen wurde, er hat ja, obwohl Journalist, keine Reportage, sondern einen Roman geschrieben. Er regt dadurch den Leser an, sich intensiv mit dem Stoff auseinander zu setzen. Ein Teilnehmer kritisierte, dass das Buch sehr viel in Andeutungen spricht. Das mache es schwierig, darüber zu diskutieren. Der Leser erfahre kaum Näheres über die Gewalt gegenüber Sara und gegenüber den anderen Gefangenen. Auch über die Gefühle des Cellisten beim Spiel, mit dem er die Schreie der Gefolterten zu übertönen hatte, äußert sich der Autor nicht. Darauf antwortete ein anderer Teilnehmer, dass das Offene, Schwebende des Textes den Leser zu einem tieferen Eindringen in Geschehen und Personen zwingt, als das ein nüchternerer, detaillierterer Bericht könnte. Er sieht gerade darin die Stärke des Buches. Von den vielen Fragen, die nach dem Lesen des Buches entstanden, haben wir uns vor allem mit den nachfolgenden beschäftigt. Warum hat Sara als einzige Gefangene überlebt? Auf diese Frage, die sie sich nach dem Ende der diktatorischen Herrschaft und ihrer Befreiung von den Peinigern selbst stellt, gab es diese Antworten:
Was war die Ursache für Saras Überlegenheit gegenüber ihren Wächtern? Diese Frage hängt eng mit der vorangegangnen zusammen. Da ist zunächst ihr Intellekt und ihre Moral, die sie von den primitiven Gefängniswärtern und Folterknechten abhebt. Denen gelingt es nicht, sie zu brechen oder zu überlisten. Im Verlaufe der langen Monate fragen sie sogar einzelne um Rat in persönlichen Dingen des Lebens, beschäftigen sie als Übersetzerin und lassen sich gegen Ende der Militärdiktatur auch politisch-ökonomische Zusammenhänge von ihr erklären. Es wurde auch gefragt, ob Frauen in solchen Situationen psychisch stärker sind als Männer und ob das Alter eine Rolle spielt. Im Vordergrund wurde aber immer wieder ihre Überzeugung gesehen. Welche Rolle spielt der Cellist? Erst im Verlaufe des ersten Drittels des Buches wird klar, dass er der Erzähler von Saras Geschichte ist. Übereinstimmung besteht hinsichtlich der Zwiespältigkeit und Differenziertheit seines Charakters. Er wird als williger Mitläufer, als subalterner Beamter, als Kulissenschieber bezeichnet und mit den Lokomotivführern der Auschwitztransporte verglichen. Sein Lebensweg und auch seine Entwicklung in der Zeit von Saras Gefangenschaft sind typisch für einen Menschen, der sich anpasst. Obwohl sein Vater Offizier war, entschied er sich nicht für eine militärische Laufbahn, sondern studierte Musik. Da trotz seiner großen Liebe zu diesem Beruf seine Begabung nicht für eine Musikerkarriere ausreichte, wurde er Mitarbeiter des Innenministeriums und schließlich in die Folterzentrale am Stadtrand versetzt. Dort wurde er mit untergeordneten Verwaltungsarbeiten betraut und musste mit seinem Cellospiel die Schreie der Gefangenen bei den Folterungen übertönen. Er nahm das alles lange Zeit klaglos hin. "Ich tat nur, was man mir gesagt hatte, ich war Beamter." Das führte schließlich dazu, dass er nach dem Machtwechsel als Diener des alten Systems vor Gericht gestellt wurde. Zweifellos hat die Haltung Saras bei ihm zu einem Umdenken geführt. Das war zunächst Bewunderung dafür, wie sie die Verhöre und die Bedingungen ihrer Gefangenschaft ertrug. Daraus entwickelte sich von seiner Seite Zuneigung, aus der sich das Bemühen ergab, ihr zu helfen. Er warnte sie bei einer Aktion der Leitung des Hauses am Stadtrand vor einer Falle, die ihr gestellt werden sollte. Er widersprach schließlich seinen Vorgesetzten und organisierte ihre Freilassung noch vor der Ablösung des alten Regimes. Offen ließen wir die Frage, warum Sara ihn schließlich heiratete. Für ihn war aus Zuneigung Liebe geworden, nicht aber für Sara - ihre große Liebe war immer noch Rico, ihr toter Mann. War es Dankbarkeit? War es die Suche nach Halt in schwerer Zeit? Wir wissen es nicht. Mir scheint, auch der Autor hat das nicht beantwortet und seinen Roman nicht mit einem Happyend geschlossen. Belassen wir es bei den (fast) letzten Zeilen am Schluss des Buches mit Saras Aussage vor dem Gericht im Prozess gegen die Besatzung des Hauses am Stadtrand: "Einer", sagte meine Frau, "aber der gehörte nicht wirklich dazu, der führte nur die Kartei und spielte Cello, damit man meine Schreie nicht hörte, der heißt Frithjof und ist mein Mann." Ist "Sara tanzt" ein politischer Roman mit Parallelen zu Gegenwart? Es ist unstrittig, dass der politische Inhalt des Buches und die vom Autor gewählte Ansiedlung des Geschehens in einem fiktiven Land den Leser zu Überlegungen anregt, ob und wo Derartiges auch heute möglich ist. Im Ergebnis unserer Diskussion sind wir uns einig, dass Folter als Methode der Erzwingung von Aussagen mit Demokratie nicht vereinbar ist. In autoritären Systemen jedoch ist das in mehr oder weniger ausgeprägter Form auch heute gängige Praxis. Genannt wurden bestimmte Staaten in Südamerika, im nahen und mittleren Osten, in Afrika und Asien. Aber auch in demokratischen Ländern und durch ein gesetzliches Folterverbot ist deren Anwendung sowohl in physischer als auch in psychischer Form nicht auszuschließen, wenn es keine Kontrolle durch die internationale Öffentlichkeit, durch Politik und Justiz gibt. Erwähnt wurden die Türkei und Tschetschenien. Ausführlich diskutiert wurde das Gefangenenlager in Guantanamo, in das Verdächtigte gefesselt und mit verdecktem Kopf in Flugzeugen gebracht werden und wo sie teilweise jahrelang festgehalten werden, ohne dass ihnen der Status und die Rechte weder von Kriegsgefangenen noch von Untersuchungshäftlingen gewährt wird. Damit wird nicht nur gegen elementare Menschenrechte verstoßen, sondern ebenso wie durch die Ereignisse in Abu Gurei das Ansehen der USA und anderer westlicher Länder nachhaltig beschädigt. Erwähnt wurde auch der Fall des Stellvertreters des Polizeipräsidenten von Frankfurt, Daschner, der sich wegen der Androhung von Folter gegenüber einem Mörder vor Gericht verantworten musste und trotz Verständnisses für sein Motiv (Rettung des Opfers) für schuldig befunden und verurteilt wurde. Abschließend ist festzustellen, dass "Sara tanzt" nicht ein Bericht über Ereignisse aus der Vergangenheit ist, sondern hochaktuell. Es schildert anschaulich Charaktere, ist ein Plädoyer für Menschlichkeit und Demokratie und macht deutlich, dass die Durchsetzung dieser Werte Engagement überall in der Welt erfordert. Seitenanfang Druckversion |