Antwort aus Ulm
Stand:
Erfahrungen beim "Forschenden Lernen"
Mein Rendezvous mit einem Platz
Vom Mai 1995 bis zur Fertigstellung der Broschüre (Juli 1997)über
Geschichte und Wandel des Willy-Brandt-Platzes war ich Teilnehmerin der
Projektgruppe zum "Forschenden Lernen" des "Zentrums für
Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung" (ZAWiW) an der Universität
Ulm. Meine Motivation, an einer Arbeitsgruppe des ZAWiW teilzunehmen, war die
Neugier, etwas über Aktivitäten der Menschen "im dritten
Lebensalter" in Europa zu erfahren; es war der Wunsch, über ein Thema zu
arbeiten und unbekannte Forschungsmethoden kennenzulernen; und es war das
Interesse, mit anderen Menschen meiner Lebensphase zusammen zu arbeiten. In der
Europa-Gruppe fanden sich im Juni 1994 ca. 25 Interessenten zusammen; es zeigte
sich bald, dass für die Weiterarbeit kleinere Gruppen erforderlich waren und
meine erste Erfahrung war: Eingrenzung.
Als Kleingruppe befassten wir uns mit Straßennamen in Ulm, um einen
europäischen Bezug zu erkennen. Auch hier war die Fülle von Stoff enorm und es
war ein mühsamer Prozess eine klare Fragestellung zu entwickeln. Dabei half uns
eine wissenschaftliche Betreuerin, die sozusagen "Geburtshilfe"
leistete. Noch einmal fand eine radikale Eingrenzung der Themenstellung statt.
Sie schlug uns vor, die Konzentration auf einen einzigen Platz zu richten, den
sprödesten und grausten Platz Ulms, eigentlich nur ein grauer
Verkehrsknotenpunkt. Je mehr wir uns mit dieser Tristesse befassten, desto mehr
erhellte sie sich und im Laufe der nächsten Monate lernten wir, die
interessanten und schätzenswerten Seiten unseres Forschungsgegenstandes
erkennen.
Aus der praktischen Konfrontation mit dem Platz ergab sich eine konkrete
Zielsetzung:
Es galt die geschichtliche Entwicklung sowie die heutige Lebenssituation
herauszuarbeiten, zu hinterfragen und darzustellen. Der Zeitaufwand für die
Forschungsvorgänge erwies sich als beträchtlich: Die Bereitschaft, Zeit und
Energie einzusetzen sollten "HobbyforscherInnen" mitbringen!
Jede(r) von uns übernahm erneut Recherchierungsaufgaben und wir erlebten,
dass Ansprechpartner, ob im Stadtarchiv, bei den Firmen, bei den Zeitungen, bei
Ämtern, bei Geschäftsleuten, bei Privatpersonen freundlich und geduldig
Auskunft gaben, auch weitervermittelten. Durch die Arbeitsmethoden kam
automatische ein guter Kontakt zur Bevölkerung zustande, insbesondere durch die
Interviewarbeit. Eine Fülle von neuen Fakten und Erkenntnissen erweiterte
unseren Gesichtskreis, es fand ein deutlicher Zuwachs an Sachwissen statt.
Die Auswertung der Recherchen war ein weiterer Arbeitsgang. Das Erfahrene und
Erforschte in eine Form zu bringen, die das Wesentliche aussagt und für
Außenstehende verständlich ist: auswählen, zusammenfassen, strukturieren,
beschreiben, und ggf. erläutern. Schließlich die Entwürfe der praktischen
Gestaltung für die Ausstellungstafeln und die Broschüre erstellen. Um eine
spannende Verdichtung zu erreichen, mussten wir uns in der schwierigen Kunst des
Weglassens üben. Für manchen von uns hieß das, auf hart erarbeitete
Rechercheergebnisse, zumindest in der Ausstellung, zu verzichten.
Dann war es endlich so weit: das Aufhängen der Tafeln an der Uni gleich neben
dem Eingang zur Mensa war ein Kinderspiel. Das Ergebnis unserer Anstrengungen so
fassbar vor uns zu sehen, das war ein Erlebnis!
|
|
Eine ganz besondere Erfahrung war für mich das Geschehen in der Arbeitsgruppe
selbst. Es gab eine ergiebige gemeinsame Ebene und manche freundschaftliche
Begegnung. Zusammenarbeit, Verständnis füreinander, Kooperation,
gelegentliches Konkurrenzverhalten, Selbstdarstellung einzelner
Gruppenmitglieder, Einstellung zum Leistungsprinzip der Berufsgesellschaft -
alles in allem: die Gruppendynamik habe ich als faszinierend und aufschlussreich
erlebt.
Unsere Betreuerin zog den roten Faden durch unsere gemeinsame Zeit. Sie hat es
verstanden, im richtigen Moment den richtigen Anstoß zu geben. Ich sage ihr ein
herzliches Dankeschön für allen Einsatz, für ihr Durchhaltevermögen und ihr
Engagement. Meine Erwartungen an das Projekt haben sich erfüllt, teilweise
wurden sie sogar übertroffen.
"Forschendes Lernen" bedeutet für mich konzentrierte Arbeiten, den
Dingen auf den Grund gehen und die Freiheit, Spaß daran zu haben.
|