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Townstories

Stand:


Meine kleine Insel

Angelika Lübcke

Meine neue Wohnung befindet sich im Hochhaus. Toll, denken meine Freunde. Wer zieht in ein Hochhaus? Platte... . Meine kleine Familie und ich haben beschlossen hier zu leben. Wir haben gute Gründe dafür. Das Leben besteht nicht nur aus wohnen. Die soziale Struktur stimmt in dieser Gegend einfach. Supermarkt, Post, Krankenhaus, öffentliche Verkehrsmittel und der Wald fängt gleich hinter meiner Wohnung an. In zehn Minuten bin ich am See und kann schwimmen.

Vorsichtig schließe ich die Wohnungstür auf. Mein Hund läuft Schwanz wedelnd mir voraus. Alles wird genau beschnuppert. Irgendwo findet er einen alten Lappen. Leise knurrend trägt er ihn in das zukünftige Wohnzimmer. Ordentlich legt er ihn in eine Zimmerecke. Sofort geht er wieder auf Suche und findet tatsächlich noch einen kleines Stückchen Holz. Er trägt es ebenfalls zu dem alten Lappen. Laut seufzend legt er sich bewachend vor seine neuen Schätze. Moritz macht seine erste Ordnung, denke ich und streichle ihn sanft hinter den Ohren. Dann gehe ich zur Balkontür und öffne sie. Mein Blick fällt auf eine weit in den Himmel ragende Pappel. Ich rufe nach meinem Hund, der auch sofort neben mir steht. Ich nehme ihn auf den Arm und zeige ihn die neue Umgebung.

Ein junge Frau, mit einem kleinen schwarz, weißen Hund läuft gemächlich über die große Rasenfläche unter meinem Balkon. Moritz beginnt leise zu winseln und wedelt heftig mit seinen Schwanz. Der kleine Hund bleibt stehen und blickt zu uns hinauf. Moritz begrüßt ihn mit einem lauten Bellen. Der kleine Hund wedelt ebenfalls freundlich mit dem Schwanz. Dann hört er ein gebieterisches Pfeifen und er läuft schnell hinter seinem Frauchen hinter her.

Der Anfang sieht gut aus, denke ich und gehe zufrieden zurück in meine neue, noch kahle Wohnung. Morgen ist der Umzug. Viele Kartons sind gepackt. Meine Familie ist gut eingeteilt, jeder kennt seine Aufgabe. Als ich das Haus verlasse, treffe ich einen alten Klassenkameraden. Freundlich lächelnd bleibt er stehen. "Ziehst du hier ein?" Ich nicke und reiche ihm zum Gruß die Hand. "Schön, wann ist es denn soweit?" "Morgen," sage ich. Ab Morgen wohne ich auch hier." "Du bereust das bestimmt nicht," sagt er. Es wohnt sich gut hier. Wir haben keinen Ärger. Das Leben in diesem Viertel ist ruhig und sinnig. Viel Glück für morgen. Ach, wenn du mich brauchst, klopfe einfach bei mir und ich helfe dir."

Ich bedanke mich und überdenke beim heim gehen noch einmal den nächsten Tag.

Es dauerte nicht einmal eine Woche und ich habe mich eingewöhnt. So fremd ist die neue Gegend für mich nicht. In meiner Kindheit standen hier viele kleine Einfamilienhäuser. Im Frühjahr wuchsen Schneeglöckchen und Krokusse. Rosen und Magritten blühten im Sommer. Die Dalien im Herbst waren prachtvoll und streckten ihre dicken Köpfe durch die Gartenzäune. Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäume gaben so viel frisches Obst, daß meine Mutter bei den Kleingärtner für uns einkaufen konnte.

Doch eines Tages hieß es, die Kleingärten müssen weg. Es soll gebaut werden. Natürlich werden ihre Besitzer entschädigt. Sie bekamen neue Wohnungen angeboten. Vorzugsweise in dem neu gebauten Wohnviertel. Damals gab es aus diesem Grund schon unendlich viel Protest. Die Leute wollten keine Hochhäuser. Keinen Beton in ihren üppigen Gärten. Der Staat war mächtiger und es wurde ein Neubauviertel mit vielen Hochhäusern, einem Einkaufszentrum, einer Schwimmhalle, einem Kindergarten drei Schulen und drei Seniorenheime gebaut. Das Krankenhaus, und die öffentliche Verkehrsmittel waren schon immer hier. Vier neue Buslinien kamen jetzt noch hinzu.

Moderne Wohnungen waren damals knapp. Trotzdem sollten die berufstätigen Menschen hell und sonnig wohnen. Die Apfel-, Kirsch-, und Pflaumenbäume waren von nun an Geschichte. Seit dreißig Jahren existiert dieses Neubaugebiet und als die ersten Grünanlagen angelegt wurden, ging ich mit meiner kleinen Tochter in den Innenhöfen neugierig spazieren. Heute noch sind meine neuen Nachbarn ausgezeichnete Arbeiter, Intellektuelle, hochqualifizierte Ingenieure und ehemalige Armeeangehörige. Eine bunte Mischung von Menschen die es nach der deutschen Wende nicht einfach haben ihrem Leben einen neue Sinn zu geben.

Es wohnen auch junge Familie mit mehr als zwei Kinder in meinem Hochhaus, einen Kindergarten, eine Agentur, eine WG mit betreutem Wohnen und mein unmittelbarer Nachbar ist eine Zahnarztpraxis. Die jungen Leute sind sehr höflich. Guten Tag, guten Morgen, bitte und danke sind normal. Rechtsradikale sind weit und breit nicht zu erkennen. Ein paar Panker, die in heißen Sommernächten auf dem Kinderspielplatz sitzen und Musik machen gibt es. Natürlich sind sie für manche Mieter ein Dauerärgernis. Kleine Kinder, die unsere graue Betonstraße mit einer Sonne bemalen, ihre Puppen auf dem Rasen füttern und Jungs, die sie mit ihrem Fahrrad ärgern gibt es wie in jeder Generation. Türen die oft beschmiert sind und am nächsten Morgen schimpfend vom Hausmeister wieder sauber gemacht werden, fehlen in meinem Wohngebiet auch nicht. Das Beste für meinen Hund sind aber die vielen Artgenossen in diesem Viertel.

Auf der anderen Straßenseite spielen und tollen sie unbeschwert im Park herum. Ein großer, sehr moderner Brunnen, der an heißen Sommertagen zum baden für die Tiere und für kleine Kinder einläd, ist heiß umstritten. Mein Zuhause, umgeben von einigen Freunden, von frischer Berliner Luft und kalten Müggelseewasser, vielen Haustieren und natürlich auch von ein wenig Klatsch und Tratsch über die Nachbarn.

Wenn ich auf meinem Balkon sitze und mich friedlich sonne, frage ich mich, was fehlt mir eigentlich noch an einem großem Glücksgefühl?

Wann habe ich in meinem Leben wirklich einmal alte Freunde verloren?

Bin ich traurig dann dauert es keine fünf Minuten und ein Freund fängt meine Tränen liebevoll auf. Dieses Miteinander ist für mich das Wesentliche. Es macht mein Zuhause aus. Es ist schon ein Traum ein Einfamilienhaus mit einem hübschen Garten zu haben. Dazu werden aber unsere Einkünfte nie ausreichen. Weite, teure Reisen, schön und gut, aber wenn ich wieder nach Hause komme, wohin komme ich da?

Nachbarschaftlichen Ignoranz und Toleranz, laut und leise, krank und gesund das alles gehört zu meinem Leben. Lachen und weinen sind mein Alltagsgeschäft. Ein Zuhause in dem ich nur ein Teil vom Ganzen bin, aber das Ganze ist der Sinn meines Lebens.

Angelika Lübcke

Kurzfassung

Meine kleine Insel

Ein Umzug steht für mich an. Ich ziehe in eine Neubausiedlung. Sie ist für Mensch und für Tier ideal. Für mich ist es aber keine neue Gegend. Hier bin ich schon als Kind mit meinem Puppenwagen spazieren gegangen. Viele kleine Einfamilienhäuser standen damals auf diesem Boden. Oft kaufte meine Mutter Obst, Blumen und frische Eier von den Kleingärtnern. Dann kam der Schock. Die Gärten verschwanden und aus grauen Beton wurden Hochhäuser gebaut. Tausende von Familien bekamen neue, helle und moderne Wohnungen. Jetzt stehen diese Betonhäuser schon dreißig Jahre und ich ziehe hier ein.