Berlin
Autorin und Übersetzerin: Olga Wolfova
Vorgestern
Als ich ganz klein war, ging ich jede Woche mit meinem Vater ins Kino, wo die letzten Nachrichten aus unserem Land, so wie aus dem Ausland gezeigt wurden. Das Kino hieß „Koruna“, die Krone. Hier wurden auch Disneys Kinderfilme gezeigt. Und ich sah beunruhigende Bilder aus Berlin - große, massive Gebäude, ungeheuer viele marschierende Menschen in Uniform mit großen Fahnen mit Hakenkreuzen. Auf unseren Straßen in einem demokratischen Staat habe ich so etwas nie gesehen. Ich war damals drei Jahre alt. Ich hatte Angst. Zu Hause sprach man sehr oft über Krieg und Revolution. Der schreiende Mensch mit dem kleinen Schnurrbart war mir ganz unverständlich. Und zu Hause wieder die Reden - kommt ein Krieg? Ich hatte Angst.
Der Krieg kam, aber zuerst war München, dann die Okkupation, unser Präsident, der ehrwürdige, aufrichtige Mann, mußte in Berlin „freiwillig“ das schmähliche Dokument nach langem Warten unterschreiben. – Schmach, Angst, Hoffnungslosigkeit, Hass. Und wieder die Frage – Kommt ein Krieg? Angst.
Das war Berlin in meiner Kindheit.
Gestern
Fünfeinhalb Jahre Krieg waren vorbei. Alle Menschen haben viel gelitten. Berlin und andere deutsche Städte sind fast völlig kaputt. Wozu?
Zum ersten mal war ich in Berlin im Dezember 1956 mit meiner Mutter nach dem Tod meines Vaters. Es war eine Ausnahme, die Genehmigung für die Reise zu bekommen. Nur ein paar Stunden konnten wir in Berlin sein, niedergeschlagenes Gefühl. Einige Häuser, einige Ruinen und unendlich viele freie Flächen. Traurigkeit, weil wir nicht nach Westberlin konnten. Ärmliche Leute.
Später in den 70-ziger Jahren konnten wir dann frei in die DDR fahren. Wir waren öfter dort. In Mühlberg wohnte mein Onkel. Von Zeit zu Zeit war ich auch in Berlin. Alles war grau, wie bei uns, aber es gab hier schon neue Häuser, die Straßen waren nicht ganz Ordnung, wie bei uns. Berlins Fernsehturm, den konnte ich nie besuchen, weil es zu teuer war. Wie bei uns, nur unser Fernsehturm wurde viel später gebaut. Die Mauer in Berlin, Sowjetpanzer bei uns, Schokolade und Pralinen für Diabetiker in der DDR, Sardinen bei uns. Ein Kessel Buntes…
Berlin war nicht mehr feindlich, aber Vertrauen hatten wir nicht.
Heute
Im Juni 2004 war ich wieder in Berlin. Nach ungefähr 15 Jahren. Ist das wirklich Berlin? Eine helle freundliche Stadt mit freundlichen und gastfreundlichen Menschen. Berlin ist wirklich schön, das konnte ich nie glauben, als ich die begeisterten Texte unserer Berliner Freunde über ihre Stadt gelesen und übersetzt habe. Jetzt habe ich mich mit eigenen Augen überzeugt.
Die beiden Rathäuser in Treptow und Köpenick, wo die Sitzungen des Projektes „Townstories“ stattfanden, waren wunderschön, solide und ruhig. Man fühlte die Kaiserzeit vor dem ersten Weltkrieg. Der Hauptmann von Köpenick begrüßte uns hier.
Die Dampferfahrt über den Müggelsee war wunderbar. So etwas in der Nähe der großen Stadt. Schöne Springbrunnen, viele Parkanlagen und Statuen. Neue prächtige Gebäude. Die S-Bahn ist sehr praktisch und bequem. Das Essen war außerordentlich, die Atmosphäre des Treffens wunderbar. Alles hell und leuchtend. Keine Berge und Steigungen, gutes Wetter.
Der Rundgang durch die Stadt mit Regina war sehr interessant und nicht anstrengend. Vielen Dank, Regina, vielen Dank unseren lieben Freunden. Ich wünsche mir die Möglichkeit ein oder zwei Semester in Berlin zu leben und die tschechische Sprache zu unterrichten, damit wir uns noch besser verstehen können.
Es lebe TownStories!
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