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Stand:


Am Tag der Grenzschließung

von Angelika Luebcke


Es war am Sonntag, den 13. August 1961. Damals war ich 11 Jahre alt. Meine Mutter und ich planten einen Ausflug in den Westberliner Zoo. Ich freute mich. Meine Mutter stellte das Radio an. Meine Kindersendung mit dem Onkel Tobias vom RIAS begann. Mutti feilte sich ihre Fingernägel und ich hörte gespannt die Sendung. Plötzlich wurde die Radioübertragung unterbrochen und man teilte uns mit, daß eine Mauer durch Berlin gebaut wurde. Die Stadt war von nun an in Ostberlin und Westberlin geteilt. Mutti hörte auf, mit dem Fingernägel zu feilen und ich wusste nicht, was das für uns bedeuten sollte. Zuerst einmal machte mir meine Mutter klar, daß es mit dem Zoobesuch heute nichts mehr wird. Sie hatte eine andere Idee. Eine Freundin meiner Mutter wohnte damals in Berlin - Treptow, in der Lohmühlenstraße. Erst vor ein paar Wochen ist sie dort hingezogen. Die Wohnung befand sich in einem Neubaublock, dicht am Kanal. Auf der anderen Straßenseite war schon der Berliner Neuköln. Berlin - Treptow, war Ostberlin und Berlin - Neuköln war Westberlin. Also eine Wohnung, genau im Grenzgebiet zwischen Ost- und Westberlin.

Als ich mit meiner Mutter dort ankam, standen viele Menschen auf der Straße und weinten. Manche brüllten auch vor Wut und andere standen ruhig, aber ratlos auf den Straßen und wussten sich keinen Rat mehr. Die eingesetzten Soldaten hielten ihre Gewehre an den Bauch gepreßt und waren bemüht niemanden aus dem Volk in das Gesicht oder in die Augen zu schauen. Wir spürten alle, dass den jungen Soldaten nicht wohl bei ihrem Dienst war. Immer wieder fuhren Autos heran, die riesen Stacheldrahtballen aufgeladen hatten. Hier, an der Grenze, die zur Zeit noch keine war, wurden sie abgeladen. Sofort kamen andere Soldaten und begannen den "Antifaschistischen Schutzwall" mit Hilfe des Drahtes genau zu kennzeichnen. Plötzlich löste sich ein junger Mann neben mir und rannte vom Osten in den Westen. Der wachhabende Soldat erschrak, machte aber von seiner geladenen Schusswaffe keinen Gebrauch, sondern rief einfach dem jungen Mann hinter her: " Halt stehen bleiben. Sie verlassen widerrechtlich das Territorium der DDR. " Der junge Mann hörte nicht darauf, sondern lief immer weiter, so das ihn niemand mehr sehen konnte.

Meine Mutter hielt meine Hand krampfhaft fest. Als ich sie ansah, weinte sie. Eine alte Dame auf der Westseite fiel auf die Knie und betete. Ich hatte so etwas bis dahin noch nicht gesehen. Die Menschen waren alle aufgebracht und beschimpften die Soldaten. Diese taten immer noch nichts und senkten verschämt ihre Köpfe. Ein Mann hinter mir sagte leise: "Hoffentlich gibt es keinen erneuten Krieg." Jetzt bekam auch ich Angst und weinte. Meine Mutter zog mich mit sich und wir gingen in das neue, schöne Haus in der Lohmühlenstraße. Ebenfalls mit Tränen in den Augen öffnete uns meine Muttis Freundin. Sie hatte einen Bruder in Westberlin, den sie wohl nun nicht mehr besuchen konnte. Wir saßen ratlos um den gedeckten Kaffeetisch und keiner hatte recht Appetit. Dann gingen auf den kleinen Balkon und beobachteten wieder die verzweifelten Menschen in Ost und West. Manche weinten leise vor sich hin und andere brüllten ihre Verzweiflung heraus. Doch ich denke, an diesem Sonntag glaubten die wenigsten Berliner, dass sich die Mauer für eine längere Zeit hält. Mir kam es so vor, daß am 13. August 1961 die ganze Stadt weinte. Als ich am späten Abend mit meiner Mutter heim fuhr, redeten wir nicht miteinander. Mutter sorgte sich um die Zukunft und ich war traurig nicht mehr in den Westberliner Zoo zu können. Das war aber nicht meine einzige Sorge, sondern ich hatte als 11 jähriges Mädchen noch viel mehr Sorgen und konnte diese nicht alle in Worte ausdrücken. Für mich war es ein Sonntag, der mit der schrecklichste Tag in meinem Leben war. Durch nichts, aber durch gar nichts, konnte man mir diese schreckliche Erinnerung in meinem Leben nehmen. Keiner Stadt auf der ganzen Welt wünsche ich diese sehr traurige Erfahrung.

Angelika Luebcke