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Townstories

Stand:


An dem ersten Tag des wieder eröffneten Südringes fuhr ich bis zum Bahnhof Neukölln. Ich wollte die Karl-Marx-Straße entlang schlendern und schauen, nur schauen, wie sie sich in den langen Jah-ren verändert hatte. Die Bilder stiegen wie aus einem verschütteten Keller aus der Vergangenheit in die Gegenwart wieder hervor. Gleich rechts gab es damals ein Süßwarengeschäft, dort kauften wir immer für die letzten Westpfennige Nussbruch - Schokoladenbruch mit Nüssen. Und sofort hatte ich wieder den feinen, süßen Geschmack auf der Zunge. Aber das Geschäft war nicht mehr da. Auf der anderen Seite das Bekleidungshaus gab es auch nicht mehr. Viele Geschäfte an den S-Bahn-Grenzbahnhöfen in Westberlin mussten 1961 nach dem Mauerbau in Konkurs gehen, sie waren völ-lig auf die Bedürfnisse der Ostberliner eingestellt, die nun nicht mehr kamen.
Viele Dinge waren bei uns einfach nicht zu bekommen. Meine Mutter wollte mir zur Konfirmation ein paar richtige Lederschuhe kaufen. Sie musste lange sparen, um das Geld zusammen zu bekom-men, denn der Wechselkurs zwischen Ost- und Westmark schwankte zwischen 3:1 bis 5:1 und die Gehälter waren im Osten niedriger als im Westen, dem „Wirtschaftswunder“-Land. Aber eines Ta-ges zog ich dann die alten Igelitschuhe („Igelit“ war eine Art Kunststoff) an, und los ging es. Zuerst wurde in der Wechselstube direkt am Bahnhof Neukölln das sauer verdiente Ostgeld in Westgeld umgetauscht, denn nicht alle Geschäfte nahmen Ostgeld in Zahlung. Die Auswahl aus dem großen Angebot der Schuhe fiel mir ungewohnt schwer. Doch stolz verließ ich dann mit den neuen Schu-hen das Geschäft, die Igelitschuhe wanderten in den nächsten Abfallbehälter. Die neuen Schuhe wurden noch ein wenig eingestaubt, damit sie bei der Rückfahrt von den Argusaugen der ostberli-ner Zollbeamten nicht als neue Schuhe zu erkennen waren und eventuell beschlagnahmt wurden, denn es war verboten, Ostgeld aus dem „Demokratischen Sektor“ auszuführen oder Westgeld zu besitzen, um damit im Westen einzukaufen. Wir hatten Glück, auf dem von uns so genannten „Schiller"bahnhof Baumschulenweg wurde das Stück „Die Räuber“ von den Zollbeamten an die-sem Tag nicht aufgeführt.
Und weiter schlenderte ich an diesem 13. Dezember 1993 die Karl-Marx-Straße in Neukölln ent-lang. Buchläden faszinieren mich immer wieder, sie ziehen mich magisch an. So blieb ich vor dem Antiquariat in der Karl-Marx-Straße stehen und schaute mir interessiert die Schaufenster an. Und plötzlich schlich eine Verwunderung in mich hinein, mir wurde heiß und kalt, mit Erstaunen riss ich meine Augen auf. Da lag es – d a s Buch. Ich hätte in den Laden gehen können, ich hätte es kau-fen können, wirklich, ich hätte es kaufen können. Ich ging nicht hinein. - Ich hatte das Buch zu Hause im Schrank - in der hintersten Ecke versteckt. In den Aufregungen und Umwälzungen der Wendezeit hatte ich es fast vergessen. Und wieder stiegen die Bilder hoch.