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Townstories

Stand:


Eingemauert - der 13. August 1961

von Sybille Walter


Westberlin war für mich, 1942 in Berlin geboren, Teil meiner spannenden Stadt - mit Kino-besuchen jener Filme, die Ostberliner 1:1 sehen konnten, mit Streifzügen durch Kaufhäuser und sehr seltenem Einkauf. Als Studentin der Ostberliner Humboldt-Universität hatte ich viel zu wenig Geld, um dieses 8:1 - dem damaligen Wechselkurs Ostgeld zu Westgeld - umzutauschen. Mein Vater lebte zwar seit 1959 in der Nähe von München, Geld erhielt ich von ihm jedoch nicht. Die paar Mark, die ich gelegentlich von Westberliner Bekannten für Hilfeleistungen bekam, brauchte ich für Jeans. Bücher schickte mein Vater: Arbeiten von Gottfried Benn, von Sartre, von Ernst Fischer und Malaparte. - Ich war aus dieser Stadt, liebte das ganze Berlin, bewegte mich "im Westen" ganz selbstverständlich.
Den Bau der Mauer erlebte ich als Schock: Im August 1961 war ich, wie seit 1958 regelmäßig im Sommer, auf der Insel Hiddensee. Unser morgendlicher Treffpunkt war der Hafen: Hier kamen wir zum ersten Schiff aus Stralsund, schauten, ob Freunde anreisten, begrüßten jene, die wir zuvor noch nicht getroffen hatten.

Der 13. August war ein Sonntag, am Hafen standen Dauergäste, Tagesausflügler, Fremde, Freunde. Und diese oder jener hatte bereits Radio gehört. Die Nachricht, Berlin ist zu, die bauen `ne Mauer, machte blitzartig die Runde. Weder ich noch die anderen glaubten, was wir da hörten. Kopfschütteln hier, Kopfschütteln da und ganz langsam nur die durch Radioberichte unausweichliche Erkenntnis: Berlin wird eingemauert. Bis es soweit war, dass wir begriffen hatten, vergingen einige Tage. Und die empfand ich zum erstenmal in meinem Leben als bedrohlich: Hiddensee lag im Grenzgebiet, und so patroullierten Polizei und Armee jetzt permanent am Strand und natürlich besonders an "unserem" Strand, dem Bereich der illegalen Freikörperkultur. Zum Glück waren die jungen Soldaten nett zu den vielen jungen Mädchen unter den Stammgästen. Wir erfuhren immer rechtzeitig, wann genau mit einer Razzia zu rechnen war.
Schlimmer war, dass der Gemeinderat den Anlass nutzte, die aufmüpfigen Studenten und Künstler mit einer Anordnung zu disziplinieren oder zu verjagen. Sie verbot in den "befestigten Grenzorten Vitte, Neuendorf, und Kloster/Grieben das Tragen von Kutten und Jeans". Wer diese Kleidungsstücke, unsere Sommer-Ausrüstung, weiterhin anzog, mußte damit rechnen, von Hiddensee verwiesen zu werden. - Wir zogen fortan nur noch zu zweit oder zu dritt über die Insel, und ich ergänzte die Jeans mit meiner Rettungsschwimmer-Jacke. Das half, mehr noch half gewiss, dass der Inselpastor als Mitglied des Gemeinderates dafür sorgte, dass die Anordnung stillschweigend zurück gezogen wurde.

Wieder in Berlin begrüßte mich der Pendelverkehr: Die S-Bahnstrecke nach Oranienburg war unterbrochen. Nachhaltiger gestört hat mich der amputierte Bahnhof Friedrichstraße. Ich konnte jahrzehntelang nicht auf dem (Ost-)Bahnsteig warten, ohne dass mich die Zwangsvorstellung verfolgte, was eigentlich passierte, wenn ich versuchte, den anderen S-Bahn-Steig zu erreichen. Zunächst verwehrte nur eine Glaswand den Blick, später wurde Ostberlin auch an dieser Stelle eingemauert. Ein Alptraum übrigens, den ich - wie ich heute weiß - mit etlichen gleichaltrigen Berlinern teilte. Nicht mehr heimgesucht hat er mich erst nach meinem ersten Westbesuch im Herbst 1987.
Dennoch akzeptierte ich jahrelang das Argument, die Wirtschaft der DDR würde die ständige Abwanderung von Arbeitskräften Ost nach West nicht verkraften. - Zum letzten Mal verwendete ich es 25 Jahre später im Gespräch mit ungarischen Freunden: Sie antworteten kurz und bündig, man könne eine Stadt wie Berlin nicht auf Dauer teilen. Tradition ließe sich nicht abschneiden. Eine Mauer, quer durch Budapest - unvorstellbar sei das!

Sybille Walter