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Townstories

Stand:


Mein Müggelsee

Angelika Lübcke

Es ist einer von den wenig schönen Novembertagen. Ich beschließe mir meinen Hund zu schnappen und mit dem Auto an den Müggelsee zu fahren. Nach knappen zehn Minuten Fahrzeit spüre ich schon das kalte Wasser zwischen meinen Fingern. Moritz wedelt mich freundlich an und passt dabei genau auf, dass seine Pfoten nicht im kalten Wasser landen. Fröhlich bringt er mir ein Stöckchen und fordert mich laut bellend zum Mitspielen auf. Natürlich gehe ich darauf ein. Unbeschwert spielen wir eine kurze Weile miteinander.

Dann sehe ich eine Frau auf uns zu kommen, die alles andere als einen Abendspaziergang am See vorhat. Zielsicher steuert sie auf mich zu. "Bleiben Sie noch einen Augenblick hier?" fragt sie ohne mich anzuschauen. Ich nicke stumm. Die Frau verschwindet hinter einen kleinen Busch am Uferrand und kommt völlig nackt wieder hervor. "Donnerwetter", denke ich und sehe sie schon im See schwimmen. Das müsste mir mal einfallen, bewundere ich die junge Frau. "Bitte passen Sie einen Augenblick auf meine Sachen auf. Ich bleibe nicht lange im Wasser. Ich bin sehr froh, dass ich heute Abend nicht allein hier bin," ruft sie mir zu und schwimmt ein Stück weiter auf den See hinaus.

Mein Moritz wedelt nicht mehr mit seinem Schwanz. Brav steht er neben mir und legt seinen Kopf mit halb geöffneter Schnauze auf die rechte Seite. Es komt mir so vor, als würde er vor Staunen seine Schnauze nicht wieder zu bekommen. Fragend sieht er mich an. Ich streichle ihn. "Dein Fauchen kann sich beherrschen," sage ich und setze mich auf einen dicken Ast, der am Strand liegt. Mein Hund platziert sich vorsichtshalber dicht vor mir und legt seine Vorderpfoten auf meine Füße. Fragend guckt er mich wieder an. Ich lache. "Dein Frauchen ist manchmal etwas sonderbar, aber so verrückt, dass sie im November schwimmen geht, ist sie dann doch nicht". Moritz scheint mir zu glauben. Mit einem tiefen Seufzer und einem beruhigenden Knurren vergräbt er seine Schnauze in seinen Vorderpfoten.

Die junge Frau kommt aus dem Wasser, verschwindet wieder hinter dem Busch, zieht sich an und verabschiedet sich von mir. "Soll ich Sie ein Stück mit dem Auto mitnehmen?" frage ich sie. Doch sie lehnt dankend ab. "Ich muss mich warm laufen," und so ist sie auch schon hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.

Der See ist wieder ruhig. Nur kleine Wellen plätschern ruhelos an den Strand. Eine einsame Möwe schreit in den nächtlichen Himmel.

Vor zweiunddreißig Jahren hatte ich nicht weit von diesem Ast, auf dem ich heute sitze, eine sehr leidenschaftliche Begegnung mit meinem geschiedenen Mann, erinnere ich mich. Heute ist das Resultat 1,72 m groß, sagt Mutti zu mir und zeigt mir, wie es in der Marktwirtschaft lang geht. Vor nicht all zu langer Zeit war der Müggelsee noch Volkseigentum. Die Wege rund um den See wurden befestigt, ein Fahrradweg gebaut. Die Köpenicker sind stolz darauf und wenn ich großes Glück habe, kann ich auch noch in zwanzig Jahren an seiner Uferpromenade spazieren gehen. Aber wie gesagt, nur wenn ich Glück habe. Am Himmel ziehen sich die Nachtwolken zusammen. Es ist dunkel.

Mich fröstelt und ziemlich verspannt stehe ich von meinem harten Sitzplatz auf. Plötzlich knurrt mein Moritz bedrohlich. Er fletscht die Zähne und ich denke mir, dass ich ihm beim nächsten Tierarztbesuch den Zahnstein entfernen lassen muss. Aber dann höre ich ein leises Grunzen hinter mir. Ich wage es nicht mich umzudrehen. Das sind Wildschweine, schoss es mir durch den Kopf. Wie konnte ich die nur vergessen? Hier, in deinem Wald, an deinem See, gibt es Wildschweine. Menschen gehen sie aus dem Weg, aber mein kleiner, süßer Moritz ist bestimmt eine gute Zwischenmahlzeit für sie. Mein Herz begann zu rasen. Ich halte meinen Hund fest an der Leine. Soll ich ihn auf den Arm nehmen oder besser gänzlich von der Leine los machen oder... oder.

Ich kann mich nicht entscheiden. Ich weiß aus vielen Erzählungen, dass sich die Wildschweine beim brüllen, klatschen, lauten Geräuschen ängstigen. Also begann ich laut zu singen. "Vor der Kaserne, vor dem goldnen Tor, steht eine Laterne und steht sie noch davor..." Meine Stimme überschlägt sich. Mein Hund sieht mich erschrocken an. Langsam drehe ich mich um.

Die Wildschweine laufen eilig in den nahe gelegenen Wald zurück.

Was für ein Glück, denke ich. Die Wildschweine sind doch musikalischer als man vermutet, denn bei meinem Gesang würde auch ich flüchten.

Nun ist wieder alles gut. Eilig gehen mein Hund und ich zum Auto zurück. Ich mache die Heizung an, streichle das warme Fell meines treuen Begleiters und werfe einen letzten Blick auf das dunkle Wasser. Langsam fahren wir beide heim. Mein Moritz leckt mir das rechte Ohr.

Wie gut habe ich es doch, denke ich. Nur fünf Minuten bis an den Müggelsee. Es sind nicht viele Berliner, die so der Natur ganz nah wohnen. Eine breite, gut beleuchtete Straße liegt jetzt vor uns. Mein Haus, in dem ich wohne, kann ich mühelos erkennen. Also sage ich "tschüss" zu meinem See. "Bis bald, ich komme wieder."