Jede Stadt hat ein Gesicht. Wenn man das Antlitz Berlins von ganz weit oben betrachtet, ähnelt es einem Schnittmusterbogen, wie ihn vor nicht langer Zeit die Schneider und die selbst schneidernden Frauen benutzten. Sie „rädelten“ die Muster jener Stücke Stoff durch, aus denen sie etwas nähen wollten. Die stärkeren Linien eines solchen Schnittmusterbogens könnten die Flüsse und Kanäle Berlins sein.
Wir Leute aus jener Stadt nehmen jetzt solch ein Rädelgerät in die Hand, um für Euch Naht für Naht - Stück für Stück - unsere Stadt zuzuschneiden.
Doris Key
Die Dahme fließt in die Spree (Grünau, Köpenick)
Ich bin in Berlin - im Bezirk Treptow - aufgewachsen. Nach dem Zusammenschluss Treptow-Köpenick wurde es der größte und wasserreichste Bezirk. Meine Liebe galt schon immer dem Wasser. Seit nunmehr fast 30 Jahren bin ich Mitglied in einem Segelsportverein in Schmöckwitz und nach der Wende in Karolinenhof am Langen See im Südosten Berlins. Auf dem Land- oder Wasserweg weiterfahrend, erreichen wir Grünau. Dort finden auf der Regattastrecke internationale Ruder- und Motorbootrennen statt. Der Lange See ist gleichzeitig die Dahme, die bis ins Köpenicker Becken fließt und sich dort mit der Spree vereinigt.
Die Spree fließt durch den größten See Berlins - den Müggelsee. Die angrenzenden Müggelberge – mit 115 m die höchste Erhebung - bieten nicht nur Wassersportlern Erholung und Freizeitspaß. Man kann u.a. zum Teufelssee wandern oder den Müggelturm besteigen.
Wieder in Köpenick angekommen, erwarten uns einige Sehenswürdigkeiten. Weltberühmt wurde Köpenick 1906 durch den "Hauptmann von Köpenick", dem uniformierten Schuster, der mit ein paar Soldaten den Bürgermeister verhaftete und die Rathauskasse beschlagnahmte. Das historische Rathaus steht noch heute gegenüber der Dahme und Spree, inmitten einer Altstadt, die sich sehen lassen kann. Die danebenstehende Kirche und das Rathaus bieten einen prachtvollen Anblick. Wenige Schritte weiter - auf der kleinen Schlossinsel befindet sich das in den Formen des holländischen Barock errichtete Schloss Köpenick. Es wird zurzeit restauriert und beheimatet ab 2004 dann wieder das Kunstgewerbemuseum. Noch vieles mehr gibt es zu entdecken.
Christiane Bauer
Spreebogen / Bundeskanzleramt
Ich steige am S-Bahnhof Friedrichstraße aus und nähere mich dem Zentrum der Macht von der Spreeseite, vom Reichstagsufer aus. Hier waren ja vor noch nicht allzu langer Zeit für mich die Berlin-Erkundungen zu Ende. In kurzen Abständen kommen mir jetzt vollbesetzte Ausflugsdampfer entgegen, von denen weithin die gewichtigen Erklärungen der Stadtführer ertönen. Das Panorama ist überwältigend. Beide Ufer sind von riesigen modernen Gebäudekomplexen aus unterschiedlich grauem Stahlbeton, gläsernen Fassaden, atemberaubenden Brücken- und Bogenkonstruktionen gesäumt. Doch überall ragen noch Baukräne in die Höhe, alles atmet Dynamik, Fortschritt, Kühnheit. Ich sehe linkerhand den Reichstag, der seine Hüllen längst fallen gelassen hat, die ihm 1995, noch im alten Zustand, kurzzeitig vom bulgarischen Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude übergestülpt worden waren und der damals Millionen von Besuchern angezogen hatte. Das umgebaute Reichstagsgebäude geht am 19. April 1999 mit einer symbolischen Schlüsselübergabe an den Bundespräsidenten Thierse. Der Deutsche Bundestag, das Parlament, zieht im Juli und August desselben Jahres von Bonn nach Berlin, das nun wieder Hauptstadt ist. Jetzt reihe ich mich in die lange Schlange ein, die über die Freitreppe zum Hauptportal führt, um Dachterrasse und Kuppel zu besuchen. Diese riesige Glaskuppel, die sich im dritten Obergeschoss befindet, ist kein geschlossenes Gebilde, sondern am oberen und unteren Rand offen, wodurch ihr Leichtigkeit verliehen wird. Es ist eine sich spiegelnde und reflektierende spiralenförmige Glaskonstruktion, an deren Innentreppen man hinauf zur Dachterrasse läuft,
von wo aus sich ein Ausblick über ganz Berlin bietet. Wieder fällt mein Blick auf die Spree, ihr schlängelndes Band zieht sich quer durch die Stadt. Als ich wieder unten bin, sehe ich rechts vom Reichstag das Jakob-Kaiser-Haus, in dem mehr als 2.000 Abgeordnete und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages arbeiten. Die Rahmen der zu ebener Erde liegenden riesigen Fenster des direkt am Spreeufer liegenden Gebäudes werden gerade von einer Frau mit einem Staubwedel, der in den Farben schwarz/rot/gold leuchtet, entstaubt. Man kann es auch übertreiben, sagt die Frau am Eingang, an dem sich die Besuchergruppen anmelden müssen.
Da ich gehört habe, dass es auch direkt am Ufer einen Strand geben soll, suche ich diesen und, ich halte es kaum für möglich, es gibt ihn wirklich. Ich gehe über eine Brücke ans rechte Spreeufer und gerade vor dem Gebäude der Bundespressekonferenz laufe ich ein paar Stufen hinunter in den hellgelben Sand, an dem Strandkörbe, rote Holzliegen und ein Kiosk ein echtes Strandgefühl zaubern. Die Bäume allerdings sind noch zu klein, als dass sie schon Schatten spenden könnten. Das übernehmen einstweilen riesige gelbe DHL-Schirme. Ich lasse meinen Blick schweifen und erkenne in der Ferne die gläserne Kuppel des Lehrter Bahnhofs, des neuen Berliner Hauptbahnhofs. An der Schweizer Botschaft vorbei gelange ich zum Bundeskanzleramt, einem in weiß gehaltenen und transparent gestalteten Gebäude, das auf mich einen geradezu beschwingten Eindruck macht. Seinen Ehrenhof schmückt die eiserne, rostig braune Skulptur „Berlin“ des im vorigen Jahr verstorbenen baskischen Bildhauers Chiliida. Im Bundeskanzleramt nahm der Bundeskanzler am 2.5.2001 seine Tätigkeit auf, nachdem der erste Spatenstich zu diesem imposanten Gebäude am 4. Februar 1997 erfolgt war. Aus den Säulen des Gebäudes wachsen zaghaft Bäume, an den Wänden klettern Ranken empor. Vor dem Portal dient ein ockerfarbenes aufgespanntes Fledermaussegeltuch dem Kanzler und seiner Begleitung als Schattenspender und Regenschirm. Im Pflastergrau stecken grüne Rasenoasen. Auch das Bundeskanzleramt liegt direkt am Ufer der Spree und wird von der riesigen Parkanlage „Tiergarten“ begrenzt. Es ist integriert in den „Band des Bundes“", mit dem über die Spree hinweg der Ost- und Westteil Berlins miteinander verbunden werden. Sind doch erst dreizehn Jahre vergangen, seit dem Menschen und Fluss sich wirklich frei in der Stadt bewegen können, deshalb: Lasst den Fluss ungehindert fließen, die Menschen an seinen Ufern picknicken und flanieren, in Dampfern auf seinem Wasser schwimmen.
Agnes Lisek
Schloss Charlottenburg
„Sophie-Charlotte & Luise - die Musen- und Philosophenkönigin und die Königin der Herzen“. Deutschlands populärste Königinnen lockten mich am 20. Juli zur Erkundung auf eigene Faust zum Schloss Charlottenburg.
Die nahe Spree schickt kühlende Brisen durch sommerheiße Gärten und Schloss. Formte den einst ländlichen Berliner Vorort Litzow, das heutige idyllische Schlossareal, zu einer Halbinsel. Umspült diese mit sanftem Schwung. Von weißen Dampfern tönt die Lautsprecherstimme des Kapitäns. Japanische Fotoapparate schicken grelle Blitze in den Sommertag.
Die Wasseranbindung war einmal wichtigster Verkehrsweg, als die herrschaftlichen Kutschen noch auf märkischem Sand- und Holperwege stecken blieben und ihre Räder zerbrachen.
Eine private Sommerresidenz gab Sophie-Charlotte, die spätere Königin, 1694 hier in Auftrag. Weit vor den Toren der Stadt und außerhalb der strengen Etikette bei Hofe wollte sie hier ungestört den Künsten und der Wissenschaft frönen. Selbst künstlerisch begabt, hatte es ihr besonders die Musik angetan. Charlotte komponierte, spielte hervorragend Spinett und dirigierte an der nahen Oper. Mit ihrem engen Vertrauten und Lehrer Leibnitz initiierte sie von hier aus die Gründung der preußischen Akademie. Auch ihre Feste wurden legendär. Meine Spurensuche im Schloss: das Spinett der Königin, geschmackvolle Bilder und eine gemütliche Bibliothek. Porträts zeigen eine sympathische und auch resolute Monarchin.
Drei Generationen später, 1797-1810: Friedrich der III. und Königin Luise ziehen hier ihre neun Kinder groß. Die französische Revolution beeinflusste auch den Lebensstil am Hofe. Die Königsfamilie lebte einfach, nahezu schlicht. In fast bürgerlichen Verhältnissen. Als die schöne Luise erst 34-jährig stirbt, wird sie vom Volke verehrt und geliebt, wie einst Sissi von Osterreich und heute Prinzessin Di.
Der zwischen Schloss und Spree gelegene wunderschöne Garten war beider Königinnen liebster Ort. Ihre Oase der Inspiration.
Am Tage meines Besuches ist es sehr heiß, über 33 °C zeigt das Thermometer. Viele Berliner zieht es mit Picknickdecke, kühlen Getränken, Büchern, Kinderwagen und Instrumenten an diesen lieblichen Ort. Erholungssuchende und Großstadtmüde liegen im Schatten 300 Jahre alter Bäume. Freunde lagern im Kreis. Musizieren. Plaudern. Lesen sich vor. Ich zähle allein 5 Trommeln, 2 Geigen, 2 Gitarren, 3 Flöten, 1 Klarinette. Maler skizzieren in Öl und Kreide, Yogis meditieren.
Das ist es, was Sophie Charlotte zu schaffen begehrte. Ein Refugium der Musen und schönen Künste. Ein Ort der Begegnung und des Austausches. Und es gelang.
Angelika Lübcke
Glienicker Brücke
Die Brücke wurde 1904 - 1907 errichtet. Im 2. Weltkrieg wurde sie zerstört und 1949 als „"Brücke der Einheit“ wieder eröffnet. Bis zum Mauerbau 1961 konnte jeder Bürger die Brücke passieren. Danach war sie nur noch für das alliierte Militär und für Diplomaten offen. Politische Berühmtheit erhielt sie durch den Agentenaustausch zwischen Ost- und Westberlin in den Jahren 1962, 1985 und 1986. Dieser Austausch fand auf der durch den weißen Grenzstreifen markierten Brückenmitte statt. Seit dem 10.11.1989 ist sie wieder für jedermann offen.
1953 war an jedem Brückenende eine Kontrollstelle. Auf der Potsdamer Seite kontrollierte die Volkspolizei die Papiere und auf der Westberliner Seite der Bundesgrenzschutz. In der Nähe der Brücke ist auf der Westseite eine Jugendherberge. Nur durch die Havel getrennt liegt auf der anderen, östlichen Seite das Schloss Babelsberg. Hier befand sich ebenso nur durch Wasser getrennt, die schmalste Stelle zwischen Ost und West. Das wussten auch viele Ostdeutsche und deshalb war es eine beliebte Stelle für eine geplante „Republikflucht“ aus dem Osten in den Westen. Ist ihnen die Flucht geglückt, bekamen sie erste Hilfe von den Angestellten der Jugendherberge im Westteil der Stadt. Danach ging es in das Aufnahmelager nach Marienfelde, wo sie die erforderlichen Papiere erhielten.