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Townstories

Stand:


Skatspieler im Jahnpark

von Ilse Kammerer


Ich verbrachte meine Kindheit und Jugend in Neukölln, einem südlichen Bezirk von Berlin. An dessen Rand, direkt angrenzend an den Flughafen Tempelhof, befand sich zwischen den Straßen Columbiadamm und Hasenheide ein Park, der heute Volkspark Hasenheide heißt und ca. 50 ha groß ist.


Mitte des 17. Jahrhunderts diente das Gebiet "Hasenheide" in kurfürstlichem Besitz als Wildgarten und Jagdrevier, später entstanden dort Hasengehege und Schießübungsplätze. Aus einem Teil der Anlage entstand der "Jahnpark", benannt nach Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852), dem "Turnvater", der 1811 den ersten deutschen Turnplatz gründete. 1872 wurde ihm zu Ehren ein 6 m hohes Bronzedenkmal erstellt, das man noch heute besichtigen kann. Auf Anregung des Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné (1789-1866), der ein Zeitgenosse Jahns war, wurden freie Teile der Anlage mit heimischen Bäumen, Akazien, Birken, Eichen, Kiefern, aber auch kanadischen Pappeln, bepflanzt. Nun war der Weg frei zum Volkspark. Seit den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden Liegewiesen, Spielplätze, ein Naturtheater mit Freilichtbühne, ein Minigolfplatz, Tiergehege, ein Schachplatz und das Turnmuseum. Nach dem 2. Weltkrieg, 1945, wurde ein knapp 70 m hoher Berg aus Trümmern aufgeschüttet, die "Rixdorfer Höhe" (bis 1913 hieß Neukölln Rixdorf). Dort steht eine Steinfigur, die "Trümmerfrau", zur Erinnerung an die Frauen, die nach dem Krieg bei den Aufräumungsarbeiten in Berlin beschäftigt waren.

Zu meiner Erstkommunion wurde mir ein lang gehegter Wunsch erfüllt: Ich bekam einen Fotoapparat, eine Agfa-Box. Sie kostete damals DM 9.90, und die entwickelten Fotos waren im Format 6x9 cm, natürlich schwarz-weiß, farbige Abzüge gab es noch nicht. Von nun an begleitete mich mein Fotoapparat, verpackt in einer hellbraunen Umhängetasche, auf Schritt und Tritt. Ich suchte mir gern Motive meines Heimatbezirkes aus. Dazu bot mir der Volkspark Hasenheide (damals noch "Jahnpark") viele Möglichkeiten. Mich zogen vor allem mehrere schattige Plätze mit Skatspielern an, die von vielen älteren Männern umringt wurden. Es waren "Kibitze". Sie schauten den Männern in die Karten, gaben auch hin und wieder Ratschläge und waren alle Fachleute auf diesem Gebiet. Selten sah ich dort Frauen stehen, es war eine Domäne der Männer. Vielleicht war es die Aufsässigkeit meiner 15 Jahre, die mich als Außenseiterin zu diesen Plätzen zog, denn von Skat habe ich bis heute keine Ahnung.


Wie sieht mein alter Jahnpark heute aus?
Ich gehe durch den Haupteingang Hasenheide. Dort steht eine Informationstafel mit den Partnerstädten von Berlin-Neukölln. Ich finde darunter auch "Marino bei Rom". Ein asphaltierter breiter Weg führt mich hoch zum Denkmal. Diese Steigung benutzte ich vor fast 60 Jahren, allerdings umgekehrt von oben nach unten, um meinen Puppenwagen hinunterrollen zu lassen. Sprang ich schnell genug hinterher, konnte ich ihn überholen und unten abfangen, sonst rollte er vor mir ins Gebüsch.

Turnvater Jahn steht noch fest auf seinem Sockel, von Patina überzogen. Seine Miene zeigt kein Erkennen, zu viele Menschen hat er schon vorbeiziehen sehen. Für so wenig Sportliche wie mich riskiert er keinen Blick. Im Stein eingemeißelt finde ich Sportvereine aus der ganzen Welt, z.B. aus Prag, Washington, Buenos Aires. In der Mitte zeigt eine große Tafel, gut leserlich:


Berliner Männer Turn Verein
Einigkeit
Berlin 25. Februar 1862

Nun folge ich Turnvater Jahns Blick. Er schaut auf die vielen Jogger, die an diesem sonnigen Morgen unterwegs sind. Auf einer großen Wiese sehe ich im Vorbeigehen eine junge Frau, die mit gymnastischen Übungen ihren Frühsport beginnt. An einer Wegkreuzung wähle ich die linke Seite, rechts steht eine dunkle Gestalt regungslos am Baum. Auch ich bin mit Vorurteilen behaftet. Der Mann auf dem Fahrrad mit den beiden Hunden flößt mir mehr Sicherheit ein.

Mir fällt auf, dass viel Papier auf den Wegen liegt, einige Papierkörbe wurden umgeworfen. Früher sah es gepflegter aus. Jetzt führt mich ein schmaler Weg nach oben zur "Rixdorfer Höhe". Es ist sehr einsam, mein Herz schlägt etwas schneller. Aber ich begegne zwei Spaziergängern, offenbar Türken. Ich weiß nicht, ob sie mein "guten Morgen" verstehen. Oben stehen noch große Steine, auf denen die Bezeichnungen der Sehenswürdigkeiten mit dem richtungsweisenden Pfeil nicht mehr zu erkennen sind. Auch die hohen Bäume und dichten Büsche versperren den Blick. Wieder auf dem weg nach unten begrüße ich die steinerne "Trümmerfrau", die noch immer mager und abgearbeitet aussieht. Dann führt mich eine Holzbrücke über ein Biotop, das es in meinen Jugendjahren noch nicht gab. Den Begriff "Biotop" kannte ich wohl auch damals nicht.

Nun gehe ich am Rande des Parks entlang, der hier von einer Friedhofsmauer begrenzt wird und komme an ein Wildgehege mit Rehen und Schafen und habe noch ein mich nachdenklich stimmendes Erlebnis mit einer Frau, die die Tiere füttert. Wir kommen ins Gespräch. Ihre Familie wäre hier seit vielen Generationen ansässig und sie käme jeden zweiten Tag hierher, um die Tiere mit Äpfeln zu füttern und ihnen damit einen Vitaminstoß zu versetzen, da ja die unvernünftigen Menschen mit Nudeln und Brot die Tiere nur krank werden ließen. Ich glaube, sie sucht in mir einen guten Zuhörer. Sie fängt an, über Ausländer (sahnen nur das Kindergeld ab) und über Grüne (alles Verbrecher) zu schimpfen. Eigentlich sollten 70% der Menschheit ausgerottet werden, da sie schlecht seien. Meinen Einwand, dass Ausländer zu unerer Rentenversicherung beitrügen, tut sie ab mit der Erwiderung, sie würden lediglich Steuern zahlen und durch das Kindergeld noch einen Gewinn erzielen. Ich merke, dass ich keinen ebenbürtigen Diskussionspartner vor mir habe und laufe schnell weiter, ihr noch einen guten Tag wünschend.

An einem Minigolf-Platz vorbei gehe ich dem Ausgang zu. Auf der Straße sehe ich ein Plakat für die Anwohner für eine "Putzaktion". Es geht weniger um das Einsammeln von Müll, sondern es soll darauf hingewiesen werden, dass der Park ein Naherholungsgebiet bleiben und den Dealern, die sich dort aufhalten, verschlossen bleiben soll. Mir wird jetzt klar, dass mein Vorurteil nicht so ganz unberechtigt war, als ich einigen dunklen Typen mit Misstrauen und auch ein bisschen Angst begegnet bin.

Mein alter Jahnpark hat sich also verändert, und sicher gehe ich so bald nicht mehr dort spazieren, aber die Bäume dort und die Natur werden noch viele Jahrhunderte überdauern, die wir nicht mehr erleben werden.

Ilse Kämmerer, 23.4.2002