Die jungen wilden Jahre
Es pfeift unten auf dem Hof. Unser Pfiff, der Anfang von "drum Booggie". Signal für mich und ich flitze nach unten zu meiner Freundin. Wir wohnen im Seitenflügel von Nr. 8 fünf Treppen und die Ruth, meine Freundin eine Treppe. Und wenn der Pfiff ertönt, dann weiß ich, es gibt was zu bereden. Und richtig, sind Henry und Tommy da, um uns Bescheid zu sagen, wo es am Wochenende zum Tanzen hingeht. - "Wir fahren nach Birke, da spielt Mohrchen diesen Monat!" - Birke, das ist Birkenwerder im Norden von Berlin und Mohrchen Deinert, das ist unsere Lieblingsband, der wir immer nachziehen, wo sie gerade spielt. Nach keiner Musik kann man so gut Booggie tanzen, wie nach der von M. und seinen Jungs. Auf diese Weise sind wir, das ist immer so eine Truppe von 10-12 jungen Leuten, schon ganz
schön rumgekommen. Mal sind wir in Schmöckwitz in der Palme zu finden, mal in
Rangsdorf, mal im Restaurant an der Machnower Schleuse oder in Pichelsdorf an der
Stößenseebrücke. - Mit Rangsdorf verbindet sich keine so gute Erinnerung. Da sind wir mal
eingeschneit und mußten bis früh um 3 Uhr in dem eiskalten Wartehäuschen ausharren, bis
endlich der erste Zug fuhr. Meine Mutter hat das für eine faule Ausrede gehalten, Wunder
gedacht, wo ich mich rumtreibe und es mir noch vorgehalten, als ich schon längst verheiratet
war.
Apropos verheiratet! Meinen Mann habe ich im Cafe Nord kennengelernt oder besser gesagt
davor, beim Anstehen. Da habe ich mich mit meiner Handtasche an seinem Trenchcoat verhakt
und einen Knopf abgerissen. Aber das ist eine andere, längere Geschichte.
Ja, Anstehen mußte man eigentlich überall, wo richtig was los war. Ob das nun das "Paresü",
also das Parkrestaurant Südende war oder die Stadionterrassen an der Radrennbahn Neukölln,
die Neue Welt und Kliehms Festsäle in der Hasenheide, der Prater an der Schönhauser Allee
oder der Delphipalast am Zoo. Uns zogs überall hin, wo unsere Musik gespielt wurde.
Natürlich gabs da auch noch die Badewanne, verbunden mit einem ganz besonderen Erlebnis.
Lionel Hampton gastierte im Sportpalast, ich war auch dort und reene weg, weg vor
Begeisterung. Also, da kamen an dem Abend, als wir in der Badewanne waren, tatsächlich ein
paar von L.H. Musikern und machten später am Abend eine Jam-Session mit der Band des
Hauses zusammen. Unvergeßlich!
Ein paar Querstraßen weiter war noch die Eierschale und in der Lutherstraße der Booggie-
Club. Der Club war im ersten Stock und unten war ein Lokal mit einer Arena in der Mitte, wo
man auf Pferden und Eseln reiten konnte, so wie in dem Film "Große Freiheit Nr.7".
In Schöneweide gab es noch das Heidecasino und den Blumengarten von uns allen
Blumentopp genannt. So manche Schuhsohle haben wir da durchgetanzt.
Kein Geld und trotzdem glücklich
Ein wahres Paradies für Tanzlustige war rund um den Bahnhof Friedrichstraße. Für uns aus
dem Westen ganz besonders, konnte ich doch für meine l zu 5 oder 6 umgetauschte Westmark
an jedem Wochenende tanzen gehen. Fürs selbe Geld wäre das in Berlin W nur einmal im
Monat möglich gewesen.
Was gab es da aber auch für Tanzlokale, gleich am Bahnhof Alt-Bayern und die
Rheinterassen. Die Rheinterrassen, mein größter Reinfall. Ich wollte mit meinen Freundinnen und Freunden meinen 21. Geburtag feiern, das heißt am Abend davor und in den Geburtstag
reintanzen. Ich hatte mir das so schön ausgedacht. Alle kamen auch ohne Probleme rein. Nur
ich nicht. Ich war noch nicht 21! - Und man kam erst ab 21 Jahren rein. Da hatte ich also die
Rechnung im wahrsten Sinne des Wortes ohne den Wirt gemacht.
Dann gab es noch den Franziskaner, direkt am Bahnhof unten im Keller, die Hajo-Bar ein
Stückchen weiter die Friedrichtraße runter, die Tanzbar im Hotel Newa, wo man rund um einen Springbrunnen rumtanzte. In der Albrechtstraße war ein Tanzschuppen mit so einer niedrigen Decke, daß man vor lauter Rauch total verheult aussah. Im alten Friedrichstadtpalast gab es im ersten Stock ein Tanzlokal und unten die Melodie. Da hatte ich übrigens meine erste Verabredung mit meinem Zukünftigen. In der Friedrichstraße gab es dann noch die Kleine Melodie, schräg gegenüber noch eine Tanzbar, und ein Stück weiter an der Oranienburger Straße das Ballhaus der drei Etagen.
Also Tanzmöglichkeiten ohne Ende und Erinnerungen an die schöne Zeit auch ohne Ende.
Ursula Leppert