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Townstories

Stand:


Hunderunde in Berlin

von Horst Marbach


Die Leine strafft sich, erzwingt ein Innehalten. Der Spaziergänger richtet den Blick auf die für den Zwergschnauzer so wichtige Stelle. Soll dieser doch nicht an Hundekot schnuppern wegen der Ansteckungsgefahr. Den warnenden Hinweis des Sohnes, der sich gerade am Ostseestrand tummelt, hatte der Vater noch im Ohr. Der Schnauzer ist bei Vater zu Besuch. Die Wiesenränder, Beete, Poller, Treppen , Hauswände, Baumscheiben mit und ohne Rindenmulch, Lichtmasten, Zeitungsständer, Hausecken, Bäume, Sträucher, Blumen, Gläser, das alles war bisher beim Vorübergehen, Vorbeiradeln, Vorbeirauschen unbemerkt, anonym, nur Schema geblieben. Das häufige Innehalten führt zum Detail.

Was siehst du? Was tust du? Was denkst du? Soll oder muß das sein? Beim Innehatten gebiert der Kopf Fragen, die das Tempo des gewöhnlichen Lebens, seine Oberflächlichkeit und Routine verhindern.

Warum nur ist gerade das "Wernesesgrüner Blech", die Bierbüchse mit Wernesgrüner Pils, so platt gewalzt, während das "Premium" frisch und glatt, fast wie noch gefüllt? Schachteln von HB, F6, Lucky Strike und West grüßen und die Hüllen mit Aufdruck "Tempo" oder "Softie", flache Kartons von Dawydoff. Die Unterwegsverbrauchsgewohnheiten und -bedürfnisse der "Laufkundschaft" werden ablesbar.

Vor der Kaiser-Kaufhalle bewacht ein Unrasierter zwei Zeitungspakete. Die liegen auch noch neben ihm, der genüßlich an einer Büchse zutscht, als Schnauzer Oskar und Gastherrchen vom Ausflug zurückkommen. Nein, nein, mit dem Papier habe ich nichts zu tun. Aber was der Austräger da macht, das ist wohl nicht astrein. Oskar schnüffelt ratlos am Zeitungspaket. Die Zeitungen besitzen zwar Abbonenten, nur finden sie ihre Kunden nicht, weil im Vertrieb "faule" Glieder stinken. Unter der Verschnürung stecken sogar noch die Begleitpapiere. Beförderer, Verteiler, Inspektor sind genannt.

Ham'se nich mal een paar Jroschen für mich, so gibt sich der Schnorrer zu erkennen. Was soll ich sonst machen, mein Sozialbetreuer hat keene Zeit für mir. Da ham'se mal ne Mark, so läßt sich Oskars Herrchen erweichen. Der Schnauzer hat ihn aus seinem täglichen Einerlei gerissen, in dem er sonst achtlos an solchen "Individuen" vorbeizugehen pflegte, ob er nun nur taxiert oder angesprochen worden war. Innehalten und wahrnehmen. Unsere Gesellschaft spiegelt sich auf der Straße. Unter dem Schnorrer, er sitzt erhöht auf einer niedrigen Mauer, verschwindet die Erde des Beetes unter einer Büchsendeckung. Wie lange mag der Blechhaufe schon liegen?

Die Wiese im Wohngebiet
Der letzte Abschnitt der Hunderunde führt am sogenannten "schwarzen Weg" entlang. Über die Wiese soll in den nächsten Jahren ein Straßendamm geschüttet werden. Die Wiese ist sich selbst überlassen. Stolz trägt die Wegwarte ihre blauen Sterne, hat Goldrute sich ihren Platz gesichert, leuchten Kamille und Flockenblumen, breiten Wegeriche und Löwenzahn ihre Rosetten aus und wippen die zierlichen Samenstände der Gräser im Wind, die der Großstädter meist nicht benennen kann. Im Schotterbett der Straßenbahn, das als letztes überquert werden muß, hat sich gelbblühender Mauerpfeifer breitgemacht. Nach einer Woche endete der Urlaub des Sohnes. Der Vater hatte sein Wissen um Formen und Farben und Konsistenz von Hundekot erweitert, einige Hunderassen mit Oskar gemeinsam kennengelernt, war mit anderen Hundehaltern ins Gespräch gekommen und verwechselt worden. Den Abfall Oskars hatte er gelernt, mit einem Schäufelchen in Erde, Sand, Wiesenland und in Rindenmulch verschwinden zu lassen.

Fluchend war er zwei Tage später in Rixdorf nicht weit vom Richardplatz, wieder aus seinem Auto gestiegen, als von den Pedalen Gestank aufstieg. "Hoffentlich hängt nichts am Gaspedal", so wollte ihm der Straßenfeger der Berliner Stadtreinigung helfen, der leider zu spät gekommen war mit seinem breiten Besen, vor dem wenig Staub und Blätter, aber umso mehr schwarzer, brauner, gelber und weißer Hundekot rollerte. Wenn Hundehaltung den Blick für die Wohnumgebung schärft, die Kommunikation mit dem Nachbarn fördert, der eigenen Gesundheit dienlich ist, warum nur sickert so wenig Verständnis für die Sauberkeit auf Gehwegen und Straßen in die Hirne der Hundehalter. Das mit dem Schäufelchen oder einer Tüte ist doch so einfach. Andere Länder machen uns das vor, schon jahrelang. Und wie erst würde die Akzeptanz der Hundehalter unter den Leuten steigen, dafür brauchten sie dann nicht mehr demonstrieren.


Horst Marbach, 2002