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Townstories

Stand:


Zwei Friedhöfe vis-a-vis

von Günter Schöffler


Kurzfassung:
Friedhöfe sind Teil lebendiger Ortschaften; der Berliner Stadtbezirk Treptow besitzt mehrere davon. Von zweien, die über eine viel befahrene Straße benachbart sind, erzählt dieser Text. Dazu gehört auch die Erinnerung an mehr als tausend Tote, die in einem faschistischen Konzentrationslager ermordet wurden.

Für die Toten aus dem ganz alten Treptow begann die Reise ins ungewisse Jenseits zunächst konkret mit einer Kahnfahrt über die Spree: zum Friedhof auf der Halbinsel Stralau. Es ging den alten Griechen auf dem Weg in den Hades auch nicht viel anders. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde auf Treptows Boden ein Friedhof hergerichtet, im heutigen Ortsteil Plänterwald. Dass ein ,,Friedhof", wo auch immer und zu welcher Zeit angelegt, sein Wort vom ,,Frieden" her nimmt, den man den Verstorbenen zugestehen möchte, ist zwar naheliegend, aber nicht zutreffend, denn. der ,,Vriethof" war ein Vorhof" -doch es darf solchem Wortinhalt immerhin Hoffnung beigegeben werden. Denken lässt sich der Tod ohnehin nicht.

Der ,,Gemeindefriedhof Treptow" erwies sich nach nicht sehr langer Zeit schon als zu klein, woraufhin ein größerer Totenplatz zu suchen war. Es fand sich geeignetes Terrain eben in Baumschulenweg. Im Jahr 1912 konnte so ein neuer Friedhof, der allerdings gut zwanzig Jahre später schon wieder als ,,Alter Friedhof" zu benennen war, eingesegnet werden: ein Waldfriedhof am Rand der ,,Königsheide". Schon Michelangelo soll bemerkt haben, dass ,,nirgends Frieden ist denn in Wädern". Auf der höchstgelegenen Stelle des Areals, die zuvor vom Militär zu unfriedlichen Zwecken genutzt worden war, errichtete man sogleich ein Krematorium, dessen Gestaltung auf die griechische Klassik hindeuten sollte. Im Zweiten Weltkrieg in Teilen zerstört, musste folgend ein schlichter Ersatzbau für die Einäscherungen hergerichtet werden.

In der Sache solcher Feuerbestattungen, welche in Preußen 1911 per Gesetz erlaubt worden waren, nachdem die Evangelische Kirche ihren Widerstand aufgegeben hatte, spielte, nebenbei bemerkt, der Stadtbezirk Treptow eine Art Vorreiterrolle. Es wurde nämlich zur ,,Berliner Gewerbeausstellung" von 1896 im Treptower Park eine erste Urnenhalle errichtet, die den letzten Krieg zwar überdauerte, aber später abgerissen wurde. Die bis dato üblichen Erdbestattungen durften auf dem Alten Friedhof an der Königsheide nur bis 1961 vorgenommen werden, dann verbot sich wegen des nahen Wasserwerkes in Johannisthal, einem anderen Stadtteil von Treptow, diese Beisetzungsart. Die Einäscherungen wurden im Jahr 1994 beendigt, da die Filterung der Abgase nach neueren Vorschriften unzureichend war. Im Sommer 1999 wurde ein neues Krematorium eingeweiht. Seine Architekten sind Axel Schultes und Charlotte Frank, die u.a. auch das Bundeskanzleramt im Tiergarten entwarfen. Für das Verbrennungshaus in Baumschulenweg erhielten sie einen ,,Deutschen Architekturpreis".

Es ist ein an Höhe und Fläche sehr großes Haus aus Sichtbeton und Glas geworden, mit zwei unterirdischen Etagen für den Leichenbrand, wie es in der Fachsprache heißt. Die riesige Kondolenzhalle mag an Tempel erinnern, die den jeweiligen Gott groß und die Sterblichen klein machten. Neunundzwanzig Rundsäulen steigen zu Lichtpunkten hoch. Säulen sind Symbole von Kraft und Beständigkeit, während auf Friedhöfen eigentlich geborstene Säulen als Zeichen der Vergänglichkeit des Irdischen zu Hause sind.

Dieser Friedhof in Baumschulenweg war schon Anfang der Dreißiger Jahre an die Grenze seines Fassungsvermögens geraten, sodass ein neuer hermusste: eben der ,,Neue Friedhof" auf der anderen Seite der Kiefholzstraf3e. Auch ein Friedhof kann mehrere Seiten haben. Erstmalig für Berlin besteht dieses Gräbergefilde aus rechtwinkligen Quartieren zu je vierhundert Quadratmetern: Tod und Totenort des Einzelnen sollten nicht markant sein. Ein Gedenkstein der italienischen Regierung erinnert, seit 1996, an im Krieg Gefallene dieses Staates, ein Ehrenhain für deutsche Antifaschisten und Sozialisten nahebei.

Beim erneuten Straßenwechsel zum ,,Alten Friedhof" hinüber begegnet man als Erstem der überlebensgroßen Sandsteinfigur einer ,,Trauernden" von Fritz Cremer, Replik einer 1948 für den Wiener Zentralfriedhof geschaffenen Skulptur. In dem Torhaus dahinter sind in einem Rollaktenschrank drei gewöhnliche Aktenordner abgestellt, darin 1195 Formulare, schon ein wenig vergilbt , von der Größe DIN A 5, ordentlich ausgefüllt mit Namen, Geburtsdaten, Religion und Tag der Einäscherung, ,,Beisetzunsbelege" genannt. Auf ihnen wird auch nach der Todesursache gefragt, doch statt der heißt es: ,,KL Shn" - was für ,,Konzentrationslager Sachsenhausen" steht. Weil in den Jahren 1940 und 1941 in diesem KZ noch keine Verbrennungsöfen existierten, wurden die Ermordeten im Krematorium von Baumschulenweg eingeäschert: jene 1195 Toten, deren Asche auf dem Alten Friedhof vergraben wurde, und noch 1284 Tote, die auf dem Gräberfeld von Altglienicke, auch ein Ortsteil von Treptow, beigesetzt wurden.

Auf Friedhöfen kreuzen sich die Zeitebenen zwischen Vergangenheit und Ewigheit, und da hinein muss die Endlichkeit gedacht werden: der Tod als Ende, nicht das Sterben, nicht die Tötung. Beim Krematorium in Baumschulenweg steht seit 1956 ein Gedenkstein für die hier begrabenen, in Konzentrationslagern Getöteten, geschmückt mit Versen von Walter Dehmel, beginnend ,,Zu ernster, stiller Sammlung aufgeboten", endend ,,Und wir versprechen Euch, den unvergessnen Toten, wir schaffen eine neue bessre Zeit". Leider ist das Mahnmal so hoch, dass ich kein Steinchen des Gedenkens auflegen kann.


Günter Schöffler