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Townstories

Stand:


Der alte Fischer von Alghero

Günter Schöffler


Einer löst sich aus der Gruppe der alten Männer, die auf den Bänken am Hafen von Alghero sitzen. Sie sind, wie ihre Vorfahren, schwarz gekleidet; die 'Bastion Pigafetta' gibt Windschutz. Vor ihnen im Yachthafen schlagen die Taue der Boote gegen die metallischen Maste; in ihren Ohren klingt das wie viel bares Geld. Ihre kleinen Fischerboote, auf denen jetzt die Jüngeren sind, liegen dagegen unauffällig an einem Steg dahinter.

Ruggero hat sich aufgemacht, um rechtzeitig zum Mittagessen daheim zu sein; geht durch die 'Porta a Mare' zur 'Piazza civica'.

Die zurück gebliebenen Männer schauen genügsam aus; dass sie nicht mehr zum Fischfang hinaus fahren, ist dem Lauf des Lebens geschuldet. Sie haben sogar mit der Guardia Costiera, deren Dienstgebäude nebenan steht, ihren Frieden geschlossen. Die hat sie so manches Mal aufgebracht, wenn sie für ein paar tausend Lire illegal Touristen zur berühmten 'Grotte di Nettuno' brachten. Wie seit eh und je begrenzt dort das Capa Caccio mit seinen steil abfallenden Felsen die Bucht von Alghero; obendrauf der Leuchtturm hat für sie mehr Gewicht als die 'Maria Immacolata' über ihren Köpfen. Schließlich hat sie nicht verhindern können, dass inzwischen auch Fischer, viel jünger als sie, arbeitslos sind. Die tragen schwarze Pudel anstelle ihrer schwarzen Schirmmützen; ansonsten sind sie schlechter dran als die alten Männer auf den Bänken.

Sie nennen ihren alten Kumpel Ruggero, wenn er es nicht hören kann, Signora Deledda; nach der sardischen Schriftstellerin, die 1926 sogar den Nobelpreis für Literatur erhielt. Er greift, seit seinen Freund Livio, mit dem zusammen er auf Langustenfang hinaus fuhr, der tödliche Schlag getroffen hat, hin und wieder nach Büchern; um heraus zu bekommen, wie es im Leben anderer so zugeht. Seit der Berentung ist er ein eifriger Leser geworden. I

Links am Ende der 'Piazza civica' kann er auch heute nicht den alten 'Palazzo D'Albis' übersehen; ein Fenster des dreigeschossigen Baus ist zugemauert. Als es noch zu öffnen war, sprach, vor bald 500 Jahren, der römische Kaiser Karl V. zu den Einwohnern dieser Stadt; bittend, denn er brauchte ihre Unterstützung für einen Krieg gegen Tunesien. Der Potentat ernannte kurzerhand alle Bürger Algheros zu Cavalieres, zu Rittern. Ruggero kommen die Wahlkämpfe heutiger Politiker in den Sinn; sein vom Wetter gegerbtes, von Falten durchfurchtes Gesicht kann noch grinsen. Er ist kein Kommunist; auch seine ehemaligen Kollegen hatten sich von Parteien fern gehalten - "unser Großer Vorsitzender ist das Meer."

Oft waren sie auch mit Korallenfischern heraus gefahren; doch Riviera dei Corallo nennen nur die Touristen ihre Küste. Hingegen legen die Männer großen Wert darauf, als Katalanen angesehen zu werden; weil vor 600 Jahren Leute aus der Gegend von Barcelona in Alghero siedelten. Die grauhaarigen Alten mühen sich, heute noch katalanisch zu sprechen; ihre Stadt ist für sie das sardische Barcelonetta, das kleine Barcelona.

Ruggero ist, an der 'Cattedrale' vorbei, in die 'Via Principe Umberto' eingebogen; seinen rheumatischen Füßen macht das Pflaster aus kleinen Feldsteinen schmerzhaft zu schaffen, weshalb er nach Möglichkeit auf jenen Steinflächen läuft, die in Autoachsbreite gelegt sind. Für die vielen Geschäfte und Restaurants, die diese Gasse wie alle anderen in der Altstadt überfüllen, hat er keinen Blick; schließlich hat er vor dem Mittagessen noch zweierlei zu erledigen.

Zunächst wird er in seinem Lieblingscafe am Ende der Straße, das Freund Vittorio, den er noch nie ohne seine NY -Mütze' gesehen hat, betreut, ein Glas frisch gepressten Orangensaft mit einem kräftigen Schuss Campari trinken; ein wenig schwatzen, der kurze Blick auf die Fußballseiten der Zeitung. Seine schwarze Mütze wird er aufbehalten. Dann geht er, nur über den kleinen Platz hinweg, zur Chiesa della Misericordia, in der er, wie an jedem Tag, zur Madonna beten wird. In dieser Barmherzigkeitskirche steht im Altar die für ihn allerschönste Muttergottes; in Goldgewänder gehüllt, eine hohe, silberne Krone auf dem Haupt; ihr vertraut er. Schließlich hat er mehr als nur einmal in seinem Arbeitsleben erfahren, dass in kritischen Momenten auf dem Meer allein nur noch Gott Hoffnung geben kann.

Alsdann wird er zu seiner Wohnung laufen, in der seine Frau mit dem Essen auf ihn wartet. Es wird heute Sa Cassola geben; die Fischsuppe, die Bruna besonders scharf würzt. Ruggero ist froh, dass sie noch bei ihm ist, denn ein naher Mensch ist wichtiger als das ganze ferne Europa, von dem heutzutage so viel geredet wird.