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Townstories

Stand:


Verstehen

Regina Burow
März 2004


Von Frühlingslüften, blühenden Mandelbäumen, wärmenden Sonnenstrahlen träumen wir, als wir mit dem Flieger in Olbia auf der Insel Sardinien landen.
Aber kalter Wind pfeift uns um die Ohren. Wir steigen in den Bus, der uns nach Macomer bringt. Der Himmel ist mit grauen, dichten Wolken verhangen, die Landschaft mit weißen, ausgedehnten Schneefeldern bedeckt. Wir sehen kaum Häuser zu Dörfern vereint - nur einzelne Gehöfte drücken sich an die Hügel, als ob sie dort Schutz suchen. Die Weiden und Korkeichenhaine sind mit niedrigen Mauern aus großen Feldsteinen umgrenzt. Manchmal ziehen Schafe an der Straße entlang. -
Wir kommen in Macomer an. Gleich am Eingang begrüßt uns ein weithin sichtbares Schild:

TOWNSTORIES
BENVENUTO BIENVENIDOS BUDTE VÍTÁNI WILLKOMMEN BENNENNIDOS

Es treffen sich hier die Teilnehmer dieses europäischen Projektes aus Rom, Madrid, Prag, Ulm, Berlin. Dieses Mal sind die Leute aus Macomer die Gastgeber. Werden sie uns wie die Landschaft verschwiegen und unnahbar begegnen?
Wir Berliner sind die ersten im Hotel. Es ist noch ruhig. In Erwartung der Dinge, die da kommen, wollen wir zur Ermunterung im Bistro einen Kaffee trinken. Dort erwarten sie uns schon - unsere Gastgeber - es gibt eine lachende, lebhafte, herzliche Begrüßung. Unsere Zungen können die Sprache der anderen nicht sprechen, aber unsere Augen suchen und finden sich.
Am Abend sind alle Gruppen eingetroffen. Die Tagung beginnt.
Wir hören Texte und sehen Fotos zum Thema "Wo ich mich zu Hause fühle" von den Teilnehmern aller Gruppen. Die Texte werden übersetzt. Aber mehr noch als die Worte, sagen die Begeisterung, die Lebendigkeit und der Schwung der Vortragenden etwas über ihre innere Beziehung zu ihrem ganz persönlichen "zu Hause" irgendwo auf der Welt. Vor den Augen der Zuhörenden entstehen sehr persönliche Bilder der Liebe zu der Umgebung, in der jeder lebt. Und ich glaube, alle von uns versuchen nachzuempfinden und zu verstehen, was dem anderen so wichtig ist.
Am letzten Abend werden wir in einem Freizeitheim am Berg St. Antonio bewirtet. Als Nachtisch erwartet uns eine Überraschung. Eine Gruppe junger Leute in der reich bestickten Landestracht beginnt zu tanzen, begleitet von den Klängen der Harmonika - sardische Tänze. Dann werden wir aufgefordert mitzutanzen. Unsere Füße bewegen sich in einem gemeinsamen Rhythmus. Unsere Hände fügen sich ineinander zu einer langen Kette, die zusammen fließt, sich auseinander bewegt, um sich wieder zu nähern. Wir sprechen nicht die Sprache der anderen, aber es ist als ob jeder Einzelne von uns wie ein Teilchen in einer großen Welle schwingt.
Zum Abschluss erklingen alte sardische Weisen, gesungen von einem Männerchor. Die traurigen, melancholischen, lebhaften und lachenden Melodien erwecken in mir Erinnerungen, die ich eigentlich gar nicht haben kann, ich war noch nie auf Sardinien. Aber die Musik berührt meine Seele und Bilder steigen empor - vielleicht aus dem Buch "Schilf im Wind" von Gracia Deledda, der Literaturpreisträgerin von 1926, das ich vor der Reise gelesen hatte. Spiegeln sich diese Bilder in meinem Gesicht? Meine Nachbarin ergreift meine Hand, wir lächeln uns an. Ich spreche nicht ihre Sprache, aber unsere Hände sind wie ein gemeinsamer Resonanzboden, der die Töne zu einer verstehenden Sprache verwandelt.
Mit einem Druck meiner Hand sage ich danke für diesen Augenblick. Dann lösen sich unsere Hände, ich möchte etwas sagen und kenne die fremden Wörter nicht. Ich werde versuchen, sie kennen zu lernen.

Regina Burow


Verstehen