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Townstories

Stand:


Meine Heimat

von Vladimíra Machová

Mit meinen zweieinhalb Jahren bin ich im Mai 1933 mit meinen Eltern auf die Kleinseite, in die Josefgasse umgezogen. Die Kleinseite hat von allen Prager Vierteln die meisten altertümlichen Häuser. Aus diesem Grund erwähne ich kurz die Historie von mindestens einigen davon.

Das Haus, in das wir eingezogen sind, wurde nach dem Jahr 1720 gebaut aus den Resten des zuvor abgebrannten Hauses, das bereits seit 1548 den Lobkowitz gehörte. Im Jahre 1841 ist es, nach dem es dreißig Jahre dem Gastwirt Schnell gehört hatte, in den Besitz des Fürsten Oettingen-Wallerstein überge-gangen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in diesem Hause das Kleinseitner-Gymnasium eröffnet (man sagt, dass seine Schüler u.a. auch Karel Čapek und Jan Masaryk – der Sohn des Präsidenten Masaryk - gewesen seien). In der Zeit, in der wir umgezogen sind, hat man in dem Gebäude die Gemeindewohnungen errichtet. Das Haus befindet sich zwischen 2 Kirchen. Gegenüber ist eine Schule, die ich in den Jahren 1936 – 1944 besucht habe.

In der St. Thomas Kirche war ich zur ersten Kommunion. Am sonsten sind wir zu Ostern zur Auferstehung und zu Weihnachten zur Christmesse hingegangen. Die St. Thomas Kirche, ursprünglich gotisch, hat im Jahre 1285 der König Václav II. den Augustinern übergeben. Sie wurde eine der wenigen Kirchen, die in der Hussitenzeit katholisch geblieben sind. Sie wurde deswegen in Brand gesteckt und musste umgebaut werden.

Unter der Regierung Rudolfs II. ist sie zur „Hofkirche“ geworden. Es sind hier einige Persönlichkeiten aus Rudolfs Umgebung begraben, u.a. der Hofarchitekt Ottavio Aostalli und der Bildhauer Adriaen de Vries. Nach einem Blitzschlag im Jahre 1723 wurde die Kirche von Kilian Ignaz Dienzenhofer umgebaut, wobei der gotische Grundriss der Kirche unverändert geblieben ist. Die Deckengemälde in der Kirche sind das Werk von Václav Reiner. Über dem Hauptaltar in den wunderschönen Rahmen sind heute nur mehr die Kopien von zwei Rubensbildern erhalten „Das Leiden vom heiligen Thomas“ und „Der heilige Augustin“ (die Originale sind in der National Galerie aufbewahrt). Die prächtige Einrichtung ist durchweg barock aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Die Schulmessen haben wir immer am Sonntag in der St. Nikolauskirche auf dem Kleinseitner-Platz gefeiert. Die Nikolauskirche – Perle des Barock – wurde schrittweise in drei von einander unabhängigen Zeitabschnitten geschaffen: 1704 – 1711 von Christoph Dienzenhofer (Dreikirchenschiffe), 1737 – 1752 von Kilian Ignaz Dienzenhofer (Altar-Raum), 1755-56 von Anselm Lurago (die Kuppel). Im Jahre 1941 wurden wir in dieser Kirche gefirmt.

Gegenüber der Schule in der Josefgasse ist die Kirche des heiligen Josef, in die wir als Schüler immer vor dem Unterricht gelaufen sind. Die Kirche ist Frühbarock und wurde für den Orden der Karmeliterinnen in den Jahren 1686 – 1692 gebaut. Sie ist ausgestattet mit den Plastiken von dem Bildhauer Matěj Jäckel. In der Zeit, in der wir hingegangen sind, waren dort nicht mehr die Karmeliterinnen, sondern die englischen Jungfrauen. In dieser Kirche habe ich im Juni 1954 geheiratet. Im Mai 1955 bin ich in die Karmeliterstrasse Nr. 375 umgezogen.


Die Häuser wurden zum ersten Mal erst im Jahre 1770 nummeriert, zum zweiten Mal im Jahre 1805. Diese Nummerierung ist gültig bis heute (so genannte Konskriptionsnummern). Vorher waren an den Häusern die Hauszeichen. Das Zeichen konnte der Besitzer nur mit der Zustimmung der Stadt bestimmen und abbilden. Nur ganz wenige Häuser trugen zwei Hauszeichen. Ursprünglich waren die Häuser der Handwerker mit dem Zeichen ihres Handwerks bezeichnet. Die ältesten Hauszeichen in der Karmeliterstrasse sind am Haus, in dem ich heute noch wohne. Es ist in der Kartusche das Zeichen des Wagners: das Rad mit einem Teil des Wagens und das Datum 1555, das angibt, wann das Zeichen hier eingesetzt worden ist. Aus den Archiven wissen wir, daß das Haus dem Wagnermeister Jan Štefl gehörte und man sagte hier „Zum Wagner“.

Nach dem Sieg am Weisen Berg hat in diesem Hause der Kaiserrat Jan Čejka aus Olbramovice gewohnt, darum hat man hier begonnen zu sagen: „Zur kaiserlichen Krone“ nach dem Hauszeichen der goldenen Krone. In diesem Hause wurde Josef Schulz geboren, der nach dem Brand des Nationaltheaters dessen Erneuerung durchgeführt hat.

Ich glaube, dass man nun verstehen kann, daß ich mich in Prag auf der Kleinseite in den Häusern, die Geschichte atmen, wirklich zu Hause fühle. Ich erfahre ständig mehr und bis zum Ende meines Lebens werde ich nicht fähig sein, all die vielen Einzelheiten zu erfassen. Wo immer ich bin, in Böhmen oder im Ausland, jedesmal eile ich nach Hause auf die Kleinseite, obwohl das Wohnen in den historischen Häusern oft die Bequemlichkeit, an die die meisten Leute des 21. Jahrhunderts gewöhnt sind, nicht bieten. In der letzten Zeit stört mich der Autoverkehr sehr, der durch die Strassen der Kleinseite geleitet wird. Die historischen Häuser leiden merklich darunter.