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Townstories

Stand:


Eine Begegnung auf der Piazza di Spagna

Autorin und Übersetzerin: Renata Caratelli


Es passiert mir nicht oft, dass ich Zeit zu "verlieren" habe, um hier und da herumzutreiben. Warum eigentlich "verlieren", da es doch die schönste Zeit des Tages ist? Heute morgen ergab sich diese Gelegenheit, ich war allein in Rom, der Rest der Familie außerhalb. Ich machte mich auf den Weg zum Corso. Ich wollte eigentlich Corso Umberto sagen, wie ich es von meiner Kindheit an kenne - vergessend, dass die Republik den Namen dieses unbequemen Königs ausgestrichen hat mit einer Aktion der "Verurteilung des Gedenkens" wie die alten Römer, die ab und zu solche Spuren hinterlassen haben, die man heute noch auf den groß gemeißelten Inschriften der Denkmäler sehen kann. So bummelnd fand ich mich auf der Via dei Condotti mit ihren glänzenden Schaufenstern, und dann - obwohl schon im Hintergrund angekündigt - auf einmal unerwartet auf der immer aufregenden Piazza di Spagna.

Die Harmonie des "Schönen" hüllt dich ein. Der gute Salon Roms lädt dich ein, dich auf den Stufen seiner Treppe niederzulassen. Und das tat ich. Es war morgens und es gab wenige Jugendliche, die da saßen, lagen oder "hingelümmelt" waren, wie man in Rom sagt, Touristen oder Habitués von diesem Ort. Eine bunte aber so vereinheitlichte Welt: Amerikaner, Europäer, Asiaten, Afrikaner, Australier, alle so "ähnlich": Jeans, Piercings, freier Bauchnabel, Tätowierungen, Suche nach künstlichen Paradiesen...

"Kann ich mich hierhin setzen?" Es war ein alter Herr in meinem Alter. Er hatte eine große verschlissene Ledermappe, ein Mann mit einer einfachen Kleidung. Es war unvermeidbar: in dieser einladenden Umgebung, zwei Personen so verschieden zu den anderen, wie alte Freunde, die sich nach langer Zeit wiederfinden, überließen wir uns der Erinnerung. Mit einem Italienisch voll von Spanischen Wörtern erzählte der alte Mann mir seine "vida". Er hatte auf der Piazza di Spagna in dem Gebäude uns gegenüber gewohnt. Seine Mutter war aus einem Dorf der Ciociaria nach Rom gezogen, als er fünf Jahre alt war und seine Schwester sieben. Damals war es einfach ein Mietzimmer zu finden, weil dieses Viertel voll von Künstlern war, die ihre Ateliers in der nahen Via Margutta hatten. Seine Mutter war Model und auch er hatte als Kind für die Maler posiert.

Als er 19 Jahre alt war, heiratete seine Mutter wieder, und sein Onkel damals "Monsignore" hatte ihn nach Nicaragua gerufen. Nie hätte er gedacht sein ganzes Leben dort zu verbringen. Aber das Unvorhersehbare geschah, er verliebte sich in eine "chiqua" aus Bluefields. Folglich zog er an die Meeresküste der Antillen. Die Regierung gab ihm ein enormes Stück Land und so wurde er Züchter. Und der alte Mann lächelte in Erinnerung an die alten Zeiten, sein schönes Haus, seine schöne Frau, die als "profesora" (Lehrerin) arbeitete. Schade, dass sie keine Kinder hatten. "Damals waren viele Italiener da, die von allen geliebt wurden. Ich hatte sehr gut Spanisch gelernt," sagte er. Übrigens war es ein Zeichen des Schicksals, ich wohnte auf der Piazza di Spagna... Ich fing an zu lachen, und als alte pedantische Ex-Lehrerin konnte ich mich nicht zurückhalten ihm zu antworten, dass jener Platz mehr Französisch als Spanisch sprach, weil es um 1700 das französische Viertel Roms war und dass die Treppe nach dem Willen eines Ministers des Französischen Königs gebaut worden war, um den Abhang des Berges zu "heilen". Denn in dem Wäldchen, das ihn bedeckte, genau dort wo wir gerade saßen, übten die "Lustigen Mädchen" ihr Geschäft aus, die strengen Mönche störend, die oben auf der Spitze der Kirche "La Trinità dei Monti" und in dem nahen Kloster des "Sacré Coeur" von der berühmten Sternwarte den Himmel und nicht die Niedrigkeiten des Erdenlebens, wenn sie auch lustig waren, betrachten sollten.

"Na sieh doch mal" sagte er " das wusste ich nicht. Ich würde mit Ihnen Rom gern besichtigen". "Warum nicht?" antwortete ich. Und der alte Herr lachte und zog die Falten in seinem lederhäutigen Gesicht zusammen. Aus der Mappe zog er ein kariertes Taschentuch raus und mechanisch fuhr er sich über das Gesicht und über die Augen, in denen die nussfarbenen Iris verbleicht fast weiß waren.

Dann fing er wieder an über sein Leben zu sprechen, und das war die Geschichte über Nicaraguas Bürgerkriege. Sein guter Onkel, der Bischof, wollte seine Gläubigen nicht verlassen, so wurde er ermordet, seine Grundstücke wurden beschlagnahmt und das Vieh gestohlen. Ich gab mir Mühe, die Bedeutung seiner Worte in meinem Gedächtnis wieder aufzufinden: Tatsachen, Namen von Persönlichkeiten, die in mir Erinnerungen an Umzüge, an Demonstrationen und an politische Beben hervorriefen.

"Das weiße Ufer, das schwarze Ufer" sang in mir der Refrain eines Liedes. Aber auf welchem Ufer war er gewesen? Es war nicht mehr wichtig, dachte ich, die Zeit wäscht alles aus, und die heutige Geschichte lässt die Knochen für andere entsetzliche Übergriffen zittern. Er wollte nicht, dass seine Frau ihre Familie verließ. Denn er blieb, während die anderen Italiener nach Argentinien flüchteten. "Aber jetzt kommen sie wieder nach Italien! Si haben alles verloren. Am Einwohnermeldeamt steht jeden Tag eine lange Schlange, um die italienische Staatsangehörigkeit zu erbitten. Es gibt Jugendliche, die auch nicht italienisch sprechen... Aber wenigstens haben sie in Rom ihren schönen Platz, die Piazza dell'Argentina..." "Ach, was, Rom ist ein Spaßvogel!" antwortete ich lachend "Mit Argentinien hat das nichts zu tun. Jener Platz heißt so, weil da der Turm des deutschen Historikers J. Burkard steht, der vor über 500 Jahre dort gewohnt hat. Er ist in Straßburg geboren und diese Stadt wurde auf Latein Argentoratum genannt. Aber warum sind Sie nach Italien zurückgekommen?" fragte ich. Er antwortete mir , dass seine Frau vor zwei Jahren verstorben war. So hatte er ihren Neffen alles hinterlassen und war nach Italien zurückgekommen, weil er hier sterben wollte. "Aber in zwei Monaten fliege ich zurück nach Amerika um die Asche meiner Frau zu holen. Ich will neben ihr begraben werden. Mir geht es gut, in Italien bekomme ich di Sozialrente, mein Neffe hat ein Zimmer für mich. Aber jeden Morgen nehme ich zwei Busse und die U-Bahn und komme hierher und setze mich hier hin".

Als er das sagte, zog der alte Herr ein Bündel mit Brot und Eierkuchen aus seiner Tasche hervor. "Erlauben Sie?" fragte er mich. "Aber, natürlich, guten Appetit! Ich muss gehen. Es ist sehr spät für mich geworden. Aber ich komme oft hier vorbei. Ich werde gern mit Ihnen sprechen. Auf wiedersehen!"