Als ich in den 60er Jahren nach Rom kam, habe ich vom Tiber nichts bemerkt; vielleicht nicht einmal von Rom, weil ich eine Zeit tiefer Gefühlsverwirrung durchmachte.
Dass er da sei, wusste ich, weil ich Vergil gelesen hatte, der ihn den „blonden Tiber“ nannte. Als ich ihn dann zum ersten Mal in einem Bus überquerte, hatte ich weniger den Eindruck, dass sein Wasser blond sei, sondern hellbraun, eher schlammig.
Einige Jahre lang lebte ich in Stadtvierteln, die weiter weg lagen, so dass ich ihn quasi ignorierte. Er schien mir kein wichtiger Teil der Stadt zu sein, wie die Seine in Paris, die ich sehr geliebt habe. Ich habe einige Zeit gebraucht, bis der Tiber Teil meines täglichen Lebens wurde.
Ich erinnere mich nur an eine abgeschlossene Episode, in der ich mich während einer dramatischen, gefühlsbetonten Unterhaltung auf den Stufen sitzen sehe, die zum Tiber hinunterführen. Direkt vor der Tiberina-Insel, einer uralten Insel mit einer aussergewöhnlichen römischen Brücke, die den Tiber in 2 Teile teilt.
Eine traurige und romantische Erinnerung. Ein junger Mann und der Tiber.
Einige Jahre später bin ich mit meinem Mann und meinem Bruder zum Essen in einer Trattoria ausserhalb der Stadttore, wie man in Rom sagt, gelandet. Sie befand sich direkt am Damm des Flusses unter einem Laubdach, wo auch Wäsche zum Trocknen aufgehängt war. Mein Bruder, der sich damals in der Fotografie versuchte, begann verschiedene Aufnahmen zu machen von der Landschaft, vom mit dichten Sumpfpflanzen bewachsenen Tiberufer, von den armseligen Tischen des Lokals, wo wenige Gäste Pastasciutta aßen und Wein tranken.. Auf einmal rief er aus: „Aber das ist die Trattoria von Visconti, in der er viele Szenen von „Bellissima“ gedreht hat“. Wir weiss, ob es sie noch gibt.
10 Jahre später bin ich ins Prati-Viertel umgezogen. Und zwar in ein Haus, das nur 100 Meter vom Tiber entfernt war. Nun konnte ich ihn nicht mehr ignorieren. Ich sehe ihn jeden Morgen, überquere seine Brücken, sehe die Engelsburg, die so nah bei meiner Wohnung liegt.
Und dann ist der Tiber auch in einer anderen Weise in meine Lebensgewohnheiten getreten.
Jeden ersten Sonntag im Monat erstreckt sich von der Milvio-Brücke bis zur Herzog Aosta-Brücke ein etwa 1 km langer Antikmarkt den Fluss entlang. Es ist ein abwechslungsreicher Markt mit großem Angebot, einigen schönen und teuren Sachen. Was mich aber am meisten anzieht, ist das Flussufer, das in diesem Teil voll Bäumen und Gebüsch ist, wo ab und zu das Wasser des Stroms durchscheint.
Seit einem Monat ist der Tiber schiffbar. Nicht dass er das nicht auch früher schon gewesen wäre. Da waren Boote, insbesondere Ruderboote.
Aber nun sind es die städtischen Motorboote, die die Leute für 2 € von der Milvio-Brücke zur Tiberina-Insel bringen. Natürlich bilden sich lange Schlangen an den Anlegestellen, aber wenn man die Wartezeit überstanden hat, ist es schön, Rom vom Wasser aus anzusehen. Von unten seine Häuser anzuschauen, seine Denkmäler; unter den Brücken durchzufahren, während die Ufer nach reichem Baum- und Strauchbewuchs kahl werden und den Blick freigeben auf die Uferstrassen und den Stadtverkehr.
Ich muss wirklich meine Enkel mal hierher bringen.
Übersetzung: Hanns Hanagarth