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Townstories

Stand:


Rom und mein Tiber

von Carla Costanzi

Sich Rom ohne Tiber und den Tiber ohne Rom vorzustellen ist unmöglich. Sie sind wie 2 Liebende, die sich -auf ewig miteinander verbunden- gegenseitig ergänzen.
Der Tiber umarmt diese fleischige und barocke Stadt, die sich ihm seit ewigen Zeiten in ihrer ganzen Opulenz darbietet, mit seinen Windungen, während Rom seinerseits es liebt, sich in diesem fließenden Spiegel mit seiner ganzen Vielseitigkeit abzubilden.
Die doppelte Baumreihe, die den Fluß säumt, fügt sich zu einem angenehmen Gesamtbild, das sich aus vielen einzelnen Landschaftselementen zusammensetzt, die der Tiber harmonisch und bezaubernd miteinander verbindet. Auch mein Leben ist mit dem Tiber verknüpft; er ist in Teilen Zeuge und Komplize meiner Geschichte. Ich könnte in diesem Wasserband meine Lebenszeit von der Kindheit bis heute nachlesen.

Kindheit und Jugend. Bis 14 lebe ich in Testaccio, einem Viertel antiken Ursprungs , in dem das römische „Volk“ (das mit makelloser Abstammung) wohnt und vor allem lebt. Zu Zeiten des römischen Imperiums fuhren die Schiffe vom Hafen von Ostia bis zum Hafen von Ripa Grande, um wertvollen Marmor aus Ägypten und Kleinasien auszuliefern, der prunkvolle Wohnsitze verschönern sollte. Mit meiner Großmutter Maria spaziere ich nachmittags zu einem kleinen Hügel, monte dei cocci (Tonberg) genannt. Der „Coccio“ , lateinisch testum , ist eine Terrakottaamphore. Im Laufe der Jahrhunderte haben Millionen zerbrochener Teile sich aus einem Abladeplatz zu einem mit Kieselsteinen und Gestrüpp bedeckten Berg aufgeschichtet, dessen Stärke im Innern der in den 80er-Jahren entstandenen Lokale, Restaurants, Jazz Clubs sichtbar ist.
Auf den großen Fußwegen entlang des Tiber spielte ich als Kind mit den Schulkameraden „campana“,“ruba bandiera“ oder „palla prigioniera“. Ich sehe mich wieder mit einer kleinen hellbraunen Haarsträhne in der Stirn und höre die Stimme eines Mädchens wieder, das sich in perfektem Italienisch ausdrückt, weil es ihm verboten wurde mit römischem Akzent zu sprechen. Meine Mutter hieß mich das Viertel geringschätzen, weil zu volkstümlich, und ich verstand nicht warum. Aber glücklicherweise hat mich das Schicksal viele Jahre später wieder zurückgeführt, um am Ufer des zauberhaften Tiber zu wohnen.

Jugend. Ich wohne in Monteverde Vecchio, verlasse also Testaccio und den Tiber. Aber dieser Fluß bleibt eine Verlockung, sozusagen ein Sirenengesang in der schmerzhaftesten Periode meines Lebens: meine Scheidung. Ich habe mich in tiefen mentalen Nebeln verloren, esse nicht, schlinge hinunter, ziehe mich nicht an, verhülle mich, denke nicht, es sind Gedanken, die mir den Kopf füllen.
Meine Tochter Valeria hat eine Puppe, die sie mehr liebt als alle andern: Lilla. Am Abend nehme ich sie, gehe aus dem Haus und laufe sie in den Armen wiegend den Fluß entlang. Ich denke wie lang der Tod wohl sein wird, wenn ich mich in die Fluten stürze. Ich rede mit Lilla als wäre sie Valeria und stelle mir vor, wie sie ohne mich aufwächst, vom Vater und seiner Lebensgefährtin gehätschelt und vielleicht nur noch mit einer verschwommenen Erinnerung an mein nunmehr zerstörtes Ebenbild. Der Tiber spricht mit mir so wie es manchmal einem verzweifelt Liebenden geht, der sich an ihn wendet, um seine Qual loszuwerden, um von ihm mitgerissen zu werden und seine Freiheit zu finden.
So suche auch ich verzweifelt, mich von einer kaputten und zu Ende gegangenen Liebe zu befreien. Aber zum Glück lässt mich eine viel größere Liebe nicht los: Valeria. Ich höre sie an jenem Juniabend durch die Geräusche des Flusses reden. Ich schaue mir den Mund von Lilla an und sie scheint mir zu sagen: „Zusammen schaffen wir’s, da bin ich sicher !“.
Und wir haben es geschafft.

Erwachsensein. Seit fast 3 Jahren suche ich eine Bleibe für mich und Valeria und schließlich bietet mir eine Freundin die gesuchte Lösung: eine Wohnung im vierten Stock in Testaccio, am Tiber. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, ich zeige mich auf dem kleinen Balkon und Rom zeigt sich wie ein verführerischer und leidenschaftlicher Liebhaber. In der neuen Wohnung schaue ich am ersten Tag stündlich auf den Tiber. Er kommt mir gleichermaßen majestätisch vor in seiner Ewigkeit wie vertraut und nahe mit seinem Reiz, den er spendet. Die Gedanken kehren zu den Kindheitsjahren zurück, zu den Tränen der Verzweiflung, zum Gewinn des neuen Lebens. Valeria ist gerade 5 Jahre alt und glücklich in ihrem Zimmer am Tiber. Bevor ich sie ins Bett bringe, erfinde ich Geschichten über römische Schiffe, die aus Fernost kommen oder über Vögel, die hinter dem Fenster kreischen und Spitzen in den Himmel zeichnen. Beide sind wir glücklich; wir spüren, dass diese Wohnung am Tiber, mit dem Sonnenuntergang am Monteverde, der den Blick fesselt durch dieses fast unwirkliche Abendrot, uns mit Energie überflutet.

Der Besitz dieser vom Fluß umfangenen Stadt, die von hier oben Ort und Personen beherrscht, löst eine heftige Gefühlsregung aus, die enthüllt, dass hier der Sinn unseres Lebens und unseres positiven Denkens ist.

Übersetzung von Hanns Hanagarth