_
 
[ EuCoNet ]   [ ZAWiW ]   [ SoLiLL ]   [ LiLL ]    [ Gemeinsamlernen ]I
_ _ _
  Dreieck nach obenTownStories  
_ _ _
  Dreieck nach oben---- Texte ---- Logo ZAWiW
_ _
  _Rom
_ _ _
_
_ < Seite 10 von 13 >
_
_ Zurück - Inhalt
_ _
_ _
_ _
_ _ Sich wohlfühlen
_ _
_ _ Meine Stadt
_ _
_ Flüsse
_ _
_ _ Stadtteil
_ _
_ _ Begegnungen
_ _
_ _ Plätze
_ _
_ _ Geschichte
_ _
_ _ Feste
_ _
_ _ Frauen
_ _
_ _ Texte von Anderen
_ _
_ _ Kuriositäten
_ _
_ _
_ _ _ _ _ _

Townstories

Stand:


Der blonde Tiber

von Anna-Maria Mussoni

Göttlich nannten die elegischen Dichter des alten Rom den Tiber, den Fluss-Gott, einen Gott, dem Achtung und Liebe gebührten, und so ist es in der Phantasie der Römer bis heute geblieben.
Zwar haben sie im Lauf der Zeit den unmittelbaren Kontakt zu ihrem Fluss verloren, obwohl er immer noch der Gürtel ist, der das linke Ufer - das historische Zentrum - vom rechten trennt, dem Teil, der einmal Peripherie genannt wurde. Ein nicht immer bequemer Gürtel wegen der Überschwemmungen, die sich in regelmäßigen Abständen über die Stadt ergossen mit Todesopfern und Verwüstungen. Es wird erzählt, die „Barcaccia" auf der Piazza di Spagna sei ein Denkmal, gewidmet der Erinnerung an ein Boot, das durch die Raserei des Flusses während einer der vielen Überschwemmungen dorthin geschleudert worden sei.
Quer durch die Jahrhunderte hindurch finden sich Vorschläge, den Flusslauf in der großen Flussschleife, die sich von der Brücke Principe Amadeo di Savoia-Aosta bis zu der Brücke Umberto I erstreckt, zu verändern. Unter den berühmtesten Persönlichkeiten, die dafür einen Plan hatten, war Julius Cäsar, und auch Garibaldi schlug dieses zunächst im Parlament vor, um später doch wieder auf den Plan der Uferbefestigung durch Mauern zurückzukommen - angesichts der Kosten und der Folgen, die die Besitzer der angrenzenden Ländereien schwer getroffen hätten, da Enteignungen wegen des neuen Flusslaufes notwendig geworden wären.
Mein Großvater erzählte meinem Vater mehrmals, dass sich vor der Uferbefestigung jenseits der Engelsburg - nördlich von dem Stadtteil Trastevere, den es schon in der Antike auf dem rechten Tiberufer gab - Weinberge und Obstgärten mit zahlreichen Gasthäusern erstreckten. Diejenigen, die sich von dem Damm der Via Ripetta auf das rechte Ufer zurückziehen wollten, wurden von einem Boot, an dem ein Seil befestigt war, so dass es durch eine Winde gezogen werden konnte, von einem Ufer zum anderen gebracht. Unter den berühmten Gasthäusern in dem Gebiet, das „Wiesen der Engelsburg” hieß, war eines mit dem Namen „Er Puzzone" („Großer Gestank”) - man weiß nicht, woher der Name kam, vielleicht von dem brenzligen Geruch, den die Hühner auf dem Rost ausströmten, die dort regelmäßig mehr verbrannt als gebraten wurden. „Er Puzzone" aber wusste sich zu entschuldigen, indem dort nach Aussage meines Großvaters von eigenem Weinberg der beste Wein von Montefiascone „Est, est, est" ausgeschenkt wurde.
Als ich ein Kind war und wir noch am Corso wohnten, trug mich mein Vater auf Spaziergängen das Flussufer entlang, wo man die Jugendlichen des angesehenen „Kanu-Vereins" beim Paddeln bewundern konnte und weiter unten nahe der Brücke Cavour die bescheideneren Ruderer der anderen Schleppkähne, unter ihnen der bekannte „Er Ciriola" (der Aal), die eine engere Bindung zum Fluss zu haben schienen.
In den Sechziger Jahren wurde der Ponte Cavour regelmäßig Schauplatz einer chronikreifen Ruhmestat durch den Mister OK, der sich am ersten Januar von der Brücke in das kalte Wasser warf und dabei jedes Mal fotografiert wurde, während er mit der Hand das Zeichen OK gab. In den folgenden Jahren versuchten einige Tollkühne ihn nachzuahmen, aber mit weniger Glück, ohne in die Chronik aufgenommen zu werden. Ich glaube mich zu erinnern, dass das Schauspiel später wegen der Verschmutzung des Flusses verboten wurde. Weiter unten auf der Via Ostiense lag am Flussufer das Gasthaus „Capoccetta" (das Köpfchen), ein Ausflugsziel von den sogenannten Spaziergängen vor den alten Mauern, berühmt wegen des Weins, aber auch wegen der besonderen Zubereitung des Milchlamms.
Wenn auch die unmittelbare Verbindung zum Fluss heute verloren gegangen ist und dies, wie ich glaube, nicht nur an der Uferbefestigung, sondern auch an unserem hektischen Leben liegt, blieb der Fluss dennoch in der Phantasie der Volkslieder lebendig: Tragische und heitere Lieder, vor allem Liebeslieder, in denen der Fluss Hauptdarsteller ist, legen davon Zeugnis ab. Wer weiß, ob es dem Tiber noch gelingt, wenigstens die zweite Rolle in unserem Leben zu spielen? Im Juli wird es möglich sein, auf dem Fluss, der einst für große Schiffe schiffbar war, in einem kleinen Boot Fahrten zu unternehmen. Es ist jetzt noch nicht sicher, ob es sich dabei um Schiffe handeln wird, die dem Pariser Bateau Mouche für Touristen vergleichbar sind, oder um eine Art von Linienbussen, die es uns erlauben, unsere Ziele früher zu erreichen, da wir den Stadtverkehr vermeiden können. Sollte sich die letzte Annahme bewahrheiten, wird der eilige und zerstreute Passagier auf seinem Weg zur Arbeit oder in der Abwicklung seiner Geschäfte dem Fluss, wie ich befürchte, kaum dieselbe wichtige Stellung zurückgeben, die er in den guten alten, aber vergangenen Zeiten hatte, als die jungen Menschen täglich die Dämme des Tibers aufsuchten, um zu spielen, zu fischen und zu angeln, ein Sonnenbad zu nehmen oder auch sich im Schatten des Röhrichts zu lieben.
Man badete im Fluss (man wusste nichts von Umweltverschmutzung), und wer nicht schwimmen konnte, wurde so mitleidig betrachtet, wie man heute einen Analphabeten anschaut.

Kontrolle der Übersetzung: Dagmar Palm