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Townstories

Stand:


FLÜSSE IN MEINEM LEBEN

von Renata Caratelli

Ich lebe in Rom, aber in meiner persönlichen Stadt gibt es viele Flüsse, nicht nur den blonden Tiber.

„Blaue Donau, dan dan dan dan“, sang meine Mutter und damals war sie so jung und so schön...Ihre nussbraunen Augen waren sonnig, als sie uns lächelnd erzählte, dass der Geburtstag meiner Schwester Gabriella, der 22 .April 1935, ein wunderbarer Tag war. Die Nonnen der Klinik „Pampersi“, worin sie entbunden hatte, waren in heller Aufregung: auf die Terrasse hatte der Wind eine Schallplatte von „An der schönen Blauen Donau“ gelegt. Das war gerade die Lieblingsmusik der Schwester Oberin. „Das ist ein Wunder der heiligen Rita“ sagten sie. So wurde meine Schwester „Gabriella Rita Maria“ genannt und bekam blaue Augen und blonde Haare, wie eine wirkliche Tochter der Donau.

Später traf ich die Spree, sie war in den schwarzen Augen vom schönen jungen Ugo. Es war 1954, ich besuchte damals das Gymnasium und nachmittags ging ich Milch einkaufen. Ich war 15 Jahre alt und der Kellner 17. Ich setze mich an einen Tisch aus Marmor und wir unterhielten uns. Er hatte in Berlin seine Kindheit gelebt, wohin sein Vater emigriert war, um zu arbeiten. Deshalb hatte er Sehnsucht nach dieser Stadt und nach seinen kleinen Freunden, aber besonders nach den Spaziergängen längs der Spree, wohin ihn sein Vater mitnahm, um zu angeln. Der Name dieses Flusses, den ich offen gestanden vorher nur in den Schulhandbüchern angetroffen hatte, trat in meinen Geist und in mein Herz hinein, und das war, als ob ich dort, neben Ugo, gelebt hätte. Von dem Fenster seines Hauses in Berlin - was für einen Anblick - sah er Möwen, die während des Sonnenunterganges über den Fluss flogen...

Zeit meines Lebens hatte ich noch nie eine Möwe gesehen. Im Jahre 1954 war der Tiber in Rom nicht verschmutzt, im Gegenteil, seine Ufer waren voll von Schleppkähnen, Restaurants und bunten Strandbädern. Im Gewässer des Tibers konnten die Badegäste hineinspringen und schwimmen. Jetzt hat die Verschmutzung alle Strandbäder ausradiert und die Möwen mitgebracht. Abends ist der Hof meines Hauses in Rom mit Möwen gefüllt. Tags fliegen sie längs des Flusses bis an die See und bei Untergang kommen sie in die Stadt zurück und streiten sich, um einen Platz für die Nacht auf den Dächern zu finden. Ihre Schreie scheinen mir hinreißende und drohende Gewimmer von Babys. Die weißen Möwen sind für mich nicht mehr die phantastischen Bewohner eines magischen nordischen Flusses, bei dem ich vom Glück geträumt habe ..

Als ich vor einigen Jahre in Berlin gewesen bin, habe ich sofort die Spree gesucht. Ich habe einen schönen Fluss mit sauberen Ufern gesehen, aber Ugo war nicht dort und ohne ihn war die Spree nur ein schöner Fluss wie viele andere.